Meilo stellt sich vor

Es wird eigentlich erwartet, dass sich Mitglieder vorstellen und ihre Lebensumstände schildern, damit die anderen in Etwa wissen, mit wem sie es zu tun haben und ihm dann auch besser helfen können.
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Lucidare
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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Lucidare » 30. Oktober 2017, 18:56

Also nochmal... in Kurzform.

Papfl hat geschrieben:Nach @Willos letztem Beitrag stelle ich mir auch die Frage, ob „Heilung“ überhaupt die richtige Bezeichnung für das ist, was ein (ehemals) Abhängiger erreichen kann. Es geht wohl wirklich eher in Richtung „Remission“ (temporäres oder dauerhaftes Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw. psychischer Natur, jedoch ohne Erreichen der Genesung).


Für mich beschäftigen den Abhängigen zwei Fragen:

Die erste ist, darf ich wirklich nie wieder trinken? Das Ideal, wie man es auch hier häufiger erlebt lautet, mit der Baclofentherapie den Alkoholkonsum unter Kontrolle zu bringen um dann nach Bedarf trinken zu können oder auch nicht. Die Vorstellung "nie wieder" löst Panik aus. Ging mir selbst so, keine Frage. Die einzige Medizin herzugeben die hilft, verursacht Todesänsgte.

Das (eine) Ideal der Baclofen-Therapie ist, beim Erreichen der Abstinenz diese eher Jahre wir Monate zu halten, bevor man irgendwelche "Trinkversuche" startet. Die beiden Ideale führen immer mal wieder zu Zielkonflikten und Diskussionen. Haben wir hier öfter. (Vergleich: Ich werde total Verstrahlt in eine Entzugsklinik eingeliefert und das erste, was ich nach Wiedererlangen meiner Sprache erfrage ist: "Was meinen Sie, wann darf ich wieder Alkohol trinken?")

Die zweite ist, bin ich Alki? Warum? Siehe Frage 1. Ferner scheint hier für mich eine Selbststigmatisierung stattzufinden. Die Alkoholsucht ist peinlich und unangenehm wie Nagelpilz oder "Untenrumkrankheiten". Wenn ich dann einmal Alki war, bin ich dann immer Alki? Ist das wichtig? Nach Genesung, mit zeitlichem Abstand, wird das immer weniger peinlich. Man gewinnt Abstand.

Wenn man süchtig trinkt, ist man krank. Keine Frage. Was ist, wenn ich nicht mehr süchtig trinke? Nehmen wir mal die Laktoseintoleranz. Soweit die Betroffenen keinen Milchzucker zu sich nehmen, sind in der Regel wohl auch keine Beschwerden da. Sind die jetzt krank? Dann müssten ca. 75% der Weltbevölkerung "Milchkrank" sein. Keine Milch, keine Probleme. Eine "Alkoholunverträglichkeit" tragen auch viele von Haus aus mit sich rum und lehnen dankend ab. Keinen Alkohol, keine Probleme.

Ist Laktoseintoleranz eine Krankheit?

Dazu darf man die Begleiterkrankungen nicht unterschätzen. Wenn eine Depression oder Angststörung der Auslöser ist und diese wird erfolgreich behandelt, fällt der Grund zum Trinken weg. Wie ist dann das Suchtverhalten? Gar nicht? Mein Körper wehrt sich gegen eine sich anbahnende Vergiftung und verweigert die weitere Aufnahme von Einheiten dieser Substanz.

Keine Milch, keine Probleme. Keinen Alkohol, keine Probleme. Sicher kann beides blöd sein. "Keinen Alkohol" scheint aber nach wie vor gesellschaftlich das brennendere Problem zu sein. Ok, nach Milch haben die wenigsten Ausfallerscheinungen. Trotzdem. Ab und zu, wenn mir was Alkoholisches angeboten wird, lehne ich mit den Worten ab, ich habe eine Alkoholintoleranz. In diese Gesichter zu schauen ist köstlich. [lol]

"Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen,psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen." (WHO, 1946)


Insgesamt meine Meinung.

