Erfahrungsbericht von Mellchen

Eigene Erfahrungsberichte zu Baclofen und Alkohol
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Papfl
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 24. Juni 2015, 10:45

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Es verunsichert mich total, so viele Gespräche mit Fremden zu führen, und doch muß ich einfach freundlich, kommunikativ und auch charmant sein. Schließlich will ich mich ja gut präsentieren und auch was verkaufen.

Meine Erfahrung ist, dass man - unter Alkohol - zwar selbst meistens das Gefühl hat, sich besser zu präsentieren, rüberzukommen, charmanter zu sein etc. - aber beim Gegenüber oft was anderes ankommt. Eher in Richtung: Der/Die ist aber merkwürdig, aufgedreht, redet viel, hat 'ne Fahne, trinkt schon das zweite Glas Sekt...

Klar: Mit Alk fällt es schon leichter, auf andere zuzugehen, zumal, wenn man eher der unsichere, schüchterne Typ Mensch ist. Aber es ist auch eine ganz tolle Erfahrung zu sehen, dass Du Dich eigentlich gar nicht "verstellen" brauchst. Dass Du so akzeptiert wirst, wie Du bist. Als "Mellchen". Und vielleicht macht Dich Deine Zurückhaltung, Deine Schüchternheit gerade erst richtig sympathisch. Probier's einfach mal aus [smile] . Das ist ein ganz tolles Gefühl, so sein zu dürfen, wie man ist. Eine Befreiung. Die Maske ablegen. Nicht ständig etwas vorspielen zu müssen. Das ist nämlich auf Dauer auch ganz schön anstrengend, ständig so ein Bild aufrecht zu erhalten. Wir glauben oft, dass wir das müssen...ist aber Quatsch. Wir sind im wahren Wortsinn selbst wert. Auch dieses Bewusstsein gilt es, zurück zu erobern.

Was die Dosierung anbelangt: Ich würde es erstmal so belassen und gegebenenfalls - wenn's eng wird - mit der Notfalldosis arbeiten. Du hast wahrscheinlich 10 mg-Tabletten und bist zurzeit bei 60 mg/d, da kannst Du durchaus 1 bis 2 Tabletten als Notfallration am Wochenende mit einkalkulieren. Ich würde an Deiner Stelle fürs Wochenende zwei Tabletten halbieren (4 Notfallrationen) und in ein kleines Döschen für die Hand-/Hosentasche packen. Wenn's brenzlig wird, hast Du dann immer eine halbe Tablette parat.

Ganz gut ist es auch, in solchen Situationen immer im Hinterkopf zu behalten: Wenn alle Stränge reißen, und die Notfalldosis nichts bringt, kann ich ja immernoch trinken, aber jetzt probier ich's erst mal so. Meist erledigt sich das dann von ganz alleine.

Und ich behaupte jetzt mal ganz frech: Wenn's diesmal mit dem Verkauf bei der Ausstellung noch nicht so hinhauen sollte, geht die Welt auch nicht unter [pardon] . Diese positiven Erfahrungen, die Du am Wochenende sammeln kannst - nämlich, dass Du als der Mensch, der Du bist, wahrgenommen, geliebt und akzeptiert wirst, ohne Dich künstlich zu pushen oder zu verstellen - sind mit Geld ohnehin nicht aufzuwiegen.

Und wenn's diesmal trotz aller guten Vorsätze doch noch nicht ganz nüchtern klappen sollte, ist's auch nicht schlimm. Dann halt beim nächsten Mal. Ist ja bestimmt nicht die letzte Ausstellung [smile] .

Alles Gute einstweilen!
Papfl
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 25. Juni 2015, 06:01

Hallo!

Mittwoch, Baclofen Tag 28: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: gut bis mittel
Trinkverlangen: schwach vorhanden (morgens enorm stark)

Hallo Papfl!

:-) nein, egal, was kommt, die Welt wird nicht untergehen! Oder doch sehr wahrscheinlich nicht.
Selbstwert ist glaube ich ein großes Thema bei fast allen Alkoholikern, ja vielleicht bei allen Suchterkrankten. Denn es gehört schon viel "ich mag mich nicht" dazu, sich täglich so etwas anzutun.
Dein Ratschlag hat mich gestern tatsächlich vor dem Trinken bewahrt:
Ganz gut ist es auch, in solchen Situationen immer im Hinterkopf zu behalten: Wenn alle Stränge reißen, und die Notfalldosis nichts bringt, kann ich ja immernoch trinken, aber jetzt probier ich's erst mal so. Meist erledigt sich das dann von ganz alleine.
Kurz: sitze mit Freundin im Cafe, sie hält ihren einjährigen Bönsel auf dem Arm und offeriert mir, dass sie eine Affaire plant. Dämliche Situation, ich kenne und mag ihren Mann. Da kam so eine Art Tunnel, ich konnte nur auf ihr Sektglas schauen und bekam von ihren Ausführungen kaum noch etwas mit. Ich dachte, dass ich jetzt UNBEDINGT was trinken MUSS, und gleichzeitig kamen ganz viele rechtfertigende Gedanken, so wie "ja, nach so einem Hammer würde das jeder verstehen" etc. Dann habe ich gedacht, gut, wenn es eben nicht anders geht, bestelle ich jetzt auch ein Glas! Fertig. Und mit diesem Gedanken war der Trinkwunsch praktisch schon gegessen.
Es liegt wohl daran, dass diese Selbstbestimmtheit ein Schlüssel sein kann, nein zu sagen. Süchtige sind ja alles, nur nicht selbstbestimmt - wohl eher fremdbestimmt eben durch das jeweilige Suchtmittel. Dieser "Trick" ist ein wichtiges Gepäckstück auf meinem weiteren Weg. Vielen Dank dafür!!!

