Erfahrungsberichte WilloTse

Eigene Erfahrungsberichte zu Baclofen und Alkohol
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WilloTse
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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 24. Dezember 2014, 07:01

Stressfreie Weihnachten wünscht

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 1. Januar 2015, 08:47

[good_luck]

Allen Foristen und Mitlesern ein gesundes, zufriedenes und selbstbestimmtes 2015!

LG
Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Mone38 » 1. Januar 2015, 20:33

Dir auch so [hi_bye]

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 22. Januar 2015, 08:43

Das packe ich hier mal als Reminder für mich 'rein:

WilloTse hat geschrieben:Ich gehe mal noch einen Schritt weiter: ich zumindest lerne gerade auch in solchen Diskussionen viel über mich und meine Trigger.
Trinke ich, wenn jemand sagt: ich gehe jetzt einen trinken? Nein.
Trinke ich, wenn jemand sagt: Deine Quellen (= Deine Meinung, Deine Wahrnehmung der Welt, Dich???) nehme ich nicht ernst? Ja.


Es ist schon verrückt, dass der erste nennenswerte Rückfall seit Monaten (Vier? Fünf? Irgendwas in der Kante) im Umfeld einer im Grunde für mein Leben völlig irrelevanten Internetdiskussion stattfand.
Da muss ich noch lernen, das wirklich Wichtige vom vermeintlich Wichtigen besser zu trennen.

Hinzu kommt im Moment - und das dürfte auch eine Rolle spielen - wachsender Stress. Zehn Wochen eines hochinteressanten, aber auch anstrengenden Jobs, fünf Wochen Lungenentzündung, die mir gewaltig an die Kraftreserven gegangen ist und wo natürlich auch jede Menge Arbeit liegengeblieben ist. Eine geplante Veröffentlichung, drei Klausuren müssen vorbereitet werden (eine mehr, als im Plan steht, ich wollte ein bisschen Zeit gutmachen. Vielleicht knicke ich die dritte Prüfung auch noch, mal sehen), berufliche Weichen müssen jetzt gestellt werden, was zwar eigentlich nicht wirklich zeitaufwendig ist, aber dann doch eine erhebliche innere Anspannung mit sich bringt, ein interessanter (sprich: da gibt's richtig Kohle für :mrgreen: ) Auftrag in meinem Altberuf wartet auf Erledigung und Familie hat man ja auch noch.

Ich muss mal wieder etwas den Fuß vom Gas nehmen. Ich neige dazu, mir selbst meinen Ranzen immer ein bisschen zu voll zu packen und dann unter der Last zu stöhnen.

Aber besser als Langeweile ist das allemal. [biggrin]

LG
Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon GoldenTulip » 22. Januar 2015, 09:00

Lieber Willo,

Da muss ich noch lernen, das wirklich Wichtige vom vermeintlich Wichtigen besser zu trennen.


Oftmals ist das, was man tut, schlicht das Wichtigste. Sonst würde man ja was anderes machen.

Das deckt sich nur nicht zuverlässig mit dem, was man -aus welchen Gründen auch immer- meint, tun zu sollen [smile]

Gratulation zu 4-5 Monaten Rückfallfrei!

Lieben Gruß
Conny
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Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

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WilloTse – fünf Jahre gegen die Abhängigkeit.

Beitragvon WilloTse » 13. März 2015, 17:19

WilloTse – fünf Jahre gegen die Abhängigkeit.

Liebe Leute, heute ist es fast auf den Tag genau fünf Jahre her, dass ich meine Baclofen-Therapie gegen die Alkoholabhängigkeit begonnen habe.

Gestartet war ich seinerzeit mit einer Niedrigdosierung, hatte ich doch vom ersten Tag an Wirkung. Es zog eine nie gekannte Ruhe ein, eine positive Grundhaltung habe ich es damals genannt. Eine, die ich mir nicht mühsam erarbeiten musste, sondern eine, die einfach da war.

Ich habe dann über mehrere Monate 25 mg am Tag genommen, es ging mir gut wie nie zuvor.
Nach etwa zwei Monaten Abstinenz hatte ich allerdings einen ziemlich heftigen Rückfall, aus einer psychisch für mich extrem belastenden Situation heraus. Der war nach einem einzigen Abend wieder vorbei, aus heutiger Sicht würde ich das gar nicht mehr als Rückfall bezeichnen. Aber damals fühlte es sich wie einer an.
Ich begann, aufzudosieren, in kleinen Schritten erst bis 37,5mg, dann bis 50, dann bis 75mg.
Über 37,5 mg begann ich, unter ziemlichen Nebenwirkungen zu leiden. Schwindelgefühle, Müdigkeit, und, was ich am schlimmsten fand: dauernd das Gefühl, so ein kleines bisschen neben mir zu stehen.
Das alles wäre auszuhalten gewesen, wenn denn die erhoffte Abstinenz bei mir geblieben wäre.
Aber es stellte sich immer wieder das gleiche Muster ein: Dosiserhöhung -> das Gefühl, es „jetzt“ im Griff zu haben bis hin zur Euphorie -> Wiederaufflammen der Gedanken an Alkohol -> immer drängender werdender Trinkwunsch -> Rauschwunsch -> „scheiß drauf!“ -> Absturz.

Es war immer das gleiche.