LG
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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 30. Oktober 2017, 20:12

Hi Lucidare,
Lucidare hat geschrieben:Ab und zu, wenn mir was Alkoholisches angeboten wird, lehne ich mit den Worten ab, ich habe eine Alkoholintoleranz. In diese Gesichter zu schauen ist köstlich. [lol]

Das war sowas von klar. doppd :skl

Inhaltlich ist dein Beitrag ein guter Ansatz um den Umgang mit der Thematik zu erleichtern.
Vor allem macht er (wieder mal) deutlich wie stark sich die Begriffswahl auf die "gedankliche Auswertung" auswirkt.
"Seekrankheit" hätte auch gut dazugepasst.

LG

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Lucidare » 31. Oktober 2017, 09:57

Moin shelf,

shelf hat geschrieben:Vor allem macht er (wieder mal) deutlich wie stark sich die Begriffswahl auf die "gedankliche Auswertung" auswirkt.


Etwas was ich lernen musste, ist liebevoller mit mir selbst umzugehen.

Wer gegen sich selbst kämpft, läuft immer Gefahr sich selbst gleich mit niederzumachen.

Diplomatie mit mir selbst finde ich besser. Z. B. wird aus dem "Totalversagen" ein "eine derzeitige Krise, die doch die volle Aufmerksamkeit zu Lösung erfordert".

LG
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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 31. Oktober 2017, 10:58

Moin Lucidare,
Lucidare hat geschrieben:Etwas was ich lernen musste, ist liebevoller mit mir selbst umzugehen.

Wer gegen sich selbst kämpft, läuft immer Gefahr sich selbst gleich mit niederzumachen.

Diplomatie mit mir selbst finde ich besser. Z. B. wird aus dem "Totalversagen" ein "eine derzeitige Krise, die doch die volle Aufmerksamkeit zu Lösung erfordert".

das kann ich von Herzen bestätigen. Wer sich selbst zum Feind hat kann nur verlieren oder lebt in einem ständigen, aussichtslosen Kampf.
Meinereiner neigt beim Scheitern zu überzogenem Schwarzsehen. Mein erster Anlauf mit Bac ist (wie bei vielen anderen auch) jämmerlich in die Hose gegangen.
Ich dachte damals "jetzt ist alles aus, mir kann nichts helfen", denn ich lag ja "trotz Bac" wieder auf der Entgiftungsstation. Nach und nach dämmerte mir daß ich vielleicht nur zu wenig auf meinen Körper gehört oder die Signale falsch verstanden habe.
Also neuer Anlauf und diesmal mit Bedacht. Aha, SO geht's.

Wie ist es bei dir aktuell? Abstinent ohne Trinkwunsch? Zufrieden mit der Abstinenz?

LG

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Lucidare » 31. Oktober 2017, 14:32

Hi shelf,

shelf hat geschrieben:Wie ist es bei dir aktuell? Abstinent ohne Trinkwunsch? Zufrieden mit der Abstinenz?


Von totaler Abstinenz kann ich nicht sprechen. Nennen wir es sehr kontolliertes Trinken. Im Übrigen bin ich natürlich zufrieden, da das Thema Alkohol für mich im Moment gaaanz weit weg ist. Meine eigentliche Zufriedenheit wird jetzt durch andere Dinge bestimmt.

LG
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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 31. Oktober 2017, 16:58

Hi Lucidare,
Lucidare hat geschrieben:Von totaler Abstinenz kann ich nicht sprechen. Nennen wir es sehr kontolliertes Trinken. Im Übrigen bin ich natürlich zufrieden, da das Thema Alkohol für mich im Moment gaaanz weit weg ist. Meine eigentliche Zufriedenheit wird jetzt durch andere Dinge bestimmt.

Zwar mag ich den Begriff "kontrolliert" nicht, gehe aber bei dir (deiner Persönlichkeit wie du sie hier im Forum zeigst) davon aus dass du "Rauschtrinken" und "Regelmäßigkeit" damit ausschließt und da hört sich das durchaus solide an.
Daß totale Abstinenz nicht für jeden DER Weg sein kann ist unstrittig.
Mir selbst ist bisher noch kein Ereignis begegnet dass es wert gewesen wäre meine Abstinenz zu lockern, aber "nie" würde auch ich nicht sagen. Mir fiele auf Anhieb auch eine Situation ein wo ich eine Ausnahme machen würde.
Angenommen ein mir nahestehender Mensch läge im Sterben und sein/ihr letzter Wunsch wäre "ein letztes Gläschen" mit mir zu trinken - ich würde nicht zögern.
Zufriedenheit NUR durch Abstinenz (egal ob total oder nicht) wäre ein Golem auf tönernen Füßen.
Ich hatte mich zwar mal so ausgedrückt daß ich nur mit meiner Abstinenz zufrieden sei, nicht aber mit meinem Leben - aber das war so nicht ganz richtig denn wenn ich über mein Leben sagen kann "es ist ok, ich muß nur da...und dort...noch Hand anlegen" dann klingt das schon recht zufrieden.

