Mein lieber Papa

Hier erhalten Angehörige von Alkoholabhängigen Rat und Hilfe sowie auch Arztvorschläge. Und sie können dort lesen, wie andere mit dem Problem umgehen.
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RosaMint
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Mein lieber Papa

Beitragvon RosaMint » 15. September 2016, 14:18

Mein lieber Papa,

ich kann das alles gar nicht glauben. Du bist nicht mehr da.
Es kommt mir vor, als wärest du noch im Krankenhaus oder längere Zeit anderswo und kommst bald wieder.
Aber so ist das nicht. Ich denke jeden Tag an dich. Ich kann das alles gar nicht glauben.

Du bist immer so stark gewesen! Ein Stehaufmännchen und solch ein Kämpfer.

Ich wollte dich doch immer nur beschützen. Niemand durfte dir etwas tun.
Ich wollte dir so gern helfen. Habe mich in diesem Forum angemeldet um an Adressen von Ärzten zu kommen, die mit Baclofen behandeln. Hatte diese eine letzte Hoffnung. Habe mir dir darüber gesprochen, meine Hilfe angeboten. Du sagtest, du kommst zu mir, wenn du möchtest.

Und dann kam dieser Unfall im Januar.
Mama rief am Samstag Vormittag an, dass du mit dem Auto verschwunden bist.
Ich bin sofort los und habe dich gesucht. Selbst war Mama zu bequem nach dir zu suchen.
Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wo kannst du nur sein? Es war so kalt & Schnee lag auf dem Boden. Ich bin zum Friedhof in *** gefahren. Von weiten sah ich euer Auto. Du musstest hier sein. Rufend bin ich auf den Friedhof gerannt, in Richtung Gräber deiner Eltern.
Von irgendwo hörte ich ein Wimmern. Du musst hier irgendwo sein. Nur wo? Papa! Papa!
Dann habe ich dich entdeckt. Du lagst zwischen den Gräbern auf dem Bauch und konntest nicht mehr aufstehen. Sofort habe ich den Notarzt informiert, der zum Glück wenige Minuten später da war.
Du warst ansprechbar und ganz klar im Kopf, was mich etwas beruhigte. Dir würde jetzt geholfen werden.
Im Krankenhaus bist du erstmal auf die ITS gekommen. Du warst sehr stark unterkühlt, hattest einige Prellungen und Schürfwunden. Ich habe den Ärzten dort von deiner Epilepsie und der Suchterkrankung erzählt und um ein Ersatzmedikament gebeten. Du warst Spiegeltrinker und hattest ca. 1 Promille täglich, die man dir aber nie anmerkte.
Am nächsten Tag bist du auf die Innere Station verlegt worden. Leider hast du noch keine Medikamente gegen die Epilepsie oder die Suchterkrankung erhalten. Du hattest starke Schmerzen und hast mich gebeten, die Ärzte auf eine Röntgenaufnahme anzusprechen, was ich sofort getan habe. An diesem Sonntag war kein Arzt zugegen, so dass die Schwestern mich auf Montag vertrösteten.
Am Montag habe ich mit dem behandelnden Arzt gesprochen und ihn auf die Medikamente und das Röntgen angesprochen.
Am Dienstag war davon immer noch nichts geschehen und deine Entzugserscheinungen waren sehr deutlich. Du wurdest in ein Einzelzimmer verlegt und ans Bett gebunden, da du dir selbst weh getan hast.
Ich habe die Ärzte ein weiteres Mal auf den Pott gesetzt. Jetzt hast du zum ersten Mal abends die wichtigen Medikamente erhalten. Als ich am Mittwoch wieder bei dir war, warst du nicht mehr ansprechbar. Vollkommen weg. Die Ärzte wussten auch nicht weiter, waren aber auch nicht in der Lage zu handeln. Ein Delirium? Eine Art Koma oder Epilespiestadium? Ich habe ab da deine Krankenkasse informiert, die mich wunderbar unterstützt hat und sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt hat und sich um eine bessere und entsprechendere Versorgung gekümmert hat. Tausend Dank an die AOK.
Auf der Neurologie hast du die entsprechende Aufmerksamkeit bekommen, so dass du bereits drei Tage später wieder ansprechbar und voll da warst. Über 6 Tage nach dem Unfall hat man dann erst festgestellt, dass du dir bei dem Sturz einen Rückenwirbel gebrochen hast. Dort haben die Ärzte mir zum ersten Mal von vielen Krankheiten erzählt, die du, durch die Suchterkrankung hast. Natürlich wollten die Ärzte deinen Zustand nur auf den Alkoholismus schieben. Der schlechteste Punkt deines Gesundheitszustandes im Krankenhaus ist aber nicht nur davon abhängig gewesen, sondern größtenteils von der Bequemlichkeit einiger Ärzte.
Wernicke-Enzephalopathie , Aszites, Niereninsuffizienz, Crush-Niere und weiteres waren mir bis dato unbekannt. Mit einer Leberzirrhose hatte ich gerechnet.

