Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

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DonQuixote
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Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 4. Juli 2015, 19:48

Seid gegrüßt

Ich als Schweizer, d.h. ohne Euro, dafür mit etwas Schweizer Franken in der Tasche, habe ja leicht reden, aber vielleicht war ja damals 1998 die Einführung des Euro doch nicht so eine tolle Sache wie ursprünglich angedacht. Das meinte jedenfalls Gregor Gysi bereits im April 1998 in seiner Rede anlässlich der Bundestagsdebatte zur Einführung der neuen Gemeinschaftswährung.

Quelle #1 hat geschrieben: In heute geradezu verblüffender Klarheit skizzierte Gregor Gysi am 23. April 1998 im Bundestag, welche Folgen die bevorstehende Euro-Einführung für Europa haben werde. Er sollte bis ins Detail Recht behalten.

An manchen Stellen glaubt man, es wäre der 1. Juli 2015 und Gregor Gysi würde seinen Redebeitrag zur Griechenland-Debatte des Bundestages halten. So zutreffend zumindest sind seine Prognosen, als ob er über jene Krise resümieren würde, die seit 2008 den gesamten Euro-Raum erfasst hat. Doch die Rede stammt vom 23.4.1998 und war Teil eines siebenstündigen Schlagabtausches im Bundestag über die Einführung des Euro als neue europäische Gemeinschaftswährung. […]
(Weiterlesen hier …)

Quelle #2 hat geschrieben:Lest euch mal diese Rede von Gregor Gysi vom April 1998 im Bundestag durch (oder guckt das Video an). Und macht mal eine Strichliste, wie viele seiner Vorhersagen eingetroffen sind, und wie viele nicht.
(Quelle …)



Die Rede von Gregor Gysi habe ich um knapp 2 Minuten eingekürzt, das Original findet Ihr jedenfalls hier.

Man mag ja von olle Gregor Gysi und seiner Partei (Die Linke) halten was man will, aber so ganz ohne Opposition wär’s in einer Demokratie eben auch öde …

Meint jedenfalls DonQuixote

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WilloTse
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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon WilloTse » 6. Juli 2015, 07:15

Moin DonQ!

Jau, das war 'ne heiße Woche, in jeder Hinsicht.

Was mich an der Gysi-Rede und vielen aktuellen Kommentaren von Journalisten und den Antworten darauf in den Leserbriefen/Foren der großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen verblüfft, ist, dass einige fundamentale Dinge konsequent übersehen werden.
Griechenland hat mit diesem Hau-Ruck-Referendum, in dem eine inhaltlich überforderte Bürgerschaft über etwas abstimmen sollte, das gar nicht mehr auf dem Verhandlungstisch liegt, nicht, wie in vielen Kommentaren zu lesen ist, die "Demokratie nach Europa zurückgebracht".
Denn auch die anderen 18 Regierungen, die (inzwischen nicht mehr) am Verhandlungstisch sitzen, sind demokratisch gewählt. Ob man Schäuble & Co. nun mag oder nicht, sie sind im Auftrag ihrer Wähler – also auch in meinem – unterwegs.
Und, bei allem Verständnis für die griechische Bevölkerung, sie handeln natürlich erst mal im Interesse ihrer eignen Steuerzahler. Es ist ja nun nicht so, dass Griechenland der einzige souveräne Staat in Europa wäre.

Immer wieder ist zu hören und zu lesen, dass „wir“ ja nicht gefragt worden wären, ob „wir“ denn den Euro überhaupt haben wollten.
Ähh? Nein?
Also, mich haben sie gefragt. Und sie fragen mich alle naselang wieder. Und dann lese ich über die jeweiligen Parteiprogramme drüber und gucke mal, wofür die Leutchen so stehen, die ich mit dem Auftrag, dieses Land vernünftig zu verwalten, ankreuze. Und kann hinterher nicht von mir behaupten, ich hätte ja von all dem nichts gewusst.