Was habe ich nicht alles probiert: diverse Änderungen in der täglichen Verteilung der Dosis, Notfallpillen, Meditation, Hypnose, Homöopathie, Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Coaching, und auch einen Versuch mit Hochdosierung bis 200 mg/d.
130 Tage lang habe ich den ausgehalten, obwohl jenseits der 75 mg/d die Nebenwirkungen nicht mehr vollständig verschwanden. Über 150 mg/d hatte ich Tag und Nacht kribbelnde und wie mit Eiswasser gefüllte Extremitäten. Ich hatte Halluzinationen, in denen ich mich selbst für Sekundenbruchteile sah, wie ich meine Familie foltere. Ich bin nachts, wenn meine Frau leise schlief, hochgeschreckt und meinte, sie jetzt wirklich umgebracht zu haben. Es gibt aus dieser Zeit Bilder in meinem Kopf, die ich bis heute bisweilen sehe.
Und ich dachte: halt’ es durch! Halte es 100 Tage durch, und dann kannst Du langsam abdosieren.

Aber das Muster blieb immer gleich:
Dosiserhöhung -> das Gefühl, es „jetzt“ im Griff zu haben bis hin zur Euphorie -> Wiederaufflammen der Gedanken an Alkohol -> immer drängender werdender Trinkwunsch -> Rauschwunsch -> „scheiß drauf!“ -> Absturz.

An diesem Punkt habe ich meine Baclofentherapie beendet. Es gab danach noch zwei kleinere Anläufe, nach dem Motto „andere schaffen das doch auch...!“, aber ich habe das oben genannte Muster nie dauerhaft verlassen können.

Es gab immer nur ein Mittel, das mich wirklich erfolgreich vom Saufen abgehalten hat: Alkohol in kontrollierter Menge.
Sobald ich versuchte, völlige Abstinenz zu leben, mir das fest vornahm und alles darauf ausrichtete, sie zu erreichen und dauerhaft zu halten, landete ich binnen weniger Tage unterm Tresen.
Wenn ich mir dagegen einen etwas lockereren Umgang mit Alkohol gestattete und mir ab und an mal ein paar Bier oder eine Flasche Wein gönnte, war alles gut. Da gab es auch keine Abstürze, kein Durchtrinken, keinen exzessiven Konsum.
Da drehte sich auch mein Denken nicht pausenlos um Alkohol oder nicht-Alkohol.

Heute – und seit knapp zwei Jahren weitgehend stabil – trinke ich völlig normal. Sämtliche Blut- und Leberwerte sind unbedenklich, ich kann mal ein Bier trinken und es genauso gut auch sein lassen. Ab und an gibt es mal einen eintägigen Ausrutscher, aber darüber würde niemand auch nur nachdenken, wenn ich nicht mal abhängig gewesen wäre. Die letzten Wochen habe ich intensiv zwei große Prüfungen vorbereitet. Natürlich trinke ich in den letzten vier, fünf Wochen der heißen Phase der Klausurvorbereitungen keinen Tropfen Alkohol. Ich bin doch nicht bescheuert...
Ich nehme keine Medikamente gegen meinen Alkoholkonsum mehr, seit knapp einem Jahr zähle ich nicht mehr täglich oder wöchentlich die leeren Flaschen.

Ich habe im Laufe dieser fünf Jahre mein Leben auf einer ganz anderen Ebene umgekrempelt: ich mache nun erstmals in meinem Leben etwas, das meine ganze Konzentration und meinen vollen Einsatz braucht und wofür ich das auch gern gebe. Ich habe mir eine mich täglich erfüllende Aufgabe gesucht und in tausend kleinen Schrittchen meinen Kurs so gesetzt, dass ich erstmals in meinem Leben gern lebe.
Das klingt so furchtbar einfach. Och, ich ändere dann mal mein Leben. Dass es im täglichen klein-klein alles andere als einfach ist, muss ich hier niemandem erzählen.
Aber es lohnt sich. Jeder Tag, jede Stunde, jeder Schweißtropfen und jeder Streit mit meinem Umfeld, das sich an Veränderungen auch nicht immer so schnell gewöhnen mochte, war es wert.

Wir alle haben nur diesen einen Tanz. Ich habe nur dieses eine Leben, und locker die Hälfte davon ist 'rum. Wie lange wollte ich das noch aus lauter Angst, dass irgendwer mich nicht mehr lieb haben könnte, fremdbestimmt leben? Aus Angst, den Wünschen anderer Leute nicht gerecht zu werden? Aus Angst, ich könne auf die Schnauze fallen, wenn ich die Stützräder abmontiere. Aus Angst, die anderen könnten lachen, wenn ich sage, was ich denke.

O.k. Einige haben mich jetzt nicht mehr so lieb. Und den Wünschen der „anderen“ komme ich nur noch nach, wenn sie meinen eigenen nicht unnötig im Wege stehen. Das mögen die auch nicht alle. Oh, und auf die Schnauze gefallen bin ich auch. Mehrfach. Und ja, manch einer lacht mich aus.
Aber ich lebe noch.
Und ich tanze.
Ich tanze diesen einen - meinen - Tanz, den ich habe und der mir zusteht.

Angefangen hat das alles mit Baclofen. Baclofen hat auch mir den Durchbruch gebracht, den man sich im Kampf gegen die Abhängigkeit erhofft. Erstmals gab es die Hoffnung, wirklich etwas am täglichen Saufen ändern zu können und nicht für den Rest des Lebens bei jedem Mon Cherie wieder unweigerlich in den nächsten Vollrausch zu steuern.
Und, viel wichtiger noch: Alkoholabhängigkeit war für Olivier Ameisen nicht die Ursache, sondern das Symptom einer ganz anderen "Störung".
Angst. Dieser erfolgreiche, intelligente, begabte, geschätzte, wohlhabende, im Grunde mit allem, was man sich wünschen kann ausgestattete Mann hatte einfach: Angst. Das war die Krankheit, nicht der Alkohol
Das war ein bis dahin undenkbarer Gedanke und allein dafür, ihn nicht nur gedacht, sondern ihn auch ausgesprochen zu haben, gebührt Dr. Olivier Ameisen bis heute mein tief empfundener Dank.