Zur Dosierung: richtig, ich bin jetzt bei 60mg. Und ich werde erst mal dabei bleiben habe ich entschieden. Erhöhen kann ich immer noch, wenn ich denke, das es Sinn macht.
Die Funktionsweise so einer Notfallration ist mir noch nicht ganz klar, da ich dachte, Balclofen baut sich langsam im Körper auf. Da hilft es trotzdem in Akutsituationen? Ich habe eh immer einen Streifen in der Tasche, falls ich zur Einnahmezeit nicht zu Hause bin. Vielleicht probiere ich das aus.

Vielen vielen Dank für Deine Ratschläge! Das macht Mut!
Liebe Grüße und Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 25. Juni 2015, 13:43

Hallo Mellchen!

An Deinem geschilderten Beispiel kann man sehr schön festmachen, wie Baclofen funktioniert. In gewisser Weise ist es eine schöne, anschauliche Ergänzung zum "Craving-Thread".

Mellchen hat geschrieben:Da kam so eine Art Tunnel, ich konnte nur auf ihr Sektglas schauen und bekam von ihren Ausführungen kaum noch etwas mit. Ich dachte, dass ich jetzt UNBEDINGT was trinken MUSS, und gleichzeitig kamen ganz viele rechtfertigende Gedanken, so wie "ja, nach so einem Hammer würde das jeder verstehen" etc.

Genau solche Situationen sind es, die ganz häufig zum Rückfall führen...irgendwas bricht über einen herein, und es scheint wirklich nur noch diesen einen Ausweg zu geben --> möglichst schnell trinken! Die oberflächlichen "WARUM-Rechtfertigungen" lassen nicht lange auf sich warten und räumen eventuelle letzte Zweifel aus, so dass sehr schnell unumkehrbar klar wird, dass es jetzt einfach unbedingt sein muss.

Was da vermeintlich gedanklich abläuft, ist im Grunde eine Art "Alibi-Veranstaltung". Die Trinkentscheidung ist "im Hirn" längst gefallen. Es wird halt versucht, die kognitive Dissonanz einigermaßen in Einklang zu bringen. Wirklich willentlich beeinflussen können wir diese Trinkentscheidung eigentlich nicht mehr, weil die biochemischen Weichen längst gestellt sind --> physisches Craving ("Trinkzwang").

Baclofen vermag es glücklicherweise, diesem typischen biochemischen Ablauf im "suchtgeprägten Hirn" einen Riegel vorzuschieben. Weil Du durch die konsequente, regelmäßige Einnahme des Medikaments einen gleichbleibenden "Baclofenspiegel" in Deinem GABA-System aufgebaut hast, können diese Automatismen nicht mehr so stattfinden, wie sie das bei Abhängigen für gewöhnlich tun. Ohne die "Krücke" Baclofen wärst Du diesem "Trinkzwang" wahrscheinlich hilflos ausgeliefert gewesen, weil man das physische Craving nunmal nicht willentlich beeinflussen kann [nea] .

Dank Baclofen aber konntest Du überhaupt erst reflektieren: Du MUSSTEST nicht mehr zwingend trinken, Du KONNTEST frei entscheiden, ob Du das JETZT wirklich möchtest.

Mellchen hat geschrieben:Dann habe ich gedacht, gut, wenn es eben nicht anders geht, bestelle ich jetzt auch ein Glas! Fertig. Und mit diesem Gedanken war der Trinkwunsch praktisch schon gegessen.

Selbst wenn Du Dir das Glas bestellt hättest, und es vor Dir auf dem Tisch gestanden hätte, wärst Du vom Kopf her immernoch in der Lage gewesen, bewusst zu entscheiden: Nehm' ich jetzt einen Schluck oder lass' ich's bleiben? Weil Baclofen Dir Deine Entscheidungsfreiheit zurück gegeben hat.

Dieser entscheidende Gedanke Nehm' ich jetzt einen Schluck oder lass' ich's bleiben? wäre für einen nicht behandelten süchtigen Menschen in der Form wahrscheinlich gar nicht mehr möglich gewesen, weil das "biochemische Verlangen" solche Gedanken nicht mehr zulassen würde.

Du hattest die Möglichkeit, weil es in Deinem Kopf gestern dank des "Baclofenspiegels" ungefähr so aussah:

Bild

Ohne Baclofen hätten die Neuronen getobt, und ein Entscheidungsprozess wäre höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen, weil das "Neuronenfeuerwerk" alles andere überlagert hätte:

Bild

Mellchen hat geschrieben:Die Funktionsweise so einer Notfallration ist mir noch nicht ganz klar, da ich dachte, Balclofen baut sich langsam im Körper auf. Da hilft es trotzdem in Akutsituationen?

