Hallo erst mal.
Hier noch die zweite Aussage von Dr. Renaud de Beaurepaire welche häufig hinterfragt und kommentiert wurde:
DonQuixote hat geschrieben:2. In der Regel, jedenfalls bei den von ihm betreuten Personen, bedürften die Patienten keiner Psychotherapie. Es gebe sicher Ausnahmen, wenn z.B. ein Wille oder ein Nutzen zum Ausstieg aus der Sucht nicht klar erkennbar sei. In allen anderen Fällen reiche die simple und verständnisvolle Einnahme des Medikaments (01:04:49).
Den Vortrag
gibt’s hier bei Youtube. Der Vortrag von Dr. Renaud de Beaurepaire dauert von Minute 00:05 bis 38:38. Danach, und bis Minute 1:19:33, werden Fragen aus dem Publikum beantwortet, unter Mitbeteiligung auch von Fr. Dr. Annie Rapp. Um obige Aussage von Dr. Renaud de Beaurepaire in einen etwas größeren Zusammenhang zu stellen, übersetze ich das Video integral von Minute 50:15 bis 1:05:40.
Vortrag Dr. Renaud de Beaurepaire hat geschrieben:50:15 / Frage einer Dame aus dem Publikum: „Guten Tag, ich heiße XY und leite ein risikominierendes Präventionsprogramm für Jugendliche. Ich habe drei Fragen die ich Ihnen stellen möchte. Als erstes würde ich gerne wissen, denn ich bin weder Ärztin noch Neurologin, ob Sie mir ein paar Erklärungen zum physiologischen Zusammenwirken von Baclofen und Gehirn geben könnten? Man sagte mir immer, dass der Körper nie vergisst, dass also die Sucht lebenslang besteht und man deshalb nie mehr wieder trinken dürfe. Diese Prämisse wird ja durch Baclofen komplett in Frage gestellt. Wie lässt sich das auf der Ebene Gehirn ↔ Medikament erklären? Auch in Bezug auf andere Drogen oder Tabak, denn wenn die Suchtmechanismen dieselben sind, könnte Baclofen dann auch dort angewendet werden? 51:17 / Meine zweite Frage dreht sich um ein Thema, welches heute Morgen von Frau Annie Rapp bereits angesprochen wurde, nämlich um eine komplementäre psychotherapeutische Behandlung. Soviel ich weiß geht ja die zunächst psychische Abhängigkeit später in eine physische Abhängigkeit über. Wenn Baclofen gegen die physische Abhängigkeit angewendet wird, ist es dann nicht fundamental notwendig, das ist jetzt eine ganz wertneutrale Frage, parallel dazu auch eine psychologische Betreuung durchzuführen? Ich bin Psychologin und Therapeutin für Alkoholprobleme, ich weiß nicht, ob ich das bereits erwähnte, diese Frage interessiert mich also schon rein beruflich. 52:06 / Meine dritte Frage: Ich würde gerne wissen, ob es unter Ihren jetzigen oder ehemaligen Patienten welche gibt, die nach Jahren der Abstinenz von Baclofen hörten und das jetzt versuchen möchten, mit der Absicht, wieder Alkohol trinken zu können. Danke.“
52:30 / Beaurepaire: „Also die zweite Frage (Anm. DQ: komplementäre psychotherapeutische Behandlung) überlasse ich Annie [Rapp]. Bist Du [Seitenblick zu Annie Rapp] einverstanden? Ich werde also auf die erste Frage antworten. Die dritte ist ein wenig seltsam. Fragten Sie, ob jemand wieder Baclofen nimmt um wieder trinken zu können?“
52/49 / Dame: „Zum Beispiel: Ich bin ehemalige Patientin, seit zwei Jahren abstinent, konsumiere also keinerlei Alkohol mehr. Wenn man mir also die Möglichkeit gäbe, wieder richtig „geheilt“ zu werden, ein Begriff der bis anhin ja so nicht verwendet wurde, man war „stabilisiert“ aber nicht „geheilt“. Also wenn man mir die Möglichkeit gäbe, Dank dieses Medikaments von Zeit zu Zeit wieder Alkohol zu trinken, haben Sie Anfragen, die auf so etwas abzielen?“
