Zulassung von Baclofen in Deutschland

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xnx
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Zulassung von Baclofen in Deutschland

Beitragvon xnx » 7. April 2018, 11:41

Hallo,

ich bin neu in diesem Forum und sehr an Baclofen interessiert.
Meine Frage an Euch:
Wie ist der derzeitige Stand bzgl. einer Zulassung von Baclofen in Deutschland als Medikament gegen Alkohlabhängigkeit?
Ich habe über eine Studie an der Charité gelesen und dass es in Frankreich zunächst für nur 3 Jahre zugelassen wurde, obwohl es in der Praxis große Erfolge gibt....

Herzliche Grüße,

XNX

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Papfl
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Re: Zulassung von Baclofen in Deutschland

Beitragvon Papfl » 7. April 2018, 14:42

Hallo xnx!

Die Studie, auf die Du anspielst, ist die Baclad-Studie der Charité Berlin, über die wir ausführlich hier im Forum und in unserem Baclofen-Wiki berichtet haben.

Obwohl dort recht gute Ergebnisse erzielt wurden, stehen die Aussichten auf eine offizielle Zulassung des altbewährten Baclofen für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht besonders gut. Da stehen zu viele Lobby-Interessen dagegen, die lieber ihre patentgeschützten teureren Medikamente verkaufen wollen. Mit dem Generikum Baclofen lässt sich kein Geld mehr verdienen. Außerdem hat die "Entwöhnungsklinikindustrie" wohl ein nicht zu unterschätzendes Interesse daran, dass die Patienten wiederkommen :wink: .

Aber trotzdem gibt es Hoffnung: Nachdem die Firmen Arbor Pharmaceuticals (vormlas XenoPort) und Indivior (vormals Reckitt Benckiser Pharmaceuticals) vor vier Jahren eine Kooperation bezüglich der Weiterentwicklung und Anwendung von Arbaclofen Placarbil (das ist die Hälfte des Baclofen-Enantiomers, von der die "Wirkung" ausgeht) beschlossen haben (seit kurzem ist auch Addex Therapeutics mit an Bord), finden derzeit Forschungen für verschiedene Anwendungsgebiete statt (u.a. Spasmen, Autismus, Reflux und eben auch Suchtmittelabhängigkeit).

Entscheidend ist dabei, dass das vermeintlich "neue" Arbaclofen Placarbil im Gegensatz zu unserem "alten" Baclofen wieder Patentschutz genießt. Sollte sich bei diesen Studien heraus stellen, dass Arbaclofen Placarbil bei der Therapie von Alkoholabhängigkeit hilft, und sollte es am Ende dafür sogar eine Zulassung bekommen, gäbe es keinen plausiblen Grund mehr für eine "Off-Label"-Verschreibung des ursprünglichen "alten" Ausgangsmoleküls Baclofen.

Es gäbe dann im Idealfall eben das teure (wahrscheinlich etwas nebenwirkungsärmere) patentgeschützte Arbaclofen Placarbil und das günstige Baclofen. Mit Ergebnissen/Zulassungen ist hier aber frühestens Anfang der 2020er Jahre zu rechnen.

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
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Re: Zulassung von Baclofen in Deutschland

Beitragvon xnx » 7. April 2018, 17:09

Hallo Papfl,

Herzlichen Dank für Deine Antwort!
Dass es letztendlich am Lobbyismus der deutschen Pharmaindustrie hängt, habe ich befürchtet....und dass sich dementsprechend kurzfristig nichts ändern wird auch.
Ich denke die meisten User dieses Forums haben sich schon eine Packung Aspirin (Kater)oder anderes, in einem europäischen Nachbarland gekauft und waren über den geringen Preis in der Apotheke erstaunt.
Ärgerlich, dass es Alkoholkranken trotz Suchtbericht 2018 in Deutschland so schwer gemacht wird!
Herzliche Grüße,
xnx

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DonQuixote
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Re: Zulassung von Baclofen in Deutschland

Beitragvon DonQuixote » 7. April 2018, 21:29

Seid gegrüßt

Danke an @Papfl für die Schilderung der wirtschaftlichen Zwänge und des aktuellen Stands der Weiterentwicklung von Baclofen für die Therapie von Suchterkrankungen. Meinerseits noch etwas hierzu:

xnx hat geschrieben: … und dass es [Baclofen] in Frankreich zunächst für nur 3 Jahre zugelassen wurde, obwohl es in der Praxis große Erfolge gibt.

Am 14. März 2014 hatte die für die Überwachung der Sicherheit von Medikamenten und Medizinalprodukten zuständige Französische Behörde (ANSM) eine zunächst auf drei Jahre befristete Zulassung von Baclofen für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit erteilt. Die Rahmenbedingungen dieser vorläufigen und befristeten Zulassung (Recommandation temporaire d’utilisation (RTU)) stießen damals allerdings auf unüberhörbare Kritik (siehe auch hier und hier). Am 16. März 2017 wurde die RTU für ein weiteres Jahr verlängert, gleichzeitig wurden dabei die beanstandeten Rahmenbedingungen radikal vereinfacht.

Einen Rückschlag gab es am 25. Juli 2017, als die ANSM auf Grund eines höchst umstrittenen Sicherheitsgutachtens die zulässige maximale Dosis im Rahmen der RTU von 300 auf 80 mg/Tag reduzierte. Nach Erfahrung behandelnder Ärzte und Patientenverbände ist eine solche Dosis (80 mg/Tag) in vielen Fällen allerdings nicht ausreichend.

Eine betroffene Patientin wandte sich mit Unterstützung der Patientenvereinigung BACLOHELP mit einem Eilantrag an das zuständige Verwaltungsgericht und erhob Klage gegen die Entscheidung der ANSM. Dieser Eilantrag wurde am 28. Februar 2018 abgelehnt, wobei allerdings in der Sache selbst noch nicht entschieden wurde. Das Verwaltungsgericht versprach eine „möglichst baldiges“ Urteil.

Parallel dazu verlängerte die ANSM die RTU (mit reduzierter maximaler Dosis von 80 mg/Tag) um ein weiteres Jahr (bis März 2019) und stellte eine Entscheidung für oder gegen die definitive Französische Marktzulassung (Autorisation de mise en marché, AMM) bis zum Spätsommer 2018 in Aussicht. Niemand zweifelt, dass es in Frankreich eine solche Marktzulassung geben wird, die Frage ist halt, unter welchen Rahmenbedingungen und mit welcher höchstzulässigen Dosis :kst .

Hinter dem Antrag auf die Französische Marktzulassung von Baclofen zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit steht das Pharmaunternehmen Ethypharm, welches die Studie ALPADIR durchführte und für eine bessere Ausgangslage zusätzlich die Ergebnisse der Studie BACLOVILLE „aufkaufte“. Ob eine Französische Zulassung danach automatisch auch europaweit Gültigkeit hat, oder ob Ethypharm dann selbst eine europaweite Zulassung anstrebt, ist ungewiss. Wünschenswert wäre es allemal.

Zurück Deiner @xnx Frage, ob Baclofen zur Behandlung von Suchterkrankungen in Deutschland „zugelassen“ ist. Nein, das ist es leider (noch) nicht. Es ist aber auch nicht verboten. Es bedarf eines sog. „Individuellen Heilversuchs“ (off-label-use), wie @Papfl bereits schrieb. Sowohl von Patienten als auch von Ärzten wird dabei erhöhte Sorgfalt und Verantwortung verlangt. Viele, wenn nicht die meisten Ärzte scheuen leider dieses Risiko, aber es gibt doch einige, welche sich darauf einlassen.

DonQuixote


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