Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

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Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon DonQuixote » 7. Januar 2015, 18:30

Seid gegrüßt

Zunächst ein kleiner Vorspann: Am vergangenen 22. Dezember veröffentlichte die französische Agentur für die Überwachung der Medikamentensicherheit eine Warnung vor der Verwendung von Baclofen zur Behandlung von Ess-Störungen wie z.B. Binge-Eating oder Bulimie.

Gegen diesen Warnhinweis wendeten sich die uns bereits bekannten französischen Patienten- und Ärztevereinigungen in einem offenen Brief. Ich übersetze das jetzt nicht alles, die Initianten bedauern jedenfalls, dass sich nun offenbar die gleiche bedauerliche Prozedur wie damals bei der Baclofen-Behandlung der Alkoholabhängigkeit wiederhole, „wo es doch angezeigt wäre, die Sache von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus zu betrachten.“

Die Unterzeichner sind:


Und als Einzelpersonen :

  • Dr Renaud de Beaurepaire, psychiatre, co-fondateur de l’Association Olivier Ameisen
  • Mme Sibel Bilal de La Selle, co-fondatrice de « A ta santé service »
  • Mr Samuel Blaise, président de l’association Olivier Ameisen
  • Mr Yves Brasey, vice-président de l’association Baclofène
  • Dr Pascal Gache, alcoologue, Genève, Président de l’association AUBES
  • Mme Marion Gaud, administratrice de l’association Aubes
  • Pr Bernard Granger, psychiatre, co-fondateur de l’association Olivier Ameisen
  • Mme Sylvie Imbert, présidente de l’ association Baclofène
  • Pr Philippe Jaury, généraliste, coordinateur de l’essai Bacloville
  • Dr Bernard Joussaume, généraliste, co-fondateur de l’association AUBES
  • Dr Annie Rapp, généraliste et psychothérapeute, co-fondatrice du RESAB
  • Dr Patrick de La Selle, généraliste, président du RESAB

So, und jetzt kommt’s: Der offene Brief enthält auch Verweise zu diversen Studien, welche zu diesem Thema bereits durchgeführt wurden:

  • 2004 : Higgs S, Barber DJ. Effects of baclofen on feeding behaviour examined in the runway. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 2004 Mar;28(2):405-8. PubMed PMID: 14751441.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14751441/
  • 2005 : Buda-Levin A, Wojnicki FH, Corwin RL. Baclofen reduces fat intake under binge-type conditions. Physiol Behav. 2005 Sep 15;86(1-2):176-84. PubMed PMID: 16140347; PubMed Central PMCID: PMC1769468.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16140347/
  • 2006 : Wojnicki FH, Roberts DC, Corwin RL. Effects of baclofen on operant performance for food pellets and vegetable shortening after a history of binge-type behavior in non-food deprived rats. Pharmacol Biochem Behav. 2006 Jun;84(2):197-206. Epub 2006 Jun 19. PubMed PMID: 16782181; PubMed Central PMCID: PMC1769471.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16782181
  • 2007 : Broft AI, Spanos A, Corwin RL, Mayer L, Steinglass J, Devlin MJ, Attia E, Walsh BT. Baclofen for binge eating: an open-label trial. Int J Eat Disord. 2007 Dec;40(8):687-91. PubMed PMID: 17647277.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17647277
  • 2010 : Guardia D, Rolland B, Karila L et al. GABAergic and Glutamatergic Modulation in Binge Eating: Therapeutic Approach. Current Pharmaceutical Design, May 2011, Pages 1396-1409 (14).
    http://www.eurekaselect.com/74446/article
  • Arima H, Oiso Y. : Positive Effect of Baclofen on Body Weight Reduction in Obese Subjects – A Pilot Study. Internal Medicine Vol. 49 (2010) No. 19 P 2043-2047
    Full text : https://www.jstage.jst.go.jp/article/in ... _2043/_pdf
  • 2012 : Corwin RL, Boan J, Peters KF, Ulbrecht JS. Baclofen reduces binge eating in a double-blind, placebo-controlled, crossover study. Behav Pharmacol. 2012 Sep;23(5-6):616-25. doi: 10.1097/
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22854310
  • 2014 : Wojnicki FH, Brown SD, Corwin RL. Factors affecting the ability of baclofen to reduce fat intake in rats. Behav Pharmacol. 2014 Apr;25(2):166-72. doi: 10.1097/FBP.0000000000000031. PubMed PMID: 24569221.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24569221
  • Avena NM, Bocarsly ME, Murray B, Gold MS. Effects of baclofen and naltrexone, alone and in combination, on the consumption of palatable food in male rats. Experimental and Clinical Psychopharmacology, Vol 22(5), Oct 2014, 460-467
    http://psycnet.apa.org/psycinfo/2014-30827-001/
Vielleicht kann sich ja mal jemand diese Studien ansehen und berichten, wie da die bisherigen Resultate und Erfahrungen sind. Zu guter Letzt wird noch auf eine laufende Umfrage der Association BACLOFENE verwiesen sowie auf ein Unterform und einen Thread, in welchen ausgiebig (auf Französisch) über Baclofen als Therapieoption bei solchen Ess-Störungen diskutiert wird.

