Steffi stellt sich vor

Hier erhalten Angehörige von Alkoholabhängigen Rat und Hilfe sowie auch Arztvorschläge. Und sie können dort lesen, wie andere mit dem Problem umgehen.
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Stefanie
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Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Steffi stellt sich vor

Beitragvon Stefanie » 18. November 2016, 17:06

Hallo, mein Name ist Steffi und ich bin 37 Jahre alt.
Ich habe vor wenigen Wochen in den Öffentlich Rechtlichen eine Reportage über Baclofen gesehen und neue Hoffnung für meine Mutter geschöpft. Sie ist 67 Jahre alt und kennt sich mit Computern nicht aus, so dass ich sie und auch gleich mich vorstelle. Meine Mutter ist seit ca. 30 Jahren alkoholkrank.

Mein Vater starb an der Krankheit da war ich 17 Jahre alt. Danach habe ich mit meiner Mutter (ich bin Einzelkind) 10 Jahre zusammen gewohnt. Seit 2005 wohnt sie allein und hat ihre erste Entgiftung und Langzeit-Entwöhnung gemacht. Nach drei Monaten durfte sie wieder nach Hause, doch alles fing von vorne an. In ihrer gewohnten Umgebung traten die alten Trinkmuster wieder ans Licht.

2009 bekam sie einen Krampfanfall und musste mit einer lebensgefährlichen Kopfwunde ins Krankenhaus. Ich versuchte alles, dass sie eine erneute Therapie versuchte und so startete sie 2009 eine neue Entgiftung auf die eineinhalb Jahre ambulante Therapie folgten. Zu der Zeit setzte ich mich offensiv mit dem Thema auseinander und entdeckte meine Rolle bei der Sucht. Die ständige Unterstützung und Hilfe, das Auffangen, dass sie zu der Annahme trieb, es ist doch alles nicht so schlimm und sie sei nicht krank. Während sie bei Ihrer Selbsthilfegruppe war, war ich bei meiner Angehörigen-Gruppe und es schien, dass sie trocken blieb. 2011 konnte sie sogar bei der Geburt meiner Tochter dabei sein. Nüchtern. Was mir unglaublich viel bedeutete. Doch heimlich trank sie alkoholfreies Bier und nach wenigen Monaten griff sie zum alkoholhaltigen Bier.

Es wurde immer schlimmer. Ich war völlig von meiner Tochter eingebunden und wenn ich die Hilfe meiner Mutter brauchte, war sie zu betrunken, um zu kommen und mir zu helfen oder sie kam betrunken, so dass ich Angst hatte, meine Tochter würde etwas mitbekommen und letzendlich das erleben, was ich in meiner Kindheit erlebt hatte.
Daraufhin entschied ich mit meinem Mann, dass sie betrunken nicht zu uns kommen darf und meine Tochter nehmen darf und ich habe es in der Tat geschafft ihr, wenn sie betrunken war, den Zutritt zu uns zu verweigern, so dass sie von allein schon nicht mehr kam.

2016 begleitete ich sie zum Arzt, weil sie sich ein Rezept abholen wollte. Dabei war sie mitten in einer eigeninitiierten Entgiftung. Ihr Blutdruck war so hoch, dass der Arzt sie gleich an die Rettungsstelle des nächsten Krankenhauses überwies und sie eine erneute 4wöchige Entgiftung startete. Währenddessen wurde mir klar, wie krank sie war und wie stark der Alkohol ihr Leben bestimmt. Ihre Wohnung war im wahrsten Sinne verwahrlost und ich war sprachlos, wie meine Mutter hauste. Die Suche nach einer entsprechenden Therapie stellt sich als Farce heraus. Man schlug ihr Tagesstätten vor, die für Pflegefälle waren. Jede Beratung buhlte um ihre Unterschrift. Es war schwer durch die Vielzahl an Angeboten zu blicken. Neben 2 Kindern und Job und meinem Leben , nahm ich ihr auch keine Entscheidung ab. Am Ende war sie so verwirrt (und erleichtert), dass sie sich für keine Entwöhnung entschied und wieder anfing zu trinken. Allerdings nicht mehr so ausufernd wie davor.

Ich sehe, wie sie kämpft und leidet, wenn sie es einen Tag nicht geschafft hat. Ich sehe, wie ich leide, wenn ich sie betrunken sehe. Als Anghörige, besonder als einzige Tochter, sitze ich mit Ihr noch immer in einem Boot, aber ich steige immer häufiger aus und geh an Land und das hilft auch ihr. Ich hoffe, dass das Forum und Baclofen eine Hilfe für sie sein können und freue mich, wenn ihr hier mit Rat und Tat geholfen werden kann. Vielleicht ist Baclofen nichts für sie, aber vielleicht kann es sie bei der Entwöhnung unterstützen und ihr helfen die Mutter und Oma zu sein, die sie sich zu sein wünscht. Es wird ihr auf jeden Fall zeigen, dass sie nicht allein ist.

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DonQuixote
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Re: Steffi stellt sich vor

Beitragvon DonQuixote » 19. November 2016, 21:21

Hallo Steffi

Herzlich willkommen in unserem Forum, und Danke für das Vertrauen, das Du uns entgegenbringst.

Für Angehörige von Alkoholkranken ist das eine ungeheuer schwierige Gratwanderung. Soll man die betreffende Person völlig fallen lassen, bis sie „ganz unten“ ist und von alleine „zur Besinnung“ kommt, oder soll man sie bestmöglich begleiten und unterstützen? Ihr habt zu Eurem und Eure Kinder Schutz gewisse Grenzen gezogen, ich denke, das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die Unterstützung des familiären Umfelds ein wichtiger und positiv fördernder Faktor bei Genesung und Rehabilitierung von Suchtkranken ist.