Denn mit dieser Einsicht, die mir wie mit einem Schlag die Alkoholiker-Brille 'runtergerissen hat und mich endlich glasklar sehen ließ, war’s im Grunde mit meiner Abhängigkeit vorbei. Daher ist der 11. März 2010 für mich ein Feiertag. Denn, das klingt jetzt etwas pathetisch, aber im Kern stimmt es: an diesem einen Tag endete meine Abhängigkeit. Der Alkohol hatte keine Macht mehr über mich. Klar, er hat noch manchen Strauß mit mir gefochten, keine Frage. Aber ich ahnte seit diesem Tag, dass ich den Krieg gewinne, selbst, wenn ich den einen oder anderen Kampf verlieren würde.

Seit ich weiß, dass ich nur Angst hatte, habe ich keine mehr. Danke, Olivier Ameisen!

Mein Dank gebührt aber auch allen Wegbereitern von Baclofen in Deutschland, namentlich Federico, invorio/pragha, jivaro und praxx, später dann DonQuixote, dessen unermüdliche Suche nach Informationen aus dem Mutterland der Baclofen-Therapie einen unersetzlichen Schatz an Wissen bereitstellt.
Und ich danke natürlich allen Wegbegleitern, ich nenne sie jetzt nicht beim Namen. Es sind zu viele, und wenn ich jemanden vergesse, ist der dann traurig.

Sicher, wie eine funktionierende Baclofentherapie aussieht, das weiß ich nur in der Theorie. Erfahren konnte ich das leider nie. Aber wenn jemand wissen möchte, wie man sich nie und unter keinen Umständen unterkriegen lässt, der darf mich auch in diesem Forum weiterhin gern fragen.

Ich wünsche jedem, der hier neu oder auch wieder anfängt, allen, die noch nicht da sind, wo sie hinwollen, allen, die zweifeln, dass sie in fünf Jahren sagen können, was ich heute sage: ich bin frei.

Danke Euch allen!

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon GoldenTulip » 16. März 2015, 12:13

Lieber Willo,

ich danke Dir. Niemalsnich hat jemand so anschaulich und kontinuierlich uns daran teilhaben lassen, dass Unabhängigkeit weit mehr bedeutet, als mit dem Trinken aufzuhören. Sich nicht aufzugeben, weil mal gerade was nicht so klappt, wie man es sich vorstellt.
Ich wünsche Dir, dass Du weiterhin die Balance hinbekommst und die Lebensfreude weiter wachsen darf.
Habe Dich sehr liebgewonnen, und mit hoher Wertschätzung

Deine Conny
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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Mone38 » 17. März 2015, 18:02

Einfach wunderbar geschrieben, sehr berührend, hab ich mir für mich weg kopiert. Wird mir bestimmt noch oft helfen. Lg

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 22. Juli 2015, 15:56

Tach zusammen!

Die letzten Wochen waren nicht einfach.
Es gab und gibt "Kommunikationsprobleme" hier in der Familie. Bescheuertes Wort, aber ich kann's nicht besser beschreiben. Irgendwie rede(te)n mein Weib und ich zunehmend aneinander vorbei.
Dazu kam dann ein amtlicher Verweis auf Paragraph 4711, der mich in bestem Behördensprech darauf hinwies, dass ich einen bestimmten Teil meiner beruflichen Zukunft, der mir eigentlich wichtig war, in den Rauch hängen kann.
Dass da ein gewisses Risiko der Ablehnung besteht, war mir bei Antragstellung schon klar, ich bin ja kein kleiner Dummer. Ich hatte auch einen Plan B. Aber mit einem strikten no-go hatte ich wirklich nicht gerechnet. Da fehlte Plan C. Das hat mich eiskalt erwischt, gleichzeitig war der familiäre Rückhalt nicht so, wie ich es schlicht erwartet hatte.

Ich habe daraufhin die Flasche entkorkt. Da ich nicht strikt abstinent lebe, eigentlich erstmal kein Ding.
Ich hab' den Korken dann aber vier Wochen lang nicht wieder 'reingekriegt. Da hilft kein Beschönigen und Verniedlichen, das war eine Trinkqualität wie in meinen "besten" Zeiten. Das war ein Rückfall der Güteklasse A.

Seit drei Wochen habe ich meine deutlich vernachlässigte Zazen-Praxis wieder intensiviert, das hilft mir sehr. Zwei Wochen lang habe ich morgens 25 mg Bac genommen, um ein bisschen Ruhe 'reinzubringen und die anxiolytische Wirkung zu nutzen.
Seit einer guten Woche bin ich nun wieder 'raus aus der Nummer.
Dankenswerterweise hatte ich Rückhalt - dann doch auch in der Familie, nachdem ich das Problem deutlich thematisiert hatte. (Naja, eher "däuudlisch demmatißiiiird", aber sie haben's verstanden). Und ich hatte Rückhalt bei einer handvoll Leuten (privat) hier aus dem Forum, danke dafür! [good]

Aber 'raus geht's nur 'rein (@Conny).
Auf dem Kissen bin ich ich. Und bin es gleichzeitig nich'.
Da relativiert sich der Stress in der Familie:

Meister Tozan hat geschrieben:Der blaue Berg ist der Vater der weißen Wolke. Die weiße Wolke ist der Sohn des blauen Berges. Den ganzen Tag bedingen sie sich gegenseitig, ohne voneinander abhängig zu sein. Die weiße Wolke ist immer die weiße Wolke. Der blaue Berg ist immer der blaue Berg.