Das ist richtig. Durch die regelmäßige, über den Tag verteilte Einnahme von Baclofen baut sich ein "Baclofenspiegel" auf, von dem Du gestern ja auch profitiert hast. Nun kann es aber Situationen geben, in denen die Trigger ganz besonders "hartnäckig" sind oder in denen der "Baclofenspiegel" gerade wieder etwas nachlässt, weil die letzte Einnahme schon Stunden her ist.

Dann kann es hilfreich sein, eine kleine Extra-Ration Baclofen ("Notfalldosis") - je nach aktueller Dosierung 1/2 bis 1 Tablette - akut zusätzlich einzunehmen. Wenn man die Tablette zerkaut und/oder unter der Zunge zergehen lässt, gelangt der Wirkstoff etwas schneller ins Blut und man spürt bereits nach 10-15 Minuten eine deutliche Entspannung.

Wenn Du das Verlangen gestern nicht "psychisch" in den Griff bekommen hättest, wäre ein möglicher nächster Schritt die Notfalldosis gewesen. Und wenn's dann immer noch nicht aufgehört hätte, dann... :wink: ...aber:

Papfl hat geschrieben:Meist erledigt sich das dann von ganz alleine.

Auf jeden Fall gibt's für Deinen gestrigen Tag einen dicken Extra-Daumen [good] !

Papfl [smile]
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 26. Juni 2015, 05:16

Guten Morgen zusammen!

Donnerstag, Baclofen Tag 29: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: sehr gut
Trinkverlangen: null

Hallo Papfl!
Es ist total klasse, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, das noch mal ausführlich zu erklären. Als ich hier ins Forum kam, habe ich natürlich alles an Möglichem verschlungen. Aber logischerweise wird nicht alles abgespeichert. Und letztlich ist es jemandem, der anfängt, auch recht egal, wie genau und warum es wirkt. Zumindest war es bei mir so. Deine Ausführungen haben mir das noch einmal sehr deutlich gemacht. Vor allem, weil es für mich in der Regel leichter ist, Dinge zu erfassen, wenn sie jemand persönlich an mich richtet.
Ich möchte Dich auch nicht überstrapazieren, .-) aber wenn Du den link zur Hand hast, in dem was dazu steht, ob Baclofen abhängig macht, wäre das toll. Mum hat mich gestern deswegen total fertig gemacht, weil sie der Meinung ist, mir würde es nicht besser gehen, ich sei lediglich von einer anderen Substanz abhängig. Ich sehe das zwar anders, und ich bin auch sicher, das ganz anders gelesen zu haben, aber besser, wenn ich ihr das schriftlich vor die Nase legen kann. (ja, Rechtfertigung abzulegen klappt bei mir in Punkto Mum leider gar nicht.)
Danke für alles!
Und allen weiterhin viel Kraft!!!
Liebe Grüße und Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon gretikatz » 26. Juni 2015, 08:41

Mellchen hat geschrieben:ob Baclofen abhängig macht


Mit einem speziellen Link kann ich leider nicht dienen, jedoch mit eigenen Erfahrungen:

Ich habe zwischendurch von Baclofen Einnahmepausen eingelegt und machmal die Einnahme vergessen. Letzteres wäre sicher nicht der Fall, wenn ich danach süchtig wäre.

Schau mal in meinen Beitrag vom 30. Dezember 2014

Es gibt viele, die dank Baclofen eine zufriedene Abstinenz erreicht haben. Die sollen hier von ihren Erfahrungen berichten, sofern sie überhaupt noch mitlesen.

Lass Dich von Deiner Mutter nicht stressen. Mütter wissen sowieso alles besser als die Töchter. Sie sollte Dich besser unterstützen und sich freuen, dass Du etwas gegen Deinen Alkoholkonsum unternimmst.

Du musst Dich vor niemanden wegen der Einnahme von Baclofen rechtfertigen, gehe einfach Deinen Weg!

LG gretikatz

P.S.: Habe noch etwas gefunden:
Rigget am 9.6.2015 hat geschrieben:Es ist mal wieder so weit, drei Jahre ohne Alkohol sind um und es geht mir so gut wie noch nie in meinem Leben.
Ich verfolge die Berichte weiter hin, und sehe in manchen Beiträgen meine eigene Geschichte. Und wünsche allen die versuchen aus diesem Teufelskreis auszubrechen viel Erfolg, das Medikament wirkt, das ist meine feste Überzeugung.
Zuletzt geändert von gretikatz am 26. Juni 2015, 08:51, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 26. Juni 2015, 08:47

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Ich möchte Dich auch nicht überstrapazieren, .-)

Tust Du nicht... [smile] ...es kommen ja auch immer wieder neue Leser hinzu, und da ist es gar nicht schlecht, wenn wichtige Informationen wiederholt werden. Unser Forum ist inzwischen so umfangreich, dass ich mir ganz gut vorstellen kann, wie "erdrückt" sich Newcomer manchmal fühlen müssen :wink: .

Ich hatte weiter oben schon mal die Allegorie Abhängigkeit - Allergie herangezogen. Manchmal macht auch der Vergleich Abhängigkeit - Diabetes eine Erklärung verständlicher.