So, und nun mein ganzer Text nochmal in Kurzform:

Freut mich! [good]

LG

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Luphan » 31. Oktober 2017, 17:46

Hallo alle zusammen,

shelf hat geschrieben:Genau andersrum. Die psychische Abhängigkeit hat (auch wenn es viel Zeit und Arbeit braucht) eine gute Chance auf Heilung. Bei der physischen Abhängigkeit führt das Beenden des Alkoholkonsums zu schweren Störungen im Organismus bis hin zu Organversagen, Kreislaufzusammenbruch und auch zum Tod. Es muß mit Hilfe von Substitution entgiftet werden.
Der "Kippunkt" (wo man nicht mehr aufhören kann) passiert erst bei erreichen einer individuellen Alkoholkonzentration, aber da dieser Individuelle Wert sich auch ändert kann der Betreffende nie genau wissen "noch ein Glas aber dann ist Schluß sonst...". Es gibt da also nur eine Form des bewußten Umgangs mit Alkohol und zwar "nicht in meinen Körper" - Abstinenz.

So rum wie du es mir jetzt schilderst kann ich das nachvollziehen!

Bei der physischen Abhängigkeit bin ich nur von mir ausgegangen und habe nicht über meinen Tellerrand geschaut!

In etwas so ähnlich wie du hier:

shelf hat geschrieben:Dazugelernt hab ich auch gleich noch - erst nochmal gründlich nachdenken ob es nur um "mich und wie mich" geht oder ob es "uns alle" betrifft - und dann tippen.

War mir bisher auch nicht bewusst, das das Beenden der Alkoholzufuhr Gefahren nach sich ziehen kann. Ein weiteres Glas führt evtl. zum Tod, davon habe ich natürlich schon gehört und gelesen.

In meinem Falle, also wenn ich deine oder meine Aussage nur auf mich beziehe, dann würde meine Reihenfolge wieder stimmig sein.

Lucidare hat geschrieben:Wenn man süchtig trinkt, ist man krank. Keine Frage. Was ist, wenn ich nicht mehr süchtig trinke? Nehmen wir mal die Laktoseintoleranz. Soweit die Betroffenen keinen Milchzucker zu sich nehmen, sind in der Regel wohl auch keine Beschwerden da. Sind die jetzt krank? Dann müssten ca. 75% der Weltbevölkerung "Milchkrank" sein. Keine Milch, keine Probleme. Eine "Alkoholunverträglichkeit" tragen auch viele von Haus aus mit sich rum und lehnen dankend ab. Keinen Alkohol, keine Probleme.

Ich finde dieses Vergleich sehr gut Lucidare!

Insgesamt eine sehr schöne und auf sehr hohen Niveau gehaltene Diskussion.

Freue mich darüber wirklich sehr!

Deshalb lese ich auch so gerne die alten Erfahrungsberichte und die alten Beiträge aus dem Internen-Forum. Die waren voll von Diskussionen.

Ruhig mehr davon!

Luphan
"Es ist einfach Feeling pur, ich will die negativen Gedanken vertreiben, wie Schmutz um es als Vergleich von mir wegstreichen. Muss die Stimme dämpfen, diesen Text beenden und euch bitten nicht nach jedem Satz Kritik an mich persönlich zu wenden."

Mein Tagebuch: => Luphan und sein Weg mit Baclofen =<

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 31. Oktober 2017, 22:46

Hallo Luphan,
Luphan hat geschrieben:
shelf hat geschrieben:Genau andersrum. Die psychische Abhängigkeit hat (auch wenn es viel Zeit und Arbeit braucht) eine gute Chance auf Heilung. Bei der physischen Abhängigkeit führt das Beenden des Alkoholkonsums zu schweren Störungen im Organismus bis hin zu Organversagen, Kreislaufzusammenbruch und auch zum Tod. Es muß mit Hilfe von Substitution entgiftet werden.
Der "Kippunkt" (wo man nicht mehr aufhören kann) passiert erst bei erreichen einer individuellen Alkoholkonzentration, aber da dieser Individuelle Wert sich auch ändert kann der Betreffende nie genau wissen "noch ein Glas aber dann ist Schluß sonst...". Es gibt da also nur eine Form des bewußten Umgangs mit Alkohol und zwar "nicht in meinen Körper" - Abstinenz.