Was ist das alles? Kommt das alles vom Alkohol? Was macht der Alkohol mit einem Menschen? Welche Folgen hat er noch? Über all diese verborgenen Ausmaße hatte ich noch nie nachgedacht, obwohl ich mich oft mit dem Thema befasst habe.

Du hast tolle Fortschritte auf der Neurologie gemacht und wurdest nach ca. 3 Wochen in eine Akutgeriatrie überwiesen. Dort wurdest du wieder aufgebaut. Krankengymnastik für denen kaputten Rücken, Ergotherapie und das Sozialemiteinander auf der dortigen Station haben dir gut getan. Abends wenn ich gegangen bin, hast du mich bis zum Ausgang der Station begleitet und mich dort gedrückt und mir einmal sogar eine Küsschen auf die Wange gegeben. Das hat mich so unglaublich glücklich gemacht!
Nach 3 Wochen dort, durftest du endlich nach Hause! Du hattest nun auch keine Lust mehr auf Krankenhaus. Zuhause bist du richtig aufgeblüht. Deine Ersatzmedikamente (Clonidin) hast du noch einige Zeit weiter bekommen und den Entzug dann wirklich gut durchgestanden. Ich bin soo stolz auf dich! Wie stark du bist!

Kurz vor deinem Geburtstag Ende April ist Simon dann zu dir gekommen um dich zu fragen, ob du einverstanden bist, wenn wir beide heiraten. "Jo! Macht das mal!" War deine Antwort. Wir haben uns gefreut!

Ende Mai hattest du sehr mit Wassereinlagerungen zu kämpfen. Deine Hausärztin hat dich nach einem Routinetermin dann sofort ins Krankenhaus überwiesen. Dort wurde dein Bauch mehrmals punktiert. Zwischen 8 und 12 Litern Wassern wurde dabei abgelassen. Leider kam das Wasser binnen 1-2 Tagen wieder zurück.
Eines Abends rief mich Mama an und sagte mir, man könne dir nicht mehr helfen. Die Wassereinlagerungen werden immer wieder kommen. Ab da wurde mir klar, dass unsere Zeit sehr begrenzt ist. Ich hatte die Hoffnung, dass du vielleicht noch 1 Jahr hast. Die Ärzte haben mit Mama besprochen, dass du in der darauffolgenden Woche entlassen wirst und ihr dann 1 - 2 pro Woche ambulant kommt, zum punktieren.
Am Abend bevor die Fußball EM begann war ich bei dir im Krankenhaus, du warst gar nicht gut drauf und sehr verwirrt. Du wolltest auch nicht mehr essen oder deine Medikamente nehmen.
Am nächsten Tag sagtest du, dass du das Ende der Fußball EM eh nicht erleben wirst. Das hat mich so traurig und nachdenklich gemacht. Mir wurde bewusst, dass wir nur noch sehr wenig Zeit zusammen haben, vielleicht ein paar Monate oder auch nur Wochen. 2 Tage später wurdest du nach Hause entlassen. Zuhause wurden wir wunderbar von einem Pflegedienst unterstützt, der dich am Abend als du Heim kamst, bereits kennenlernte. Dir ging es so schlecht. Du hast bereits Blut gespuckt. Der Pfleger hat sich dir vorgestellt und du bist auch extra aufgestanden, um dich vorzustellen. Wie stark du warst!
Der Pfleger, war der erste, der wirklich tacheles mit uns gesprochen hat: "ihr Vater hat bereits einen Blutsturz. Er verblutet ganz langsam innerlich. Er wird in den nächsten 24 Stunden sterben. Legen Sie sich dunkle Handtücher bereit und rufen sie MICH an, wenn es schlimmer wird. Bitte keinen Notarzt, der kann ihm nicht mehr helfen. Wir können jetzt nur für ihn da sein." So schlimm und hart diese Worte waren, war ich dankbar, dass man sie uns endlich gesagt hat. Ich habe neben dir gesessen. Du meintest, du bekommst eine Grippe und fühlst dich nicht gut. Du wolltest mir die Angst nehmen. Du bist so stark mein Papa!

Später bin ich zum schlafen Heim gefahren. Ich hab dich lieb, habe ich dir nochmal gesagt und du hast mir auch gesagt, dass du mich liebt hast.
Mama hat sich gut gekümmert in diesen Stunden. Gegen 4 Uhr nachts hat sie angerufen und gesagt, dass wir bald kommen sollen. Wir haben uns fertig gemacht. Kurz bevor wir los wollten, hat sie nochmal angerufen und gesagt, dass du eingeschlafen bist. Nur deine Katze war in diesem Moment bei dir... Ich denke, du wolltest das so. Du wollest alleine sein und du wolltest zu Hause sein.
Wir haben das richtige getan. Auch wenn ich gerne bei dir gewesen wäre.