Das ist jetzt etwas vereinfacht dargestellt (mitlesende Mediziner mögen es mir bitte verzeihen), aber man kann sich's besser vorstellen:

Bei Diabetikern "funktionieren" die β-Zellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr richtig. Sie produzieren zu wenig oder gar kein Insulin mehr. Insulin ist aber notwendig, um den Blutzuckerspiegel zu senken, indem es andere Körperzellen dazu anregt, Glukose aus dem Blut aufzunehmen. Fehlt dieses Proteohormon, gerät der Zuckerhaushalt des Betroffenen aus dem Gleichgewicht. Folglich muss das Insulin "von außen" zugeführt werden. Das ist der Grund, warum Diabetiker regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel messen und sich dann entsprechend Insulin spritzen.

Bei Alkoholabhängigen "funktioniert" unter anderem das GABA-System nicht mehr richtig. Kurz: Es wird zu wenig γ-Aminobuttersäure (GABA) ausgeschüttet. Dieser Neurotransmitter ist aber ein ganz wichtiger Botenstoff, wenn es darum geht, Entspannung, Ausgeglichenheit, innere Balance etc. herzustellen. Fehlt dieser Neurotransmitter, kommt es zu innerer Unruhe und all den anderen Symptomen, die wir gemeinhin als "physisches Craving" kennen. Baclofen vermag es, die fehlende γ-Aminobuttersäure aus dem GABA-Rezeptor (GABA-B-Agonist) "herauszukitzeln". Äquivalent wie sich Diabetiker Insulin spritzen, "schluckt" der Alkoholabhängige deshalb Baclofen, um den systemimmanenten Mangel auszugleichen.

Der Grund, warum Baclofen nicht zu "Rauschzuständen" führt und nicht süchtig machen kann, ist die "Andockstelle" im GABA-System: All die süchtig machenden Substanzen wie Alkohol, Benzodiazepine, andere Drogen wirken am GABA-A-Rezeptor. Dort findet Toleranzentwicklung statt ("Man braucht immer mehr von einer Substanz, um die gewünschte Wirkung zu erzielen"). Es können auch Rausch- und euphorische Zustände entstehen.

Baclofen indes wirkt am GABA-B-Rezeptor. Der ist zwar für gemeinhin etwas "träger" (was mit ein Grund für die "Gegenspieler-Problematik" von Alkohol und Baclofen ist: Alkohol am schnelleren GABA-A "sticht" Baclofen am langsameren GABA-B aus), dafür gibt es aber dort (beim GABA-B) keine Toleranz- und Rauschentwicklung.

Am besten ist es, Du zeigst Deiner Mama den recht aktuellen PTA-Artikel, dann hat sie das in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung schwarz auf weiß [smile] .

PTA-Artikel hat geschrieben:Der Arzneistoff Baclofen imitiert die Alkoholwirkung, allerdings ohne euphorisch oder süchtig zu machen. »Baclofen bewirkt eine verstärkte Ausschüttung von GABA über den GABA-B-Rezeptor«, so die Fachärztin.

Wobei das "imitiert" sich hier wirklich ausschließlich auf das "Herauskitzeln" von γ-Aminobuttersäure (GABA) bezieht und nicht im Sinne von "Ersatzdroge" verstanden werden darf. Denn die "Alkoholwirkung" im Sinne von "Rausch" imitiert Baclofen ja gerade nicht. Ist vielleicht etwas unglücklich formuliert.

Einen sonnigen Tag wünscht
Papfl
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 27. Juni 2015, 07:10

Guten Morgen!

Freitag, Baclofen Tag 30: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: sehr gut
Trinkverlangen: null

Hallo Gretikatz!
Danke für den link, das hat erneut bestärkt und geholfen. Es ist halt fast unmöglich, alle hier im Forum stehenden Beiträge zu lesen, von daher ist ein Verweis, der Fragen beantwortet, immer genial!
Ich glaube auch nicht, dass man von Sucht sprechen kann, wenn Einnahmen sogar vergessen werden - wir hätten schließlich niemals vergessen zu trinken, geschweige denn "Trinkpausen" eingelegt, oder??

Hallo Papfl!
Erneut Danke! Ich werde das Mum unkommentiert unter die Nase halten. :-) Als Krankenschwester in der Psychiatrie wird sie das wohl verstehen. Und damit werde ich meinen Drang, mich rechtfertigen zu wollen, auch beenden. Sollen die Leute denken, was sie wollen - der Erfolg spricht ganz klar für sich.

Anfang nächster Woche treffe ich einen langjährigen Bekannten, der trockener Alkoholiker ist. Zwecks Austausch. Ich wußte das immer, und er wußte wohl auch, dass ich es wußte, aber wir haben nie offen darüber geredet. Kurz um: ich habe den Kontakt vor ein paar Wochen abgebrochen (natürlich alkoholbedingt, kein Antrieb) und ihm jetzt eine email geschrieben wieso, weshalb und warum. Der Rückruf kam umgehend. Es kann sicher nicht schaden, Erfahrungen auszutauschen. Bin gespannt.

