Besser ist es, darauf zu schauen, was einem momentan wirklich Lebensfreude bereitet, dies nach und nach herauszufinden, und dies zu leben???
Hallo Anne!
Auf jeden Fall, ja. Lebensfreude bzw. eine allgemeine Lebenszufriedenheit ist ein erstklassiger Prädiktor für Bewältigung von Abhängigkeiten. Das ist im Grunde ja auch völlig logisch. Wenn ich mit meinem Leben im Großen und Ganzen zufrieden bin, dann habe ich auch weit weniger Gründe, mich in eine Parallelwelt zu versetzen.
Therapieabbruch (Baclofen) wegen nicht tolerierbarer Nebenwirkungen vor Erreichen einer bisher als therapeutisch wirksam angesehenen Dosis sollte zugunsten einer Therapiefortführung mit verringerter Dosis vermieden werden. Auch geringe Dosierungen in Verbindung mit motivationaler und kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichteter Therapie zur Aufhebung dysfunktionaler Denkmuster führen zu überzufällig erfolgreicher Behandlung, wobei in diesen Fällen dauerhafte Abstinenz als primäres Therapieziel zugunsten einer deutlichenTrinkmengenminderung aufzugeben ist.
Um die obige Aussage zu erläutern, muss ich etwas ausholen. Innerhalb der Baclofentherapie lassen sich drei Klientengruppen unterscheiden, das geben ja auch die Erfahrungsberichte hier im Forum wieder. Einmal die, bei denen Baclofen wunschgemäß wirkt, dann die, die auf die Behandlung überhaupt nicht ansprechen und die, die eine deutliche Wirkung verzeichnen, die aber auf Grund nicht tolerierbarer Nebenwirkungen nicht die erforderliche Dosierung erreichen.
Um diese letztgenannte Gruppe geht es in diesem Falle. Hier wird bisher die Behandlung meist abgebrochen, weil sowohl Klient wie Arzt bzw. Therapeut die Therapie als gescheitert einordnen. Das geschieht bei beiden angesprochenen Gruppen nicht unbedingt bewusst, es ist oft ein unbewusstes, inneres Abrücken.
Uns ist aber aufgefallen, dass es hier eine Untergruppe gibt, die damit relativ unbesorgt umgeht. Baclofen wird dann
vor Erreichen des Therpiezieles wieder abdosiert auf eine gut verträgliche Dosis und das Abstinenzziel wird erst mal nicht so hochgehängt. Wichtig ist dabei, sich eine Trinkmengenminderung als wirklichen Erfolg anzurechnen. Innerhalb dieser Untergruppe gibt es dann einen sehr hohen Prozentsatz Klienten, die im Fortgang der Therapie Stück für Stück und ohne das groß als Ziel definiert zu haben, in den Bereich Abstinenz oder Minimalkonsum rutschen.
Man muss bei der Wahl Abstinenz als Therapieziel sorgfältig abwägen. Prinzipiell ist es das am einfachsten selbst zu kontrollierende und gesündeste Ziel. Und natürlich das gesellschaftlich anerkannteste. Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die dies als Ziel angeben, für die das Erreichen des Ziels schon Motivation genug ist und die damit glücklich ist. Dann ist das schön und kann so bleiben.
Wer eine hohe biologische Abhängigkeit aufweist, dem wird ohnehin nichts anderes übrig bleiben, denn für diese Gruppe ist ein moderater Konsum bisher nicht erkennbar und da würde ich auch mit Baclofen noch die Finger von lassen. Vielleicht ändert sich das mit high dose, da warten wir aber die Ergebnisse der laufenden Studien ab. Das sind aber vielleicht 10 - 20% der Betroffenen.
Es gibt aber auch eine große Gruppe, die trotz einer dramatischen Trinkmengenminderung und damit einhergehender erheblicher Verbesserung ihres Gesamtzustandes furchtbar unglücklich sind, weil für sie das stolze Ziel der Abstinenz einfach unrealistisch hoch gesteckt ist. Die Abstinenz wird entweder gar nicht erst erreicht oder sie kann nur unter Aufbietung aller Reserven aufrechterhalten werden. Niemand kann auf Dauer alle Reserven aufbieten, der Zusammenbruch ist vorprogrammiert. Die ohnehin kippelige Selbstachtung geht natürlich zu Boden und der ganze Elendskreislauf beginnt von vorn. Da wirkt letztlich das Therapielziel als Grund dafür, es nicht zu erreichen.
Hier müssen einfach die Ziele erreichbar gesteckt werden, nichts ist so demotivierend wie permanentes Scheitern an einem zu hoch gesteckten Ziel.
Und wichtig ist hier, die Klienten nicht unbewusst aufzugeben. Es gibt, und das ist eigentlich das einzig Neue an diesem Text, auch in Verbindung mit niedrig dosiertem Baclofen eine erhebliche Chance auf Heilung, wenn der Prozess unbeirrt, aber mit einer gewissen Unbeschwertheit fortgeführt wird. Es ist die Kunst des Arztes, Baclofen gegen die vorherrschende Skepsis auch diesen Patienten weiter zu verschreiben und es ist die Kunst der Therapeuten, genau diese Balance zwischen Motivation zur Zielerreichung auf der einen und einer gesunden Portion „Leck’ mich!“ auf der anderen Seite hinzubekommen.
Da haben wir leider noch einiges zu lernen.
LGDD