Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

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DonQuixote
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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 20. Februar 2013, 23:49

Hi Willo

WilloTse hat geschrieben:Hi Don!
DonQuixote hat geschrieben:Was Beaurepaire sagt ist doch folgendes: Bei so und so viel konsumierter Alkoholmenge VOR der Therapie war die erforderliche Baclofen-Dosis so und so hoch. Durschnittlich

Sagt er nicht. Das sage ich durch Kombination seiner Zahlen.

Sagt er eben doch.

Dr. de Beaurepaire hat geschrieben:The maximal daily dose of baclofen in women was significantly lower than in men (average 127 mg for women vs. 158 mg for men, p = 0.025), which may correspond to the fact that the amount of alcohol consumed before treatment was significantly less in women than in men (average daily consumption: 184 g for women vs. 225 g for men, p = 0.010).

Und dann im weiteren Verlauf, Abschnitt „Discussion“:

Dr. de Beaurepaire hat geschrieben:No element (BMI, sex, social, family, and professional features), with the exception of the amount of alcohol consumed before treatment, had a predictive value regarding the dose of baclofen needed, even though the inter-individual variability was very important.

Das ist hier bereits übersetzt:

Dr. de Beaurepaire hat geschrieben:Mit Ausnahme der Trinkmenge vor der Behandlung gab es keine anderen Einflussfaktoren (Geschlecht, Gewicht (BMI), soziale, familiäre oder berufliche Umstände) auf die benötigte Dosis des Medikaments, wobei diese von Person zu Person enorm schwankte.


In seiner Folie am Vortrag des Kolloquiums November 2012 wird’s ebenfalls deutlich:

Bild

„Verhältnis zwischen konsumierter Alkoholmenge (in Gramm) VOR der Behandlung und [erforderlicher] maximaler Baclofendosis.“ Nur darum geht’s bei den Zahlen von Beaurepaire. Daraus eine Formel abzuleiten, wie viel Alkohol wie viel Baclofen "platt" macht, ist völlig abwegig.

Meint DonQuixote

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WilloTse
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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon WilloTse » 21. Februar 2013, 06:13

Hi Don,
de Beaurepaire stellt fest, dass es einen Zusammenhang gibt, er beziffert ihn aber nicht. Das habe ich durch die Rechenoperation eines Fünftklässlers nachgeholt.
Keine Sorge, einen Nobelpreis beanspruche ich dafür nicht.

Ich darf mal aus Deinen Statistiken ein paar Zahlen ablesen? Trinkgewohnheit ohne Baclofen: ca. fünf Liter Bier am Tag. Alkoholgehalt: (bei ca. 5% vol.) 200 Gramm. Nach meiner Faustformel errechneter Baclofenbedarf: 140 mg/d.

Eintritt Abstinenz bei DonQ bei 156,25 mg/d (nach kurzer Aufdosierung auf 168,75 mg).
Absenken der Dosierung auf 100 mg/d.
Derzeitiger Alkoholkonsum ca. 1,5 Liter Bier am Tag.
Benötigte Steigerung zum Erreichen der Abstinenz nach meiner Faustformel: 42 mg.
edit: Rechenfehler korrigiert. [pardon]

Abwegig?
Oder so offensichtlich, dass es bisher niemand gesehen hat?

LG
Willo
Zuletzt geändert von WilloTse am 21. Februar 2013, 07:42, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon WilloTse » 21. Februar 2013, 06:51

Und nochwas zu den Zahlen von de Beaurepaire.

Seine statistischen Angaben
Dr. de Beaurepaire hat geschrieben:there was a significant relationship between the amount of alcohol (in grams) consumed before treatment and the maximal dose of baclofen needed by patients [r = 0.315 (0.127;0.482), p = 0.001]. This relationship was significant in both men and women.

http://www.frontiersin.org/Journal/Full ... rol&x=y#h2
deuten bereits darauf hin, dass es erhebliche Abweichungen von der idealen Korrelation gibt (r kann Werte zwischen -1 und 1 annehmen. 1 wäre ein komplett linearer, positiver Zusammenhang. Davon ist 0,315 'ne Ecke weg).

Aber wenn ich Blumen pflücken will, gehe ich als erstes zu der Wiese, auf der üblicherweise die meisten blühen.
Eine Garantie, dass ich dort auch fündig werde, gibt es nicht.

LG nochmal
Willo

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 21. Februar 2013, 20:40

Mensch Willo!

JETZT verstehe ich, was Du sagen willst. Aber:

  • Die Fausformel von @Jivaro besagt, dass eine Flasche Wein WÄHREND der Therapie 75 mg Baclofen WÄHREND der Therapie neutralisiert (Das Verb „antagonisieren“ gibt es nicht).
    .
  • Deine Faustformel besagt, dass bei einer bestimmten Trinkmenge VOR der Therapie so und so viel Baclofen notwendig ist, damit die Therapie erfolgreich ist.
Das sind natürlich zwei total verschiedene Dinge. Doch was ist von Deiner Formel zu halten? Sie stellt einen Durchchnitt dar. Der Durchschnitt über ALLES war 147 mg / Tag, von 20 bis 330 mg d.h. eine Spreizung von 1 zu 16,5

Nehmen wir jetzt mal eine Untergruppe, sagen wir die mit einem Alkoholkonsum VOR der Therapie von 200 g Alkohol pro Tag. Da die Alkoholmenge relevant ist, wird die Spreizung zwangsläufig kleiner sein, aber immer noch etwa 1:10 betragen. Genaueres weiß man nicht. Wenn also Deine Formel z.B. 150 mg Baclofen ergibt, kann die „Wahrheit“ immer noch zwischen 30 mg und 300 mg liegen, ich bin also nicht schlauer als zuvor.