Allen ein schönes Wochenende!!!
Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 27. Juni 2015, 10:08

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Bin gespannt.

Ich auch [mocking] . Es kommt halt immer ein bisserl drauf an. Wenn es sich bei Deinem "trockenen" Gegenüber um einen "Hardcore-AA-ler" handelt, wirst Du ihn mit Deiner Therapie wohl kaum begeistern geschweige denn überzeugen können. Im Gegenteil: Du müsstest Dir vielleicht sogar vorhalten lassen, dass Du es nicht "aus eigener Kraft" schaffst und all den Käse...ähnlich wie die Vorwürfe Deiner Mum. Sogar manche Suchtexperten argumentieren ja heute noch so.

Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich will Dich keineswegs entmutigen, solche Kontakte zu suchen und zu knüpfen. Aber ich will, dass Du gegebenenfalls mental auf so eine Situation vorbereitet bist und dann im Zweifelsfall auch da für Dich gilt:

Mellchen hat geschrieben:Und damit werde ich meinen Drang, mich rechtfertigen zu wollen, auch beenden. Sollen die Leute denken, was sie wollen - der Erfolg spricht ganz klar für sich.

Diskussionen über das WIE (...bleibe ich abstinent) sind meines Erachtens komplett überflüssig: Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Die Hauptsache ist doch, dass man auch ohne sein Suchtmittel einigermaßen zufrieden und glücklich klar kommt.

Wenn Ihr Euch statt über das WIE (...bleibe ich abstinent) darüber austauscht, wie man z. B. mit der entstandenen "Leere" nach dem Aufhören umgeht, neue Freizeitaktivitäten findet, alternative Entspannungsmethoden entdeckt etc., haben beide Seiten mehr davon! Du schreibst ja selbst:

Mellchen hat geschrieben:Es kann sicher nicht schaden, Erfahrungen auszutauschen.

Genau in diese Richtung sollte es gehen.

Bin echt gespannt, wie's läuft... [smile] .

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 28. Juni 2015, 07:18

Hallo zusammen!

Samstag, Baclofen Tag 31: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: sehr gut
Trinkverlangen: null

Die Bedenken sind nicht ganz unbegründet, wie ich leider feststellte. Als ich erwähnte, ich sei Freitag Abend auf einer Party gewesen, war sein Kommentar: "na, ob das jetzt so das richtige ist..:" Fand ich schon doof. Aber gut.
Party war übrigens ok. Trinken auf Festen war ja nie mein Problem, im Gegenteil, hier habe ich so gut wie nie getrunken aus Angst vor öffentlichen Abstürzen.

Den ersten Ausstellungstag habe ich hervorragend überstanden! Entgegen meiner Befürchtungen war ich total entspannt, hatte gute Gespräche und konnte die Veranstaltung erstmalig in vollen Zügen genießen!!!
Meinen Sekt hatte ich dabei und habe zwischendurch davon getrunken - natürlich die alkoholfreie Variante. Geht doch!

Wünsche Euch allen einen entspannten und sonnigen Sonntag!
Grüße und Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 28. Juni 2015, 09:10

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Den ersten Ausstellungstag habe ich hervorragend überstanden! Entgegen meiner Befürchtungen war ich total entspannt, hatte gute Gespräche und konnte die Veranstaltung erstmalig in vollen Zügen genießen!!!

Siehste...geht doch... [good] ! Und schon bist Du wieder um ein "nüchternes" Erfolgserlebnis reicher [smile] .

Ist doch ein tolles Gefühl zu sehen, dass Dich die Leute so nehmen, wie Du wirklich bist. Du musst Dich nicht verstellen. Diesen "Trugschluss" kann man aber nur entlarven, wenn man's ausprobiert. Wie Du gestern [smile] .

Auch Dir einen schönen Sonntag!
Papfl
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 29. Juni 2015, 06:25

Guten Morgen!

Sonntag, Baclofen Tag 32: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: sehr gut
Trinkverlangen: null

Samstag wäre übrigens meine nächste Erhöhung gewesen. Aber wie bereits überlegt, bleibe ich erstmal bei den 60mg.
Dass das Leben so schön sein kann....
:-)
Einen fabelhaften Tag an alle!
Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 30. Juni 2015, 06:38

Hallo!

Montag, Baclofen Tag 33: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: sehr gut
Trinkverlangen: null

