Hi Corry!
Auf diese simple Frage lassen sich drei Monate Therapie reduzieren. Drei Monate, die ich 2004 in einer "Fachklinik für Suchtkrankheiten" zugebracht habe.
Leider hat sie die Therapeutin nicht so schön und griffig formuliert wie Du:
restless hat geschrieben:Wie reagiert die Umwelt, wenn man sich weigert, zu funktionieren?
Genau das war mein Problem. Weil ich vieles - nicht nur subjektiv - besser konnte als viele um mich herum, bin ich im Laufe der Zeit zum "Papfl für alles" mutiert. Wann immer es irgendwo ein Problem gab, der Papfl wusste schon, was zu tun war. Und auf den Papfl war Verlass. Papfl war/ist (?) nämlich Perfektionist. Und was der Papfl anpackte, hatte Hand und Fuß. Der Papfl erledigte alles. Und sich gleich mit...
Denn lange Zeit gefiel es dem Papfl ganz gut, im Mittelpunkt zu stehen. Er genoss es, wenn andere ihn um Rat fragten, Hilfe von ihm wollten. Wenn sie ihn lobten, wie toll er dieses und jenes wieder hinbekommen hatte. Ohne den Papfl ging nichts! Und der Papfl fühlte sich superwohl in seiner Rolle...
Aber der Papfl hatte auch Angst. Angst, dass er vielleicht mal einer Aufgabe nicht mehr gewachsen sein könnte. Was, wenn er versagen würde? Was, wenn sie eines Tages nicht mehr zu ihm kämen? Du kennst das Wundermittel, die Medizin, die in solchen Fällen (vermeintlich) hilft.
Obwohl der Papfl sich irgendwann längst nicht mehr wohl in seiner Rolle fühlte, behielt er die Maske auf. War immer gut drauf, erledigte alles perfekt, spielte den Vorzeige-Allrounder weiter. Und abends füllte er sich ab. Um endlich mal Zeit für sich zu haben. Zu verschwinden in eine eigene Welt. Und, um die Angst vor dem nächsten Morgen zu verdrängen, denn da musste er wieder fit sein für seine One-Man-Show. Das geht eine Zeit lang gut...dann brichst Du ein.
Und merkst, dass Dein ganzer Selbstwert eigentlich nur auf der Anerkennung von außen aufgebaut war. Es war weniger die Angst vor dem Versagen bei einer Aufgabe. Es war die Angst, dass sie Dich nicht mehr bejubeln werden. Dass es irgenwann heißt: "Der Papfl, der kocht doch auch nur mit Wasser!" Ohne den Applaus der anderen war der Papfl nichts.
So verquert sah ich die Welt damals tatsächlich. Statt mich auf meine Fähigkeiten zu besinnen, die ich ja zweifelsohne hatte, war mein Fokus nur auf die Zuneigung von außen gerichtet. Ohne die war ich nichts. Unvorstellbar, dass jemand den Papfl gut finden könnte, obwohl dieser ihm nicht aus irgendeiner Situation geholfen hatte oder ihm bei irgendetwas beigestanden war. Gut finden, einfach nur, weil er der Papfl war - unmöglich.
restless hat geschrieben:Wie reagiert die Umwelt, wenn man sich weigert, zu funktionieren?
Anders, als Du denkst. Das weiß ich inzwischen. Weil ich es zwangsläufig ausprobieren musste. Sonst wäre ich vor die Hunde gegangen. Dieser selbst auferlegte Druck, immer funktionieren zu müssen, ist Quatsch. Die "Freunde" laufen nicht weg, wenn Du auch mal "Nein" sagst. Im Gegenteil. Sie rücken näher. Weil Du nicht mehr der "Über-Papfl" bist, sondern einer von ihnen wirst. Ein Papfl mit all den Vorzügen, die man immer so an ihm geschätzt hat, aber auch ein Papfl, der sagen darf, wie er sich tatsächlich fühlt. Der nicht immer gut drauf sein muss. Der ab und zu auch mal sagt: "Sei' mir nicht böse, aber das wird im Moment echt zu viel."
Das schätzen Menschen an einem. Weil die meisten Menschen nämlich den Menschen dahinter schätzen, und nicht das, was er tut. Sicher, ein paar andere gab's auch. Die sich von mir abgewandt haben, weil ich eben nicht mehr so funktioniert habe, wie gewohnt. Die haben aber dann schnell einen anderen "Handlanger" gefunden. Denen ging's nicht um mich. Die nutzten nur aus.
Dass Du, Corry, Dir jetzt diese Frage stellst, zeigt, dass Du an einem Punkt angelangt bist, an dem Du wirklich etwas verändern kannst. Probier's aus und fürchte Dich nicht vor den Reaktionen, die kommen werden. Auf den ersten Blick wird der/die ein oder andere vielleicht etwas verwundert sein, weil man Dich so nicht kennt. Aber die wenigsten werden Dich fallen lassen. Eben, weil ihnen der Mensch "Corry" wichtig ist. Nicht das, was sie alles zu tun vermag.
Der Papfl ist auch toll, wenn er gerade nichts Weltbewegendes auf die Beine gestellt hat. Das weiß er mittlerweile wieder. Nicht zuletzt, weil er diese oben beschriebene Wertschätzung erfahren hat. Und ich bin mir sicher, die Corry ist das auch.
Papfl