Und eine solcherart demokratisch gewählte griechische Regierung hat auch den Kreditpaketen, die jetzt so böseböse sind, zugestimmt.

Man kann sich sicher darüber unterhalten, ob die Bedingungen, die von Seiten der internationalen Kreditgeber gestellt wurden, für das Wirtschaftswachstum Griechenlands optimal waren. Ich bin zwar grundsätzlich der Ansicht, dass Griechenland auf einem mühsamen, aber guten Weg war, aber den Griechen war er offenbar zu mühsam und nicht gut genug. Darüber kann man ja verhandeln, das ist doch kein Ding. Das hat meiner Meinung nach die Eurogruppe auch nie abgelehnt.
Sicher, da gab es die Hardliner und die eher Nachgiebigen, aber es gab Zeiten, da wären freundschaftliche Verhandlungen doch möglich gewesen. Das ist erst ein paar Monate her.
Ob allerdings die derzeitige griechische Verhandlungsposition
- wir sind total pleite
- wir brauchen dringendst Geld von Euch
- ob Ihr es wiederkriegt, können wir Euch nicht versprechen
- die alten Schulden wollen wir erlassen haben
- was wir hier in unserem Staat mit dem Geld machen, geht Euch gar nichts an!
nun funktionieren kann, kann jeder, der sich für sowas interessiert, ja einfach mal bei seiner Hausbank ausprobieren.

Diese ganze derzeitige Misere ist ein Lehrstück in Sachen Demokratie: da kannst Du Dir mal life und in Farbe anschauen, was passiert, wenn Menschen in einem heruntergewirtschafteten Land anfangen, radikal zu wählen. Dann ist das bis dato „nur“ heruntergewirtschaftete Land binnen eines halben Jahres isoliert und pleite. Und dann kommen die schrillen Töne. Die Geldgeber, deren Hilfe dringend benötigt wird, werden als „Terroristen“ bezeichnet. Nicht in der Kneipe, sondern von einem Minister. Europafahnen werden verbrannt, die deutschen Politiker kriegen auf Plakaten die sattsam bekannte Rotzbremse angemalt, es werden nationale und personale Feindbilder aufgebaut.

Und hier komme ich auf meinen eigentlichen Kritikpunkt an der Rede von Gysi und den Meinungen, die auch heute in dieses Horn stoßen: die anderen 18 Eurogruppenländer sind sich doch einig! Es gibt eine riesengroße Einigung, eine Masse von 326 Millionen Eurozonen-Europäern, die sich, neben vielen anderen Dingen, darüber einig sind, dass die (Regierung der) 11 Millionen Griechen den Bogen überspannt haben! (Zum Vergleich: die Einwohnerzahl der USA beträgt 319 Millionen).
Die gleichzeitig bereit ist, jedes halbwegs verhandelbare Angebot aus Griechenland auch weiter zu verhandeln. Es laufen bereits jetzt in Brüssel die Vorbereitungen zur Koordination von Hilfsmaßnahmen für die griechische Bevölkerung an (v.A. Medikamente), falls keine Einigung mit der Regierung erzielt werden kann. Denn – auch darin sind sich die 326 Millionen Menschen einig – wir werden die Menschen in Griechenland auf keinen Fall hängen lassen! Wir stehen füreinander ein. Wenn sich alle an ein paar basale Spielregeln halten.

Und wir haben wirklich keine „Europäische Gemeinschaft“? Das sehe ich aber ganz anders!

LG
Willo

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon WilloTse » 6. Juli 2015, 08:34

Nachtrag:
Yanis Varoufakis ist soeben als griechischer Finanzminister zurückgetreten. [wacko]

Es ist doch nicht der Euro, der gescheitert ist, auch nicht Europa. Gescheitert ist die heute-hüh-und-morgen-hott-Politik einer Regierung, die jedes Maß und jede Mitte verloren hat.

Yanis Varoufakis hat geschrieben:And I shall wear the creditors’ loathing with pride.


"Und ich werde den Hass (Ekel, Abscheu) der Kreditgeber mit Stolz tragen."