Wir sind Eins und doch sind wir zwei. Wir sind zwei und doch sind wir Eins.

Und noch ein alter Zen-Meister hat mir den Spiegel vorgehalten, den ich nicht poliert habe, viel zu lange. Man muss das Leben nicht verstehen, um es glücklich zu leben.
Das betreffende Zitat steht nun in meiner Signatur.

LG
Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Mone38 » 22. Juli 2015, 19:16

Hi Willo Tse,
ich habe in den letzten Wochen viel an dich und deinen ausführlichen letzten Post gedacht, den hatte ich mir ja auch weg gespeichert und immer wieder mal gelesen. Ich dachte immerzu da will ich auch irgendwie hinkommen.
Was ich jetzt gerade lese, hat mich im ersten Moment ein wenig geschockt (warst du doch so eine Art Vorbild) und direkt danach schon wieder nicht.
Alkoholismus ist Alkoholismus, eine Krankheit. Punkt um !

Ich finds gut das du jetzt die Kurve wieder gekriegt hast.

Was mich aber noch mehr aufrüttelte war, das ich immer der Meinung war,Mone wenn du nur Meister im Yoga und Meditieren werden könntest hat die Sucht FÜR IMMER verloren, dem ist aber nicht so !
Ich lese das nicht nur bei dir, viele sind hier und überhaupt sehr spirituell unterwegs, machen Yoga, meditieren etc... Und befreien von der Sucht tuts dann trotzdem nicht.
Deswegen komme ich immer wieder auf die Neurotransmitter zurück, das Ungleichgewicht und angeborene Defizite erklären in meinen Augen die ganze Sucht, ist lange nicht hinreichend erforscht, und doch haben wir mit Baclofen und anderen Medikamenten die Chance da ein bischen rum zu mischen, in der ganzen Hirnchemie.
Ich wünsche dir jetzt das du bald wieder da hin kommst wo du warst.

Wie hast du dich gefühlt als du so viel gesoffen hast wie früher ? Eigentlich doch schon richtig, richtig gut, wenn man den Kater/ Entzug aussen vor lässt ???
Und welche Ängste hast du denn ? Eher im zwischenmenschlichen Bereich oder Versagensängste ?
Liebe Grüsse und alles Gute
Ramona

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 22. Juli 2015, 20:05

Liebe Mone!

Mone38 hat geschrieben:(warst du doch so eine Art Vorbild)

Da hängst Du mich zu hoch. Aber wenn ich gern in etwas Vorbild wäre, dann in Ehrlichkeit.

Mone38 hat geschrieben:Mone wenn du nur Meister im Yoga und Meditieren werden könntest hat die Sucht FÜR IMMER verloren,

Ich kann es für Yoga oder Meditationen, die nicht Zen sind, nicht sagen. Aber Zen ist zwecklos. Zweck - los. Wenn Du sitzt, um etwas zu erreichen, kannst Du besser wieder aufstehen.

Mone38 hat geschrieben:das Ungleichgewicht und angeborene Defizite erklären in meinen Augen die ganze Sucht

Genau das stimmt halt nicht. Neurotransmitter mögen Dir hier und da den Tag versauen, das "Glas stehen lassen" kannst Du aber in einem gewissen Rahmen. Du hast ein sehr großes Fenster, innerhalb dessen Du Deine Neurotransmitter überstimmen kannst. "Das war ich nicht, das war mein Gehirn!" - zieht nicht.

Mone38 hat geschrieben:Wie hast du dich gefühlt als du so viel gesoffen hast wie früher ? Eigentlich doch schon richtig, richtig gut, wenn man den Kater/ Entzug aussen vor lässt ???

Erleichtert.
Das war einfach nur Erleichterung. Die Schmerzen nicht mehr fühlen. Koste es, was es wolle. Wenn es nur aufhört, weh zu tun.

Mone38 hat geschrieben:Und welche Ängste hast du denn ? Eher im zwischenmenschlichen Bereich oder Versagensängste ?

Beide. "Versage" ich, hat mich "keiner mehr lieb".

Dir auch alles Gute und ganz herzliche Grüße

Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Papfl » 22. Juli 2015, 22:24

Hallo Willo!

Danke für diesen Satz:

WilloTse hat geschrieben:"Versage" ich, hat mich "keiner mehr lieb".

Damit bringst Du das Dilemma, in dem ganz viele abhängige Menschen stecken, auf den Punkt :-!? . Wer sich ganz ehrlich hinterfragt, kommt früher oder später zu der Erkenntnis, dass ein Großteil seines/ihres Verhaltens und Handelns letztendlich nur auf dieses Ziel ausgerichtet ist:

Geliebt zu werden.

Dieser Wunsch ist so groß, dass unsereins immer wieder bereit ist, sich dafür aufzugeben. Die Unfähigkeit, "Nein" zu sagen (aus Angst, das Gegenüber zu verärgern); sich immer wieder auf Dinge einzulassen, die man selbst eigentlich gar nicht möchte (um Freunde oder den Partner nicht vor den Kopf zu stoßen); das Gefühl, immer "funktionieren" zu müssen (um andere nicht zu enttäuschen); alles möglichst 180-prozentig erledigen zu wollen (um es auch ja allen recht zu machen) --> all das ist - wenn man es konsequent zu Ende denkt - nur diesem einen Bedürfnis geschuldet:

Geliebt zu werden.

