Morgen zusammen,
zunächst mal danke @herman, dass Du Dich hier dieser Diskussion stellst. Das rechne ich Dir hoch an.
herman hat geschrieben:Ich wollte hier keinen beleidigen, mit Scheinalkoholiker meinte ich jene die bis zum abwinken trinken können und trotzdem keine Alkoholiker sind.
Damit kann ich leben. Ich möchte nur verhindern, dass in Bausch und Bogen Ferndiagnosen gestellt werden, die jedem, der nicht ins eigene Bild passt, "Schein-Alkoholismus" unterstellen. Im Zweifel gilt die Diagnose, die der einzelne Patient von seinem Arzt gestellt bekommt, einverstanden?
Zu meinen wichtigsten Definitionen:
Abhängigkeit nach ICD10 (zitiert mit den Erläuterungen von @papfl)
1) Starkes oder zwanghaftes Verlangen, Alkohol zu konsumieren (Fachterminus: Craving)
2) Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Menge, Beginn oder Ende des Konsums (d. h. es wird regelmäßig mehr Alkohol oder über einen längeren Zeitraum konsumiert als geplant oder es besteht der anhaltende Wunsch bzw. wiederkehrende Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern oder zu kontrollieren, ohne dass dies nachhaltig gelingt)
3) Körperliche Entzugserscheinungen bei Konsumstopp oder Konsumreduktion
4) Nachweis einer Toleranz (um die gewünschte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend größere Mengen an Alkohol erforderlich)
5) Einengung des Denkens auf Alkohol (d. h. Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums)
6) Anhaltender Substanzkonsum trotz gesundheitlicher und sozialer Folgeschäden für den Konsumenten, obwohl der Betroffene sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte (z. B. Leberkrankheiten wie Leberzirrhose, eine Verschlechterung der kognitiven Funktionen, Verlust des Führerscheins oder Arbeitsplatzes, Trennung des Lebenspartners, Rückzug des Bekannten- und Freundeskreises etc.)
Wenn drei der sechs Kriterien mindestens einen Monat lang gleichzeitig vorhanden sind, liegt eine Abhängigkeit vor. Dabei müssen neuerdings im Gegensatz zu früheren Versionen die „klassischen“ Symptome der körperlichen Abhängigkeit, d. h. Toleranz und Entzugserscheinungen nicht mehr unbedingt vorhanden sein, wenn ausreichend andere Symptome zutreffen.
Moderater bzw. risikoarmer Konsum ebenfalls (gerundet) WHO:
- max. 25 Gramm Reinalkohol am Tag (Frauen die Hälfte)
- an max. fünf Tagen in der Woche
Das entspricht grob über den Daumen maximal zwei Flaschen (0,75 Liter, 11% vol.) Wein pro Woche für Männer, Frauen dann eine. (Hinweis: MIR wäre das für ehemalige Alkoholiker zu viel!! Aber es ist nunmal die gängige Grenze für noch risikoarmen Konsum, ich denke, wir sollten sie einfach so nehmen, da sonst die meisten Veröffentlichungen wieder unverständlich werden)
Remission/Heilung:
vollständige Remission = Heilung
Das ist vereinfachend und da kann man sicher 'drüber streiten. Ich halte es da aber mit einer gewissen Einfachheit und denke, man kann das Erbsenzählen auch übertreiben. Wenn etwas weg ist, ist es nicht mehr da, das gilt auch für Krankheiten. Das gilt natürlich nur, wenn die Remission dauerhaft ist (zwei Wochen reichen sicher nicht!) und wenn der/die Betroffene nicht mehr auf Medikamente oder sonstige Behandlungen angewiesen ist. Alkoholfreiheit unter Baclofen ist (noch) keine Heilung, regelmäßiger Besuch einer SHG auch nicht!
wissenschaftlicher Nachweis:
- zielgerichtetes und methodisches Vorgehen. Die Methodik muss klar erkennbar bzw. benannt sein.
- Objektivität. Die Ergebnisse sind unabhängig von der Person des Forschers (sprich: wenn Vater und Mutter beim gleichen Kind zum gleichen Zeitpunkt mit dem gleichen Thermometer Fieber messen, sollten sie auch zum gleichen Ergebnis kommen)
- Reliabilität. Das Verfahren ist messgenau. (Das Thermometer ist tatsächlich ein Fieberthermometer und kein Backofenthermometer, dass die Ergebnisse auf +/- 10°C genau angibt. "Unser Kind hat zwischen 30°C und 40°C Fieber!" wäre kein reliables Ergebnis)
- Validität. Es wird das gemessen, was gemessen werden soll. (Das Thermometer ist ein Thermometer, kein Zollstock. "Unser Kind hat 93 cm Fieber" wäre kein valides Ergebnis)
auch hier kann man sicher streiten, vor Allem werden einige Leute noch weitere Kriterien hinzunehmen wollen, aber ich wär's damit zufrieden.
Da kommen wir auch zu einem spannenden Punkt:
herman hat geschrieben:Was du hier
http://www.aerzteblatt.de/archiv/156413 ... -die-Regel
als Beweis für die Heilarkeit vorbingst fält für mich unter die Rubrik "Trau keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast" Mit echten nachprüfbaren Zahlen hast du es bis jetzt nicht belegt.
Grundsätzlich werden wir, wenn wir uns auf dieser Ebene austauschen, an diversen statistischen Auswertungen nicht vorbeikommen. Wenn wir die Ergebnisse, die der Andere präsentiert, mit "gefälschter Statistik" wegwischen, werden wir nicht weit kommen.
Klar, der Beitrag aus dem Ärzteblatt ist eine journalistische Zusammenfassung, besser ist natürlich immer, die Originalstudie zur Hand zu haben. Das gelingt aber nicht immer (wir haben ja auch noch ein Restleben). Von daher schlage ich vor, wir akzeptieren erstmal solche Ergebnisse aus allgemein anerkannten Fachzeitschriften (auch darüber, was das im einzelnen ist, kann man streiten) und schauen tiefer 'rein, wenn es begründete Zweifel gibt. Hier würde ich mir also wünschen, dass Du sinngemäß schreibst: "Die im zitierten Artikel aus dem Ärzteblatt angegeben Zahlen können mMn nicht stimmen, weil...".
Dann kann ich ja versuchen, Deine Argumentation zu entkräften.
Sonst kommen wir nie auf einen grünen Zweig.
Grundsätzlich gebe ich Dir aber Recht: jedes wissenschaftliche Ergebnis ist mit einer gewissen Vorsicht zu genießen und man sollte seine Skepsis nicht an der Garderobe abgeben, nur, weil ein Prof.Dr.Dings einen Artikel geschrieben hat.
Die Standardfrage, mit der man solche Veröffentlichungen hinterfragt, ist für mich "cui bono?" (wem nutzt es?): veröffentlichen die AA eine Studie mit dem Ergebnis "100% aller AA-Teilnehmer sind trocken!", würde ich genauer hinschauen. Veröffentlicht ein führender Baclofen-Arzt eine Studie mit dem Ergebnis "100% aller Baclofen-Nutzer sind geheilt!" auch.
(Ich finde insofern den Artikel aus dem Ärzteblatt auch recht vertrauenswürdig: da veröffentlicht ein Psychologe und Uni-Dozent, dass ihn, flapsig gesagt, die Hälfte seiner Klienten gar nicht braucht. Das klingt für mich erstmal o.k.).
So, das soll für heute erstmal reichen.
LG
Willo