Liebe Alle,
nachdem meine Liebste ja in den letzten Tagen bereits einiges zu den ersten Erfahrungen des Baclofen-Experimentes hier geschrieben hat:
erfahrungsberichte/tag-bis-tag-erste-uberwiegend-positive-eindrucke-t1082.html, möchte nun auch ich mal ein paar Sätze formulieren zu den Hoffnungen, Ängsten und Unsicherheiten, die mich in derselben Zeit so umgetrieben haben. Einerseits vielleicht, um es für mich selbst durch das Durchdenken und die Ausformulierung etwas klarer zu fassen zu bekommen, andererseits natürlich immer auch in der Hoffnung, vielleicht etwas Rat und neue Perspektiven durch eure Erfahrungen und Blickwinkel zu erschließen.
Also, kurz und knapp, nach den tendenziell positiven Erfahrungen der ersten Tage gab es diese Woche einige Rückschläge. Auch Gründe für Optimismus, aber in den letzten Tagen eben auch allerlei, was nicht so geklappt hat, wie es wünschenswert wäre. Das begann vor drei Tagen, mit dem Abendessen, das Maria in ihrem Beitrag schilderte und das im Komplettabsturz mit mehreren Flaschen endete. Das ärgerte mich an diesem Abend sehr, weil es so absehbar war - es gab ein, zwei Wochen vorher eine ähnliche (wenngleich noch wesentlich schlimmer ausgegangene) Situation um einen Clubbesuch herum, der sehr böse endete: wir hatten vorher lange darüber diskutiert, dass das vielleicht an diesem Abend und in dieser Phase der versuchten Problemlösung nicht die weiseste Entscheidung war, sich einer Situation mit so hohem Risiko des (Immer-Weiter-)Trinkens auszusetzen, aber in beiden Fällen fiel die Entscheidung dann gegen die "Vernunft". Nun, das vorletzte Mal lief es auf einen mehrere Tage andauernden und ziemlich schlimmen kalten Entzug hinaus, diesmal klappte das mit dem Aufhören nach einem Exzess schon besser. Da ist also sicherlich, hoffentlich schon eine erste Wirkung von Baclofen zu erkennen - allerdings dann auch wiederum noch nicht wesentlich weit über die Abmilderung hinaus, die dann jedenfalls hilft, die komplette Eskalation zu vermeiden, die aber auch den "Trinkstop" noch nicht zulässt.
Am nächsten Tag und jedenfalls bis gestern ging es dann nämlich mit dem Trinken durchaus noch weiter: Wir trennten uns am Mittwochnachmittag für einige Zeit, und in welcher Menge dann weitergetrunken wurde, weiß ich nicht, aber als wir uns etwa 5 Stunden später wiedersahen, war meine Liebste dann doch wieder sehr wahrnehmbar alkoholisiert. (Ganz so viel wie mitunter zuvor freilich kann es an dem Nachmittag auch wiederum nicht gewesen, da der Alkoholtest am nächsten Mittag in der Suchtambulanz nur etwa 0,1 Promille ergab, der Restalkohol also jedenfalls in der Nacht Zeit hatte, sich abzubauen, was ein klarer Fortschritt zum letzten Mal vor knapp zwei Wochen war. Jedenfalls haben wir uns in jener Nacht zwischenzeitlich recht heftig gestritten, wie es angesichts des leidigen Themas auch immer wieder vorkam in den letzten Monaten. Ich bin dann zunächst wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt - naja, halb gestürmt, halb als Trotzreaktion gegen meine Vorwürfe gegangen worden -, und war dann zwei Stunden abwesend, bevor wir uns dann doch noch im Gestus der Versöhnung wieder zusammengefunden und die Nacht, wie ursprünglich geplant, gemeinsam verbracht haben. Der größte Anlass zur Hoffnung für mich liegt dann auch in dieser Zeit der Abwesenheit, weil sie ja im Grunde ein so klassischer Trigger ist. Sich verlassen fühlen, Angst und auch Wut empfinden -> in den Spätkauf um die Ecke gehen und eine Flasche Wein kaufen. (Den vom Vorabend noch in der Wohnung vorhandenen Alkohol, in dem Fall Rum, hatte ich zuvor noch in der Küchenspüle "entsorgt".) Das ist aber hier, erstmals vielleicht in unserem gemeinsamen Kampf um ein gemeinsames Leben, so ausgeblieben. Als ich zwei Stunden später, zu schon sehr vorgerückter nächtlicher Stunde, zurückkam, empfing sie mich nicht betrunkener, sondern spürbar nüchterner, was ich als einen deutlichen Schritt in die richtige Richtung empfand. (Dass es dann gestern, wie sie in ihrem Beitrag - gestern haben wir uns nach dem mittäglichen Arzt-Termin nicht mehr gesehen - schrieb, doch wieder ein Liter Wein war, dämpfte diese Euphorie dann wieder ein wenig, löscht sie aber als fortwährenden Hoffnungsschimmer nicht aus.)