Dieser ständige Kampf um Liebe und Anerkennung ist auf Dauer zermürbend, weil er für unsereins immer mit bedingter Selbstaufgabe, innerer Zerrissenheit, dem ständigen Gefühl, das tun zu müssen, was andere von einem erwarten und dabei selbst auf der Strecke zu bleiben etc. einher geht. Das auszuhalten, ist auf Dauer fast unmöglich. Der Griff zum Suchtmittel, um die Spannungen einigermaßen erträglich zu machen, quasi vorprogrammiert.

Dabei ist der Wunsch,

geliebt zu werden,

vollkommen legitim. Wer will das nicht? Aber der (kausale) Zusammenhang

Ich werde nur geliebt, wenn ich...

...so bin, wie mich die anderen haben wollen.
...nicht versage.
...immer gut drauf bin.
...immer funktioniere.
...keine Schwächen zeige.
...
...
...

ist falsch. Er existiert meist nur in unseren Köpfen. Zu glauben, wir müssten immer so sein, wie uns andere haben wollen; eine bestimmte Rolle einnehmen; eine Maske aufsetzen; uns verstellen, verkleiden..., um akzeptiert und geliebt zu werden, ist ein Trugschluss.

Klar: Solange man zu allem "Ja" und "Amen" sagt, sind einem vermeintliche Zuneigung, Anerkennung und "Liebe" gewiss. Doch gelten diese Attribute bei näherer Betrachtung meist nicht mir als Mensch, sondern meiner immer währenden Hilfsbereitschaft bzw. erbrachten Leistung, von der die "Energie-Vampire" prächtig profitieren. Auf die kann ich gerne verzichten :wink: .

Wahre Freunde erkennt man daran, dass sie einen in seiner ganzen Bandbreite akzeptieren, respektieren, anerkennen und lieben. Mit allen Stärken und Schwächen, guten und weniger guten Launen, Ecken, Kanten und Macken.

Unter wahren Freunden darf ich so sein, wie ich bin!

WilloTse hat geschrieben:"Versage" ich, hat mich "keiner mehr lieb".

Wer verinnerlicht hat, dass das ein ganz großer Trugschluss ist, hat einen Riesenschritt raus aus der Abhängigkeit gemacht. Deshalb nochmal: Danke @WilloTse für diesen Satz.

Ich kann jede/n nur ermutigen (wie ich es bei @Mellchen an anderer Stelle schon einmal versucht habe), in der "freien" Wildbahn die Probe aufs Exempel zu machen. Traut Euch, auch mal "Nein" zu sagen. Zuzugeben, wenn's einem mal nicht so gut geht. Auch mal Risse in der Fassade zuzulassen, Gefühle zu zeigen...diejenigen, die sich daraufhin von Euch abwenden, haben Euch nicht verdient. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das sind weniger, als man auf den ersten Blick befürchtet.

Gut's Nächtle [smile] !
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Choklat1 » 22. Juli 2015, 23:50

@Papfl sagt:

Geliebt zu werden.

Dieser Wunsch ist so groß, dass unsereins immer wieder bereit ist, sich dafür aufzugeben. Die Unfähigkeit, "Nein" zu sagen (aus Angst, das Gegenüber zu verärgern); sich immer wieder auf Dinge einzulassen, die man selbst eigentlich gar nicht möchte (um Freunde oder den Partner nicht vor den Kopf zu stoßen); das Gefühl, immer "funktionieren" zu müssen (um andere nicht zu enttäuschen); alles möglichst 180-prozentig erledigen zu wollen (um es auch ja allen recht zu machen) --> all das ist - wenn man es konsequent zu Ende denkt - nur diesem einen Bedürfnis geschuldet:

Geliebt zu werden.

Dieser ständige Kampf um Liebe und Anerkennung ist auf Dauer zermürbend, weil er für unsereins immer mit bedingter Selbstaufgabe, innerer Zerrissenheit, dem ständigen Gefühl, das tun zu müssen, was andere von einem erwarten und dabei selbst auf der Strecke zu bleiben etc. einher geht. Das auszuhalten, ist auf Dauer fast unmöglich. Der Griff zum Suchtmittel, um die Spannungen einigermaßen erträglich zu machen, quasi vorprogrammiert.


Dieses Verhalten hat ja oft eine Geschichte. Vielleicht haben wir in unserer Kindheit gelernt, dass "Nein" zu sagen schlimme Konsequenzen hatte. Vielleicht haben wir dieses Verhalten auch von unseren Eltern abgeschaut. Dies kenne ich persönlich sehr gut. Meine Eltern, die den 2. Weltkrieg überlebt und sich danach ein sicheres, gut eingerichtetes Leben erarbeitet haben, sind Konflikten, die ihre Anerkennung, ihren Status, infrage gestellt hätten durch Anpassung aus dem Weg gegangen. Das Ansehen im sozialen Umfeld war ein wichtiger Faktor zum Erfolg und damit Garant für Sicherheit.
So wurden Attribute wie Fleiß, Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Leistungsbereitschaft, Treue (unbedingte Loyalität) etc. in meinem Elternhaus solch wichtige Werte, dass für individuelle Wünsche und eigene Wege kein Verständnis herrschte. Also habe ich diese unterdrück und die daraus entstandenen Spannungen/Gefühle des "Nicht-richtig-seins" schon recht früh mit Alkohol unterdrückt. SO war ich nicht o.k.! Ein "Nein" bedeutete Rebellion oder Schwäche. Und so wollte ich natürlich nicht dastehen, bedeutete es doch Liebesentzug, Ablehnung und evtl. Einsamkeit....... und ja, @Papfl, da war der Griff zum Suchtmittel ....vorprogrammiert.