...ohne Worte...

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 6. Juli 2015, 20:33

Hi Willo

Danke für Deine Einschätzung. Gestatte mir noch ein paar Worte dazu:

WilloTse hat geschrieben:Nachtrag: Yanis Varoufakis ist soeben als griechischer Finanzminister zurückgetreten. [wacko] Es ist doch nicht der Euro, der gescheitert ist, auch nicht Europa. Gescheitert ist die heute-hüh-und-morgen-hott-Politik einer Regierung, die jedes Maß und jede Mitte verloren hat.

Yanis Varoufakis hat geschrieben:And I shall wear the creditors’ loathing with pride.

"Und ich werde den Hass (Ekel, Abscheu) der Kreditgeber mit Stolz tragen." ...ohne Worte...

Varoufakis ist nach eigenen Angaben zurückgetreten, weil ihm seine internationalen Partner der Eurogruppe und der „Institutionen“ deutlich gemacht hatten, dass es besser wäre, wenn er nicht mehr an gemeinsamen Treffen teilnähme, man erklärte ihn sozusagen zur Persona non Grata. Eine andere Lesart besagt, dass ihm (Varoufakis) seine eigene Regierung und seine eigene Partei den Rücktritt nahegelegt hatten, aus was für Gründen auch immer.

Neu ist das gewiss nicht. Bereits Anfang März wurde Varoufakis „entmachtet“ und ihm bei den Brüsseler Verhandlungen ein „Aufpasser“ beigestellt. Wer das damals und vielleicht auf wessen Veranlassung letztendlich herbeigeführt hatte, blieb damals wie heute im Dunkeln.

Was man Varoufakis vorwarf, war nie eine Inkompetenz in makroökonomischen Fragen, seine Leistungen auf diesem Gebiet wurde auch nie ernsthaft angezweifelt. Was man ihm jedoch vorwarf, war „mangelndes politisches Bewusstsein und Gespür.“ Dazu dann allerdings Hans-Werner Sinn, u.a. Deutscher „Wirtschaftsweiser“ und Direktor des Münchner Ifo-Instituts in seinem Blog-Beitrag vom 1. Juni 2015:

Hans-Werner Sinn am 1. Juni 2015 hat geschrieben:[…] Und sollte es doch zum Grexit kommen, dann hat sie [die griechische Regierung] mit den Nettoüberweisungen von 99 Mrd. € ins Ausland und dem Eurobargeld in Höhe von 43 Mrd. €, zusammen immerhin 79% des BIP von 2014, die maximal mögliche Erstausstattung für den Übergang in das Drachmeregime herausgeholt. Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik.

Und da sind wir schon beim nächsten Thema, nämlich beim „Grexit“, oder anders gesagt bei einer möglichen neuen griechischen Währung, zunächst bei irgendwelchen Staatspapieren und danach bei der „guten alten“ Drachme. Und da schließt sich der Kreis zu Gysis Rede von 1998 wieder:

Gysi 1998 hat geschrieben:Alle würdigen am Euro, dass die Exportchancen Deutschlands sich erhöhen würden. Wenn das dann so wäre, wenn das dann so ist, dann müssen doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden, anders ginge es doch gar nicht! Das hießt wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und in anderen Ländern schwächen. Die werden „verostdeutscht“, weil sie diesem Export nicht standhalten können.

Ein hartes Wort: „Verostdeutschung“! Man darf sich sicher auch die Frage stellen, ob die quasi über Nacht eingeführte D-Mark damals ökonomisch klug war. Oskar Lafontain war damals der einzige ernstzunehmende deutsche Politiker, der daran öffentlich gewisse Zweifel geäußert hatte, und der damit mit seiner Kanzlerkandidatur 1990 dann auch grandios scheiterte. Seine Worte fanden jedenfalls kein Gehör, an der Einführung der Deutschen Einheitswährung führte damals politisch kein Weg vorbei. Es ist auch müßig, jetzt im Nachhinein über andere Szenarien zu spekulieren, jedenfalls spielt Ostdeutschland im Exportgeschäft zurzeit in der gleichen Liga wie andere „Südländer“, z.B. Spanien, Portugal, und ja, auch Griechenland.