53:23 / Beaurepaire: [Seitenblick zu Annie Rapp] „Annie, hast Du schon einmal eine solche Anfrage gehabt? [Geste von Annie Rapp nicht im Bild, wahrscheinlich aber Nein]
53:26 / Dame: „Oder was würden Sie davon halten?“
53:29 / Beaurepaire: „Das ist ein etwas spezieller Fall. Ich antworte jetzt auf die erste und dritte Frage gleichzeitig, denn das scheint mir in der Tat irgendwie alles miteinander verwoben. Die erste Frage, Sie haben sie gestellt, ist die, wo es um das „Suchtgedächtnis“ ging. Das heißt, es gibt eine Erinnerung an Erfahrungen und Vergnügen mit einem Suchtstoff. Diese möchte man gerne wieder haben. Diese Erinnerungen haben sich im Gehirn eingeprägt, ich weiß nicht, vielleicht im limbischen System, und dann passiert es, dass durch äußere Reize Erinnerungen an solche Erfahrungen wach gerufen werden und man möchte das damals erlebte wiedererfahren. Darauf gründet sich die psychische Abhängigkeit. Diese ist in allgemeinen sehr sehr stark. Sie ist sehr stark für den Alkohol, aber möglicherweise noch stärker in Bezug auf Nikotin. Es gibt sehr viele Erfahrungen mit ehemaligen Rauchern, die mit unterschiedlichen Methoden aufhörten, aber es genügt eine einzige Zigarette, beim Alkohol ist es ein einziges Glas, und alles beginnt von vorn. Das heißt, dass eine einmalige Wiedereinnahme des Suchtstoffes alle Erinnerungen an das Vergnügen wieder in Gang setzt und die Sucht wieder da ist. Deshalb unterscheidet man zwei verschiedene Abhängigkeiten, die psychische und die physische. Über die physische haben wir heute Morgen gesprochen, das heißt all die Symptome die Auftreten, wenn man eine Droge absetzt, die sind störend, schmerzhaft, dauern aber nicht sehr lange. Die klassischen Entzugs-Kuren dauern ein bis drei Wochen und nach drei Wochen geht man davon aus, dass keine physische Abhängigkeit mehr besteht. Die psychische Abhängigkeit hingegen, d.h. diese Erinnerung, dauert sehr sehr lange an, auch in unterschiedlicher Intensität, je nach Person. Das hat auch einen Zusammenhang mit der Möglichkeit, Baclofen nach einer bestimmten Zeit abzusetzen, wovon wir vorher schon gesprochen haben. Personen mit einer hohen psychischen Abhängigkeit müssen Baclofen lange einnehmen und abstinent bleiben, bis die Verknüpfung von äußereren Reizen mit dem Bedürfnis nach Vergnügen verschwindet. Bei Personen die nicht rückfällig werden heißt das, im Allgemeinen, dass eine psychische Abhängigkeit nicht mehr besteht. Deshalb denke ich, dass man Baclofen über mehrere Jahre einnehmen muss, bis die psychische Abhängigkeit überwunden ist. Aber das ist von Person zu Person unterschiedlich.“
53:21 / Dame: „Gut. Aber heißt das jetzt, dass man diese psychische Abhängigkeit behandeln muss, da Baclofen ja nur die physische Seite abdeckt?“
56:28 / Beaurepaire: „Im Wesen jeder Erinnerung liegt es, zu verschwinden. Das ist ein Grundprinzip der Neurophysiologie.“
56:34 / Dame: „So lange sie nicht wieder stimuliert wird. Ist das richtig?“
