Die Resultate der vorliegenden Studie zeigen, dass die Behandlung mit Baclofen in ausreichender Dosierung bei ca. der Hälfte der Patienten, unabhängig vom Zeitpunkt während der Behandlung, dazu führt, dass die Alkoholabhängigkeit komplett und ohne Anstrengung kontrolliert werden kann. Darüber hinaus berichteten 92 % der Teilnehmer von einem sich mühelos einstellenden reduzierten Hang zum Trinken. Diese Wirkungen zeigen Zweierlei: Eine Effektivität (Die Wirkung auf das Verhalten im Alltag) und eine Effizienz (Die Wirkung auf den Hang zum Trinken selbst).
Betrachtet man die Effektivität, so traten gemäß der vorliegenden Studie die sehr hohen vorteilhaften Effekte bei 3, 6, 12 und 24 Monaten auf. Die Anzahl der Patienten welche mit „hohem Risiko“ eingestuft wurden, erhöhte sich zunächst zwischen dem 3. und dem 6. Monat und stabilisierte sich dann. Nach 6 Monaten blieb die Anzahl der Personen in allen Kategorien relativ gleich. Die tiefe Rückfallquote der abstinenten Patienten nach 6 Monaten ist bemerkenswert und muss hervorgehoben werden. Der zahlenmäßige Anstieg der Patienten mit „hohem Risiko in den Monaten 3 bis 6 ist dem Umstand geschuldet, dass einige nach Beginn der Behandlung ihren Konsum zwar reduzierten (eingestuft in „geringes Risiko“ oder „mittleres Risiko“), dies aber nicht aufrecht erhalten konnten, wahrscheinlich weil sie zu sehr an ihren Trinkgewohnheiten hingen und wegen fehlender Motivation, dem Trinken zu entsagen. Viele Patienten räumten ein, dass zwanghaftes Trinken zu so etwas wie einem Ritual wurde, und sie nicht damit aufhören konnten, selbst wenn sie Dank der Behandlung mit Baclofen weniger Lust auf Alkohol verspürten. Handkehrum benötigten viele Patienten einen langen Zeitraum, um von den Kategorien „hohes Risiko“ oder „mittleres Risiko“ in „geringes Risiko“ herabgestuft zu werden. Diese Patienten verspürten die vorteilhafte Wirkung von Baclofen sehr wohl, mussten sich jedoch recht anstrengen, ihre Trinkrituale und ihre Bindung zum Alkohol aufzugeben. Das Ausmaß der Bereitschaft, mit dem Trinken aufzuhören, mag der Unterschied sein zwischen denen, die nach einer Zeit der Verbesserung wieder rückfällig wurden und den anderen, die sich kontinuierlich verbesserten und vollständige Kontrolle ihres Trinkverhaltens erreichten. Baclofen kann als große Hilfe zur Aufgabe des Trinkens angesehen werden, doch bei vielen Patienten spielen wahrscheinlich auch andere Faktoren (psychologische oder Umwelteinflüsse) eine wichtige Rolle. Patienten, welchen schnell (in den ersten Wochen oder Monaten) die vollständige Kontrolle ihres Trinkverhaltens gelang, sagten, dass sie den Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol (der Begriff wurde von O. Ameisen 2005 eingeführt) ohne Anstrengung erlangten. Dies betrifft ungefähr 50 % der Patienten. Einige, die mit dem Trinken aufhörten, konnten nach langer Behandlung mit Baclofen das Medikament absetzen, ohne rückfällig zu werden. Ein Patient nach 6 Monaten, weitere 7 nach einem Jahr und weitere 10 nach zwei Jahren. [Anm. DQ: Das Wort „weitere“ ( 2 x ), im englischen Originaltext jeweils nicht enthalten, ergibt sich aus dem
Vortrag des Autors Beaurepaire , am Kolloquium 2012 in Frankreich, dort wurde die Gesamtzahl mit 20% angegeben.] Allerdings gaben mehrere dieser Personen an, für den Fall von plötzlich auftretenden Trinkgelüsten (Craving) stets etwas Baclofen mit sich zu führen. Andere Patienten, welche mit dem Trinken aufhörten, verspürten erneutes Craving, wenn ihre Dosis unter eine gewisse Schwelle fiel. Mit Ausnahme der Trinkmenge vor der Behandlung gab es keine anderen Einflussfaktoren (Geschlecht, Gewicht (BMI), soziale, familiäre oder berufliche Umstände) auf die benötigte Dosis des Medikaments, wobei diese von Person zu Person enorm schwankte. Angesichts der Tatsache, dass die üblichen medikamentösen Behandlungen des Alkoholismus nur einen beschränkten Langzeitnutzen haben
(Johnson, 2008), und obwohl die vorliegende Studie nur observierenden Charakter hat, zeigt sie, dass die Behandlung des Alkoholismus mit Baclofen von hohem Interesse ist. Angemerkt werden muss auch, dass zusätzlich zu den an verschiedenen Zeitpunkten abstinenten Patienten auch diejenigen sich markant verbesserten, die von der Kategorie „hohes Risiko“ in diejenige mit „mittlerem Risiko“ herabgestuft werden konnten. Erfolge gab es bei 84 % nach 3 respektive 70 % nach 6 Monaten sowie 63 % nach einem und 62 % nach zwei Jahren.