Meint DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon Papfl » 22. Februar 2013, 08:47

DonQuixote hat geschrieben:Das Verb „antagonisieren“ gibt es nicht.


@ Don

"antagonisieren" ist - zugegeben - ein "Anglizismus" (engl.: to antagonize), der sich aber mittlerweile zumindest im "Medizinerdeutsch" etabliert hat:

Bild
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon Papfl » 22. Februar 2013, 09:06

DonQuixote hat geschrieben:Die Fausformel von @Jivaro besagt, dass eine Flasche Wein WÄHREND der Therapie 75 mg Baclofen WÄHREND der Therapie neutralisiert.


So verstehe ich @jivaros Formel auch. Und sie leuchtet mir auch ein. Vielleicht trägt es zum besseren Verständnis bei, wenn man weiß, dass Alkohol (wie auch Benzodiazepine) am GABA-A-Rezeptor wirken. Das ist übrigens der GABA-Rezeptor von den Dreien (A, B, C) mit "Suchtpotential". Baclofen hingegen wirkt am GABA-B-Rezeptor.

Stark vereinfacht gesagt, "sucht" das Hirn nach der erwünschten positiven, entspannenden, befreienden Wirkung zuallererst am GABA-A-Rezeptor. Wenn es dort "nichts" findet, versucht es sein Glück am GABA-B-Rezeptor. Dort sorgt in der Regel das eingenommene Baclofen dafür, dass es "fündig" wird. Wenn ich aber vorher meinen GABA-A-Rezeptor schon mit einer Flasche Wein zufrieden gestellt habe, wird die Suche an GABA-B erst gar nicht fortgesetzt. Die 75 mg Baclofen, die ich zusätzlich dort eingeworfen habe, sind also buchstäblich "für die Katz!".

Die erwähnten Mengenangaben (75 mg Baclofen = 1 Flasche Wein) beruhen m. E. schon auf Willos Erklärungen.

Gruß
Papfl

[Edit] Rechtschreibfehler
Zuletzt geändert von Papfl am 22. Februar 2013, 13:23, insgesamt 1-mal geändert.
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon GoldenTulip » 22. Februar 2013, 10:22

danke, papfl,

Deine Ausführungen machen mir die Wirkungsweise von Bac immer mal wieder verständlicher.
Mein Neuro-Doc weiß nicht einen Bruchteil davon, "hilft irgendwie, kann ich guten Gewissens verschreiben", that's all.

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon fetsecht » 22. Februar 2013, 19:25

Papfl hat geschrieben:Stark vereinfacht gesagt, "sucht" das Hirn nach der erwünschten positiven, entspannenden, befreienden Wirkung zuallererst am GABA-A-Rezeptor. Wenn es dort "nichts" findet, versucht es sein Glück am GABA-B-Rezeptor. Dort sorgt in der Regel das eingenommene Baclofen dafür, dass es "fündig" wird. Wenn ich aber vorher meinen GABA-A-Rezeptor schon mit einer Flasche Wein zufrieden gestellt habe, wird die Suche an GABA-B erst gar nicht fortgesetzt. Die 75 mg Baclofen, die ich zusätzlich dort eingeworfen habe, sind also buchstäblich "für die Katz!".


schade , ich haette gerade meine eigene statistik eingeworfen, finde die aber nicht mehr in meiner signature.

mein gequaele ist aber immer noch da [blum]
ich denke ich bin mit bei den hier beschriebenen merkmalen hochgefahren, einmal, BACLOFEN MIT ALKOHOL und einmal OHNE ALKOHOL.
ich empfand damals KEINEN unterscheid. und das verwundert mich nun sehr hier, es scheint der eindruck bei den meisten zu sein.
baclofen nehmen, aufhoeren zu trinken und alles wird besser.
baclofen nehmen, dabei alkohol zu trinken, schwierig es ist besserung zu finden?
oder wo liege ich verkehrt, oder was mache ich verkehrt?
wenn ich euch so lese, habe ich das gefuehl, das ich so dermassen daneben liege, das ich keinen plan habe.
und ich wuerde mich sehr freuen wenn ich daneben liegen wuerde.!
[twiddle]

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon WilloTse » 23. Februar 2013, 06:23

Hi fets!
fetsecht hat geschrieben:wenn ich euch so lese, habe ich das gefuehl, das ich so dermassen daneben liege, das ich keinen plan habe.

Das liegt daran, dass einige Beiträge hier so aussehen, als hätten wir einen Plan. :wink:

Wenn ich Deine stats (die können doch nicht weg sein...) richtig in Erinnerung habe, hast Du verdammt schnell hochdosiert und das dann nicht lange (aus-)gehalten. Kann sein, dass das einfach zu schnell zu viel war. Außerdem bleibt auch dann, wenn Baclofen unseren "biologischen Fehler" ausgeglichen hat, die Gewohnheit, die Langeweile, die fehlenden Alternativen zur Frustbewältigung ...

