Ein User namens Célestin hat in diesem französischen Forum einen interaktiven grafischen Baclofen-Rechner vorgestellt. In Absprache mit dem Autor habe ich das Programm auf Deutsch angepasst. Das Berechnungsverfahren beruht auf der sog. Pharmakokinetik, die Daten für das Medikament stammen aus der Produktbeschreibung des Herstellers (Lioresal, Novartis) respektive deren französischer Version. Das mathematische Modell hat Célestin diesem Kompendium entnommen (Ionen-Transport durch eine semipermeable Membran). Von diesen Membranen gibt es in der Rechnung zwei: Eine für die kontinuierliche Aufnahme des Medikamentes in den Körper und eine für den kontinuierlichen Abbau des Medikamentes durch den Körper. Beide Mechanismen wirken gleichzeitig und überlagern sich. Die Integral-Funktionen hat Célestin durch das Einteilen eines Tages in 240 Zeitscheiben à 6 Minuten simuliert.
Für das Berechnungsverfahren sind zwei Parameter ausschlaggebend:
- Zeit für die komplette Aufnahme des Wirkstoffes (Baclofen) und daraus hergeleitet die Halbwertszeit.
- Halbwertszeit für den Abbau des Wirkstoffes (Baclofen).
Für den ersten Parameter (Zeit für die komplette Aufnahme des Wirkstoffes) sind die Angaben des Herstellers (Novartis) weniger genau und schwanken zwischen 0,5 und 1,5 Stunden. Aus unzähligen Erfahrungsberichten schließt Célestin auf 1,5 Stunden als „besten“ Wert und daraus ergibt sich dann eben eine umgekehrte Halbwertszeit (= Verdoppelungszeit) von 26 Minuten.
Tönt kompliziert? Ja, ist es auch, das ist kein Hobby mehr, der Mann (Célestin) ist vom Fach. Ich habe ihn nicht gefragt, aber Statistiker oder Mathematiker, irgend so was in der Richtung wird er sein. Wer mal einen Blick auf die ausführliche Herleitung und Dokumentation seiner Berechnung werfen möchte, kann das hier tun.
Beide oben genannten Parameter könnt Ihr auch selber anpassen und eingeben, aber Ihr werdet sehen, dass das nicht die Welt ausmacht. Für das Arbeiten mit dem Excel-Programm müsst Ihr ActiveX und Makros zulassen. Wenn Ihr das nicht schon standardmäßig so eingerichtet habt, wird Excel Euch danach fragen. Bevor Ihr das Excel-Programm öffnet, müsst Ihr alle anderen Excel-Dateien schließen, sonst gibt’s manchmal auch Gemecker. Klicken auf den Button „Info“ zeigt weitere Informationen an, Klicken auf den Button „Reset“ setzt alle Ursprungswerte (Parameter) wieder zurück, außer Eure Dosierungen, die bleiben erhalten. Wenn Ihr Eure Lieblings-Dosierungen im Tagesverlauf eingetragen habt und die Excel-Datei abspeichern möchtet, dann müsst Ihr das im alten Format, d.h. Excel 97 – 2003 machen, sonst verknotet sich das Gebilde irgendwie.
Was macht das Programm? Ihr gebt Eure Medikamentendosis bei den vorgegebenen Uhrzeiten ein und danach wird automatisch das Wirkungsprofil grafisch dargestellt. Das ist sehr nützlich, wenn man die Uhrzeiten der Medikamenteneinnahme auf die typischen Craving-Zeiten oder auf Nebenwirkungen, insbesondere Müdigkeit, abstimmen will. Bei mir ist es Müdigkeit, und ich war extrem verblüfft, wie exakt das Programm über mich Bescheid wusste. Ich habe daraus die Konsequenzen gezogen und ab sofort meine Tagesdosis (zurzeit knapp 160 mg) auf acht einzelne Gaben aufgeteilt. Aber auch die sind nicht sämtlich gleich, ich habe an allen Schrauben gedreht, die ich finden konnte:
Bild oben: Vorher waren es drei Gaben, 50mg + 50mg + 56,25mg. Sehr schön zu sehen ist, wie ich den ganzen Tag mit Wirkungsgraden von 40 bis 50 rumhing, mit Spitzen bis 60 und etwas mehr.