Deutschland hat enorm vom Euro profitiert, nicht zuletzt auch Dank der Agenda 2000, die dann aber wieder andere innerdeutsche Nachteile mit sich brachte. Andere Länder hat der Euro jedoch vollständig der Möglichkeit beraubt, eine eigenständige Währungs- und Konjunkturpolitik zu betreiben, und das ist eigentlich auch der Hauptkritikpunkt von Gysi.

Und nochmal zurück zu Yannis Varoufakis, dem jetzt schon nach wenigen Monaten „Ex-Finanzminister“ Griechenlands. Seine Analyse scheint mir richtig: Auch mit noch so vielen Hilfspaketen wird es Griechenland nie möglich sein, seine Schulden zurückzuzahlen. Was es braucht, ist ein substanzieller Schuldenschnitt, welcher Griechenland von den anderen 18 Euro-Ländern aus ebenfalls nachvollziehbaren Gründen (@Willo: „Auftrag ihrer Wähler“) verweigert wird. Gerne wird dabei vergessen, dass auch viele andere Länder ihre Schulden nie werden zurückzahlen können. Ja, auch Deutschland nicht, und insbesondere auch die USA nicht, die aber letztere immerhin den Vorteil einer eigenen Währung und einer eigenen Notenbank auf ihrer Seite haben.

Ich suche seit Tagen nach einem treffenden Cartoon, den ich irgendwo gesehen hatte, den ich aber leider nicht mehr finde *grmpf*. Deshalb beschreibe ich den Cartoon hier mit Worten:

DonQuixotes vermisster Cartoon hat geschrieben:Ein Turmspringer steht ganz oben, bereit zum Absprung. Vor sich hat er zwei Absprungbretter, eines ist beschriftet mit „OXI“ (Ausgesprochen; „O(s)chi“ Griechisch = Nein) und das andere Absprungbretter ist beschriftet mit „NAI“ (Ausgesprochen; „Ne“ Griechisch =Ja). Darunter befindet sich ein Becken, in dem es von Haifischen wimmelt.

Egal also, von welchem Brett unser bedauernswerter griechischer Turmspringer runterspringt, er landet immer im selben Becken, nämlich in dem mit den Haifischen.

Ich habe keinen wirklichen ökonomischen Sachverstand, ich kann mich also auch nur auf mein Bauchgefühl verlassen, leider. Und ein solches Bauchgefühl liegt bei so komplizierten Dingen eben auch manchmal falsch. Mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass Griechenland mit dem „Grexit“, d.h. mit dem Ausstieg aus dem Euro und mit einer eigenen Währung für’s Erste besser fährt, auch wenn dieser Weg extrem schwierig sein wird und das Leid der Griechen zunächst noch vergrößern wird.

Und noch etwas, zum Bundesdeutschen Finanzminister Schäuble, konfrontiert mit der Frage, warum die Austeritätspolitik in Griechenland nicht funktioniert:

Der Bundesdeutsche Finanzminister Schäuble (sinngemäß) hat geschrieben:Unsere Austeritätspolitik funktioniert sehr wohl, das hat sie beispielhaft in Portugal, Spanien, Irland und anderswo gezeigt.

Das mag sein. Aber nur weil es „anderswo“ funktioniert hatte, heißt das ja noch nicht, dass das überall funktionieren muss. Die Griechen waren am vergangenen Abstimmungs-Sonntag jedenfalls nach fünf Jahren Austeritätspolitik anderer Meinung. Ich wünsche unseren griechischen Nachbarn, die ich sehr schätze, ich lebte fast 2 Jahre dort (1975 bis 1977), jedenfalls alles Gute auf ihrem weiteren und sicher sehr beschwerlichen Weg.