Ich kann so gut nachvollziehen, dass dieser Prozess, jetzt erst zu mir selber zu stehen, verdammt schwierig ist. ... Na ja, mit Ende 50 bin ich ja noch offen für neue Erfahrungen (hoffentlich kommt mein Bac morgen!!!)...

In diesem Sinne
eine gute Nacht, und dir lieber WilloTse, weiterhin den Mut, bei Dir zu bleiben.

LG
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Versöhnen heißt, dass ich ganz bei mir bin, dass ich mich spüre, dass ich mich freue über mich, so wie ich bin. So wie ich bin, bin ich einmalig
Anselm Grün - Einladung zum Leben

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 27. Juli 2015, 07:26

Tach zusammen!

Herzlichen Dank für Eure Beiträge und die viele "Post", die mich erreicht hat!

Papfl hat geschrieben:Solange man zu allem "Ja" und "Amen" sagt, sind einem vermeintliche Zuneigung, Anerkennung und "Liebe" gewiss. Doch gelten diese Attribute bei näherer Betrachtung meist nicht mir als Mensch, sondern meiner immer währenden Hilfsbereitschaft bzw. erbrachten Leistung, von der die "Energie-Vampire" prächtig profitieren. Auf die kann ich gerne verzichten

(Hervorhebung von mir)

Auch das beschreibt sehr schön das Dilemma, in dem viele von "uns" sich befinden. Ein unechtes "Selbstbewusstsein" wird aus der "Anerkennung" und "Liebe" der Mitmenschen aufgebaut. Um jedoch die "Gänsefüßchen" aus diesem Satz zu bekommen, die Energie-Vampire (@Papfl) also nach Hause zu schicken und in echtem Selbst-bewusst-Sein Anerkennung und Liebe zu geben und zu erfahren, bräuchte es erst mal? Genau: echtes Selbstbewusstsein!

Nur: woher nehmen, und nicht stehlen?

Also verbiegt man sich weiter, trinkt sich die "Gänsefüßchen" weg und lebt in der Hoffnung, dass sich das Ganze irgendwann von allein regelt. Tut es ja auch. Wenn der letzte Nagel im Sargdeckel ist, ist die Sache nach heutigem Wissensstand durchgestanden.
Kann es das sein?

Und so rennt man, in dem ständigen Bewusstsein, dass es so, wie es ist, falsch ist, einem Ideal hinterher. Hat man es erreicht, ist aber irgendwie das Erreichte gar nicht so toll, man hat ein neues Ziel, ehe man sich über das Erreichen des alten gefreut hat. Wer kennt das nicht: wenn ich erst mal die Beförderung hätte..., wenn ich erst mal das Studium fertig hätte..., wenn ich erst mal Yoga-Meisterin wäre (@Mone)..., wenn ich im Lotto gewinnen würde..., dann, ja DANN!

Ja, was DANN?
Dann geht die ganze Scheiße original genau so von vorn los, oder? Hat irgendjemand andere Erfahrungen gemacht? Dann 'raus damit. Wer Lust hat, kann sich ja mal hinsetzen, und aufschreiben, welche Ziele er bereits erreicht hat. Schulabschluss, Lehre, Studium, Kinder, Beförderung, großes Auto, eigenes Haus... Und? Ab wann ist es gut gewesen?
Nie, hab' ich recht?

Die Frage kann also nicht lauten: was muss werden, damit ich zufrieden bin?
Die Frage lautet: was hält mich ganz konkret davon ab, genau jetzt zufrieden zu sein?

LG
Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 11. November 2015, 09:59

Krank – mit guten Tagen.
Oder doch: gesund – bis auf manchmal?

Ich schrieb gestern, ich trinke nicht mehr.
Was mir natürlich postwendend um die Ohren gehauen wurde: Selbstbeschiss.
Ist es das?

Vom Augenblick unserer Zeugung an sterben wir.
Leben heißt leiden.

So kann man sein Leben natürlich sehen.
Nur: muss man?
Und: macht das Spaß?

Gibt es einen Grund, den Rest des eigentlich doch sehr schönen Lebens im Büßergewand herumzulaufen, weil man mal gesoffen hat? Oder darf ich’s wegschmeißen und nackt tanzen?

Ja, ich lebe nicht komplett alkoholfrei. Is das schlimm?
Ja, ich hatte im Sommer einen derben Rückfall. Und?
Blödsinnig war er, keine Frage. Auslöser war ein als katastrophal empfundener beruflicher Rückschlag, der im Rückblick eine Lappalie war. Gepaart mit ziemlichem Ehestress. Was ist meine Frau auch eine blöde Gans. An mir kann’s ja nicht gelegen haben.

Das sind so die Situationen, die mich immer noch gelegentlich triggern. Immerhin weiß ich, was mich triggert, und habe gelernt bzw. lerne natürlich auch immer noch, damit umzugehen. Aber das ist der Stoff, aus dem ich Rückfälle baue: Keiner versteht mich, ich bin wertlos, ich kriege nichts auf die Reihe. Prost.
Früher beinahe täglich, heute noch ein oder zweimal im Jahr, aus meiner Perspektive doch ein Fortschritt.
Dass ich heute insgesamt ein Zehntel dessen trinke, was ich noch vor fünf Jahren getrunken habe, liegt nicht an Baclofen, leider. Ich habe das Pech, wohl zu den „Non-Respondern“ zu gehören. Ich musste das also alles selbst machen.

Und ja, ich hab mich auch verändert in der Zeit. Ich verstehe schon, dass das auch für meine Familie manchmal schwierig ist, da hinterherzukommen. Wie lange ist es her, dass ich heulend bei meiner Ärztin gesessen und geschluchzt habe: „Ich bin nicht da, wo ich hingehöre, darum saufe ich. Um das nicht zu spüren.“?
Gute vier Jahre, wenn ich mich recht erinnere.