Zu den Neuigkeiten: der Arztbesuch gestern war, wie eigentlich erwartet - sehr positiv. Meine Werte (vor allem die Gamma-Geschichten, auch MCH und MCV) sind zwar immer noch im roten Bereich, liegen aber nur minimal über der Mittelmaßspanne. Eine Verbesserung um 70%!!!! Einzig der BSG-Wert ist nochmals gestiegen, liegt jetzt bei 56, was keiner so recht versteht. Ich habe den immer schon recht hoch (so um die 25-30). Da dies aber ein recht diffuser Wert ist, läßt sich schlecht sagen, woran das genau liegt.
Alles in allem also sehr sehr gut!
Doc meint, ich könne schon daran denken, auf 50 mg zu reduzieren. Laut meiner Tabelle war das der Wert, der mich auf 0 gebracht hat. Das überlege ich mir. Oder spräche da was gegen?
Komische Reaktion des Arztes war, dass er meinte, ich solle meine Mundtinktur wechseln. Seit der Zahn-OP nehme ich zur Wundbehandlung Pyralvex, so ein Rhabarbar-Extrakt auf Alkoholbasis zum Einpinseln. Ich solle doch überlegen, hier eine alkohlfreie Variante zu wählen. DAS finde ich jetzt reichlich übertrieben. Ich trinke das Zeug ja nicht, und es löst bei mir auch kein Trinkverlangen aus.
Überhaupt kam es mir vor, als hätte er sich mit befreundeten Kollegen über mich unterhalten und sei hier auf viel Skepsis und Unmut gestoßen, die vorher, also beim letzten Termin, nicht da war. Die Art mancher Fragen läßt mich das vermuten, und auch die Unsicherheit, die ich spüren konnte. Aussagen wie: ich soll ihm wirklich ALLES berichten, auch keine Scheu haben, falls ich rückfällig werde, DENN er möchte nicht, dass ich alles zu leicht nehme und denke "ok, wenn ich mal entgleise, gehe ich zu ihm und der verschreibt mir halt neues Bac." Er hat sich auch meine Entwicklungstabelle kopieren lassen - bräuchte er, falls er das mal dokumentieren müsse... Alles in allem sehr sehr seltsam. Ehrlich gesagt hat mich das verunsichert. Oder ich mache mir einfach mal wieder zu viele Gedanken. Aber letztlich spielt es für mich schon eine Rolle, was er über mich denkt und wie er mich wahrnimmt. Ich hätte es wohl sofort ansprechen sollen, aber in der Situation war ich einfach erstmal etwas geplättet. :-(

Einen sonnigen Tag Euch allen!!!
Liebe Grüße,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 30. Juni 2015, 08:46

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Ehrlich gesagt hat mich das verunsichert. Oder ich mache mir einfach mal wieder zu viele Gedanken.

Du nicht, eher Dein Doc [mocking] . Das "Phänomen", das Du beschreibst, ist bekannt: Arzt geht neue Wege, bespricht einen potentiellen Erfolg mit Kollegen, die sind skeptisch, weil nicht sein darf, was nicht sein soll...kramen alte Sichtweisen wieder aus (Suchtverlagerung, Mundwasser, "die Suchtler lügen doch alle"...), reden dem Arzt ins Gewissen: "Wenn da was schief geht, bist Du Deine Approbation aber los, 60 mg/d ist ja schon hart an der Grenze der maximal erlaubten Dosis laut Packungsbeilage, wenn das mal gut geht...".

Da kann "Arzt" schon mal ins Zweifeln kommen: "Ist es das überhaupt Wert, so viel aufs Spiel zu setzen, bloß um einer Patientin aus der Abhängigkeit zu helfen? Wer weiß, ob das am Ende überhaupt klappt...".

Vor diesem Hintergrund ist die Reaktion Deines Arztes nachvollziehbar. Nicht nur "unsereins" ist "Weltmeister im Selbstzweifel", selbst vermeintliche "Götter in weiß" sind davor nicht gefeit. Das sollte Dich aber nicht weiter beunruhigen. Ob Dich Dein Mundwasser triggert, weißt Du selbst am besten, und 60 mg/d ist die Erhaltungsdosis, die momentan bei Dir ganz gut zu funktionieren scheint. Punkt. "Never change a winning scheme!"

Mellchen hat geschrieben:Aber letztlich spielt es für mich schon eine Rolle, was er über mich denkt und wie er mich wahrnimmt. Ich hätte es wohl sofort ansprechen sollen, aber in der Situation war ich einfach erstmal etwas geplättet. :-(

Dann hole das beim nächsten Mal unbedingt nach, spreche an, was Dich bedrückt. Kannst ruhig auch die Vermutung bezüglich der anderen Kollegen äußern und so...mal sehen, wie er reagiert. Du wirst dann relativ schnell merken, ob Ihr noch "miteinander könnt" oder ob das Vertrauen weg ist.

Den Arzt wechseln kannst Du zur Not immer. Bei dieser Gelegenheit vielleicht mal ganz generell ein Tipp:

Hebt die Privatrezepte über Baclofen auf! Wenn Ihr mal umziehen müsst oder den Arzt wechselt, könnt Ihr damit belegen, dass Ihr schon länger regelmäßig Baclofen verschrieben bekommen habt und über Umgang, individuelle Dosis und Wirkungsweise des Medikaments Bescheid wisst. Der "Neue" tut sich dann mitunter leichter bei der Verschreibung. Ist auch ganz nützlich, wenn Ihr z. B. mal ein paar Tage ins Krankenhaus müsst, damit dort Baclofen auf Eure Medikationsliste kommt.

Das Wetter ist heute übrigens viel zu schön, um zu grübeln...also: carpe diem [smile] !

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 1. Juli 2015, 07:14

Guten sonnigen Morgen!

Dienstag, Baclofen Tag 34: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: gut (wenn auch etwas kratzbürstig)
Trinkverlangen: null

:-) Ja, Ärzte sind auch Menschen!
Und im Grunde bin ich mit meinem total zufrieden.

