Es muss endlich aufhören

Es wird eigentlich erwartet, dass sich Mitglieder vorstellen und ihre Lebensumstände schildern, damit die anderen in Etwa wissen, mit wem sie es zu tun haben und ihm dann auch besser helfen können.
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Hannah2018
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Es muss endlich aufhören

Beitragvon Hannah2018 » 25. Mai 2018, 14:31

Hallo zusammen,
vielen Dank für die Aufnahme. So, dann will ich mich auch mal vorstellen. Ich bin 34 Jahre alt und trinke eigentlich schon mein halbes Leben Alkohol. Allerdings war ich der Meinung, bislang immer alles im Griff zu haben. Bis vor 3 Jahren ungefähr. Da kam vieles zusammen: alleinerziehende Mama und die Doppelbelastung Job/Kind haben mich aus der Bahn geworfen. Ich habe angefangen, mir mein Leben schön zu trinken und bald darauf auch in Stresssituationen zum Glas zu greifen. Inzwischen bin ich das was man einen Spiegeltrinker nennt, an schlechten Tagen starte ich schon morgens mit einer halben Flasche Sekt. Ich kann und will so nicht mehr weiter machen und hoffe inständig auf (m)ein Wunder mit Hilfe von Baclofen. Inzwischen sehe ich keinen anderen Ausweg mehr. :(

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Papfl
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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon Papfl » 25. Mai 2018, 14:38

Hallo Hannah2018!

Herzlich willkommen im Forum [hi_bye] ! Schön, dass Du da bist [smile] .

Die besten Erfolge erzielt man mit Baclofen, wenn man abstinent beginnt. Wer das nicht schafft, kann auch - vorausgesetzt, der tägliche Alkoholkonsum ist nicht zu hoch - zweigleisig fahren. Das heißt, den Alkohol langsam ausschleichen und Baclofen parallel dazu langsam gemäß Leitfaden für die Anwendung bzw. den auf die jeweilige Tablettenstärke zugeschnittenen Dosierungstabellen hier im Forum einschleichen. Bitte den Alkohol nicht abrupt absetzen, da dies gefährlich sein kann (Stichworte: Krampfanfall, Delir).

Generell gilt: Baclofen langsam in kleinen Schritten aufdosieren, bis erste Nebenwirkungen auftreten oder das Craving verschwindet. Die Nebenwirkungen sind häufig "nur" erhöhte Müdigkeit oder ein bisschen "Neben-Sich-Stehen"...also nichts Weltbewegendes.

Dann auf dieser Stufe (bei der die ersten Nebenwirkungen aufgetreten sind) verharren. In der Regel verschwinden die Nebenwirkungen nach wenigen Tagen wieder. Besteht nach wie vor Craving ("Trinkverlangen"), dann sollte die Dosis - nachdem die Nebenwirkungen abgeklungen sind - langsam weiter gesteigert werden, bis erneut Nebenwirkungen auftreten. Dann wieder innehalten und so weiter [schritte] .

Irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem die Nebenwirkungen auch nach ein oder zwei Wochen nicht mehr verschwinden. Etwas unterhalb liegt dann die ideale individuelle Erhaltungsdosis. Im Idealfall pendelt es sich so ein, dass man bei der idealen persönlichen Erhaltungsdosis kein oder kaum Craving ("Trinkverlangen") und keine oder kaum Nebenwirkungen hat.

Baclofen ist natürlich keine Wunderpille, die man schluckt und alles wird von alleine gut. Das Medikament kann aber die ständigen Gedanken an Alkohol und das unbändige Verlangen, das über kurz oder lang dazu führt, dass Betroffene wieder zur Flasche greifen MÜSSEN, eindämmen.