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 6. Juli 2015, 20:59

Ach ja, das hatte ich noch vergessen:

DonQuixote hat geschrieben:Was man Varoufakis vorwarf, war nie eine Inkompetenz in makroökonomischen Fragen, seine Leistungen auf diesem Gebiet wurde auch nie ernsthaft angezweifelt

Aber da war ja noch die „Stinkefinger-Affäre“? Ich habe mir das Video (das echte!) x-mal angesehen und fand da eigentlich nichts verwerfliches dran. Erstens fand die Aufnahme vor Varoufaki's Zeit als Regierungsmitglied und als Minister statt, und zweitens war die Stinkefinger-Handbewegung dort so beiläufig ausgeführt, dass man das unmöglich als Provokation auffassen konnte, was gewisse Medien dann eben anders taten. Was Varoufakis damals (2013) sagen wollte, gebe ich hier mit meinen eigenen Worten sinngemäß wieder:

Varoufakis in DonQuixotes sinngemäßen Worten hat geschrieben:Hey, Leute, was soll der Scheiß? Selbstverständlich wird Griechenland seine Schulden nie mehr zurückzahlen können, was habt Ihr denn erwartet? Hört endlich auf, den Griechen auf schlechtes Geld immer neues gutes Geld hinterherzuwerfen!

Diese Meinung vertrat er bis zum Schluss und musste für diese Haltung und seine konsequente Forderung nach einem Schuldenschnitt dann am Ende als griechischer EU-Chef-Unterhändler und als Finanzminister zurücktreten.

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon WilloTse » 7. Juli 2015, 08:32

Moin DonQ!

DonQuixote hat geschrieben:Ich habe keinen wirklichen ökonomischen Sachverstand, ich kann mich also auch nur auf mein Bauchgefühl verlassen, leider.

Das ist bei mir auch nicht anders. Man versucht halt irgendwie, diesen ganzen Kladderadatsch zu verstehen und stellt irgendwann fest, dass dieses ganze Globalisierungsweltkulturwirtschaftsverflechtungsdings ein bisschen komplexer ist, als dass das ein Kleinwillo allein durchblicken kann.

Was den Varoufakis angeht denke ich, dass auch in der Politik erst mal der Ton die Musik macht (der "Neue" Tsakalotos scheint das deutlich besser draufzuhaben, obwohl er politisch aus dem gleichen Stall kommt wie @Varou...)

Tsakalotos hat geschrieben:"Wir brauchen einen Deal, der tragfähig ist, gut für Europa und Griechenland."


DARAUF - wie immer das im Detail aussehen mag - wird man sich als Grundhaltung mühelos einigen können. [good]
Quelle

DonQuixote hat geschrieben:Was man Varoufakis vorwarf, war nie seine Kompetenz in makroökonomischen Fragen, seine Leistungen auf diesem Gebiet wurde auch nie ernsthaft angezweifelt.

Naja, das nehme ich aber anders wahr. Dass er den ganzen griechischen Mist nicht verzapft, sondern geerbt hat, hat man ihm meiner Meinung nach durchaus angerechnet. Aber es ist ihm - Makroökonom hin oder her - in den zugegeben wenigen Monaten seiner Amtszeit auch ganz offenkundig nicht gelungen, irgendeine für alle Seiten vertretbare wirtschaftliche (Übergangs-)Lösung für Griechenland zu entwerfen. Und das hat ja nicht nur Schäuble so wahrgenommen, alle anderen ja offenbar auch. Zitat Lagarde: "müssen erwachsen werden!" Das finde ich schon auch inhaltlich sehr arm.

Immerhin hat Griechenland seit Beitritt zur EU in 1981 eine halbe Billion Euro von "uns" bekommen. Inkl. einem Schuldenschnitt in 2012 im Wert von 150 Milliarden Euronen (ja, es gab bereits einen. Und, hat's geholfen??).
Das sind pro Grieche 45.000 Euro an Subventionen, Schuldenschnitten und verbilligten Krediten in gut 30 Jahren. Dazu kommen 317 Milliarden Euro Staatsschulden, das sind je Grieche nochmal 29.000 Euro. Das wär ja alles nicht so schlimm, wenn sie nicht trotzdem pleite gemacht hätten.