So rum wie du es mir jetzt schilderst kann ich das nachvollziehen!

Bei der physischen Abhängigkeit bin ich nur von mir ausgegangen und habe nicht über meinen Tellerrand geschaut!

In meinem Falle, also wenn ich deine oder meine Aussage nur auf mich beziehe, dann würde meine Reihenfolge wieder stimmig sein.

Luphan hat geschrieben:Damit wäre für mich die Physische heilbar und die Psychische nicht oder?

Ich versuch es erstmal ganz grob zu ordnen, weiter unten dann detaillierter.

Die Physische läßt sich leichter, und vor allem sehr schnell, STOPPEN und damit inaktiv setzen aber nicht HEILEN.
Um sie inaktiv zu HALTEN ist Abstinenz erforderlich. Auch hier muß die Abstinenz nicht "total" sein, eine Lockerung stellt jedoch ein erhebliches Risiko dar, da bereits ein Konsum unterhalb der "Unbedenklichkeit" die physische Abhängigkeit reaktivieren kann.

Die Psychische erfordert bedeutend mehr Zeit und Arbeit an sich selbst, kann aber durch "verlernen" des süchtigen Trinkens geheilt werden. Hier ist Abstinenz nicht zwingend erforderlich solange nicht erneut Missbrauch betrieben und dadurch eine erneute Sucht / psychische Abhängigkeit aufgebaut wird.
In diesem Fall würde der Betreffende "wieder krank" (das Ziel hinter dem Missbrauch ist "anders"), oder "ist es noch" (das Ziel hinter dem Missbrauch ist "wie gehabt").
"Anders" zB in dieser Form: vormals = schlechte Stimmung vertreiben / neu = körperliche Schmerzen betäuben

Jetzt detaillierter.

Bei meinen stationären Entgiftungen habe ich viele unterschiedliche Konstellationen gesehen / mir von Betroffenen berichten lassen. Ich ordne sie mal der Einfachheit halber in 3 "Gruppen" ein innerhab derer noch nahezu unendlich viele "Schwerestufen" existieren.

a) (fast) ausschließlich psychisch abhängig
b) physisch UND psychisch abhängig
c) (fast) ausschließlich physisch abhängig

Typischer Anfang der Suchtentwicklung:
Gruppe a: Gezielt (nach "Vorbild") Probleme "weggetrunken" oder bei (noch normalem) Konsum bemerkt daß Probleme dadurch kleiner erschienen, stärker werdender Wunsch nach Wiederherstellung des "leichten Gefühls", Toleranzbildung, Dosissteigerung...

Gruppe c: Auffällig viel vertragen, "Spaßtrinken" und meist ohne Rausch, konnte es jederzeit auch sein lassen - bis der Körper es "verlangte" um zu funktionieren, "Spiegeltrinken"...

Gruppe b: "Mischung" aus a und c mit unterschiedlich starken Ausprägungen der beiden Komponenten

Im Folgenden beziehe ich mich auf einen "kalten" Entzug, also ohne Substitution.

Gruppe a zeigt (nahezu) keine körperlichen Entzugserscheinungen, ist aber einer immensen psychischen Belastung ausgesetzt. Ängste, Panik, Depressionen etc bis hin zum dauerhaften Realitätsverlust und (fast) völligem Fehlen bewußter Interaktion (im Stationsslang "ferngesteuert" / "Zombie"...)

Gruppe c zeigt leichte bis extrem starke körperliche Entzugserscheinungen, Zittern, Herzrasen, Krämpfe etc bis hin zu Organversagen und Tod

Gruppe b zeigt Entzugserscheinungen der Gruppen a UND b in unterschiedlicher Kombination und Stärke

Delir kann bei allen 3 "Gruppen" auftreten.