Nach einem Jahr blieb das Ergebnis bei den Patienten, die sich verbessert hatten, bemerkenswert stabil. Von den 48 Patienten, welche nach 12 Monaten mit „geringem Risiko“ eingestuft wurden, war dies bei 46 auch noch nach zwei Jahren der Fall. Die anderen zwei Patienten hatten im zweiten Jahr sowohl Episoden heftiger Rückfälle als auch Perioden der Besserung. Sie nahmen Baclofen weiter ein und wurden in die Kategorie „mittleres Risiko“ eingeordnet. Drei Patienten mit „mittlerem Risiko“ und einer mit „hohem Risiko“, jeweils nach einem Jahr, verbesserten sich und erhielten nach zwei Jahren die Einstufung „geringes Risiko“. Diese Fälle demonstrieren die große Schwierigkeit einiger Patienten, trotz der cravingvermindernden Eigenschaften von Baclofen eine Abstinenz zu erreichen. Unter den Patienten mit „geringem Risiko“ nach zwei Jahren, waren alle über ein Jahr betrachtet nicht vollständig abstinent. Viele, etwa ein Drittel, hatten Momente von kurzen Rückfällen, welche im Allgemeinen von stressvollen Ereignissen oder Situationen ausgelöst wurden. Diese nur kurz andauernden Vorfälle rechtfertigten die Einstufung in eine höhere Risikoklasse jedoch nicht. Auch nach zwei Jahren betreue ich 19 Patienten mit „geringem Risiko“ persönlich weiter, bei anderen tun dies die jeweiligen Ärzte. Abgesehen von der Tatsache, dass 10 Patienten mit „geringem Risiko“ die Einnahme von Baclofen einstellten [Anm. DQ: Jetzt stimmt die Zahl 20 %, siehe oben, doch nicht?], hat die Mehrheit der verbleibenden 40 Personen (31 von 40) ihre Dosis deutlich reduziert. Der Durchschnitt der maximalen Dosis (167,7 mg) im Beobachtungszeitraum fiel nach zwei Jahren auf 107, 4 mg. Neun Patienten behielten ihre maximale Dosis bei.