Ich kann das jetzt nicht alles analysieren und deshalb auch keine Meinung dazu abgeben, sicher sollte man das aber im Auge behalten und das wird von „den Franzosen“ mit Sicherheit auch getan werden. Vieles deutet jedenfalls darauf hin, dass Baclofen eine gute Alternative bei der Behandlung solcher Ess-Störungen sein könnte.

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon gretikatz » 8. Januar 2015, 19:53

Meine Erfahrung:
Bei 20 mg/d Baclofen Gelüste nach Schokolade. (Ich habe 10 Stk. 100 g-Tafeln im Sonderangebot gekauft, um ein Mitbringsel für Besuche über Weihnachten zu haben - alle innerhalb von wenigen Tagen selbst gefressen! Manchmal sogar 2 Stk. am Abend.)
Bei 30 mg/d ist der Zauber wieder vorbei - ich habe allerdings keine Schokolade im Hause, dafür anderes - Kekse, Stundentenfutter, Rosinen, Nüsse .... nichts davon macht mich an.
(Weiterhin kein Alkohol - ausgenommen einmal ein Obstler nach Einladung zu Kässpätzle - das habe ich mir erlaubt!)

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon Ninja » 10. Januar 2015, 01:15

Ich will mich die Tage eingehender melden, aber das Thema hätte für mich einen drängenden Nutzen, da ich Bulimiepatientin bin. Im übrigen heißt es auch bei Nalmefen, dass dieses appetitzügelnd wirken würde. Das klingt für Außenstehende wie ein Paradoxon? Erklär ich bald (oder eine andere?); heute bin ich zu müde (bin stolz, dass ich gerade keine Alk mehr zum schlafen brauche :) ).

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon DonQuixote » 10. Januar 2015, 01:42

Hallo Ninja

Ninja hat geschrieben:Im Übrigen heißt es auch bei Nalmefen, dass dieses appetitzügelnd wirken würde.

Wir dürfen da nichts verwechseln. Baclofen ist kein Appetitzügler. Unter anderem entzündete sich die Debatte in Frankreich (siehe oben) auch daran, dass Baclofen in französischen Medien oft irrtümlich als Appetitzügler dargestellt wurde. Baclofen kann bei Ess-Störungen wie Binge-Eating oder Bulimie helfen, ist aber völlig ungeeignet für Personen, die lediglich weniger essen, d.h. ihren Appetit zügeln und damit ihr Gewicht reduzieren möchten. Die Autoren des oben genannten offenen Briefes stellen das auch sehr klar, indem sie schreiben:

Autoren des offenen Briefes hat geschrieben:Keinesfalls ist Baclofen ein Medikament zur Zügelung von Hungergefühlen, wie das in aktuellen Medienberichten kolportiert wurde. Für Patienten, welche lediglich ein Medikament für die Gewichtsreduktion suchen, ist Baclofen ungeeignet.

Und das gilt übrigens auch für Nalmefen. Wenn überhaupt ...

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon GoldenTulip » 10. Januar 2015, 07:06

Hm,

mit Bulimie/ BE kenne ich mich nicht wirklich aus. Ich weiß aber, dass im Gehirn bei süchtigem Zuckerkonsum die gleichen Gehirnregionen (Dopamin/ Belohnungszentrum) stimuliert werde wie beim Alkoholkonsum. Insofern halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Baclofen sich bei beidem gleichermaßen cravingtechnisch auswirkt.

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon Ninja » 11. Januar 2015, 01:17

Hm ja. Das Wort "Appetitzügler" hat wohl einen ganz bestimmten Touch bekommen. Ich meine damit selbst auch keinen normalen Ernährungswunsch. Wenn man selbst in eine bestimmte Schiene gerät, dann hat man quasi ständig Appetit resp. Fressdruck. In so einem Zusammenhang wird wohl auch von anerkannten Medikamenten wie Fluoxetin von einer appetitzügelnden/-hemmenden Wirkung gesprochen. Bei Essstörungen können "Appetitzügler" in die falsche Richtung ausschlagen, keine Frage, oder sie gleichen die vorab falsche Richtung wieder aus. Ist jetzt meine Interpretation... Wobei das ganze Thema so komplex ist, dass ich das auch niemals ohne therapeutische Begleitung empfehlen würde. Die Warnung ist also durchaus äußerst wichtig, wie ich finde! Vielleicht mag es Leute geben, bei denen Sucht und ES die gleichen Ursachen haben, und die erst dann an das Grundproblem kommen, wenn sie beides erstmal ausschalten. Ist nur so ein verrückter Gedanke... da könnte eine Medikament helfen, das beide Ursachen angeht...