Ich hab mich auf den Weg gemacht. Dahin, wohin ich meiner Überzeugung nach gehöre. Nee, angekommen bin ich noch nicht, so schnell geht das dann auch nicht. Aber der Weg ist schön, Zwischenziele sind erreicht, ein großes Ziel ist in greifbare Nähe gerückt.
Und ich erfahre: Anerkennung.

Ja, das ist mir wichtig. Auch etwas, was ich gelernt habe in den letzten Jahre: intrinsische Motivation ist toll.
Gelegentliche Belohnung aber auch.
Also, ich bin gar nicht so der Superintrovertierte, der ständig im Flow und aus sich selbst heraus glücklich zu sein hat, ich hab auch was für Geld, Neid und öffentliche Lobhudelei übrig. Na und?
Ich bin noch in diesem Jahr zu zwei Vorträgen eingeladen worden, was mich stolz macht. Und es sieht im Moment so aus, als könnte ich die letzten 15 oder 20 Jahre meines Berufslebens doch noch mit den großen Jungs spielen. Was mich auch stolz macht. Siehst Du diesen Finger, Buddha?

Also kerngesund, Willo, alles super?
Jupp. Ein, zweimal im Jahr hab ich ne kleine Grippe. Ein, zweimal im Jahr hab ich Alkohol.
Über die Grippe raufe ich mir nicht die Haare. Gut, während ich sie habe, schon.
Soll ich mir um den Alk die Haare raufen? Naja, während ich ihn habe, schon.
Und die restlichen 50 Wochen im Jahr? Mal vorsichtshalber Haare raufen, man weiß ja nie?

Und, Willo, warum schreibst Du noch in einem Baclofen-Forum? Die Standardfrage, jede dritte PN die ich kriege, enthält sie.

Erstens: weil ich hier ein paar Leute kennengelernt habe, die mir ans Herz gewachsen sind.
Zweitens: weil ich Baclofen, auch wenn es bei mir nicht so hingehauen hat, für das beste Therapeutikum weit und breit halte, wenn es um die Bekämpfung der Alkoholsucht geht
Drittens: weil ich gelegentlich daran erinnern möchte, dass es auch Menschen wie mich gibt: ehemalige Säufer.

Ich kenne mittlerweile eine ganze Menge Leute, die genau so leben wie ich, teils mit Baclofen, teils ohne. Die äußern sich leider nie öffentlich (sind auch zwei Ärzte drunter), weil sie die ewigen Anfeindungen leid sind, die ihnen begegnen, wenn sie sagen, sie trinken gelegentlich mal Alkohol.

Ich find’s schade, dass sie schweigen, kann es aber auch verstehen. Das bedeutet aber ja nicht, dass ich deshalb auch mein Maul zu halten hätte. Das hab ich 45 Jahre lang getan, das sollte reichen.

Also:
mir geht es gut.
Ich trinke nicht mehr abhängig.
Ich trinke gelegentlich ein Bier, auch mal zwei.
Wenn ich einen heftigen Nackenschlag einstecken muss, werden es auch mal zwanzig. Einmal im Jahr, oder zweimal.
Ich bin noch nicht ein einziges Mal rückfällig geworden, weil ich Alkohol getrunken habe. Wenn ich ein Bier trinken will, trinke ich ein Bier.
Wenn ich zwanzig Bier trinke, dann, weil ich zwanzig Bier trinken will.

Ich bin gesund.

Und ich werde nicht müde, das zu sagen.

Ich singe, weil ich ein Lied hab. Nicht, weil es Euch gefällt.
Konstantin Wecker


In diesem Sinne:
Herzliche Grüße

Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Lucidare » 11. November 2015, 11:55

Hallo WilloTse,

"Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen,psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen." (WHO, 1946)


Glückwunsch. Die Systeme laufen im grünen Bereich. good

LG
Wer aus meinen Texten nicht herauslesen kann, dass ich aus persönlicher Erfahrung schreibe, wird mich sowieso missverstehen. Ronja von Rönne

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon gretikatz » 14. November 2015, 07:45

WilloTse hat geschrieben:Ich kenne mittlerweile eine ganze Menge Leute, die genau so leben wie ich, teils mit Baclofen, teils ohne.

Ich gehöre auch dazu.

WilloTse hat geschrieben:... weil ich Baclofen, auch wenn es bei mir nicht so hingehauen hat, für das beste Therapeutikum weit und breit halte, wenn es um die Bekämpfung der Alkoholsucht geht

Ganz meine Meinung!

WilloTse hat geschrieben:mir geht es gut. Ich trinke nicht mehr abhängig.

Ich kann das ebenfalls nur bestätigen!

LG gretikatz

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon WilloTse » 14. März 2016, 12:02

Tach zusammen!

Fast auf den Tag genau sechs Jahre ist die zentrale Kehrtwende in meinem Leben nun her, die als Schwur zur ewigen Abstinenz mit Baclofen begann und in die Rückkehr ins Leben mündete.

Diese sechs Jahre hat es gebraucht, um aus dem kleinen, verbitterten, hoffnungslosen und an der Welt und – vor allem – an sich und dem Sinn seines Lebens zweifelnden Willo den Willo zu machen, der hier heute seinen letzten Beitrag schreibt.

Es ist gesagt, was zu sagen war, geschrieben, was zu schreiben war und getan, was zu tun in meiner Macht stand.
Time to move on.

