Hi Willo
Danke für Deine Einschätzung. Gestatte mir noch ein paar Worte dazu:
WilloTse hat geschrieben:Nachtrag: Yanis Varoufakis ist soeben als griechischer Finanzminister zurückgetreten.
Es ist doch nicht der Euro, der gescheitert ist, auch nicht Europa. Gescheitert ist die heute-hüh-und-morgen-hott-Politik einer Regierung, die jedes Maß und jede Mitte verloren hat.
Yanis Varoufakis hat geschrieben:And I shall wear the creditors’ loathing with pride.
"Und ich werde den Hass (Ekel, Abscheu) der Kreditgeber mit Stolz tragen." ...ohne Worte...
Varoufakis ist nach eigenen Angaben zurückgetreten, weil ihm seine internationalen Partner der Eurogruppe und der „Institutionen“ deutlich gemacht hatten, dass es besser wäre, wenn er nicht mehr an gemeinsamen Treffen teilnähme, man erklärte ihn sozusagen zur Persona non Grata. Eine andere Lesart besagt, dass ihm (Varoufakis) seine eigene Regierung und seine eigene Partei den Rücktritt nahegelegt hatten, aus was für Gründen auch immer.
Neu ist das gewiss nicht. Bereits Anfang März wurde Varoufakis „entmachtet“ und ihm bei den Brüsseler Verhandlungen ein
„Aufpasser“ beigestellt. Wer das damals und vielleicht auf wessen Veranlassung letztendlich herbeigeführt hatte, blieb damals wie heute im Dunkeln.
Was man Varoufakis vorwarf, war nie eine Inkompetenz in makroökonomischen Fragen, seine Leistungen auf diesem Gebiet wurde auch nie ernsthaft angezweifelt. Was man ihm jedoch vorwarf, war „mangelndes politisches Bewusstsein und Gespür.“ Dazu dann allerdings
Hans-Werner Sinn, u.a. Deutscher „Wirtschaftsweiser“ und Direktor des Münchner Ifo-Instituts
in seinem Blog-Beitrag vom 1. Juni 2015:Hans-Werner Sinn am 1. Juni 2015 hat geschrieben:[…] Und sollte es doch zum Grexit kommen, dann hat sie [die griechische Regierung] mit den Nettoüberweisungen von 99 Mrd. € ins Ausland und dem Eurobargeld in Höhe von 43 Mrd. €, zusammen immerhin 79% des BIP von 2014, die maximal mögliche Erstausstattung für den Übergang in das Drachmeregime herausgeholt. Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik.
Und da sind wir schon beim nächsten Thema, nämlich beim „Grexit“, oder anders gesagt bei einer möglichen neuen griechischen Währung, zunächst bei irgendwelchen Staatspapieren und danach bei der „guten alten“ Drachme. Und da schließt sich der Kreis
zu Gysis Rede von 1998 wieder:
Gysi 1998 hat geschrieben:Alle würdigen am Euro, dass die Exportchancen Deutschlands sich erhöhen würden. Wenn das dann so wäre, wenn das dann so ist, dann müssen doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden, anders ginge es doch gar nicht! Das hießt wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und in anderen Ländern schwächen. Die werden „verostdeutscht“, weil sie diesem Export nicht standhalten können.
Ein hartes Wort: „Verostdeutschung“! Man darf sich sicher auch die Frage stellen, ob die quasi über Nacht eingeführte D-Mark damals ökonomisch klug war. Oskar Lafontain war damals der einzige ernstzunehmende deutsche Politiker, der daran öffentlich gewisse Zweifel geäußert hatte, und der damit mit seiner Kanzlerkandidatur 1990 dann auch grandios scheiterte. Seine Worte fanden jedenfalls kein Gehör, an der Einführung der Deutschen Einheitswährung führte damals politisch kein Weg vorbei. Es ist auch müßig, jetzt im Nachhinein über andere Szenarien zu spekulieren, jedenfalls spielt Ostdeutschland im Exportgeschäft zurzeit in der gleichen Liga wie andere „Südländer“, z.B. Spanien, Portugal, und ja, auch Griechenland.
