Guten Morgen, liebes Tagebuch:)
APunkt hat geschrieben:So, in knapp sechs Wochen ist es so weit, ich werde 50. Statt eines roten Porsche mit Zierblondine schenke ich mir zu diesem Anlass die Abstinenz. Es war ja erklärtes Ziel meiner Therapie, bis zu diesem Tag eben die Abstinenz erreicht zu haben, und ich bin auf gutem Wege dahin. Der Alkoholkonsum ist in einem Maße zurückgegangen, dass man es wohl auch dabei belassen könnte, aber irgendwie drängt sich vermehrt die Frage auf: warum überhaupt noch?
Noch zwei Tage.
Zeit, Bilanz zu ziehen, damit der Countdown unbelastet ist.
Ich komme von unbehandelt etwa einem Kilogramm Reinalkohol pro Woche. Meine Fresse, ich hab' s jetzt dreimal nachgerechnet, weil ich es nicht glauben kann: viermal die Woche 12 Pullen Bier sind 24 Liter. Stimmt doch, oder? Mal 5% Alkoholgehalt sind 1,2 Liter Reinalkohol, mit einer Dichte von 0,8 kommen wir also auf 0,96 Kilogramm reinsten Alkohol. Mein Gott.
Da ich Baclofen in höherer Dosierung nur sehr schlecht vertrage, kommen für mich maximal 37,5 mg Baclofen pro Tag als Hilfe infrage. Damit ist es mir gelungen, meinen Alkoholkonsum auf - realistisch - ein Viertel der Ausgangsmenge zu reduzieren. an den Rest, meine "Kernabhängigkeit", komme ich noch nicht dran. Das ist Mist, und das stinkt mir gewaltig.
APunkt hat geschrieben:Zu diesem Zwecke werde ich also - in gut christlicher Tradition - 40 Tage und Nächte in die Wüste ziehen, sozusagen, dabei werde ich mir auch nochmal leichte Baclofen-Unterstützung gönnen, und das Thema Alkohol dann endgültig begraben.
Ich habe diese vierzig Tage genutzt, um noch einmal klar die Ziele zu definieren und die Hindernisse auf dem Weg dorthin zu benennen. Ich habe versucht, diesen Restkonsum mit Hilfe kontrollierten Trinkens zu kanalisieren, vielleicht zu reduzieren und musste feststellen, dass dies nicht mein Weg sein kann. Ich habe keine Kontrolle über den Alkohol. Punktum. Das mag mal einen Tag gelingen, auch mal vier oder fünf Tage, aber dann brechen alle Dämme. Wenn ich trinke, dann trinke ich, und ich muss mir beim besten Willen nicht einreden, dass der eine Tag mit kontrolliertem Konsum mehr wert sei, als die darauf folgende Woche mit totalem Kontrollverlust.
Ich will damit nicht in Abrede stellen, dass es für eine Gruppe von Abhängigen ein Weg ist, damit klarzukommen. Ist ok. Ich gehöre zur anderen Gruppe.
Und damit ist das Ziel klar: Abstinenz ohne Wenn und Rhabarber.
Lieber nehme ich ein paar ehrliche Rückfälle in Kauf und nenne sie auch so, als mir einzureden, ich hätte alles unter Kontrolle und die leeren Flaschen unterm Schreibtisch das Normalste der Welt. Quatsch ist das. Eine Kontroll-Illusion, weiter nichts.
Das Körkel-Programm, dass ich mir vor einem Jahr gekauft habe, liegt im Altpapier, der Rest Alkohol, der im Haus ist, kommt heute in den Ausguss und dann ist Sense. Alles andere hat für mich keinen Zweck.
Was sind die Hindernisse? Zum einen offenbar meine verkorkste Hirnchemie, ich werde Baclofen also wieder auf 37,5 aufdosieren (aktuell 12,5). Meine Angst, die nach wie vor da ist: Versagensangst, Verlustangst. Das muss man benennen, und da muss ich dran. Ein halbes Jahr gebe ich mir noch, mal schauen, was daraus wird, wenn ich wirklich abstinent lebe. Wenn das dann immer noch lebensbestimmend ist, dann gibt's eine Therapie, dafür sind die Profis ja da.
Das nächste Hindernis war die Einbildung, vielleicht doch irgendwie "normal" trinken zu können, das haben wir jetzt wohl abschließend geklärt, siehe oben.
Auf der Positivliste steht einiges mehr, dass ich im Portfolio habe: immerhin vertrage ich die 37,5 mg Baclofen einigermaßen, ich muss also nicht nackig antreten. Dann ist mein Programm zur Gestaltung meiner Tage mittlerweile recht ausgeklügelt. Ich habe mich und mein (Trink-)Verhalten ausgiebig analysiert, die Muster sind recht gut erkennbar und es steht ein Modell, das genügend Ansatzpunkte aufzeigt, an denen ich die Hebel ansetze. Es war dabei vor Allem die Erkenntnis erhellend, dass nicht die "richtig guten Tage" die richtig guten Tage sind, sondern die, in denen eine gesunde Balance aus Spannung und Entspannung besteht. Und diese Tage sind besonders häufig dann anzutreffen, wenn ich einen realistischen Tagesplan habe, realistische Zielvorstellungen umsetze und um 16:00 Uhr den Rechner runterfahre und für die Familie koche, mit der Bande Musik mache oder Sport oder mich einfach mit einem guten Buch in den Garten lege.
Fokus und Balance.
In diesem Sinne: jetzt fährt der Server hoch, in der Zeit schütte ich noch die restlichen Biere in die Spüle und setze mir einen schönen Grüntee auf (die neue Ernte ist da!!
), um 16:00 Uhr fährt er runter und ich zum Wochenmarkt.
Euch einen schönen Tag und
liebe Grüße
A.