Was mich nun eigentlich vor allem umtreibt, das ist die umfassende Unsicherheit, wie ich eigentlich auf solche Situationen reagieren müsste, sollte - und auch: kann. Es ist ja nun so, dass wir, vor der Entdeckung von Baclofen und dem Experiment damit, schon einige Versuche unternommen haben, mit der Sucht "auf eigene Faust" fertigzuwerden. Mit Phasen kompletter Abstinenz und unterschiedlichen Versuchen des kontrollierten Trinkens, mit einem sehr ähnlichen Verlauf: auf eine Phase des Nicht- oder Wenigtrinkens (meist eine Woche, ab und zu auch etwas länger) folgte die Rückkehr zum Alkoholkonsum, erst in halbwegs überschaubaren Mengen, dann ziemlich rapide ansteigend bis zum Absturz und einer heftigen Trinkphase, die meist etwa eine Woche dauerte und zuletzt zu immer schwierigeren Entzugsphasen führte. Dieser Ablauf ist also für mich sehr angstbesetzt, und das Worst Case Scenario schwebt mir zur Zeit einfach ständig vor Augen, dass es auch jetzt wieder so ablaufen könnte. Ich will mich nun von dieser Angst, die ich aber natürlich nicht völlig abstellen kann, nicht zu sehr leiten lassen, und schon gar nicht mit dem Ergebnis, dass ich dadurch den Druck auf meine Liebste so erhöhe, dass es noch schwieriger für sie wird. Und um diese Balance ringe ich derzeit fortwährend: Wo ist der Punkt, an dem ich genügend Halt und Unterstützung gebe, um auch die unausweichlichen Rückschläge auf einem schwierigen Weg gemeinsam auszuhalten, wozu ich fest entschlossen bin? Und setze trotzdem ausreichend Grenzen, um einerseits den Tricks, die das Gehirn im Suchtmodus spielen mag - also etwa: einen ersten getanen Schritt auf einem noch langen Weg schon als akzeptables Ziel wahrzunehmen und deshalb zum Stehenbleiben, also: Weitertrinken zu verführen, "weil es ja immerhin schon weniger schlimm ist als zuvor" - einen entschiedenen Riegel vorzuschieben. Und andererseits aber auch einen Umgang mit den Folgen der Sucht zu finden, der für mich selbst aushaltbar ist.
Denn es ist ja nun so, dass bei aller Kraft, Liebe und Unterstützung, die ich geben möchte, all das auch für mich wahnsinnig schwierig ist. Durchwachte Nächte, häufige Rückschläge, und nicht zuletzt auch die Tatsache, den geliebten Menschen in Leid und Schmerz und Verzweiflung zu erleben, ohne ihm konkret helfen zu können - all das laugt ja auch mich ungeheuer aus, und in jenen Trinkphasen, in denen es für mich dann ja letztlich auch keine Möglichkeit gibt, meine Liebste vom Trinken abzuhalten, muss ich mich allein schon deshalb auch distanzieren, weil sonst sehr bald die Kraft, die ich geben kann und möchte und die wir wohl noch brauchen werden, zur Neige zu gehen droht. Es gab eine solche Situation recht akut nach der "Entzugswoche" vor Baclofen: solange es sein musste, habe ich funktioniert, habe so weit es irgend möglich war, Halt, Liebe und Kraft gegeben - um dann, als das Ärgste überstanden war, wie ein Kartenhaus in mich zusammenzufallen. Davor muss ich dann auch nicht nur mich, sondern gerade auch uns schützen - weil auch dieses Abstürzen meinerseits natürlich wieder neue Ängste und Traurigkeiten, also Trigger, verursachen kann. Um also hier das Entstehen eines neuen Kreislaufs zu verhindern allein schon muss ich da entschieden darauf achten, mich nicht allzu oft bis an diesen Punkt des Nichtmehrkönnens auszupowern.
In diese Richtung geht nun etwa auch die Forderung, mit der ich Maria zuletzt konfrontierte: nämlich, wann immer wir zusammen sind, gar nicht mehr zu trinken. Bis auf weiteres, einerseits weil ich, ohne dass jedenfalls eine längere Abstinenzphase dem zuvorging, nur sehr schwer an einen gemäßigten, eben nicht mehr dem Zwang unterworfenen Konsum glauben kann, und andererseits, weil es mir schlichtweg inzwischen sehr, sehr schwer fällt, einigermaßen angstfrei auch dieses berühmte, angestrebte "eine Glas Wein" zum Essen, zum Feierabend oder zum Genuss, zur Kenntnis zu nehmen. Wenn das irgendwann tatsächlich geht, und Baclofen scheint da ja durchaus Anlass zur Hoffnung zu geben, dass das möglich sein könnte, dann umso schöner, und dann bin ich der Erste, der sich mit meiner Liebsten darüber freut und der mit ihr glücklich ist über diesen Zustand. Aber im Moment ist das einfach so angstbesetzt für mich, dass ich mich in solchen Situationen massiv unwohl fühle und das Gefühl habe, mich vor diesem Unwohlsein selbst schützen zu müssen, indem ich diese Regel für die gemeinsam verbrachte Zeit aufstelle. Die ist also weniger als Verbot oder gar als Besserwisserei gedacht, sondern dient mehr dem Selbstschutz vor permanenter unterschwelliger Angst. Das so auch zu kommunizieren ist aber natürlich nicht einfach.
Was mich nun natürlich brennend interessieren würde, wären Hinweise, Anmerkungen, Empfindungen von Mitlesenden, die vielleicht auch schon in Partnerschaften mit der Sucht umgehen mussten - gerade wenn diese sich mit all den Reaktionen, die ich zuletzt so gezeigt habe, mit Angst, Wut, auch Vorwürfen, mit Forderungen oder Bitten, angesichts eines liebenden und helfenwollenden, aber mitunter auch schlicht hilf- und ratlosen Partners auch schon konfrontiert sahen. Ich würde einfach von euch gern wissen, was euch in solchen Situationen am besten tat - was hilft euch, wenn es so ist, und was macht alles, auch wenn es in bester Absicht gesagt oder getan wird, nur eher noch schwieriger?
Soviel vielleicht erst einmal, es ist ja ohnehin schon ein halber Roman geworden.
In weiterhin guter Hoffnung für die Zukunft und mit den allerherzlichsten Grüßen!
Jochen