Betrachtet man die Effizienz, so sagten alle Patienten, außer 8, (d.h. insgesamt 92 %), dass ihr Hang zum trinken verschwand oder sich reduzierte. Die Analyse der acht Fälle, bei denen die Patienten keine Verringerung des Cravings verspürten, zeigt, dass bei vier von ihnen sehr unangenehme Nebenwirkungen auftraten und deshalb die erforderliche therapeutisch wirksame Dosis nicht angewendet werden konnte. Bei den verbleibenden vier, zwei von ihnen erreichten eine Dosis von 280 mg, muss man sich die Frage des Nichtansprechens auf Baclofen stellen. Andere Erklärungen könnten das Leugnen des Effektes oder das Nichtbefolgen der Therapieanweisungen sein. Es wird zusätzlicher Abklärungen bedürfen, ob das Medikament bei gewissen Personen einfach nicht wirkt. Vor Kurzem wiesen
Addolorato et. al. (2011) eine dosisabhängige Wirkung von Baclofen bei der Behandlung des Alkoholismus nach. Einen solchen dosisabhängigen Zusammenhang gibt es in der vorliegenden Untersuchung nicht. Trotzdem steht sie nicht im Wiederspruch zur Arbeit von Addolorato et. al. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Erhöhung der Dosis bis zum Erreichen von Abstinenz, während Addolorato et. al. bei zwei verschiedenen Dosierungsniveaus (30 mg und 60 mg) die Anzahl der konsumierten Drinks analysierte. So verringerten denn auch in der vorliegenden Studie viele Patienten ihren Konsum zunehmend, bereits beginnend bei geringer Dosierung. Gleichwohl wurde die Medikamenteneinnahme mit dem Ziel der Abstinenz weiter erhöht.
Das Auftreten von Nebenwirkungen beschränkte bei gewissen Personen die Effizienz von Baclofen. Elf Teilnehmer sagten, dass sie die Behandlung wegen nicht auszuhaltender Nebenwirkungen abbrachen, und 20 Patienten erreichten die erforderliche Dosis nicht, weil sich bei weiterer Erhöhung die Nebenwirkungen verschlimmerten. Obwohl sie für eine gewisse Anzahl Personen nicht auszuhalten gewesen sind, waren Nebenwirkungen von ihrer Natur her stets harmlos. Nebenwirkungen treten im Verlauf der Erhöhung der Dosis auf. Das Tempo mag dann zu schnell gewesen sein und eine Verlangsamung sollte in Betracht gezogen werden.
Eine recht große Anzahl von Patienten der vorliegenden Untersuchung litten gleichzeitig auch an einer psychischen Störung. Es wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein solcher Störungen und einem schlechten Verlauf der Behandlung festgestellt. Die Signifikanz bestand nach 3 und 6 Monaten, jedoch nicht mehr nach einem und zwei Jahren. Mit anderen Worten können psychische Erkrankungen die Effizienz von Baclofen verlangsamen. Es ist bekannt, dass Alkoholabhängigkeit oft mit psychischen Störungen einhergeht, und dass diese, insbesondere Depressionen, den Erfolg von Behandlungen erschweren
(Pettinati 2004). In der vorliegenden Untersuchung wurde kein signifikanter Zusammenhang zwischen positivem Therapieverlauf und einer bestimmten Art von Erkrankung festgestellt. Hingegen gab es eine signifikante Beziehung zwischen dem Gebrauch von Psychopharmaka, insbesondere Benzodiazepine, und negativem Therapieverlauf. Es werden noch weitere Abklärungen notwendig sein, um bestimmen zu können, ob die gleichzeitige Gabe von solchen Medikamenten, insbesondere Benzodiazepinen, eine erfolgreiche Behandlung mit Baclofen behindern. Es muss auch daran erinnert werden, dass Patienten mit psychischen Störungen oftmals den Therapieanweisungen nur schlecht folgen
(Wilder et al., 2010), und bei einigen Patienten der vorliegenden Untersuchung mag dies der Fall gewesen sein.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie die hohe Wirksamkeit von Baclofen bei der Behandlung von Alkoholismus, höchst ausgeprägt insbesondere bei der Verringerung des Hangs zum trinken, welche ohne besondere Anstrengung gelingt. Um eine optimale Wirkung zu erzielen, sind oft, aber nicht immer, hohe Dosierungen erforderlich. Nebenwirkungen, das gleichzeitige Vorhandensein psychischer Erkrankungen, möglicherweise auch die gleichzeitige Einnahme von Psychopharmaka sowie das Fehlen eines festen Entschlusses einiger Patienten, mit dem Trinken aufzuhören, scheinen die hauptsächlichen Grenzen für die Wirksamkeit der Baclofen-Therapie zu sein. Die Möglichkeit, dass eine verlangsamte Erhöhung der Dosis die Nebenwirkungen verringern kann, sollte in Betracht gezogen werden.