Papfl hat geschrieben:Nach @Willos letztem Beitrag stelle ich mir auch die Frage, ob „Heilung“ überhaupt die richtige Bezeichnung für das ist, was ein (ehemals) Abhängiger erreichen kann. Es geht wohl wirklich eher in Richtung „Remission“ (temporäres oder dauerhaftes Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw. psychischer Natur, jedoch ohne Erreichen der Genesung).
Für mich beschäftigen den Abhängigen zwei Fragen:
Die erste ist, darf ich wirklich nie wieder trinken? Das Ideal, wie man es auch hier häufiger erlebt lautet, mit der Baclofentherapie den Alkoholkonsum unter Kontrolle zu bringen um dann nach Bedarf trinken zu können oder auch nicht. Die Vorstellung "nie wieder" löst Panik aus. Ging mir selbst so, keine Frage. Die einzige Medizin herzugeben die hilft, verursacht Todesänsgte.
Das (eine) Ideal der Baclofen-Therapie ist, beim Erreichen der Abstinenz diese eher Jahre wir Monate zu halten, bevor man irgendwelche "Trinkversuche" startet. Die beiden Ideale führen immer mal wieder zu Zielkonflikten und Diskussionen. Haben wir hier öfter. (Vergleich: Ich werde total Verstrahlt in eine Entzugsklinik eingeliefert und das erste, was ich nach Wiedererlangen meiner Sprache erfrage ist: "Was meinen Sie, wann darf ich wieder Alkohol trinken?")
Die zweite ist, bin ich Alki? Warum? Siehe Frage 1. Ferner scheint hier für mich eine Selbststigmatisierung stattzufinden. Die Alkoholsucht ist peinlich und unangenehm wie Nagelpilz oder "Untenrumkrankheiten". Wenn ich dann einmal Alki war, bin ich dann immer Alki? Ist das wichtig? Nach Genesung, mit zeitlichem Abstand, wird das immer weniger peinlich. Man gewinnt Abstand.
Wenn man süchtig trinkt, ist man krank. Keine Frage. Was ist, wenn ich nicht mehr süchtig trinke? Nehmen wir mal die Laktoseintoleranz. Soweit die Betroffenen keinen Milchzucker zu sich nehmen, sind in der Regel wohl auch keine Beschwerden da. Sind die jetzt krank? Dann müssten ca. 75% der Weltbevölkerung "Milchkrank" sein. Keine Milch, keine Probleme. Eine "Alkoholunverträglichkeit" tragen auch viele von Haus aus mit sich rum und lehnen dankend ab. Keinen Alkohol, keine Probleme.
Ist Laktoseintoleranz eine Krankheit?
Dazu darf man die Begleiterkrankungen nicht unterschätzen. Wenn eine Depression oder Angststörung der Auslöser ist und diese wird erfolgreich behandelt, fällt der Grund zum Trinken weg. Wie ist dann das Suchtverhalten? Gar nicht? Mein Körper wehrt sich gegen eine sich anbahnende Vergiftung und verweigert die weitere Aufnahme von Einheiten dieser Substanz.
Keine Milch, keine Probleme. Keinen Alkohol, keine Probleme. Sicher kann beides blöd sein. "Keinen Alkohol" scheint aber nach wie vor gesellschaftlich das brennendere Problem zu sein. Ok, nach Milch haben die wenigsten Ausfallerscheinungen. Trotzdem. Ab und zu, wenn mir was Alkoholisches angeboten wird, lehne ich mit den Worten ab, ich habe eine Alkoholintoleranz. In diese Gesichter zu schauen ist köstlich.
"Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen,psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen." (WHO, 1946)
Insgesamt meine Meinung.
LG