Renaud de Beaurepaire hat soeben einen neuen Fachartikel veröffentlicht:
- Die Anwendung von sehr hoch dosiertem Baclofen bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Eine Fallstudie mit mehreren Patienten.
Beaurepaire knüpft im Grunde an diesen seinen Fachartikel an, untersucht jetzt aber im Detail diejenigen Patienten-Dossiers, bei denen eine Dosis von mehr als 300 mg erforderlich war. Immerhin war das bei 17 % seines Patientenstamms der Fall. Der Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung RTU (namentlich erwähnt), mit einer verordneten Höchstdosis von 300 mg / Tag, aber auch in Richtung der unerwähnt gebliebenen klinischen Studie „ALPADIR“, mit einer Höchstdosis von lediglich 180 mg / Tag, ist wohl nicht zu übersehen. Nachstehend einige übersetzte Kapitel aus R. Beaurepaires Artikel. Zunächst das Kapitel „Introduction“ (Einführung):
Beaurepaire in Introduction hat geschrieben:Hoch dosiertes Baclofen hat bereits eindrücklich gezeigt, dass es einen Zustand der Gelichgültigkeit gegenüber Alkohol erzeugen kann (1). Die Frage hingegen, welche Dosis dazu erforderlich ist, bleibt umstritten. Allgemeine Empfehlungen gehen nicht über eine Dosierung von 75 – 80 mg / Tag hinaus (2,3) während indes Langzeitstudien zeigten, dass eine Dosierung von 250 oder 300 mg für den gewünschten Erfolg (Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol), oft notwendig ist (4, 5). Vor kurzem ließ die französische Agentur zur Überwachung der Medikamentensicherheit das Medikament Baclofen für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit zu (ministerielles Dekret vom 13. Juni 2014), beschränkte aber dabei die Höchstdosis auf 300 mg / Tag.
Im vorliegenden Bericht analysiert der Autor Patientenakten, bei denen sehr hohe Medikamentengaben von mehr als 300 mg / Tag für die Behandlung ihrer Alkoholabhängigkeit erforderlich waren, oder es noch sind. Seit 2008 verschrieb der Autor Baclofen an ungefähr 600 alkoholabhängige Patienten. Nachstehend werden die Daten der letzten 100 Patienten ausgewertet, welche mindesten sechs Monate in Behandlung standen. Zum Zeitpunkt der Betrachtung (Juli 2014), befanden bis auf einen (siehe Patient Nr. 14), alle anderen Patienten in Behandlung durch den Autor, die letzte Konsultation fand jeweils im Mai 2014 oder später statt. Unter diesen 100 Fällen gab es 17, welche mindestens einmal eine höhere Dosis als 300 mg / Tag gebraucht hatten. Weitere 7 Patienten erreichten die Schwelle von 300 mg / Tag, ohne diese jedoch zu überschreiten. Dies bedeutet, dass in der untersuchten Gruppe von Alkoholabhängigen 17 % der Patienten mehr als 300 mg / Tag und etwa ein Viertel der Patienten um die 300 mg / Tag benötigt hatten.
Die Behandlung war für alle Patienten gleich, d.h. eine Erhöhung der Dosis um 10 mg alle drei Tage bis zum Erreichen einer Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol (Unterdrückung des Cravings). Ab einer Dosis von 120 – 150 mg / Tag, falls diese noch nicht im gewünschten Ausmaß erfolgreich war, wurden die Patienten gebeten, selbst aktiv an der weiteren Dosissteigerung teilzuhaben. Insbesondere wurde ihnen erklärt, dass wenn sie keine hinderlichen Nebenwirkungen haben, sie die Dosis ohne Limit erhöhen sollen, solange sie noch Craving (Suchtverlangen nach Alkohol) verspüren. Sollten sie, die Patienten, nicht oder nur schwer erträgliche Nebenwirkungen erleiden, so wurde ihnen der Rat gegeben, die Dosissteigerung zu verlangsamen, oder die Dosis zu verringern, bis sich auch die Nebenwirkungen auf ein erträgliches Maß verringert hatten. Danach sollte die Dosis weiter gesteigert werden, dann eben in einer verminderten Geschwindigkeit als zuvor. Die Patienten wurden so an eine eigenverantwortliche Bestimmung ihrer individuellen Dosis herangeführt, ohne sie aus ärztlicher Sicht aus den Augen zu lassen. Monatliche Visiten und bei Bedarf auch telefonische Kontakte mit dem behandelnden Arzt fanden jederzeit statt.