Denn das ist halt der Unterschied zu D oder USA: diese Länder haben pro Kopf ähnlich hohe bzw. deutlich höhere Schulden (26.500 bzw. 56.600), können aber, und das ist der zentrale Unterschied, den Kapitaldienst bedienen.

Und die Eurogruppe hat mMn halt recht, wenn sie sagt, es bringe überhaupt nix, weiter Geld nach Griechenland zu pumpen, wenn nicht zeitgleich in Griechenland die Löcher endlich gestopft werden. Das und nix anderes war und ist doch die Verhandlungsposition der Europartner.
Der tschechische Finanzminister (wenn ich mich recht erinnere, ich finde das Zitat leider gerade nicht wieder :wb ) hat zu Beginn der Verhandlungen mit der neuen Athener Regierung sinngemäß gesagt: "Sollen wir unseren Leuten die Renten kürzen, damit Ihr sie Euren nicht kürzen müsst?!"

Und das ist halt der Kern des Problems. Wir können es uns irgendwann auch nicht mehr leisten, Milliarden um Milliarden nach Athen zu karren, ohne sie je wiederzusehen und ohne dass man wenigstens den Eindruck hat, Griechenland versuche zumindest ernsthaft, die Lecks zu finden und abzudichten. Und die müssen halt irgendwie so was wie eine funktionierende Finanzverwaltung einführen, vorher brauchst Du auch keine Investitionsprogramme anzuwerfen. Es nützt Oma Rastapopulos mit ihrer Minirente halt schlichtweg überhauptnix, wenn die griechischen Unternehmen wieder Gewinne machen, diese aber dann nicht effizient versteuert werden. So lange das nicht funktioniert, kommt, egal wie das Wirtschaftswachstum in GR aussieht, bei Omma nichts an.

Und das ist halt ein verdammtes innergriechisches Problem, kein europäisches.

Meint jedenfalls

Willo

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 10. Juli 2015, 23:59

Seid gegrüßt

Hier noch ein Beitrag von Georg Schramm, der sich eigentlich bereits vor geraumer Zeit von allen öffentlichen Bühnen zurückgezogen hatte. An diesem vergangenen 2. Juli trat er jedoch vor der Generalversammlung der Elektrizitätswerke Schönau nochmals auf, er hatte sich dazu, wie er schelmisch bemerkte, kurzerhand „selbst eingeladen“. Aus Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber Ursula und Dr. Michael Sladek, für „Ihre Beharrlichkeit im Kampf gegen scheinbar übermächtige Strukturen und Ihren Beitrag zur Energiewende“, wie er sagte.

Georg Schramms Darbietung ist nicht eigentliches Kabarett, sondern eher ein Vortrag und eine Laudatio. Er spricht ganz allgemein über Atomenergie, die Finanzkrise, und ja, auch über den „Grexit“. Der Vortrag dauerte rund 37 Minuten, speziell zur Fianzkrise und zum „Grexit“ geht es etwa ab Minute 14:00 los, wohin ich hier jetzt auch verlinke. Wer sich den sehr hörens- und sehenswerten Vortrag in ganzer Länge anschauen möchte, der spule von dort einfach zurück.

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 11. Juli 2015, 00:43

Und noch ein Nachtrag:

DonQuixote hat geschrieben:Ich habe keinen wirklichen ökonomischen Sachverstand, ich kann mich also auch nur auf mein Bauchgefühl verlassen, leider. Und ein solches Bauchgefühl liegt bei so komplizierten Dingen eben auch manchmal falsch. Mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass Griechenland mit dem „Grexit“, d.h. mit dem Ausstieg aus dem Euro und mit einer eigenen Währung für’s Erste besser fährt, auch wenn dieser Weg extrem schwierig sein wird und das Leid der Griechen zunächst noch vergrößern wird.