Vorschlag: such doch nochmal Deine Statistiken 'raus, dann gucken wir nochmal. Vielleicht magst Du Dich ja auch @Argentinas und @rettis "sechs-Wochen-Plan" noch anschließen?

LG
Willo

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 23. Februar 2013, 17:42

Die Stats von fets sind hier …

DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon fetsecht » 23. Februar 2013, 17:55

WilloTse hat geschrieben:
fetsecht hat geschrieben:wenn ich euch so lese, habe ich das gefuehl, das ich so dermassen daneben liege, das ich keinen plan habe.

Das liegt daran, dass einige Beiträge hier so aussehen, als hätten wir einen Plan. :wink:


Ja das liest sich oft hier, aber eine zauberformel MIT baclofen hier ich noch nicht fand .
aber wir arbeiten daran [good]

Vielleicht magst Du Dich ja auch @Argentinas und @rettis "sechs-Wochen-Plan" noch anschließen?

LG
Willo


nein, danke, ich empfinde, das ich nicht alles machen muss, mache aber dinge wo ich denke, das macht MIR sinn.
und ich finde es klasse, das verschiedene leute, verscheidene dinge tun.

ziel ist, unsere krankheit der alkoholsucht, zu veringern, es zu kontrollieren, es zu ersaetzen oder es aber auch abzuschliessen. jeder hier hat sein goal/ ziel, wie wir das erreichen, liegt an uns, das wir halt verschiedene wege gehen um eine "loesung" zu finden. ist sehr positiv! denn wenn jemand eine loesung fuer sich selbst findet, probiert man dies sicher fuer sich selbst aus.

so long...testen wir hier :wink:




gruss fetsecht

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 23. Februar 2013, 19:48

Hallo erst mal

Danke @Papfl für das raussuchen im medizinischen Wörterbuch. Im Duden („Normal“ und „Fremdwörter“) gibt’s nur das Substantiv „Antagonist“: (Biochemie: Stoff, der in seiner Wirkung einem anderen entgegengesetzt ist und dessen Wirkung aufhebt). Das Verb „neutralisieren“ ist besser, weil es für Jedermann verständlich ist.

Noch nicht ganz verständlich ist mir die Faustformel von @Jivaro, präzisiert durch @Willo und @Papfl. Nimmt man die Faustformel Ernst, müsste es eine ärztliche Therapieanweisung geben, die etwa so lautet: „Vermeiden Sie wenn immer möglich Alkoholkonsum, weil dies die Wirksamkeit von Baclofen erheblich herabsetzt“. Denn das Verhältnis von 78 Gramm Alkohol (eine Flasche Wein) zu 55 bis 75 mg Baclofen ist schon erheblich. Nun lauten aber die bisher bekannten ärztlichen Therapieanweisungen ziemlich anders:

Doktorarbeit Paris hat geschrieben: „Wir haben von den Patienten weder verlangt, den Alkoholkonsum vor der Baclofeneinnahme abzusetzen, noch haben wir die gleichzeitige Einnahme von Baclofen und Alkohol untersagt.“ (Quelle …)

Dr. Annie Rapp hat geschrieben:„Die meisten haben in der Anfangszeit der Behandlung ihren Alkoholkonsum nicht eingestellt. Bei den erfolgreichen Fällen nahm der Konsum kontinuierlich ab, bis er entweder ganz abgesetzt wurde oder es nur noch gelegentlich und sehr moderat dazu kam.“ (Quelle …)

Baclofen-Leitfaden hat geschrieben:„Die Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht notwendig ist, dass der Patient bei Beginn der Baclofen-Therapie abstinent ist. Diese Frage kann mit dem Patienten erörtert werden und deren Beantwortung hängt vom Allgemeinzustand und vom erwarteten Nutzen einer solchen Abstinenz ab. […] Es kann auch vom Patienten verlangt werden, sich aus freien Stücken um die Verringerung seines Alkoholkonsums zu bemühen, bis sich die „Gleichgültigkeit“ einstellt.“ (Quelle …)

Dr. Renaul de Beaurepaire hat geschrieben:„At the end of the first visit, patients were informed that they were free to drink as usual, given that baclofen is expected to suppress the motivation to drink.“(Quelle …)
„Am Ende der ersten Konsultation wurde den Patienten gesagt, dass sie wie gewohnt weitertrinken können, wenn sie das möchten, denn Baclofen wird im weiteren Verlauf den Hang zum Trinken unterdrücken“

Dann muss man noch etwas bedenken. Ein Teil der Patienten stellt bei Therapiebeginn oder bereits zuvor jeglichen Alkoholkonsum ein. Ganz grob geschätzt könnten das bis zu einem Drittel sein. Nach @Jivaros, @Willos, @Papfls Faustformel müsste bei dieser Gruppe Baclofen besser wirken. Sie sollten also erfolgreicher sein und/oder mit einer geringeren Dosis des Medikaments zum Ziel kommen. Für Beides gibt es aber keine Anzeichen, auch nach einigen Zehntausend mit Baclofen behandelten Patienten nicht.

