Hallo Arno,
ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit:
Der jeweilige Status der Abhängigkeit lässt sich einmal objektiv (ab einer gewissen Alkohol-Konsummenge) körperlich fassen (Entzugserscheinungen bei Reduktion/ Absetzen), und einmal subjektiv, als psychische Abhängigkeit. Diese ist ziemlich unabhängig von der verkonsumierten Menge und muss nicht mit körperlichen Entzugserscheinungen einhergehen.
Im ersten Fall wirkt Bac zweitrangig, da werden zumeist in der Entgiftung im KH andere Mittel eingesetzt, um die Entzugssymptome einzudämmen.
Aber bei Abhängigkeit kontrolliert der Alkohol den.Konsum, nicht der Trinkende. Ich glaube nicht, dass sich das durch einen Griff in die pharmazeutische Trickkiste wieder umkehren lässt.
Ja, und nein.
Abhängigkeit ist ein komplexes Gebilde, das neben der stofflichen/ neuronalen Seite auch seelisch-psychische Aspekte hat: Gewohnheit, Erfahrung von erwünschten Wirkungen wie Angst- und Stressminderung, Fokussierung, Reizfilterung, Enthemmung, Euphorisierung, etc. pp.
Fallen die psychischen Belohnungen einer Abstinenz "zum Opfer", fällt dem Gehirn nichts anderes ein, als auf der erneuten Zufuhr des "Heilmittels Alkohol" zu bestehen. Es kennt halt wenig anderes. Kriegt es nichts, ist es empört:
Da steht sie doch, die Flasche! Du musst nur zugreifen, Du Depp
So entsteht zunehmender Trinkdruck, dem man willentlich eine Zeit lang standhält, bis irgendein Trigger (ein emotionales Ungleichgewicht) zum Anlass wird, wieder zuzuschlagen.
Durch Therapie, SHG, Angst vor sozialer Ausgrenzung und Existenzangst erreicht man dann ein Gleichgewicht des Schreckens. Das kann lange anhalten, es bleibt aber für viele ein sehr anstrengender Kampf
gegen das Trinkverlangen.
Und genau hier setzt Baclofen an. Die Rezeptoren, die nach Alkohol schreien, werden durch Bac "besetzt" (ok, laienhaft, bitte um Korrektur, wers präziser ausdrücken kann)
Die sind so gesättigt wie ein Zuckerbäcker, der am Abend alles will, nur keinen Kuchen mehr.
Ähnlich uninteressant wird
auf dieser Ebene der Alkohol durch Baclofen, bei entsprechender Dosierung.
Ich zum Beispiel bin lange Zeit mit 1-2 Bier am Abend "satt" gewesen, und es gab etliche Tage, wo es mir leicht fiel, gar nichts zu trinken. (Und ich war zuvor gut dabei mit Bier, Sekt und Schnaps am Ende, incl. Depressionen und Panikanfällen.)
Bac hat mir nachweislich geholfen, mit einem Bruchteil an Alkohol auszukommen". Ich hab Therapien gemacht usw.
Ich wiederhole Deine Aussage mal:
Aber bei Abhängigkeit kontrolliert der Alkohol den.Konsum, nicht der Trinkende. Ich glaube nicht, dass sich das durch einen Griff in die pharmazeutische Trickkiste wieder umkehren lässt.
Es lässt sich m.E. nicht "umkehren", aber einen soweit wieder einen klaren Kopf bekommen, dass man überhaupt in der Lage ist, sich auch der seelischen Gesundung zu widmen. Mit 2,5 Promille hat man nicht viel von Therapie- und SHG-Stunden. Die hält man dann eher in der Stammkneipe ab.
Ein "glückliches Leben" (?) mit kontrollierter Abhängigkeit..? Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann.
Einem paar Prozent gelingt dieser Drahtseilakt. Für Quartalssäufer eher ungeeignet, aber für Stresstrinker, die sich aufmachen zu Sport, Yoga, bewussterem Leben insgesamt eben möglich.
Ich kann nicht einschätzen, ob diese dann weiterhin von Baclofen profitieren, oder ob es nur noch als Stütze dient. Wegen der angstlösenden und entspannenden Wirkung von Bac denke ich das aber schon, auch in niedriger Dosierung.
Die Gefahr, in die alten Trinkmuster schleichend wieder reinzurutschen ist aber recht groß, vermute ich.
Ich glaube, hier gibt es keine Alternative als: Weg vom Alk. Aber wie?
Ich wage mal die Behauptung, dass jeder, der sich für Abstinenz entscheidet, vorher Phasen/ Jahre mit Versuchen zum kontrollierten Trinken verbracht hat. Gescheitert ist, und irgendwann merkt: So klappt das bei mir nicht, ich habe nicht die Disziplin, das dauerhaft durchzuhalten.
Entscheidet man sich für Abstinenz, ist jedes Bier ein klarer Bruch mit den eigenen Vorgaben, das fällt einem selbst natürlich direkt auf.
Hier wird es dann zu einer Lebensentscheidung: Rausch oder Realität. Die eigentliche Arbeit an sich selbst geht los, incl. Rückfällen/ Vorfällen, Aufarbeitung, neuen Prioritäten im Leben. Dieses Paradigma "Nie wieder Alkohol" stellt jemanden, der mal grad die Traute hat, sich vom Beckenrand ins Wasser zu werfen, vor die unerfreuliche Aufgabe, sich schon mal mit dem Sprung vom 10-Meterbrett auseinanderzusetzen. Da kann man schon mal kalte Füße kriegen.
Ja, und wie nun?
Durch eigene Erfahrungen lernen. Sich den Druck rausnehmen, es muss jetzt und sofort für immer klappen, durch Akzeptieren, dass Prozesse der Persönlichkeitsänderung Zeit brauchen. Durch die Annahme von Hilfe und Austausch. Durch Therapie, die aufdeckt und einem hilft, mit alternativen Handlungsoptionen zu experimentieren.
Durch Baclofen, was einem die Möglichkeit gibt, selbst steuernd auf den Trinkdruck zu reagieren. Und dadurch zu erleben, dass es durchaus ohne Alkohol gehen kann - sofern man nicht erwartet, dass die Pille einem die Arbeit abnimmt.
So ein Leben ohne die Fluchten kann ganz schön anstrengend sein.
Man vergisst dann leicht, wie anstrengend das Leben mit den Fluchten gewesen ist. Wegen der Fluchten war.
Um es knapp zu sagen: Baclofen ist wie eine Gangschaltung beim Fahrrad, wenn man den Berg hinauf will:
Man kommt erstens überhaupt voran, wenn es steil ist, und man muss nicht bis zur völligen Erschöpfung ackern, um am Ende doch wieder zurückzurollen.
Ob man überhaupt ein Typ fürs Radfahren im Bergigen ist, ist dann eine andere Frage,
Lieben Gruß
Conny