Ist der Entzug überstanden hat Gruppe c die klarste Vorgabe für den weiteren Weg - Abstinenz.
Da hier der psychische Druck RELATIV gering ist besteht bereits mit leichter medikamentöser Unterstützung eine gute Chance die Abstinenz zu erhalten.

Für Gruppe a wird es komplizierter. Abstinenz ist nicht zwingend, kann aber zu Anfang das "Verlernen" des süchtigen Verhaltens erleichtern. Der psychische Druck sehr stark! Die Betreffenden benötigen in der Regel daher deutlich stärkere medikamentöse Unterstützung

Für Gruppe b wird es noch schwieriger. Abstinenz ist dringend angeraten um die physische Abhängigkeit inaktiv zu halten. Zugleich muß das süchtige Verhalten "verlernt" werden.
Hier kann der psychische Druck sogar noch stärker sein als bei Gruppe a , weil noch Ängste hinzukommen (mögliche Reaktivierung der physischen Abhängigkeit durch einen "Ausrutscher").
Auch hier ist in der Regel eine stärkere medikamentöse Unterstützung nötig als bei Gruppe c.

Alle 3 Gruppen benötigen zusätzlich Gesprächs- / Verhaltenstherapien individuell unterschiedlicher Intensität und Dauer. Bei allen 3 Gruppen müssen Erkrankungen die durch den Missbrauch verschleiert wurden aufgedeckt und behandelt werden.

Die DAUER DER NOTWENDIGKEIT der einzelnen Therapieformen läßt sich unmöglich vorhersagen, das kann von wenigen Wochen bis lebenslang sein.

So stellt es sich (vereinfacht) aus meiner Sicht dar.
Natürlich gibt es auch einen Weg ohne Medikation (siehe AA), darauf gehe ich nicht ein denn ich halte nichts von "Selbstgeißelung".
Ich räume aber ein daß auch dieser Weg besser ist als aufzugeben.

LG

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Luphan » 1. November 2017, 18:58

Hallo shelf,

vorab mein Respekt was dein "allgemeines" Wissen betrifft!

Ich selbst war noch nie zur Entgiftung, habe aber selbst kleine kalte Entzüge machen müssen. ist Jetzt mehr als drei Jahre her, aber ich kann mich an die Zeit noch gut erinnern, sie stammt noch aus meinem Vorstellungsbericht.

Zu der Zeit war ich examinierter Altenpfleger und hatte immer Früh- und Spätdienste, bis ich dann für zwei Jahre freiwillig in den Nachtdienst gegangen bin. Vorher konnte ich spätestens Abends meinen Alkohol trinken. Als ich in die Nachtdienste wechselte, änderte sich bei mir alles!

Arbeitsbeginn war um 20:15 und Arbeitsende war am Folgetag um 06:45.

Für mich war das Problem dabei, das ich bis 20:15 nichts trinken konnte und auf Arbeit natürlich auch nicht. Darüber hinaus, hätte ich mich das nie gewagt!

Mein Craving fing dann aber bereits gegen 16 Uhr an und gegen 20:00 ging auch schon der Entzug los. Das habe ich genau 7 Nächte durchgehalten und danach hatte ich wieder 7 Tage frei.

Aber meine Sucht war da und ich musste irgendwas gegen Craving und Entzug machen. Also habe ich am Folgetag morgens nach der Abreit einfach getrunken. So bis gegen 11 Uhr und habe dann bis 19 Uhr geschlafen. So hatte ich kein Craving mehr und kein Entzug und mein Problem war damit gelöst.

Es gabe dann nur noch 2x im Monat einen Tag mit Entzug. Nach den 7 Tagen frei, dann rein in die Nachtschicht!

Deshalb ordne ich mich selbst mal in die Gruppe "b" ein:

shelf hat geschrieben:Bei meinen stationären Entgiftungen habe ich viele unterschiedliche Konstellationen gesehen / mir von Betroffenen berichten lassen. Ich ordne sie mal der Einfachheit halber in 3 "Gruppen" ein innerhab derer noch nahezu unendlich viele "Schwerestufen" existieren.

a) (fast) ausschließlich psychisch abhängig
b) physisch UND psychisch abhängig
c) (fast) ausschließlich physisch abhängig

Ich hatte und habe beides!