Und dann als nächstes noch die Übersetzung des Kapitels „Discussion“ (Diskussion):
Beaurepaire in Discussion hat geschrieben:Diese retrospektive Analyse medizinischer Patienten-Dossiers zeigt auf, dass eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Alkoholabhängigen (hier 17 % von Hundert) eine Dosis von über 300 mg / Tag benötigt. Das bedeutet auch, dass diese Patienten in ihrer Therapie nicht wirklich von den Empfehlungen profitieren, wie sie die französische Agentur für die Überwachung der Medikamentensicherheit kürzlich ausgesprochen hat.
Die Daten weisen auch auf sehr unterschiedliche Umstände der hohen Dosierung hin. z.B. zu unangemessenen Situationen wie familiärer Druck (Patient Nr. 1), oder individuelle Impulsivität (Patient Nr. 14). Doch in den meisten Fällen rechtfertigte der Erfolg die hohe Dosierung.
Nebenwirkungen wurden bei allen Patienten beobachtet, mit Ausnahme von Patient Nr. 14, der solche nicht zu verspüren vorgab, woran man sicher Zweifel haben kann. Die Nebenwirkungen waren allgemein gering und harmlos. So ziemlich alle Patienten berichteten von Müdigkeit und/oder Schlafproblemen. Wobei die Schlafprobleme manchmal sehr ernster Natur waren. Die meisten Patienten hatten zwar zuvor schon Schlafprobleme, aber das Medikament Baclofen rief oft solche Schlafprobleme neu hervor oder verschlimmerte sie sogar. Andere, relativ harmlose Nebenwirkungen waren Übelkeit, Schläfrigkeit, Kopf- oder Muskelschmerzen, motorische Probleme, Empfindungen von Hirndruck („feeling of head crushing“), elektrostatische Missempfindungen („feelings of electric discharges“), visuelle Beeinträchtigungen, Beeinträchtigung der Libido, Aggressivität, vorübergehende Hypomanie, Parästesie, Tinnitus, Schwitzen, Krämpfe, Mundtrockenheit. Es gab vier Fälle von wirklich ernsten Nebenwirkungen:
Patient Nr. 8 litt unter Schlafwandeln, und dies schon lange vor der Behandlung mit Baclofen, doch das Medikament hatte diesen Zustand noch verschlimmert und führte sogar zu einem nächtlichen schlafwandlerischen Delirium, an dem er sich einen Fußknöchel brach. Zu der Zeit nahm der Patient eine Baclofen-Dosis von 370 mg / Tag ein und konsumierte 50 Gramm Alkohol pro Tag.
Patient Nr. 12 durchlebte eine Periode nächtlicher Delirien, begleitet von tagsüber bizarren stereotypen Verhaltensmustern, und eines Tages wachte er mit gelähmten Beinen auf. Die Notambulanz vermutete einen Schlaganfall und lieferte den Patienten in ein Spital ein. Wenige Stunden später konnte sich dieser jedoch wider von seinem Bett erheben. Alle kardiovaskulären und hirntomografischen Untersuchungen zeigten keine Auffälligkeiten. Der Patient nahm zu diesem Zeitpunkt eine Baclofen-Dosis von 210 mg / Tag zu sich und konsumierte über 300 (!) Gramm Reinalkohol. (Anm: Ausrufezeichen gesetzt von DonQ)
Bei Patient Nr. 13 entwickelte sich ein zunehmender Hang zu Depressionen. Selbstmordgedanken kamen zwar nicht auf, trotzdem muss man solche Gemütslagen, welche auch eine Nebenwirkung des Medikaments Baclofen sein könnten, sehr ernst nehmen. Natürlich ist eine Korrelation von Medikament (Baclofen) und solchen Gemütslagen nur schwer herzustellen.
Patient Nr. 14, wie bereits in seiner persönlichen Akte beschrieben, nahm eine einmalige, sehr ungewöhnlich hohe Dosis zu sich und berichtete dann von einem vorübergehenden Zustand einer Konfusion und einem Hämatom im Gesichtsbereich. Der Patient wurde in eine Notfallstation eingeliefert. Die genauen Umstände dieser ernsten Nebenwirkungen konnten jedoch nie abgeklärt werden.
Oh Mann, oh Frau, wie ich diese Übersetzungen aus dem Englischen hasse. Diese üble Sprache ist ja so was von ugly! Aber ich glaube es hat sich gelohnt. Dr. Renaud de Beaurepaire berichtet einmal mehr von den Möglichkeiten und Grenzen von Baclofen als Therapie-Option der Alkoholabhängigkeit.
DonQuixote