Genießen wir die Sonne!
Liebe Grüße,
Mellchen

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Mellchen
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 2. Juli 2015, 06:30

Hallo zusammen!

Mittwoch, Baclofen Tag 35: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: gut
Trinkverlangen: teilweise

Wieder eine kleine Situation, in der Alkohol richtig im Kopf gearbeitet hat... Wöchentliches Treffen mit meinem Dad (war lange im Urlaub). Üblicherweise beenden wir das immer in unserem Stammcafe, und bei dieser Gelegenheit trinke ich immer meine geeiste Weißweinschorle. Schon morgens bin ich aufgewacht mit dem Gedanken, was ich denn wohl stattdessen trinken kann/soll/will. Dad würde sich sehr wundern, wenn ich auf diese verzichten würde - und Fragen stellen. Was also tun? Dein Schein wahren und eine Ausnahme machen?
Ich entschied mich dagegen, habe Kaffee und Wasser bestellt und auf die erwartete Frage habe ich ihm dann das aufgetischt, was ich mir als Standarderklärung zurecht gelegt habe: sehr schlechte Leberwerte aufgrund der langen Antibiotika-Einnahme nach meiner Zahn-OP, daher vorläufige Abstinenz.
Grundsätzlich finde ich zwar, dass ein offener Umgang mit dem Thema wichtig ist, aber ich mag auch nicht damit hausieren gehen. Vielleicht erzähle ich es ihm irgendwann einmal. Vielleicht auch nicht.
Ich wüßte gerne, wen Ihr "eingeweiht" habt. Oder auch nicht. Macht es Sinn, vielen Menschen davon zu erzählen (wegen besagter Offenheit)? Ist es wichtig und hilfreich, dass das Umfeld Bescheid weiß, damit sie die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren? Oder ist es tatsächlich ein so persönliches und auch heikles Thema, dass man darüber so wenig wie möglich sprechen sollte?

Einen wunderbar sonnigen Tag!
Liebe Grüße und Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 2. Juli 2015, 07:51

Moin Mellchen!

Das ist ein sehr heikles, aber natürlich ungeheuer wichtiges Thema, das Du ansprichst. Ich bin seinerzeit sehr offen mit meiner Krankheit umgegangen, bin aber diesbezüglich sicher kein repräsentatives Beispiel. Aufgrund meines damaligen Jobs stand ich extrem in der Öffentlichkeit und mein Alkoholproblem war - als mein Konsum ein entsprechendes Ausmaß angenommen hatte - hier und da zusehends auch öffentlich aufgefallen. Mir blieb quasi nur die Flucht nach vorn...

Unter "gewöhnlichen" Umständen würde ich - wie Du ja selbst schreibst - mit meiner Krankheit nicht "hausieren" gehen. Aber zum Thema "Outing" können andere mit Sicherheit mehr beitragen als ich [pardon] .

Cheerio!
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„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Lisa » 2. Juli 2015, 11:12

Hallo Mellchen,

Mellchen hat geschrieben:Ich wüßte gerne, wen Ihr "eingeweiht" habt. Oder auch nicht. Macht es Sinn, vielen Menschen davon zu erzählen (wegen besagter Offenheit)? Ist es wichtig und hilfreich, dass das Umfeld Bescheid weiß, damit sie die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren? Oder ist es tatsächlich ein so persönliches und auch heikles Thema, dass man darüber so wenig wie möglich sprechen sollte?


mit dieser Frage hab ich mich auch lange Zeit beschäftigt. Mittlerweile habe ich es meinen beiden Söhnen mitgeteilt, wobei der jüngere es bereits ahnte. Beide reagierten äußerst positiv. Beide trinken extrem wenig Alkohol, der jüngere eigentlich gar nicht mehr. Von beiden hab ich mir sehr viel "abgeguckt". Wieso rechtfertigen weil ich nichts trinke?

Ich habe nun endlich ein Medikament gefunden, das gegen meine Ängste hilft... nur leider leider [lol] verträgt es sich so gar nicht mit Alkohol. Diese Ausrede benutze ich bei Menschen, wo ich von vornherein weiß, wie sie auf ein "Geständnis" reagieren würden. Da gehört der komplette Rest meiner Familie dazu.

Doch, einem guten (?) Freund hab ich es noch erzählt, wir kennen uns seit 15 Jahren. Seither setze ich ein Fragezeichen hinter diese Freundschaft. Und ich überlege seitdem zweimal, ob und wem ich etwas davon erzähle.

Viele Grüße
Lisa
Wer neues Land entdecken möchte, muss das sichere Ufer verlassen....

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon DonQuixote » 2. Juli 2015, 19:53

Hallo Mellchen

Mellchen hat geschrieben:Ich wüsste gerne, wen Ihr "eingeweiht" habt. Oder auch nicht. Macht es Sinn, vielen Menschen davon zu erzählen (wegen besagter Offenheit)? Ist es wichtig und hilfreich, dass das Umfeld Bescheid weiß, damit sie die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren? Oder ist es tatsächlich ein so persönliches und auch heikles Thema, dass man darüber so wenig wie möglich sprechen sollte?

Das ist individuell natürlich sehr unterschiedlich. Vielleicht kannst Du Dir Inspiration dazu in früheren Threads holen, die wir speziell zu diesem Thema schon hatten, z.B. hier oder hier.