Bild oben: Nun habe ich meine Dosis von 156,25 mg in acht(!) Gaben aufgeteilt. Resultat: Ich säusle mit einem sanften Wirkungsgrad von konstant 30 durch den Tag, erst um 22:30 steigt er auf 45 und um Mitternacht dann auf knapp über 60. Wie sich das bei mir genau auswirkt, kann ich nicht sagen, im Moment ist alles etwas durcheinander, an den zwei Tagen, an denen ich das bisher gemacht hatte, musste ich wegen anderer Umstände bis 05:00 Uhr wach bleiben. Früher war das ein Monster- Trigger, jetzt ging's ganz ohne Alkohol. Ok, bei acht Medikamentengaben, die dann noch jeweils unterschiedlich ausfallen, muss man verflixt aufpassen. Ohne Hilfsmittel (Handy-Wecker, Pillen-App etc.) geht das kaum.
Edit vom 08.07.2012: Diese Grafik ist eigentlich ein schlechtes Beispiel und verstößt gegen einen der weiter unten formulierten Grundsätze! Ich gebe zu bedenken, dass diese Umstellung auf acht(!) Einzelgaben zu einem Zeitpunkt erfolgte, als ich meine Höchstdosis (knapp 160 mg/Tag) bereits seit ca. neun Wochen nahm und das Ziel (Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol) längst erreicht war. Ich wage sogar die These, dass mir die Grafik eine Aussage erlaubt, wo meine zukünftige Erhaltungsdosis etwa liegen könnte. Schau‘n wer mal, weiteres dann in meinem eigenen Thread …Ende des Edits vom 08.07.2012
Wem nützt das Programm? Wie bereits gesagt allen, die die Medikamenteneinnahme besser auf ihre Craving-Zeiten und auf die Nebenwirkung „Müdigkeit“ (oder andere) abstimmen wollen. Für mich eine großartige Hilfe: Mit einem Blick auf das Diagramm sehe ich sofort, wie müde ich gerade bin *rofl*
Die Excel-Datei kann man hier downloaden.
DonQuixote
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Edit vom 08.07.2012:
- Ein paar Ergänzungen zum Modell an sich, hier nicht weiter gekennzeichnet oder hervorgehoben.
- Ergänzende Bemerkungen zu meiner zweiten Grafik, dort gekennzeichnet.
- Und dann noch nachstehende Überlegungen zu Sinn, Unsinn und Grenzen des Tools, was man damit anstellen kann und was nicht.
Nehmen wir einmal an, jemand nimmt seine Tagesration von z.B. 75 mg mit nur einer einzigen Gabe um z.B. 18:00 Uhr ein. Er hat damit zwar sein normales, jeweils regelmäßig und kurzzeitig auftretendes Craving um 20:00 Uhr abgedeckt, den Rest des Tages ist er aber unterversorgt. Auch wenn er über den Rest des Tages ansonsten kein Craving verspürt, wird die Therapie auf Dauer nicht erfolgreich sein.
Nehmen wir einen anderen Fall an, dass jemand seine Tagesration von ebenso 75 mg in zehn kleine Häppchen aufteilt, um Nebenwirkungen möglichst aus dem Weg zu gehen. Dieser Jemand bleibt ebenso unterversorgt und die Therapie wird ebenfalls scheitern.
Das führt mich dazu, einige Leitsätze zu formulieren, und um die zu verdeutlichen, setze ich sie in Quote:
DonQuixotes Leitsätze hat geschrieben:
- Baclofen soll über den Tag verteilt in drei bis vier Einzeldosen eingenommen werden.
- Den genauen Zeitpunkt und die Höhe der jeweiligen Einzeldosis wählt man auf Grund der individuellen Craving-Zeiten und auf Grund der erwünschten Minimierung von Nebenwirkungen, insbesondere Müdigkeit.
- Zwischen den Einzeldosen sollen in der Regel etwa drei Stunden oder mehr, allermindestens aber zwei Stunden liegen.
- Die höchste Einzeldosierung soll das Zwei- bis Dreifache der geringsten Einzeldosierung nicht überschreiten.
- Die jeweiligen Zeitpunkte der Einzeldosierung sollen mit größtmöglicher Genauigkeit eingehalten werden. Abweichungen, auch in der Höhe der Einzeldosen und der Tagesdosis, sollen vermieden werden.
Ihr habt‘s gemerkt: Ich schreibe immer „sollen“, nie „müssen“ oder „darf nicht“! Es gibt IMMER eine Ausnahme von der der Regel, die will aber gut begründet sein. Bei Punkt 5, jetzt bitte die Ohren spitzen, hätte ich eigentlich „müssen“ schreiben müssen. Für mich ist das ein ganz ZENTRALES Kriterium, warum viele Baclofen-Therapien scheitern, sei es bereits in der Anfangsphase oder dann im späteren Verlauf. Weiterführend hier …
Ende des Edits vom 08.07.2012
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