Klar, Baclofen und Alkohol gleichzeitig ist immer doof. Dosis zu gering? Kopf nicht bereit? Seele nicht bereit? Äußere Umstände nicht optimal? Es kann alles Mögliche sein. Dass Alkohol Baclofen „neutralisiert“, scheint mir nicht so wahrscheinlich.

DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon WilloTse » 24. Februar 2013, 02:37

Sodele Ihr Lieben,
bevor ich das jetzt beantworte, gehen wir mal im Tiefflug durch die Statistik, sonst wird das hier nie was.

Ich beziehe mich im Folgenden ausschließlich auf die oben bereits genannte Studie von de Beaurepaire.
http://www.frontiersin.org/Journal/Full ... rol&x=y#h2

Dort wird unter "Methods" angegeben:
Studie de Beaurepaire hat geschrieben:Analysis of relationships between continuous variables was based on Spearman’s r correlation with asymptotic confidence intervals based on Fisher’s Z transform.

Das soll erstmal reichen, die danach folgenden Angaben interessieren uns vorerst nicht.

Wenn man eine solche Studie durchführt, erhält man einen ganzen Sack voller Daten. Uns interessiert im Moment nur die Korrelation "Alkoholkonsum" und "benötigte Baclofendosis". Untersucht man das, erhebt man von jedem Patienten diese beiden Merkmale und trägt die resultierenden Zahlenpaare in ein Koordinatensystem ein. Im seltensten Falle werden die Ergebnisse schön ordentlich auf einer Linie liegen. In der Regel erhält man eine Punktewolke. Diese kann durch verschiedene Modelle daraufhin untersucht werden, ob es irgendeine zugrundeliegende Formel gibt, mit der man alle Punkte in dieser Wolke möglichst genau beschreiben kann. Findet man eine solche Formel, wird sie auf Genauigkeit geprüft, also letztlich darauf, wie genau denn nun die Punkte, die sich da im Koordinatensystem tummeln, von der gefundenen Formel beschrieben werden.

Die Wahl von Spearmans "r" zur Prüfung dieser Genauigkeit ist bei dieser Studie eine gute Wahl. Dieses "r" ist gegenüber dem bekannteren Korrelationskoeffizienten "r" nach Bravais-Pearson vorteilhaft: erstens ist Spearman weit weniger anfällig gegenüber Ausreißern (also Einzeldaten, die erheblich nach oben oder unten von einer gedachten Linie abweichen). Zudem ist er gut für kleinere Datensätze anwendbar, und, ganz wichtig, er berücksichtigt nicht nur lineare (also y=ax+b), sondern alle stetigen (also zb. auch y=ax^2+b) Funktionen. Alles bestens.

Allerdings finden sich in dem gesamten Paper zwar immer wieder Hinweise darauf, dass es diese Korrelation Trinkmenge <-> Bacmenge gibt, aber keinerlei Verweise darauf, wie sie aussieht. Oder ich übersehe es konsequent.
Das Spearman r=0,315 sagt uns, dass eine positive (je mehr, desto mehr) Korrelation besteht, die aber nicht sonderlich präzise dargestellt ist (-1≤r≤1, da ist 0,315 einfach nicht wahnsinnig prickelnd. Nicht schlecht, aber kein Grund, das Feuerwerk anzuzünden).
Studie de Beaurepaire hat geschrieben:there was a significant relationship between the amount of alcohol (in grams) consumed before treatment and the maximal dose of baclofen needed by patients [r = 0.315 (0.127;0.482), p = 0.001]. This relationship was significant in both men and women.(...)No element (BMI, sex, social, family, and professional features), with the exception of the amount of alcohol consumed before treatment, had a predictive value regarding the dose of baclofen needed,

aber wie diese gefundene Korrelation nun tatsächlich aussieht? [unknown] Nada.

Bevor ich jezt auf meine Überlegung und Dons Fragen dazu eingehe, muss ich Euch nochmal ins Wunderland der Mathematik entführen und kurz auf einen Begriff eingehen, den wahrscheinlich viele schon gehört haben und wahrscheinlich wenige was mit anzufangen wissen: die Normalverteilung oder "Gaußsche Glockenkurve".

Die Normalverteilung (bzw. ihre Sonderform, die Standardnormalverteilung) ist bei vielen empirisch erfassten Daten hervorragend geeignet, die tatsächlich gemessenen Werte in eine gut rechenbare, allgemeine Form zu überführen.
Viele psychologische Konstrukte gehen von einer Normalverteilung aus, am bekanntesten wohl der Intelligenzquotient (IQ). Mal ganz platt formuliert, sieht die Normalverteilung hier so aus: ganz wenige sind wirklich strunzdumm, viele sind ein bisschen unterbelichtet, ganzganzviele sind irgendwie ganz normal intelligent, viele sind echt schlau, ganz wenige sind wirklich genial.