56:37 / Beaurepaire: „Damit eine Erinnerung nicht verschwindet, muss sie reaktiviert werden. Wenn jemand Baclofen nimmt, wirklich genesen möchte, eine reele Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol hat, die Behandlung weiterführt, macht er das so lange wie die Erinnerung noch da ist. Bis die Erinnerung an das Vergnügen mit der Droge verschwunden ist, weil genau das wird geschehen. Die Personen welche die Einnahme von Baclofen einstellten und nicht rückfällig werden, sagen mir, wenn ich sie mal wieder sehe: „Ich nehme kein Baclofen mehr, ich kann Alkohol gegenüber sitzen, auch mal ein Glas davon trinken, ohne dass mir das etwas ausmacht. Ich hege nicht mehr den Wunsch, die Erfahrungen von damals zu wiederholen.“ Es handelt sich also um eine psychische Erinnerung, welche verschwunden ist. Es ist sehr gut möglich, dass Ihnen Annie Rapp sagen wird, dass dieser Prozess durch eine Psychotherapie positiv unterstützt wird, daran zweifle ich nicht, aber der physiologische Prozess des Entstehens, des Fortschreibens und des Verschwindens von Erinnerungen ist ein Vorgang in sich und bedarf nicht notwendigerweise einer Psychotherapie.“
57:48 / Beaurepaire: „Deshalb kann ich hier auch zu Ihrer dritten Frage verknüpfen. Angenommen eine Person, die seit dreißig Jahren nichts getrunken hat, und sich jetzt sagt: Toll, ich kann mit Baclofen wieder trinken und damit aufhören wann ich will! Das war doch Ihre Frage, oder nicht?“
58:00 / Dame: „Ganz genau.“
58:02 / Beaurepaire: „Das ist eine Person, bei der die Erinnerung an Alkohol und das damit verknüpfte Vergnügen noch vorhanden ist. Ich erachte sie als noch nicht vollständig geheilt. Sie müsste, auch dreißig Jahre danach, weiterhin Anstrengungen für die Beibehaltung ihrer Abstinenz erbringen.“
[Ein Zwischenruf aus dem Publikum. Nicht verständlich]
58:22 / Beaurepaire: „Ich meine …, Ja, bestimmt kann Baclofen, immer vorausgesetzt dass es bei der Person funktioniert, ein Mittel zur Erlangung von …, d.h. zum Kurzschließen des Willens sein. Bestimmt.“
Irgendwie für einige Sekunden ein toter Moment jetzt im Vortrag. Dr. Renaud de Beaurepaire blickt sich mehrmals nach links und nach rechts um. Auch ich als Video-Zuschauer bin etwas ratlos. Fr. Dr. Annie Rapp ergreift das Mikrofon:
Vortrag Dr. Renaud de Beaurepaire hat geschrieben:58:44 / Rapp: „Also, ich komme jetzt nochmals darauf zurück. Unter meinen Patienten die ich als geheilt einschätze, gibt es 43 %, welche nur Baclofen bekommen haben und in Gesprächen über die sachgemäße Einnahme aufgeklärt wurden. Vielleicht auch noch ein kleines bisschen psychologische Begleitung. 34 % erhielten zusätzlich zu Baclofen eine Psychotherapie. Sie sehen also, dass ich mehr Patienten habe, die ohne meine subtile [grinst] und professionelle psychotherapeutische Hilfe gesund geworden sind als solche mit Psychotherapie. Voilà. So denke ich, dass eine Psychotherapie - die verschiedenen Formen sind da gleichwertig, sie funktionieren alle sehr gut wenn der Therapeut mit seiner Methode vertraut ist – nicht unbedingt für Alle absolut erforderlich ist. Aber auch hier muss man differenzieren: Die meisten meiner Patienten führen ein völlig selbständiges Leben. Es sind sehr wenige Personen dabei, die weitergehend durch suchtmedizinische Einrichtungen betreut werden und eine schwere Suchtvergangenheit aufweisen. Mit diesen, die dann von mir betreut werden wollten, hatte ich nur sehr wenig Erfolg, d.h. nur zwei Prozent positive Resultate, wenn sie durch ihren Alkoholismus schwer geschädigt waren. Sie benötigen die umfassende Unterstützung, welche die suchtmedizinischen Einrichtungen zu geben in der Lage sind. Es ist sehr schade, dass diese Einrichtungen Baclofen nicht in ihr Repertoire aufnehmen, denn sie würden sehen, dass ihre Erfolgsquoten damit anstiegen. Es ist also nicht das Eine oder das Andere [Anm. DQ: Medikament / Psychotherapie] sondern Beides.