"Sucht" hat zwei Komponenten. Und das wird in der traditionellen Suchttherapie oft "vergessen":

  • Den "Trinkzwang" (physisches Craving), gegen den Betroffene nichts tun können, weil es sich dabei um biochemische Vorgänge handelt, die durch eigenes Zutun nicht beeinflussbar sind und
  • den "Trinkdrang" (psychisches Craving), oft ausgelöst aus Mangel an Alternativen zum Alkohol, um bestimmte Gemütszustände zu erreichen (Belohnung, Entspannung, "Kick", Hochgefühl, Hemmungs- oder Angstlosigkeit etc.). Hier können Betroffene selbst aktiv werden, indem sie sich beispielsweise andere Strategien suchen, um sich zu belohnen, sich zu entspannen, Ängste abzubauen etc.
    --> verhaltenstherapeutische Ansätze.
Bei ersterem (physisches Craving) kann Baclofen helfen: Durch den jahrelangen Alkoholkonsum ist die Biochemie aus dem Gleichgewicht geraten. Das "Hirn" hat bezüglich des Suchtmittels in gewisser Weise ein Eigenleben entwickelt, das man willentlich nicht mehr beeinflussen kann. Ständig wiederkehrendes Gedankenkreisen um Alkohol ist die Folge, bis man sich irgendwann auf gar nichts anderes mehr konzentrieren kann und letztlich trinken MUSS.

Dagegen kann man einen Tag, eine Woche, vielleicht auch Monat(e) ankämpfen, aber irgendwann holt einen der "alte Freund" doch wieder ein. Ganz abgesehen davon, dass so ein ständiger Kampf um die Abstinenz auch nicht gerade das ist, was man sich unter angenehmem Leben für gemeinhin so vorstellt.

Durch die entspannende, hemmende Wirkung von Baclofen kann im Idealfall das physische Craving eingedämmt werden, d. h. man muss nicht mehr ständig an Alkohol denken und gewinnt ein Stück weit seine Entscheidungsfreiheit zurück:

Aus dem Trinkzwang "Ich MUSS jetzt unbedingt etwas trinken, koste es was es wolle" wird ein "Ich KÖNNTE jetzt etwas trinken, kann's aber auch lassen oder auf später verschieben."

Baclofen "schlägt einem also das Glas nicht aus der Hand", aber es hilft dabei, wieder eigene Entscheidungen zu treffen und nicht mehr "fremdbestimmt" zu sein. Das ist ein wichtiger erster Baustein auf dem Weg aus der Abhängigkeit. Wenn das Denken nicht mehr ständig vom Suchtmittel bestimmt ist, wird der Kopf frei, um Maßnahmen gegen die andere Komponente des Cravings - den "Trinkdrang" (psychisches Craving) zu entwickeln.

Die Idee, die hinter der Baclofen-Therapie steht, ist also

a) über die "Beruhigung" der GABA-B-Rezeptoren langfristig einen ausgeglichenen, entspannten, relaxten Zustand herzustellen, damit extreme Stress-Situationen, Spannungen, Ängste und Verstimmungen etc., die einen zur Flasche greifen lassen, gar nicht erst aufkommen und

b) das körperliche Verlangen nach Alkohol (physisches Craving) einzudämmen, um die zwanghafte Komponente des abhängigen Trinkens ein Stück weit auszuschalten.

Erfahrungsgemäß ist es - zumindest in der Anfangsphase - daher wichtig, möglichst einen gleichmäßigen Baclofenspiegel über den Tag verteilt aufzubauen (z. B. mit drei bis vier Einnahmezeitpunkten im Abstand von +/- 4 Stunden) und das Medikament dabei langsam in kleinen Schritten aufzudosieren. Wie man dabei am besten vorgeht, steht im Leitfaden für die Anwendung bzw. in den auf die jeweilige Tablettenstärke zugeschnittenen Dosierungstabellen hier im Forum, die sich als gute Orientierungshilfen erwiesen haben.

Einen ersten Überblick rund um das Medikament bietet unsere Rubrik Baclofen erste Schritte, konkreter im Baclofen-Arztkoffer und Alles Wichtige auf einen Blick.

Lesenswert und aufschlussreich ist auch der Artikel "Ist Alkoholsucht doch heilbar?", den man auch online im PTA-Forum finden kann. Und natürlich das Buch "Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen. Der Kardiologe Olivier Ameisen war selbst betroffen und hat Baclofen als Therapieoption bei Abhängigkeitserkrankungen (wieder)entdeckt. Das Buch ist spannend zu lesen! Du kannst die E-Book-Version des Buches auch kostenlos über dieses Forum "ausleihen".

So wie ich das lese, wird Deine Mutter um eine weitere ärztlich begleitete („konventionelle“) stationäre Entgiftung (ca. 5 bis 10 Tage) wahrscheinlich nicht umhinkommen. Wichtig wäre dann, dass sie unmittelbar daran anschließend mit der Baclofen-Therapie beginnt. Wir führen eine Liste mit rund 100 Deutschen Ärzten, welche Baclofen zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit anwenden. Schreibe mir doch bitte ganz diskret per PN (Private Nachricht) wo Deine Mutter wohnt, dann kann ich nachschauen, welcher Arzt in ihrer Region für sie in Frage kommt. Und dann könntet ihr die Termine (Entgiftung <-> Beginn der Baclofen-Therapie) entsprechend koordinieren.

Bis also demnächst,

DonQuixote


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