Wie der komplette Zusammenbruch einer Währung und des Bankensytems eines Landes am Beispiel Argentiniens ablief, schildert ganz knapp und emotionslos dieser Artikel vom 10. Juli 2015 im Schweizer „Tages Anzeiger“ der Stadt Zürich:

Bestimmt ist Argentinien nicht Griechenland, und Südamerika nicht Europa. Und ich weiß ja für mich selbst nicht, wie dieses inzwischen bizarre Gezerre am Ende ausgehen soll oder ausgehen wird. Es gilt halt, immer alle Optionen im Auge zu behalten.

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 14. Juli 2015, 21:57

Seid gegrüßt

Beim eigentlichen Kernthema (Baclofen als Therapieoption der Alkoholabhängigkeit) ist ja bei uns zurzeit wenig „los“. Zeit also, etwas vom Thema abzuschweifen:

"Europa ist gerettet!". "Der Euro ist gerettet!". "Die Einigkeit ist gerettet!". "Griechenland, und mithin das gesamte Abendland ist gerettet!". So überschlugen sich die Schlagzeilen der letzten Tage.

Meiner Meinung nach ist gar nichts gerettet, allenfalls etwas Zeit gewonnen worden. Ja, klar, Griechenland muss selbst seine eigenen „Institutionen“ reformieren. Daran fehlte es ja auch in der Vergangenheit, was kaum jemand bezweifelte und bezweifelt. Ob da aber die „Europäischen Institutionen“ (d.h. die „Troika“, inkl. IWF) mit ihrem soeben beschlossenen Spar- und Fremdbestimmungsdiktat eine wirklich segensreiche Rolle werden spielen können, kann man möglicherweise geteilter Meinung sein (1h:30 min). Hier auch noch ein Interview (0h:42 min) von Thilo Jung („Jung und Naiv“) mit Harald Schumann, dem Autor der oben verlinkten ARTE-Dokumentation.

Ja, es wurde Zeit gewonnen. Die aus der Not geboren wahrscheinlich bald fusioniereden griechischen Banken werden ihre Geschäfte demnächst wieder aufnehmen, die derzeitige griechische Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras wird zurücktreten und einer Allparteien-Regierung, geführt zunächst von „Pragmatikern“ und „Technokraten“, platzmachen müssen. Danach wird es in Griechenland dann Neuwahlen geben.

Damit werden allerdings weder die Probleme Griechenlands noch die Probleme Europas noch die Probleme des Euro nachhaltig gelöst. Um die Illusion einer „späteren Lösung“ aufrechtzuerhalten, hat man sich bei dem in den letzten Tagen entwickelten Szenario mit zig-Milliarden Euro lediglich ein paar Jahre Zeit erkauft, um einen zukünftigen „Grexit“ dann besser vorbereitet abwickeln und dann halt auch besser „verkaufen“ zu können.

Meint DonQuixote

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon DonQuixote » 5. August 2015, 18:23

Hallo liebe Freunde der gepflegten Information.

Hier ein weiteres Off-Topic-Posting von mir:

Ein Interview „In Etappen“ mit dem damaligen und jetzt ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, erschienen am 3. August 2015 im „Stern“.

Nun bin ich ja jetzt nicht grad ein - ehm - leidenschaftlicher Leser dieses Blattes („Stern“), aber dieses Interview sollte man sich echt mal reinziehen.

Meint DonQuixote (Mit Dank an @Fefe für die Inspiration …)

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Re: Über die Einführung und den aktuellen Zustand des Euro

Beitragvon WilloTse » 6. August 2015, 07:24

Tach zusammen!

DonQuixote hat geschrieben:aber dieses Interview sollte man sich echt mal reinziehen.

Vielen Dank für diesen Fund!
An meiner Meinung zu @Varoufakis ändert das aber nicht viel.
Das einzige, was er offenbar wirklich perfekt beherrscht, ist das Spiel auf der Klaviatur des "hässlichen Deutschen".