Habe da oben mehr geschrieben als ich wollte. War aber echt eine schlimme Zeit gewesen die zwei Jahre. Erst durch die Selbstständigkeit hatte ich wieder "normale" Arbeitszeiten, also keine Nachtdienste...

shelf hat geschrieben:Alle 3 Gruppen benötigen zusätzlich Gesprächs- / Verhaltenstherapien individuell unterschiedlicher Intensität und Dauer. Bei allen 3 Gruppen müssen Erkrankungen die durch den Missbrauch verschleiert wurden aufgedeckt und behandelt werden.

Ich selbst habe keine Gesprächs- oder Verhaltenstherapie wahrgenommen!

Ob der Bedarf da ist, kann ich nicht sagen, warum ich getrunken habe?

Das weiß ich selbst ziemlich genau!

Sonst muss ich aber noch was loswerden @shelf:

Woher weißt du das eigentlich alles?

Gruß

Luphan
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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon DonQuixote » 1. November 2017, 20:54

Hallo @shelf, @Milo & @all

shelf hat geschrieben:Ich ordne sie mal der Einfachheit halber in 3 "Gruppen" ein innerhalb derer noch nahezu unendlich viele "Schwerestufen" existieren.
a) (fast) ausschließlich psychisch abhängig
b) physisch UND psychisch abhängig
c) (fast) ausschließlich physisch abhängig
Den Rest zitiere ich nicht.

Erst mal Danke, @Shelf, für Deine Reflexionen. Bei der Abhängigkeit von Suchtstoffen (z.B. Alkohol), gibt es tatsächlich multiple physische und psychische Komponenten. Eine „Physische Abhängigkeit“ kann man allerdings nicht mit Entzugssyndromen gleichsetzen, wie Du das machst. Unser @Papfl hat die Unterschiede zwischen „Physischer“ und „Psychischer“ Abhängigkeit in einem oft zitierten und viel beachteten Beitrag vor langer Zeit herauszuarbeiten versucht. Alkoholismus ist eine Krankheit, darüber ist sich die Fachwelt inzwischen seit sehr langer Zeit einig. Über die Ursachen und mögliche Heilmethoden weiß man leider noch zu wenig Bescheid. Jedenfalls ist eine Unterscheidung in Deine Gruppen „a) b) c)“ jetzt nicht unbedingt hilfreich. Ich verweise da auch immer gerne auf die US-Amerikanische Gesellschaft für Suchtmedizin (ASAM), und die beschreibt die „Sucht“ jedenfalls so:

ASAM hat geschrieben:Sucht ist eine grundlegende und chronische Hirn-Erkrankung der Belohnungs-, Motivations-, Gedächtnis- und verwandter Systeme.
(Quelle …)

Soweit also so gut, oder eben so schlecht. Baclofen hilft jedenfalls, diese „chronische Hirn-Erkrankung der Belohnungs-, Motivations-, Gedächtnis- und verwandter Systeme“ auf einer (Hirn-) physiologischen Ebene in Schach zu halten. Um den Rest müssen sich die Patienten und Therapeuten dann halt selbst kümmern.

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon Lucidare » 1. November 2017, 22:07

Hi DonQ,

der Admin ist wieder da! [shok] Also alle Mäuse von den Tischen. [mocking]

Ne, ernsthaft. Ich finde diese Diskussion zu einem in @Meilos Thread jetzt nicht wirklich angebracht. Ist ja @Meilos Faden. Zum anderen finde ich sie aber auch sehr wertvoll.

Besteht die Möglichkeit des Verschiebens ab einer gewissen Stelle hierhin:

einmal-alki-immer-alki-t1526.html#p17908

Fragt

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 1. November 2017, 22:13

Hallo DonQuixote,
DonQuixote hat geschrieben:Unser @Papfl hat die Unterschiede zwischen „Physischer“ und „Psychischer“ Abhängigkeit in einem oft zitierten und viel beachteten Beitrag vor langer Zeit herauszuarbeiten versucht. Alkoholismus ist eine Krankheit, darüber ist sich die Fachwelt inzwischen seit sehr langer Zeit einig. Über die Ursachen und mögliche Heilmethoden weiß man leider noch zu wenig Bescheid. Jedenfalls ist eine Unterscheidung in Deine Gruppen „a) b) c)“ jetzt nicht unbedingt hilfreich. Ich verweise da auch immer gerne auf die US-Amerikanische Gesellschaft für Suchtmedizin (ASAM) und die beschreibt die „Sucht“ jedenfalls so:

ASAM hat geschrieben:Sucht ist eine grundlegende und chronische Hirn-Erkrankung der Belohnungs-, Motivations-, Gedächtnis- und verwandter Systeme.
(Quelle …)

Soweit also so gut, oder eben so schlecht. Baclofen hilft jedenfalls, diese „chronische Hirn-Erkrankung der Belohnungs-, Motivations-, Gedächtnis- und verwandter Systeme“ auf einer (Hirn-) physiologischen Ebene in Schach zu halten. Um den Rest müssen sich die Patienten und Therapeuten dann halt selbst kümmern.

Trotz mehrmaligem, aufmerksamen Lesens konnte ich keinen Widerspruch zwischen meinem Beitrag und den Ausführungen von @Papfl oder der "definition of addiction" (ASAM) erkennen.
Sie ergänzen eher einander, je nach dem welche Information benötigt wird.

Die Ansicht daß Baclofen den Weg aus der Sucht, in jeder Form und Ausprägung, erleichtern kann teile ich vorbehaltlos.
Daß Placebos in Studien vorübergehend Wirkung zeigten weil der Betreffende sich diese (verständlicherweise) herbeigesehnt hat und Baclofen in Studien nicht half (kein Wunder bei unangepasster Dosierung) stellt für mich keinen Gegenbeweis dar.

LG

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon DonQuixote » 1. November 2017, 22:40

Hallo Shelf

Shelf hat geschrieben:Trotz mehrmaligem, aufmerksamen Lesens konnte ich keinen Widerspruch zwischen meinem Beitrag und den Ausführungen von @Papfl oder der "definition of addiction" (ASAM) erkennen.

Es geht im Grund um dies:

Shelf hat geschrieben:c) (fast) ausschließlich physisch abhängig.

Und dann weiter:

Shelf hat geschrieben:Gruppe c zeigt leichte bis extrem starke körperliche Entzugserscheinungen, Zittern, Herzrasen, Krämpfe etc bis hin zu Organversagen und Tod

Was ich sagen wollte ist dies: Nicht nur die „Gruppe c“ ist „physisch abhängig“, sondern alle „Gruppen“ haben möglicherweise mit einer negativen physischen Disposition (Hirnkrankheit?) zu kämpfen. Eine Schwere der Abhängigkeit, d.h. eine „Gruppe c“ nur daran festzumachen, dass sie „Entzugserscheinungen“ hat, und dass deshalb nur sie (die Gruppe c) „physisch abhängig“ sei, führt möglicherweise am Ziel vorbei.

Meint DonQuixote

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Re: Meilo stellt sich vor

Beitragvon shelf » 2. November 2017, 17:28

Hallo DonQuixote,
DonQuixote hat geschrieben:Es geht im Grund um dies:

Shelf hat geschrieben:c) (fast) ausschließlich physisch abhängig.

Und dann weiter:

Shelf hat geschrieben:Gruppe c zeigt leichte bis extrem starke körperliche Entzugserscheinungen, Zittern, Herzrasen, Krämpfe etc bis hin zu Organversagen und Tod

Was ich sagen wollte ist dies: Nicht nur die „Gruppe c“ ist „physisch abhängig“, sondern alle „Gruppen“ haben möglicherweise mit einer negativen physischen Disposition (Hirnkrankheit?) zu kämpfen. Eine Schwere der Abhängigkeit, d.h. eine „Gruppe c“ nur daran festzumachen, dass sie „Entzugserscheinungen“ hat, und dass deshalb nur sie (die Gruppe c) „physisch abhängig“ sei, führt möglicherweise am Ziel vorbei.

nein, die "Gruppe c" ist (von den 3 "Gruppen") "am wenigsten psychisch abhängig" - so wie die "Gruppe a" (von diesen 3 "Gruppen") "am wenigsten physisch abhängig". Das ist dieselbe Aussage wie:
shelf hat geschrieben:a) (fast) ausschließlich psychisch abhängig
b) physisch UND psychisch abhängig
c) (fast) ausschließlich physisch abhängig


Daß "Gruppe a" und "Gruppe c" am wenigsten übereinstimmende Entzugssymptome zeigen bestätigt lediglich die "Zugehörigkeit" zur jeweiligen "Gruppe".

LG


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