Deutschland hat enorm vom Euro profitiert, nicht zuletzt auch Dank der
Agenda 2000, die dann aber wieder andere innerdeutsche Nachteile mit sich brachte. Andere Länder hat der Euro jedoch vollständig der Möglichkeit beraubt, eine eigenständige Währungs- und Konjunkturpolitik zu betreiben, und das ist eigentlich auch der Hauptkritikpunkt von Gysi.
Und nochmal zurück zu Yannis Varoufakis, dem jetzt schon nach wenigen Monaten „Ex-Finanzminister“ Griechenlands. Seine Analyse scheint mir richtig: Auch mit noch so vielen Hilfspaketen wird es Griechenland nie möglich sein, seine Schulden zurückzuzahlen. Was es braucht, ist ein substanzieller Schuldenschnitt, welcher Griechenland von den anderen 18 Euro-Ländern aus ebenfalls nachvollziehbaren Gründen (@Willo: „Auftrag ihrer Wähler“) verweigert wird. Gerne wird dabei vergessen, dass auch viele andere Länder ihre Schulden nie werden zurückzahlen können. Ja, auch Deutschland nicht, und insbesondere auch die USA nicht, die aber letztere immerhin den Vorteil einer eigenen Währung und einer eigenen Notenbank auf ihrer Seite haben.
Ich suche seit Tagen nach einem treffenden Cartoon, den ich irgendwo gesehen hatte, den ich aber leider nicht mehr finde *grmpf*. Deshalb beschreibe ich den Cartoon hier mit Worten:
DonQuixotes vermisster Cartoon hat geschrieben:Ein Turmspringer steht ganz oben, bereit zum Absprung. Vor sich hat er zwei Absprungbretter, eines ist beschriftet mit „OXI“ (Ausgesprochen; „O(s)chi“ Griechisch = Nein) und das andere Absprungbretter ist beschriftet mit „NAI“ (Ausgesprochen; „Ne“ Griechisch =Ja). Darunter befindet sich ein Becken, in dem es von Haifischen wimmelt.
Egal also, von welchem Brett unser bedauernswerter griechischer Turmspringer runterspringt, er landet immer im selben Becken, nämlich in dem mit den Haifischen.
Ich habe keinen wirklichen ökonomischen Sachverstand, ich kann mich also auch nur auf mein Bauchgefühl verlassen, leider. Und ein solches Bauchgefühl liegt bei so komplizierten Dingen eben auch manchmal falsch. Mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass Griechenland mit dem „Grexit“, d.h. mit dem Ausstieg aus dem Euro und mit einer eigenen Währung für’s Erste besser fährt, auch wenn dieser Weg extrem schwierig sein wird und das Leid der Griechen zunächst noch vergrößern wird.
Und noch etwas, zum Bundesdeutschen Finanzminister Schäuble, konfrontiert mit der Frage, warum die Austeritätspolitik in Griechenland nicht funktioniert:
Der Bundesdeutsche Finanzminister Schäuble (sinngemäß) hat geschrieben:Unsere Austeritätspolitik funktioniert sehr wohl, das hat sie beispielhaft in Portugal, Spanien, Irland und anderswo gezeigt.
Das mag sein. Aber nur weil es „anderswo“ funktioniert hatte, heißt das ja noch nicht, dass das überall funktionieren muss. Die Griechen waren am vergangenen Abstimmungs-Sonntag jedenfalls nach fünf Jahren Austeritätspolitik anderer Meinung. Ich wünsche unseren griechischen Nachbarn, die ich sehr schätze, ich lebte fast 2 Jahre dort (1975 bis 1977), jedenfalls alles Gute auf ihrem weiteren und sicher sehr beschwerlichen Weg.
DonQuixote