1:00:31 / Moderator: Er knüpft hier an und erläutert die jüngst veröffentlichte offizielle Haltung zu Baclofen der beiden Französischen suchtmedizinischen ärztlichen Fachvereinigungen. Das übersetze ich jetzt nicht.
1:03:22 / Rapp: „Ich möchte noch etwas anmerken: Einer der Gründe warum ich Baclofen zu verschreiben begann, ist der Umstand, dass ich bemerkt hatte, dass diejenigen Patienten, welche zusätzlich Antidepressiva nahmen, viel schnellere Fortschritte machten als die anderen. Die gleichzeitige Gabe dieser beiden Medikamente erleichtert die psychologische Arbeit sehr. Wenn die Person entspannter, ruhiger ist, arbeitet sie in der Psychotherapie besser mit, folgt besser den Ratschlägen, und so geht das in eine gute Richtung.“ [Anm. DQ: Zusammenhang und Logik dieses Absatzes, vor allem der einleitende Satz: „Einer der Gründe warum…“ erschließt sich mir jetzt nicht ganz. Aber Fr. Dr. Annie Rapp hat das wirklich so gesagt.]
1:04:01 / Beaurepaire: „Für mich gilt es zwei Dinge zu nuancieren: Zunächst gibt es in der Tat alle diese Antidepressiva. Vielleicht hast Du das so bemerkt [Zu Fr. Dr. Annie Rapp], bei mir war das nicht der Fall. Gut, ok. Ich selbst habe nicht festgestellt, dass Patienten mit Antidepressiva besser auf Baclofen reagieren. Überhaupt nicht. [Unverständlicher Einwand Fr. Dr. Annie Rapp]. Ach so, sie reagieren besser auf die Psychotherapie. Dann habe ich das falsch verstanden. Ich würde noch etwas Zweites sagen wollen, um zuvor Gehörtes zu nuancieren. Man kann das zwar nicht verallgemeinern, aber für die Mehrheit der Patienten ist Alkoholismus die Hölle. Die simple Tatsache, dieser Hölle zu entkommen, ist besser als irgendeine Psychotherapie. Im Allgemeinen, jedenfalls bei den Patienten die ich habe, das sind vielleicht nicht die gleichen wie bei Dir [zu Fr. Dr. Annie Rapp gewandt], und die gut auf Baclofen ansprechen, bedürfen, [wiederholt es] „im Allgemeinen“, keinesfalls einer Psychotherapie. Es kommt vor, dass gewisse Personen das benötigen, solche, die nicht sehr gut auf Baclofen ansprechen, bei denen man einen veritablen Zwiespalt gegenüber des Gedankens an eine Genesung erkennt, die dazu nicht wirklich gewillt sind und sehr am Alkohol hängen etc. Dort ist eine Psychotherapie sehr wohl angezeigt. Aber für die, die seit 10, 15, 20 Jahren die Hölle des Alkohols durchleben und sich jeden Tag sagen, ich MUSS aufhören, ich WILL aufhören, und ich KANN nicht mehr, und dann trotzdem weitertrinken, wiegt die simple Tatsache, mit dem Trinken aufzuhören, mehr als jede Psychotherapie der Welt.“
Das war’s jetzt erst mal. Einen kurzen Kommentar meinerseits gibt’s dann später.
DonQuixote