Die Idee, die hinter der Baclofen-Therapie steht, ist

a) über die "Beruhigung" der GABA-B-Rezeptoren langfristig einen ausgeglichenen, entspannten, relaxten Zustand herzustellen, damit extreme Stress-Situationen, Spannungen, Ängste und Verstimmungen, die einen zur Flasche greifen lassen, gar nicht erst aufkommen und

b) das körperliche Verlangen nach Alkohol (physisches Craving) einzudämmen, um die zwanghafte Komponente des abhängigen Trinkens ein Stück weit auszuschalten.

Baclofen schlägt einem das Glas also nicht aus der Hand, aber es kann Betroffenen die Entscheidungsfreiheit zurück geben: Im Idealfall MUSS man nicht mehr zwingend trinken, weil man gegen das Verlangen machtlos ist. Man KANN sich wieder frei entscheiden, ob man trinken möchte, oder ob man es lieber lässt. Stattdessen braucht es dann natürlich andere Alternativen, die einem das geben, was bislang der Alkohol geleistet hat. Belohnung, Entspannung, "Kicks", "Glücksgefühle", Hemmungslosigkeit, Ausschalten von Ängsten, etc...Alkohol kann viele Funktionen übernehmen.

Das ist dann die eigentliche "Arbeit an sich selbst", an der über kurz oder lang niemand vorbei kommt. Dafür kann Baclofen den Kopf frei machen - nicht mehr, aber auch nicht weniger [smile] .

Näheres zum Thema Craving und der Wirkungsweise von Baclofen findest Du hier. Was die Baclofen-Therapie von der traditionellen Suchttherapie unterscheidet, wird hier erklärt. Ganz interessant ist auch die Erklärung, warum Baclofen kein Alkoholersatz ist.

Einen ersten Überblick rund um das Medikament bietet unsere Rubrik Baclofen erste Schritte, konkreter im Baclofen-Arztkoffer und Alles Wichtige auf einen Blick. Genaueres zur Dosierung und Therapie findest Du im Leitfaden für die Anwendung oder in den auf die jeweilige Tablettenstärke zugeschnittenen Dosierungstabellen hier im Forum.

Lesenswert und aufschlussreich ist auch der Artikel "Ist Alkoholsucht doch heilbar?", den man auch online im PTA-Forum finden kann.

Da wir unsere Arztadressen aus naheliegenden Gründen nicht öffentlich rausgeben, möchte ich Dich bitten, @DonQuixote (er verwaltet unsere Arztadressen) kurz mit einer Privaten Nachricht (PN) anzuschreiben und ihm Deinen Wohnort samt Postleitzahl mitzuteilen. Er wird sich dann bei Dir mit allen Infos melden.

Einen guten Start wünscht
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

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shelf
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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon shelf » 25. Mai 2018, 15:38

Hallo Hannah2018,

ich gehörte (vor Baclofen) selbst zu den Spiegeltrinkern.
Daher meine Frage...
Hannah2018 hat geschrieben:an schlechten Tagen starte ich schon morgens mit einer halben Flasche Sekt

...wie ist es an den "besseren" Tagen?
Trinkst du da auch gleich früh, aber weniger? Oder fängst du erst später an?
Wenn später dann "wie viel Später" (ca. Stunden)?

Baclofen ist in jedem Fall einen Versuch wert!

Spiegeltrinker sollten aber auf keinen Fall versuchen mit Baclofen die Trinkmenge zu reduzieren wenn zu
befürchten ist dass schwere (insbesondere körperliche) "Entzugserscheinungen" auftreten können.


LG

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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon Hannah2018 » 25. Mai 2018, 20:45

Lieben Dank Papfl für die ausführliche Antworten und den Willkommensgruß! Ich habe mich schon vor ein paar Monaten mit dem Thema beschäftigt, aber die inneren Hürden schienen einfach zu groß. Nun stehe ich mit dem Rücken wieder einmal an der Wand und weiß einfach, dass ich es ohne fremde Hilfe nicht schaffen werde. Daher danke für die vielen Tipps und hilfreichen Denkanstöße.