So, wer nun bis hier gelesen hat, bekommt zur Belohnung gleich sein erstes AHA!-Erlebnis.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass innerhalb einer Patientengruppe mit einem bestimmten Alkoholkonsum die benötigte Baclofendosis ungefähr normalverteilt ausfällt. Wir schnappen uns beispielhaft die Gruppe so um die 140 Gramm Reinalkohol/Tag, also roundabout zwei Flaschen Wein am Tach. (Achtung: die folgenden Zahlen sind reine Modellrechnungen. Mir liegen keine tatsächlichen Daten vor!)
in dieser Gruppe benötigte ein Patient 25 mg/d bac, zwei benötigten 50mg/d, drei 80 mg, vier 90 mg, fünf 100mg, vier 110 mg, drei 120 mg, zwei 150 mg und einer satte 200 mg Baclofen pro Tag.

Damit haben wir die - immer wieder als Kritikpunkt angemahnte - riesige Bandbreite von 25 - 200 mg bac/d für die Lösung des gleichen Problems. Da kann man nichts draus berechnen, oder?

Willos 0,7-Faustformel gibt für diese Patientengruppe 140x0,7=98 mg/bac/d an, das haben gerade einmal 5 der 25 Patienten benötigt, 20%. Die Rechnung ist also offenkundig Firlefanz.
Oder?

Der aufmerksame Leser hat's gemerkt: diese Medikamentendosis ist etwa normalverteilt. Und jetzt wird's spannend: grenzt man die normalverteilte Medikamentendosis in einen Bereich von 80 - 120 mg bac/d, also Willos 100mg +/- 20%, ein, hat man satte 19 von 25 Patienten bzw. 76% der Patienten erfasst.

Und zur Sicherheit nochmal der Hinweis: dies war eine reine Modellrechnung, die nicht auf irgendwelchen tatsächlichen Zahlen basiert!

Das wäre - wenn es denn wahr wäre - Teilantwort eins auf die Frage "wozu soll das denn bitte gut sein?": hätte mir vor drei Jahren jemand sagen können: lieber Herr Tse, als Ihr behandelnder Arzt weise ich Sie darauf hin, dass drei Viertel aller Patienten mit Ihren Trinkgewohnheiten zwischen 150 und 200 mg Baclofen pro Tag benötigen, ich hätte ganz sicher nicht drei Jahre lang mit 25mg rumgekrümelt und jede Nebenwirkung unter der Lupe betrachtet.

Nur, um das alles sicher feststellen zu können, benötigt man schlicht größere Datensätze. Da wären n>25 für jede Patientengruppe schon untere Grenze.
Es gibt in Dr. de Beaurepaires Werk noch ein paar Zahlen, die ich im Weiteren noch mal näher betrachten werde, möglicherweise geben die noch ein bisschen was genaueres über die tatsächliche Verteilung her, aber das mache ich an einem anderen Tag.

Jetzt geht es erstmal nur ums Verständnis: was macht Willo da?
Was ich jetzt gemacht habe ist, in Ermangelung von mehr als zwei Zahlenpaaren, einen Strich quer über dieses Koordinatensystem zu ziehen, der durch diese beiden bekannten Punkte geht (durchschnittliche Trinkmenge/durchschnittliche Bacmenge, jeweils einen für Männer und einen für Frauen), und davon auszugehen dass ich damit die Punktewolke so gut wie es mir ohne weitere Informationen möglich ist hinreichend gut angenähert habe.

Das alles habe ich übrigens seit 13.1. in meinem Trinktagebuch als Faustformel für mich 'drin. Hier eingestellt habe ich es erst, als mir die verblüffende Ähnlichkeit zwischen meiner Zahl und @jivaros vermutlich aus der ärztlichen Praxis hergeleitetem Erfahrungswert auffiel. Ich habe diese Faustformel trotzdem mit meinem Namen versehen und nicht mit dem von Dr. de Beaurepaire. Nein, nicht aus einem übersteigerten Selbstwertgefühl heraus, sondern weil die von mir vorgenommenen mathematischen Operationen an der Grenze zum Zahlenspiel sind und Mangels Daten die resultierende Faustformel nicht genauer sein kann, als die oben schon zitierte Axt, die der Zimmermann schleudert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dr. de Beaurepaire überglücklich wäre, wenn sein Name allzusehr mit diesem Axtwurf verwoben wäre.
Und sollte ich damit zufällig direkt ins Schwarze getroffen haben: ich melde kein Patent darauf an.

Teil zwei auf die Frage "und was soll das alles" ist nun, mit diesem Vorwissen, schnell erklärt. Ich sehe keinen Grund, weshalb man zwischen vorherigem Konsum und Beikonsum unterscheiden sollte. Das Gehirn sucht nach seinem Glücksstoff, findet ihn mit einer bestimmten Menge Alk am GABA-A und ist's zufrieden. Um das wegzukriegen, braucht es eine andere, aber ebenfalls zumindest durchschnittlich bestimmbare Menge Bac am GABA-B, fertig ist das Desinteresse am Alkohol. Trinke ich nun während der Behandlung was, greift das Gehirn nicht auf GABA-B zu sondern begnügt sich mit dem lecker Weinchen am GABA-A (danke @Papfl für dieses wieder mal wunderbare Bild von Dir!).