DonQuixote

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Mellchen » 3. Juli 2015, 06:27

Hallo Ihr Lieben!

Donnerstag, Baclofen Tag 36: morgens 1,5, mittags 1,5, abends 1,5, nachts 1,5
getrunkene Menge: 0,0 l
Allgemeines Befinden: gut
Trinkverlangen: null

Eieiei, das mit dem Outing ist doch ein sehr umfassendes Thema. Seltsam, dass ich mich erst jetzt so richtig damit befasse.... (danke für die links!)
Wenn ich das aufdrösel, habe ich recht viel Glück. Beruflich ist es egal. Als freischaffende Künstlerin darf man eh ein wenig "gaga" sein, das wird fast schon erwartet. Narrenfreiheit. Teilweise könnte ich auch völligen Blödsinn von mir geben und die Leute fänden es diskussionswürdig. Die Bürojobs, die ich während der Durststrecken annehme, sind immer kurzweilig, so dass die Frage nach einem Outing hier gar nicht aufkommt.
Und ansonsten bin ich tatsächlich schon immer etwas verpeilt gewesen, schon als Kind. :-) Da fällt ein angeschickerter Zustand nicht extrem auf.
Privat habe ich folgende Erfahrung gemacht: die wenigen, die es aus meinem Bekanntenkreis wissen, haben im Grunde dieselbe Problematik - eine entspannende Flasche Wein jeden Abend o.ä.. In den Gesprächen waren sie sofort eher bei sich, und sind in eine recht seltsame Rechtfertigung gerutscht. Ich fand das ganz spannend. Es war so, als hätte ich etwas thematisiert, was ihnen im Grunde selbst klar ist, aber noch nicht wirklich als "anzugehendes Problem" wahrgenommen wurde. Ich spürte auch deutlich den Schock, denn immer kam dieses "so viel trinkst du doch gar nicht!". Und die Gedankenblase über ihren Köpfen "mensch, wenn die schon was dagegen tut, müßte ich aber auch!"
Das waren die Reaktionen meiner beiden Mädels. Zumindest die eine versucht jetzt auch etwas zu ändern und hat hier schon eine Menge gelesen. :-)
Der Dritte aus dem Bekanntenkreis, der besagte Trockene, hat mich noch auf der letzten Ausstellung besucht. Ganz bedauerliche Blicke, Mitleid pur. Aber das Gespräch, wegen dem wir uns Anfang der Woche treffen wollten, hat er ignoriert - ich habe nichts mehr von ihm gehört.
Familiär wissen es natürlich mein Mann und meine Mum. Das ist ok, auch wenn Mum natürlich immer alles besser und vor allem negativer weiß durch ihre Arbeit mit Suchtkranken.

Letztendlich kann es immer geschehen, dass wir uns jemandem öffnen und damit auf die Nase fallen. Es ist ganz normal, dass man sein Leid und auch die großen Veränderungen mit jemandem teilen will. Aber unterm Strich geht man den Weg doch allein. Der Weg aus der Sucht ist der Weg zu sich selbst. Und er verlangt uns alles ab an Reflektion, Selbstliebe, Mut und Beharrlichkeit. Trotz aller Widrigkeiten ist es der beste und intensivste Weg, den ich jemals gegangen bin.

Hallo Lisa!
Kreative Begründung! Da stellt auch keiner mehr Fragen!
"Wieso rechtfertigen weil ich nichts trinke?"
Eben! Aber vielleicht ist Alkohol derart fester und anerkannter Bestandteil unserer Gesellschaft, dass die meisten nicht verstehen, wenn jemand nichts trinkt - vor allem dann nicht, wenn er doch vorher (mit)getrunken hat. "Ach komm, du kannst wenigstens mit anstoßen!" wie oft hat man das schon gehört. Ich glaube, die Leute fühlen sich einfach wohler, wenn man mittrinkt. Denn - das ist meine Erfahrung - jeder, der ablehnt, weckt zumindest einen kurzen Gedanken. Man registriert das irgendwie und fühlt sich unwohl. sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Hallo Papfl!
Flucht nach vorne ist auf jeden Fall sehr mutig. Selbst dann, wenn es halt nicht anders geht. Dieser Rundumschlag hat viel für sich: so, jetzt wisst ihr Bescheid, macht euch was damit! Das kann schon sehr viel Druck nehmen, weil der ganze Verstell-Apparat weg fällt...

Das ist für's erste mein letzter Bericht, morgen geht es für eine Woche nach Dänemark. Und da ist es recht steinzeitlich ohne TV und PC... :-)
Ich wünsche Euch allen eine fabelhafte Woche!! Immer weiter durchhalten!!!
Liebe Grüße und Drücker,
Mellchen

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Re: Erfahrungsbericht von Mellchen

Beitragvon Papfl » 3. Juli 2015, 07:13

Moin Mellchen!

Mellchen hat geschrieben:Das ist für's erste mein letzter Bericht, morgen geht es für eine Woche nach Dänemark.

Na, da wünsch' ich doch gleich mal von ganzem Herzen viel Spaß und gute Erholung! Haste Dir verdient [clapping] !

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