Shelf, auch dir danke für deine Nachricht. An guten Tagen trinke ich gar nicht, das kommt aber nur 3-4 Mal im Monat vor. Ansonsten bin ich schon ‚stolz‘ wenn ich nur abends eine Flasche Wein trinke. Durch den stetigen Konsum stecke ich das auch einigermaßen gut weg, schlimm sind die Tage, an denen ich mich mehr oder weniger benebelt durch den Tag manövriere. Fataler Weise funktioniere ich nach außen hin mit Alk viel besser, bin selbstbewusster im Job und privat. Das ‚Aushalten‘ von Stress und emotionalen Tiefpunkten ohne meinen Freundfeind Alkohol wird eine der größten Herausforderungen auf meinem Weg.

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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon shelf » 25. Mai 2018, 22:07

Hallo Hannah2018,

das klingt doch schon mal hoffnungsträchtiger.
Ein "echter" Spiegeltrinker" mit körperlicher Abhängigkeit kann nicht "mal eben" auf Alkohol verzichten.

Dass dir das gelingt ohne Schaden zu nehmen (auch wenn es nur selten ist) wird deinen Weg wesentlich erleichtern.
Im anderen Fall wäre eine stationäre Entgiftung ratsam (bis unumgänglich) gewesen.

Arbeite die von @Papfl verlinkten Infos sorgfältig durch und frag uns ruhig Löcher in den Bauch. [smile]

Deine Befürchtungen in Sachen Stress und emotionale Belastungen sind verständlich.
Du wirst jedoch feststellen, dass Baclofen durch seine gabaerge Wirkung (hier ganz gut erklärt)
deinem Hirn die Möglichkeit (wieder) eröffnet solche Eindrücke nicht "überzubewerten".
Es wird NICHT an dir abperlen, aber du wirst dich nicht (oder zumindest wesentlich weniger) hineinsteigern.

LG

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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon Hannah2018 » 25. Mai 2018, 22:21

Danke Shelf, ich werde mir alles gründlich durchlesen.
Und um Missverständnissen vorzubeugen: der erste Tag des Entzugs ist nie wirklich einfach. Nur dank Magnesium halten sich die Zitter-Krämpfe in Grenzen. Aber ab dem zweiten Tag geht es dann schon wieder, deshalb habe ich selbst auch große Hoffnung. Wie verrückt ist das eigentlich?! Jeder erste Tag vom Entzug ist so viel anstrengender und kraftraubender, als einfach ein paar Wochen durchzuhalten. Und trotzdem schafft man es nicht. Wie dumm, oder? Drück mir die Daumen, ich werde auf jeden Fall berichten. Liebe Grüße, Hannah

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shelf
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Re: Es muss endlich aufhören

Beitragvon shelf » 25. Mai 2018, 22:52

Hannah2018 hat geschrieben:Jeder erste Tag vom Entzug ist so viel anstrengender und kraftraubender, als einfach ein paar Wochen durchzuhalten. Und trotzdem schafft man es nicht. Wie dumm, oder? Drück mir die Daumen, ich werde auf jeden Fall berichten. Liebe Grüße, Hannah


Liebe Hannah,

sich gegen etwas nicht wehren zu können weil keine "geeignete Waffe" verfügbar ist, ist keineswegs dumm.

Zu sagen: "Was denn, machen andere doch auch - ja es ist Scheiße, aber das ganze Leben ist Scheiße - also ist das für mich ok"... DAS wäre dumm. [smile]

Zu wissen, dass es zumindest möglich ist macht doch schon Mut, oder?
Also Kopf hoch, und los. Klar artet das in Arbeit aus, aber der Lohn dafür ist...
(trotz meines nicht unerheblichen Wortschatzes konnte ich nichts finden was im Ausdruck "gewaltig" genug ist)
Vielleicht vergleichbar: "Mit dem Teufel Fangen gespielt und am Ende doch entkommen."?

[good_luck]

LG


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