Das heißt für mich: ich benötige eine bestimmte Menge Bac als Erhaltungsdosis für mein "Desinteresse". Unterschreite ich diese therapeutische Grenze, wächst - logischweise - mein Interesse wieder. Für die Kollegen von der "auch weiterhin ab und an ein Gläschen" - Fraktion heißt das doch einfach nur: wenn meine therapeutische Grenze bei 175 mg/d liegt und ich jederzeit gefahrlos ein Viertele am Tag trinken können möchte, sollte ich (250ml 12%vol. x 0,8 spez.Gewicht alc x 0,7 Willo = 16,8 mg bac/d) etwa 20mg Bac/d mehr, also 195 mg/d einwerfen, um auf der sicheren Seite zu bleiben.

Und Nutzen 2b dieser Überlegungen: wenn ich auf meiner Reise noch nicht am Ziel bin, ich lebe jetzt mit 100 mg/d und brauche aber immernoch meine zwei, drei Bierchen am Abend obwohl ich die eigentlich nicht mehr will, sollte ich (1500 mal usw...) mit gut 40 mg Bac/d mehr ans Ziel gelangen können.

Ich weiß nicht, ob ich der Einzige bin, aber ich sehe eine Menge Nutzen in einer solchen Formel. Meiner Ansicht nach ist jeder mögliche Dosierungsansatz auf Dauer erstrebenswerter als das derzeitige "schluckst Du, guckst Du" - System.

Nur: bevor jetzt doch jemand das Feuerwerk 'rausholt: meine Faustformel ist dazu noch viel zu ungenau und von viiiiiiiel zu wenig Daten untermauert.
Und bevor ich dazu komme, eine entsprechende Sekundäranalyse aller bisher vorliegenden Daten durchzuführen, gehen noch mindestens drei Jahre ins Land. Eher fünf. Bis dahin sind allein in Deutschland nochmal rud 350.000 Menschen am Alkoholismus verreckt.

Aber vielleicht liest da draußen ja irgendjemand diese Hypothesenknospen und kann sie schneller zum Blühen bringen als ich. Es würde mich uneeingeschränkt freuen. Ich hab' noch Ideen genug, ich bin auf diese nicht angewiesen. Und falls die Nullhypothese wahr wird: es war sicher einen Versuch wert.

Da bin ich nochmal kurz in der Statistik. Um diesen Satz:
Bild
wird gelegentlich ein ziemliches Gewese gemacht.

Eine ANOVA ist eine Varianzanalyse. Der errechnete p-Wert gibt, grob vereinfacht, an, wie wahrscheinlich es ist, dass die gefundenen Daten genau so, wie sie sind, unter Annahme der Nullhypothese (also platt gesagt: des Gegenteils der Hypothese) auch gefunden worden wären. Mehr steht da nicht.

LG
Willo

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 24. Februar 2013, 06:26

Mensch Willo!

Vielen herzlichen Dank für Dein Engagement.

Willo hat geschrieben:Für die Kollegen von der "auch weiterhin ab und an ein Gläschen" - Fraktion heißt das doch einfach nur: wenn meine therapeutische Grenze bei 175 mg/d liegt und ich jederzeit gefahrlos ein Viertele am Tag trinken können möchte, sollte ich […] etwa 20mg Bac/d mehr, also 195 mg/d einwerfen, um auf der sicheren Seite zu bleiben.

Wahrlich ein sehr interessanter Ansatz, sozusagen eine „Vorhalte-Dosis“.

Willo hat geschrieben:Das Gehirn sucht nach seinem Glücksstoff, findet ihn mit einer bestimmten Menge Alk am GABA-A und ist's zufrieden. Um das wegzukriegen, braucht es eine andere, aber ebenfalls zumindest durchschnittlich bestimmbare Menge Bac am GABA-B, fertig ist das Desinteresse am Alkohol. Trinke ich nun während der Behandlung was, greift das Gehirn nicht auf GABA-B zu sondern begnügt sich mit dem lecker Weinchen am GABA-A (danke @Papfl für dieses wieder mal wunderbare Bild von Dir!)

Genau damit habe ich noch Probleme. Ich weiß nicht, ob das „nur“ eine Metapher ist oder ob sich das mit Fakten untermauern lässt.

Spannend ist es allemal, meint DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon GoldenTulip » 24. Februar 2013, 07:34

Wow, Willo,

bisher fand ich Statistik (genauso wie Mathe) immer etwas, das mich nur extrem peripher tangiert, das hat sich gerade geändert.

Und mir drängen sich auch ein paar Fragen dazu auf, dafür krame ich nachher meine Bac-Alk-Statistik raus, um sie vor dem von Dir Gesagten mal anzuschauen. Hab ja jetzt 3 Stunden Zeit.

Bis später
Conny
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Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

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Papfl
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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon Papfl » 24. Februar 2013, 10:27

@ Willo

Vielen Dank für Deine Mühe und Deinen "Kurzlehrgang" in Statistik!Vielleicht ein paar Anmerkungen meinerseits dazu:
WilloTse hat geschrieben:Die Wahl von Spearmans "r" zur Prüfung dieser Genauigkeit ist bei dieser Studie eine gute Wahl. Dieses "r" ist gegenüber dem bekannteren Korrelationskoeffizienten "r" nach Bravais-Pearson vorteilhaft: erstens ist Spearman weit weniger anfällig gegenüber Ausreißern (also Einzeldaten, die erheblich nach oben oder unten von einer gedachten Linie abweichen). Zudem ist er gut für kleinere Datensätze anwendbar, und, ganz wichtig, er berücksichtigt nicht nur lineare (also y=ax+b), sondern alle stetigen (also zb. auch y=ax^2+b) Funktionen. Alles bestens.