Er beklagt sich darüber, dass in den neuen Vereinbarungen als erstes Mehrwertsteuern etc. erhöht wurden und das die "kleinen Leute" trifft? Recht hat er ja, aber wie sonst will der Staat an schnelles Geld kommen außer über die Erhöhung der Verbrauchsteuern? ist ja schön und gut, dass die Vermögen der wohlhabenden Griechen intensiv besteuert werden müssen, aber das umzusetzen dauert Jahre. Zumal bei einer ineffizienten Steuerverwaltung und einem nicht existenten Katasterwesen. Was sollen sie machen? Mit Lastwagen in die Schweiz fahren und das Schwarzgeld aus den Tresoren holen?

Dass kein vernünftiges Steuer- und Katasterwesen in Griechenland existiert, ist selbstverständlich auch Deutschlands Schuld, wer sonst sollte auch dafür verantwortlich sein?

Wir haben versucht, an die Reichen, an die Oligarchen und die Haie ranzugehen - das wurde uns verboten. Ich habe bei meinen Gesprächspartnern in Berlin, Brüssel, Paris in diesen Punkten um Hilfe gebeten. Aber die gab es nicht.

Um Hilfe gebeten? Nett. Die erste Amtshandlung war, die "Troika" aus dem Land zu werfen. "Fünf Jahre Demütigung sind genug!" Interessante Art, um Hilfe zu bitten.

Warum es in Griechenland seit mindestens 2010 nicht gelungen ist, "die Reichen" angemessen zu besteuern? Keine Antwort von @Varou.
Varoufakis ist gewählt worden wegen des Versprechens, dass die Sparpolitik ein Ende haben würde, weil er einen Schuldenerlass aushandeln würde. Vielleicht hätte er vor derartigen Versprechen mal die Geldgeber fragen sollen.

Und es mag ja sein, dass der Großteil der Hilfen an die großen deutschen und französischen Banken zurückgeflossen ist. Wie hoch der Anteil ist, weiß ich nicht, aber klar waren das irgendwo auch "Bankenrettungsprogramme" für die Deutsche Bank & Co. Auch da hat er recht. Sicher, es war riskant von den Banken, Griechenland noch billige Kredite zu gewähren, als es auf dem freien Kapitalmarkt eigentlich schon kein Geld mehr für Griechenland gab. Aber erstens haben ja zwei Seiten die Verträge unterschrieben und zweitens hätte andernfalls schon in 2010 die BILD getitelt: "Aus! Deutsche Bank dreht Griechenland den Geldhahn zu!"
Wäre irgendwie auch nur wieder auf die pösen Deutschen zugelaufen, oder?

Zudem: ich glaube nicht, dass Deutschland sich als "Europäischer Hegemon" sieht oder auch nur so sehen sollte. Und was soll das, dass "Alle" vor Deutschland kuschen? Als Italien und Frankreich Anfang Juli gesagt haben, nun sei aber mal gut mit neuen Forderungen von Schäuble (aus Italien) und dass man auf jeden Fall eine Lösung erreichen werde, die Griechenland im Euro hält (aus Frankreich), hat auch die deutsche Kommission binnen 48 Stunden dem neuen Hilfspaket zugestimmt. Also "kuschen" ist anders, oder?
Trotzdem ist Deutschland nunmal eine der stärksten Wirtschaften der Welt, der größte Geldgeber Griechenlands und der größte Nettozahler Europas, seit Jahrzehnten (in absoluten Zahlen, in pro-Kopf-Zahlen sind's die Schweden).
Sorry for annoying you with our money.
Und vielleicht könnte der Herr Wirtschaftsprofessor ja mal schauen, wie man das macht, wir haben schließlich auch keine Ölquellen.

Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass der Traumtänzer Varoufakis mit seinen professoralen Ideen von einer schönen neuen Welt krachend an der Realität gescheitert ist. Und Schuld daran ist - Deutschland im allgemeinen und Wolfgang Schäuble im besonderen. Wer auch sonst? :L

LG
Willo


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