Nach @Willos letztem Beitrag stelle ich mir auch die Frage, ob „Heilung“ überhaupt die richtige Bezeichnung für das ist, was ein (ehemals) Abhängiger erreichen kann. Es geht wohl wirklich eher in Richtung „Remission“ (temporäres oder dauerhaftes Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw. psychischer Natur, jedoch ohne Erreichen der Genesung).
Dabei würde für mich unter „Nicht-Erreichen“ der Genesung zum Beispiel fallen, dass diejenigen, die schon mal eine
F 10.2-Diagnose hatten, nie mehr so unbedarft mit Alkohol umgehen können, wie jemand, für den Alkohol noch nie ein Problem war.
Und das ist im Grunde auch ganz normal: Wem einmal die Achillessehne gerissen ist, der wird mit dem betroffenen Bein immer (oder zumindest lange Zeit*) vorsichtiger auftreten, als ein diesbezüglich Unversehrter.
Wer sich schon mal mit dem „kontrollierten Trinken“ nach Körkel beschäftigt hat, weiß, dass auch hier bestimmte Regeln und Vorsätze gelernt und eingehalten werden müssen, wenn dieses Therapie funktionieren soll. Regeln, über die sich ein „Normalo“ keine Sekunde lang Gedanken machen würde.
Eben weil F 10.2-Diagnostizierte im Laufe der Zeit ganz viele Erfahrungen (positiv wie negativ) im Zusammenhang mit Alkohol gemacht haben, ist der Umgang mit Alkohol eben ein anderer (die Diagnose kommt ja nicht von ungefähr - bis mindestens drei der sechs Symptome eintreten, muss der Alkohol schon einen gravierenden Part im Leben des Patienten eingenommen haben).
Wer mit dem Fallschirm schon mal einen Beinahe-Absturz hingelegt hat, wird seinen Rucksack künftig immer zwei- und dreifach kontrollieren. Aber ist das schlimm?
„Heilung“ durch „Remission“ zu ersetzen, finde ich nicht problematisch. Im Gegenteil:
„Remission ist möglich“ klingt weniger provokativ und endgültig als „Alkoholismus ist heilbar“. Und würde auch tendenziell eher der von @Willo ins Spiel gebrachten Beantwortung durch Wahrscheinlichkeiten gerecht.
Ersterer Ausgangsthese könnten nicht einmal die AA widersprechen. Denn „Remission ist möglich“ bedeutet, dass Krankheitssymptome körperlicher bzw. psychischer Natur temporär oder dauerhaft nachlassen können, jedoch ohne Erreichen der Genesung.
Nichts anderes steckt ja im Grunde in der AA-Aussage „Alkoholismus ist nicht heilbar, die Krankheit kann nur zum Stillstand gebracht werden“ drin.
Die entscheidende Frage scheint mir inzwischen eher zu sein:
WIE bringe ich die Krankheit zum Stillstand?
WIE erreiche ich Remission?
Und mit diesen Fragen eröffne ich die vierte Runde unseres kleinen Kanons:
Teil 4: Therapie
Weil aber auch ich hin und wieder
WilloTse hat geschrieben:... ein paar Brötchen verdienen...
muss, dazu später mehr...
Papfl
* an diesem Punkt kann man die Frage stellen, ob aus „Remission“ unter bestimmten Bedingungen (individuelle Voraussetzungen, Zeitraum, Psychotherapie, Veränderungen im Gehirn/Botenstoffe/Rezeptoren, Umstrukturierung neuronaler Netze, Epigenetik...) eventuell sogar „komplette Remission“ oder „Recovery“ („Wiedergesundung“) möglich ist.
Dass z. B. ein Achillessehnen-Patient im Laufe der Zeit (mit „gesunder“ Achillessehne) beim Squash immer seltener daran denkt, dass diese mal gerissen war. Oder wieder reißen KÖNNTE!
Passiert das beim Sportler, hat er sich für gemeinhin erneut verletzt. Passiert das dem F 10.2-ler, ist’s ein Rückfall.
Weil es aber am Ende vollkommen nebensächlich ist, ob ich die beiden Vorkommnisse dann als „Neuerkrankung“ oder als Folge einer „Alterkrankung“ einstufe, ist diese Diskussion für mich obsolet ("überflüssig").