Dr. de Beaurepaire musste für die Gesamtanalyse mit Spearman's "r" arbeiten, da er die Alkoholmenge hier nach den "World Health Organization criteria for risk of chronic harm" erfasst hat ("low risk...moderate risk...high risk") und in den Ergebnissen ("Results") auch so ausgibt. Die sind ordinalskaliert, Bravais-Pearson setzt mindestens Intervallskalenniveau voraus. Wobei aus dem Text nicht genau hervorgeht, ob er für die späteren Berechnungen ("Doses"), wo er explizit von "alcohol (in grams)" spricht, nicht auch mit Bravais-Pearson gearbeitet hat. Ich gehe schwer davon aus. Alles andere würde m. E. keinen Sinn machen. Aber das nur nebenbei. Statistisch gesehen sind beide Verfahren zur Bestimmung der Korrelation "gleichwertig" anzusehen, es hat nur eben jedes für sich eigene Voraussetzungen für die Anwendung.

Eine Korrelation von r=.315 ist nicht sooo schlecht. Man geht in der Psychologie gemeinhin davon aus, dass .10 bis .30 gering bis moderat, .30 bis .50 moderat bis groß und >.50 schon stark ist (vgl. Cohen, 1988). Dr. de Beaurepaire hat also im übertragenen Sinne (nach Willo [smile] ) einen moderaten bis großen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und benötigter Baclofenmenge gefunden. Das p=.001 bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dieser gefundene Zusammenhang zufällig ist, bei 1/1000 liegt (für alle, denen das mit der "Normalverteilung" zu kompliziert ist).

DonQuixote hat geschrieben:
Willo hat geschrieben:Das Gehirn sucht nach seinem Glücksstoff, findet ihn mit einer bestimmten Menge Alk am GABA-A und ist's zufrieden. Um das wegzukriegen, braucht es eine andere, aber ebenfalls zumindest durchschnittlich bestimmbare Menge Bac am GABA-B, fertig ist das Desinteresse am Alkohol. Trinke ich nun während der Behandlung was, greift das Gehirn nicht auf GABA-B zu sondern begnügt sich mit dem lecker Weinchen am GABA-A (danke @Papfl für dieses wieder mal wunderbare Bild von Dir!)

Genau damit habe ich noch Probleme. Ich weiß nicht, ob das „nur“ eine Metapher ist oder ob sich das mit Fakten untermauern lässt.

@ Don

Ich versuche, es noch mal anders zu erklären: Angenommen, ich trinke einen Liter Wein (und "befriedige" damit meinen GABA-A-Rezeptor) und schlucke gleichzeitig 75 mg Baclofen (die am GABA-B-Rezeptor "hängen"). Dann greift das Hirn zuallererst auf GABA-A zu (das hängt vereinfacht gesagt damit zusammen, dass die "Verarbeitungsprozesse" dort schneller verlaufen, vgl. z. B. Roeper, 2007). Dann genieße ich je nach Toleranz eine gewisse Zeit lang die "Entspannung", die ich durch die Flasche Wein erfahre. Lässt diese nach, fängt mein Hirn wieder an zu suchen. GABA-A ist leer, also greift es auf GABA-B zurück. Dort ist aber leider auch nichts mehr, weil die 75 mg Baclofen in etwa gleich schnell abgebaut wurden, wie die Flasche Wein. Ich muss also wieder einen der beiden Rezeptoren "auffüllen". Und das Spiel beginnt von vorn. Wenn ich jetzt in GABA-B mehr als "nur" 75 mg Baclofen geparkt habe, dann kann mein Hirn den verbleibenden Rest erst noch verarbeiten, bevor es wieder "Nachschub" braucht.

Halte ich hingegen einen konstanten "Baclofenspiegel", d. h., ich schaffe eine gewisse "Grundentspannung" an GABA-B über den ganzen Tag, dann würde ein dazwischen geschobenes "Viertele" an GABA-A zwar "bevorzugt" behandelt werden, aber danach wieder der Rückgriff auf GABA-B erfolgen.

Zugegeben: Das alles sind natürlich theoretische Gedankenspiele, da ja in der Realität viel mehr Komponenten mit rein spielen. Bezogen auf die Mengenangaben spielen natürlich auch Körpergröße, Gewicht, Alter, Toleranz etc. eine große Rolle. Dann darf man nicht außer Acht lassen, dass Alkohol in der "gefühlten" Wirkung ganz anders ausfällt als Baclofen. Wer also auf ein "Rauschgefühl" aus ist, wird sich eher für ein zweites "Viertele" entscheiden als 20 mg Baclofen "nachzuschieben".

Aber um zu verstehen, welche Vorgänge sich da in unserem Hirn abspielen, finde ich diese Gedankengänge schon legitim.