Jetzt bist du nicht mehr da.

Ich hab dich sehr lieb Papa.


Mein Papa ist am 16.6.16 im Alter von 67 Jahren gestorben.

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DonQuixote
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Re: Mein lieber Papa

Beitragvon DonQuixote » 15. September 2016, 18:34

Hallo RosaMint

Herzlichen Dank für die bewegende Schilderung Deiner Familiengeschichte. Bei mir war das sehr ähnlich. Meine alkoholkranke Mutter wurde nach akuten und tagelangen gesundheitlichen Problemen (Fieber, allgemeine Beschwerden) eines Nachts von meinem Vater in die Notaufnahme eingeliefert. Diagnose: Schwere Lungenentzündung. Meine Mutter musste in ein künstliches Koma versetzt werden, aus welchem sie aber nicht mehr aufwachte, die Ärzte kämpften vergebens um ihr Leben, meine Mutter verstarb, wie Dein Vater mit „nur“ 67 Jahren.

Offizielle Todesursache war „Multiples Organversagen“, aber letztendlich war es die Leber. Alle wussten es, aber die Familie hatte es unter den Teppich gekehrt, zu groß war ihr Ansehen und der Respekt vor ihrer Lebensleistung den sie genoss, denn bis zuletzt hatte sie trotz ihrer Alkoholkrankheit immer „funktioniert“. Jedenfalls war das der Eindruck, den sie uns allen vermittelte. Ich war damals, obschon durch meinen eigenen Alkoholkonsum bereits extrem gefährdet, noch zu jung und blind, um die Zeichen zu erkennen. Heute weiß ich es besser, dass die Alkoholkrankheit eben schon fast zwangsläufig zu einem frühzeitigen Tod führt.

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Re: Mein lieber Papa

Beitragvon Mary » 16. September 2016, 22:23

Liebe unbekannte RosaMint,

ich möchte Dir hiermit mein Beileid aussprechen. Dein Bericht hat mich sehr berührt.
Mehr Worte finde ich leider nicht.

Ich denk an Dich
LG Mary
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.............

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Re: Mein lieber Papa

Beitragvon Dr. Strom » 17. September 2016, 19:50

Hallo RosaMint
vielen Dank für deine Schilderung. Hat mir gestern beim Lesen ein paar Tränen in die Augen gebracht.
Ich finde solche Berichte müssten viel prominenter in der Gesellschaft vorgetragen werden, um die Bedeutung des Alkoholmissbrauchs deutlicher herauszustellen. Zum einen was es für die Angehörigen Bedeutet, jemanden zu früh zu verlieren, und zum anderen für die, die sich für unsterblich halten, die Augen zu öffnen.
Auch ich habe die Angst, wenn ich meinen Alkoholkonsum nicht in den Griff bekomme, ein trauriges vorzeitiges Ende .... so etwas denkt man am liebsten nicht wirklich zu Ende, da ich keine Kinder habe.

Mein Vater ist nun 90, hat nie getrunken. Aber auch seine Gesundheit hält nicht ewig. So war er diesen Sommer auch auf der Intensivstation, künstlich Beatmet. Schlimm, aber ich hatte lange Zeit, mich auf solch ein Ereignis vorzubereiten. Nur wenn es denn eintritt, ist es trotzdem hart zu ertragen. Mein Vater hat sich wieder berappelt, unglaublich. Ist nach ein paar Wochen im Krankenhaus und Pflegeheim, wieder zu Hause. Schön. Aber auch ein kleiner Blick in meine Zukunft?
Macht man sich als Alkoholiker realistische Gedanken um seine eigene Zukunft?

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Greta
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Re: Mein lieber Papa

Beitragvon Greta » 17. September 2016, 23:40

Liebe RasaMint

Ich möchte mich Don Quixote, Mary und Dr.Strom ihren Worten anschließen.

Ich habe meinen Vater mit 59 Jahren durch diese Krankheit verloren. Todesursache: Hirnschlag. Er war alleine zu Hause und ist mittags vom Stuhl gefallen und war tot.
Damals wusste ich von dieser Krankheit nur, was leider heute noch viele denken. Schwach, labil, will nicht.
Leider habe ich als Kind, durch seine Krankheit viel Leid ertragen müssen und hatte daher nie ein gutes Verhältnis zu ihm.
Wenn ich heute manchmal an ihn denke, kann ich ihn in manchen Situationen verstehen. Er konnte einfach nicht anders.
Die ganze Familie wusste es. Er wurde nur beschimpft und verachtet.
Niemals hätte ich gedacht, dass mich diese Krankheit auch einholt.

Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft. Für mich, hast du viel Kraft gezeigt, in dem du diesen Beitrag im Forum geschrieben hast.
Ich glaube auch, dass er manch einem von uns hilft. Das wir nicht denken müssen, wir sind wegen unserer Krankheit von allen verachtet und ungeliebt.
Danke.

Liebe Grüße Greta


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