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon DonQuixote » 11. Januar 2015, 14:36

Hallo Ninja & All

Ninja hat geschrieben:
Hm ja. Das Wort "Appetitzügler" hat wohl einen ganz bestimmten Touch bekommen.
[…]
Die Warnung ist also durchaus äußerst wichtig, wie ich finde!
[…]

Ja, ich glaube in diesem Sinne haben die französischen Docs diesen Vorbehalt auch ausgesprochen. Baclofen ist sicher kein Life-Style-Medikament für gesundheits- und linienbewusste Damen und Herren. In diversen Medien wurde das jedenfalls so dargestellt oder zumindest dahingehen der Eindruck erweckt.

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon Ninja » 11. Januar 2015, 20:32

Und genau das ist extrem gefährlich für junge Mädels, die dabei sind, in die ES-Falle zu geraten. Deswegen war es gut, dass das nochmal thematisiert wurde!

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Re: Baclofen als Therapieoption bei Binge-Eating und Bulimie

Beitragvon DonQuixote » 23. April 2015, 20:04

Seid gegrüßt

Am 14. April dieses Jahres erschien in Frankreich wieder einmal ein Artikel zum Thema Essstörungen, wie z.B. Bulimie:

Pourquoi Docteur hat geschrieben:Normalerweise beginnt die „Karriere“ eines Medikaments in einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Dann geht es weiter mit Synthese und weiteren Test. Erweist sich der „Kandidat“ als vielversprechend, folgen klinische Studien, welche einem standardisierten Protokoll folgen. Erforderlich sind auch strenge statistische Auswertungen, welche die Wirksamkeit und die sichere Anwendung nachweisen müssen. Kurz: eine langjährige, genau vorgegebene Prozedur … welcher Baclofen ein weiteres Mal zu entwischen scheint.

„Traditionell“ zugelassen seit Ende der vergangenen 70er Jahre, nämlich für die Behandlung der Spastizität, insbesondere bei Multiple-Sklerose, durchbrach Baclofen diesen Kreislauf bereits 2008, kurz nach der Veröffentlichung von Olivier Ameisens Buch „Das letzte Glas“, in welchem der Kardiologe davon berichtete, wie er sich mit dem Medikament von seiner Alkoholabhängigkeit befreite.

Im Jahr 2014 erhielt das Medikament von der nationalen französischen Agentur für die Überwachung der Sicherheit von Medizinalprodukten (ANSM) eine zunächst auf drei Jahre befristete Zulassung (RTU) für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Für die Ärzte war das so etwas wie ein Wundermittel, welches sie nun in einem streng regulierten Rahmen einigen ihrer Patienten verschreiben konnten, bei denen bisherige Therapien scheiterten.

Und nun ist es ein neues Buch, welches in einigen Wochen erscheinen wird, und welches die Popularität von Baclofen weiter befördern könnte, wie der Sender Europe 1 heute Morgen berichtete. in Ihrem Buch „Enfin libre grâce au Baclofène ! Comment j'ai mis fin à des années de boulimie.“ (Endlich frei Dank Baclofen. Wie ich meiner jahrelangen Bulimie ein Ende setzen konnte.) schildert Agnès Renaud, wie sie dank hoher Dosierung dieses Medikaments, ein Muskelrelexans, der Hölle ihrer Essstörung entfliehen konnte.

Vor einer solchen Anwendung hatte jedoch die ANSM vergangenen Januar gewarnt (Anm: DonQ: siehe hier). Sie erinnerte daran, „dass es für diese Art der Behandlung keine Wirksamkeitsnachweise gibt, und das Risiko von potentiellen Nebenwirkungen wiegt schwer.“ Sprich Übelkeit, Erbrechen, Herzrhythmusstörungen, ja sogar Fälle von Suizid könnten auftreten.

Einige Ärzte halten jedoch mit ihrem positiven Urteil nicht zurück. So zum Beispiel Dr. Renaud de Beaurepaire, Leiter der psychiatrischen Abteilung am Hospital de Villejuif (Paris), welcher gegenüber Europe 1 unumwunden zugibt, die Warnung der ANSM zu ignorieren: „Ich verschreibe Baclofen sehr wohl zur Behandlung von Essstörungen, denn es gibt zurzeit kein zugelassenes Medikament für die Behandlung von z.B. Bulimie.“

So wie bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit unterstreicht diese neue Episode in der „Karriere“ von Baclofen vor allem den Rückstand oder sogar das völlige Fehlen von entsprechender Forschung in der Suchtmedizin, was die Patienten und damit auch ihre Ärzte in eine Situation hineinmanövriert, in welcher sie bei solchen Heilversuchen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

Also da werden wieder mal alle möglichen Nebenwirkungs-Teufel an die Wand gemalt. Wobei es insbesondere die ANSM aufgrund ihrer bisher einjährigen Erfahrungen mit der RTU eigentlich besser wissen sollte.

Meint DonQuixote


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