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 24. Februar 2013, 14:37

Danke, Papfl [good]

Papfl hat geschrieben:Ich versuche, es noch mal anders zu erklären:
[…]
Zugegeben: Das alles sind natürlich theoretische Gedankenspiele
[…]

Genau das wollte ich wissen.

DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 24. Februar 2013, 20:55

Und nachgehakt, nicht nachgetreten:

Papfl hat geschrieben:Stark vereinfacht gesagt, "sucht" das Hirn nach der erwünschten positiven, entspannenden, befreienden Wirkung zuallererst am GABA-A-Rezeptor. Wenn es dort "nichts" findet, versucht es sein Glück am GABA-B-Rezeptor. Dort sorgt in der Regel das eingenommene Baclofen dafür, dass es "fündig" wird. Wenn ich aber vorher meinen GABA-A-Rezeptor schon mit einer Flasche Wein zufrieden gestellt habe, wird die Suche an GABA-B erst gar nicht fortgesetzt. Die 75 mg Baclofen, die ich zusätzlich dort eingeworfen habe, sind also buchstäblich "für die Katz!".

Worauf berufst Du Dich da? Wo kann man sich einlesen?

Fragt DonQuixote

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon WilloTse » 25. Februar 2013, 05:55

Hi Papfl!
Achtung, das wird jetzt Erbsenzählerei für Insider [biggrin] :
Papfl hat geschrieben:Dr. de Beaurepaire musste für die Gesamtanalyse mit Spearman's "r" arbeiten,

absolut korrekt, die Notwendigkeit hatte ich übersehen. Spielt zwar für obige Überlegungen keine entscheidende Rolle, aber dass metrische Daten in Klassen wieder ordinalskaliert sind, ist mir hier durchgerutscht. Danke für's Aufpassen!

Papfl hat geschrieben:Statistisch gesehen sind beide Verfahren zur Bestimmung der Korrelation "gleichwertig" anzusehen

Die Robustheit von rs gegenüber Ausreißern, verglichen mit rp macht m.E. bei den relativ kleinen Datensätzen schon einen Unterschied. Und rs klopft halt in einem Rutsch gleich alle stetigen Zusammenhänge mit ab, wo rp sich auf die linearen beschränkt.

Papfl hat geschrieben:Eine Korrelation von r=.315 ist nicht sooo schlecht. Man geht in der Psychologie gemeinhin davon aus,(...)Dr. de Beaurepaire hat also (...) einen moderaten bis großen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und benötigter Baclofenmenge gefunden.

Auch korrekt. Ich habe aber - da er hier ja kein psychologisches Konstrukt, sondern eine relativ simple Ursache-Wirkung getestet hat - absichtlich die etwas strengeren Kriterien angelegt:
0 - 0,2 = kein bis geringer
0,2 - 0,5 = schwacher bis mäßiger
0,5 - 0,8 = deutlicher
0,8 - 1 = hoher bis perfekter Zusammenhang.


DonQuixote hat geschrieben:Worauf berufst Du Dich da? Wo kann man sich einlesen?

Papfl hat geschrieben:Das alles sind natürlich theoretische Gedankenspiele

Ich kann Deine starken Vereinfachungen als Arbeitsmodelle wunderbar hernehmen, mir reicht das im Grunde für das, was ich derzeit brauche.
Aber falls Du es präzisieren magst: ich höre Dir gern dabei zu!

LG
Willo

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Re: Wechselwirkung Baclofen ↔ Alkohol

Beitragvon GoldenTulip » 25. Februar 2013, 09:10

Hallo Willo,

ich kann ja nicht gut Rechnen und habe erstmal eine konkrete Frage.
Wenn ich sagen wir mal
a) 1 Bier abends in Zukunft trinken möchte, und derzeit eine Flasche Sekt am Tag faktisch trinke, wie dosiere ich Bac, damit das funktioniert. Und wie hoch wie lange, bzw. wo liegt die Erhaltungsdosis.
b) gar nichts in Zukunft trinken möchte, und derzeit eine Flasche Sekt am Tag faktisch trinke, wie dosiere ich Bac, damit das funktioniert. Und wie hoch wie lange, bzw. wo liegt die Erhaltungsdosis.

ich gehe dabei von einem "mittleren" Alkohol"bedarf" aus, auf den ich durchschnittlich zurückfalle, wenn ich nicht dagegen an arbeite.

Den Aspekt des Eigenhirns und der Psycho-Arbeit lasse ich bewusst hier weg. Abstinanz für Faule- macht ja hypothetisch grad mal nix.

Wäre das dann auch gleichzusetzen mit der "Gleichgültigkeit" gegenüber Alkohol? Oder liegt der "Klick-Faktor" in dem Modell über dem errechneten Peak? Zum Beispiel, damit sich eine Umstellung manifestiert (Such erst bei Gaba B, statt bei A)
Es müsste sich ja bei einer "sättigenden" Dosisierung von Bac das Verlangen und damit der Konsum von Alkohol sukkzessive zurückbilden, und damit auch neue Parameter für die benötigte Bac-Dosis schaffen.

Wenn ich hier was durcheinanderbringe, sieh es mir nach. Ich bin ein Mathe-Dau, versuche halt der Logik wenigstens einigermaßen zu folgen [twiddle]

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

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