Ich danke jeder und jedem aus der gesamten Baclofen-Szene für die kleinen und großen Mosaiksteinchen, die so viele von Euch und Ihnen bereitwillig zu dem Bild hinzugefügt haben, das ich heute sehe, wenn ich die Augen schließe.
Ich denke und hoffe, ich konnte im Laufe der Jahre auch hier und da etwas zurückgeben und habe vielleicht meinen Teil daran, dass auch andere Menschen wieder mit Hoffnung, Zuversicht und Stolz auf ihre jeweilige Zukunft schauen.

Viel gelernt habe ich in der Zeit. Zum einen ist das durchaus im schulischen Sinne zu verstehen, ich habe ein Studium (fast) abgeschlossen und bereits angefangen, in dem Bereich zu arbeiten. Ich habe aber auch viel über mich und meine Sicht der Welt gelernt, und daran einiges – nicht alles – überdacht und überarbeitet.

Um das zu tun, musste ich vor allem eins ändern: ich habe die eisernen Ketten „abgeworfen“, die mir schon als Kind angelegt worden sind. Angelegt, damit aus dem Wurm nie der Drache werde, der, seine Kraft und seine Möglichkeiten kennend, friedlich durch den warmen Sommerwind segelt. Würmer sind so viel leichter zu kontrollieren. So fehlte mir natürlich jede Flugerfahrung und ich musste lernen, gesehen zu werden, aber natürlich auch, nun meinerseits meine Kraft zu kontrollieren.

Und Ketten „abgeworfen“, ja. Als ginge das so einfach. Ich musste sie erst sehen lernen, um sie hinter mir lassen zu können. Noch etwas, das ich gelernt habe in den sechs Jahren: was nutzt es, wenn ich es allen recht mache – außer mir?
Dann, wenn man plötzlich gesehen wird, muss man kämpfen lernen, dachte ich immer. Aber das ist gar nicht so einfach: kämpft man mit offenem Visier, stellt man fest, dass das gar nicht alle so handhaben und manch einer genau auf diese Schwäche, die eigentlich ehrenhafte Stärke ist, gewartet hat. Klappt man das Visier 'runter, kann man sich auch selbst nicht mehr in die Augen sehen.
Aber: muss man denn eigentlich wirklich kämpfen? Wer sagt das? Hat der, der kämpfen muss, nicht schon längst verloren?

Ich habe in diesen sechs Jahren etliches an Höhen und Tiefen durchmessen. Im Schnitt ging es kontinuierlich aufwärts, aber das merkt man während der Tiefen leider nicht. Ich habe mich selbst kennen gelernt, meine Sicht auf die Welt ein bisschen scharf gestellt, ich habe Menschen im echten Leben getroffen, denen das, was ich kann und mache, tatsächlich etwas bedeutet. Ich fühle mich erstmals seit der Grundschule - und die ist immerhin rund 40 Jahre her – nicht mehr wie der Fisch, den man nach seiner Fähigkeit, auf Bäume zu klettern, beurteilt.

Und das wichtigste überhaupt: ich habe es geschafft, meine Familie auf diesem Weg mitzunehmen. Naja, manchmal auch: mitzuzerren.

Mein letzter echter Rückfall vor knapp einem Jahr hing an zwei Dingen: meine beruflichen Pläne schienen sich in Luft aufzulösen. Und ich habe nicht mehr gesehen, wie meine Frau, die ich mehr liebe, als es Worte zu beschreiben vermögen, und ich, wie wir noch gemeinsam alt werden wollen, wenn die Kinder versorgt und wir wieder für uns sind. Da schien so gar keine Basis mehr zu sein und ich habe nicht mal verstanden, wann sie uns weggebrochen war im Alltag. Sie auch nicht, und das will schon was heißen. Immerhin ist sie intelligenter als ich, und das will nun wirklich was heißen.

Ich weiß, dass Du auch nach sechs Jahren noch mitliest. Danke Dir dafür.
Ich liebe Dich. ἄτομος.

Es ist an der Zeit, hier zu gehen, ich will noch ein paar Kröten verdienen für unseren Altersruhesitz:



Ich habe die PN-Funktion abgeschaltet, die Mailadresse, unter der ich hier angemeldet war, auch. Ich habe mein Passwort per Zufallscode geändert und es mir nicht notiert.
Ich ziehe den Schlüssel hier heute ab und werfe ihn ins Meer.

Wer jetzt auf einen tränenerstickten Abschied à la „Time to say Goodbye“ wartet, hat den Text noch nicht verstanden.

Aufdrehen, genießen, mitsingen. Leben, den Inhalt leben:




Lebt wohl und macht nix, was ich nicht auch täte.

Ihr und Euer

Willo

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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon Lucidare » 14. März 2016, 13:24

Hi Willo,

was soll man sagen? Alles Gute und vielen Dank! :vgn

Obwohl natürlich eine Menge Wissen verlorengeht (nicht nur wegen dem Bac-Rechner [biggrin] ). Das ärgert mich ein Wenig viel [mad].

Tschüss [hi_bye]

LG
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Re: Erfahrungsberichte WilloTse

Beitragvon GoldenTulip » 14. März 2016, 17:17

Mein lieber Willow,

ich danke Dir vor allem für Deine liebevolle Begleitung (von mir und vielen anderen).
Du klingst recht aufgeräumt; solltest Du je das Bedürfnis haben redend zu schreiben, tu es. Diese Tür wird immer offen sein.
Ob jemand geht oder zwangsläufig irgendwann stirbt, ist irrelevant. Wer geliebt wird, lebt ein Stück weit ohnehin weiter.

Gods may bless you
Conny und Mietzi
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz


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