Ich freue mich hier zu sein | Vorstellung JensL

Es wird eigentlich erwartet, dass sich Mitglieder vorstellen und ihre Lebensumstände schildern, damit die anderen in Etwa wissen, mit wem sie es zu tun haben und ihm dann auch besser helfen können.
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JensL
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Ich freue mich hier zu sein | Vorstellung JensL

Beitragvon JensL » 11. November 2016, 10:05

Liebe Forenmitglieder,
ich möchte mich gerne bei euch vorstellen.
Mein Name ist Jens (39) und ich komme aus der Nähe von Düsseldorf.

Schon seit ich denken kann, war ich ein sehr ängstlicher Mensch. Mit der Pubertät begann ich Alkohol zu trinken und merkte schnell, dass die Ängste durch den Konsum von Alkohol weniger wurden. So schlich sich der Alkohol immer häufiger in mein Leben und ich nutzte ihn immer öfter zum Gegenwirken meiner Ängste und Unsicherheiten. Lange dauerte es nicht und ich bekam auch Kontakt mit Drogen (gleicher Effekt). Ich startete eine furchtbare Konsumkarriere, die mich dann Anfang der 2000er Jahre erstmals in die Entgiftung brachte. Ich konnte nur noch mit großen Mengen Alkohol und/oder Drogen meine Ängste bekämpfen. Ich verlor immer öfters meine Anstellungen und das Leben wurde mit den Jahren chaotischer. Nach geschätzten 50 Entgiftungen (viele davon abgebrochen) entschied ich mich im Jahre 2007 für eine 6 monatige Langzeittherapie (da Polytox) in Hennef (EWK). Hier lernte ich zu akzeptieren, dass ich Alkoholiker bin. Ich gab mir große Mühe und blieb nach der Therapie fast 3 Jahre trocken (Nachsorge, SHG etc…).
Seit 2010/11 verläuft mein Leben wie in Sinuskurven. Trocken, Nass, Trocken, Nass… usw.
Noch einmal schaffte ich es, 2 Jahre trocken zu sein. Bis Ende letzten Jahres eine Phase begann die mich wieder ganz tief in den Sumpf bringen sollte. Es gab in meinem Leben viele Einschläge (Fehlgeburt, Tod meiner Tante, Herzinfarkt meiner Mutter, Jobverlust, Autounfall, Führerscheinverlust, Trennung nach 6 Jahren von der Lebensgefährtin, Suizidversuch) Der ganze Rahmen meines Lebens macht es mir gerade sehr sehr schwer. Ich komme gerade von einem wöchigem Psychiatrieaufenthalt und denke ständig an Alkohol und daran mich betäuben zu wollen. Eine ambulante Psychotherapie werde ich am Montag beantragen. Der Suchtdruck ist jedoch enorm.
Da sich meine Alkoholmengen über die Jahre so wahnsinnig schlimm entwickelt haben und die Ärzte sagen, dass es auch jedesmal „vorbei“ sein könnte mache ich mir über mich und die kommenden Monate/Jahre große Sorgen. Das letzte mal wurde ich mit weit über 4 Promille eingeliefert.
Ich hatte schon vor einiger Zeit von Baclofen gehört und durch einen Bericht neulich bei plusminus auf der ARD möchte ich mich gern wieder intensiver mit diesem Thema beschäftigen.
Daher freue ich mich auf einen spannenden und interessanten Austausch hier im Forum.
Gerne möchte ich auch einen Blick auf die Liste der verschreibeneden Ärzte werfen um mich für ein Gespräch mit einem solchen zu verabreden und´abzuklären ob und wenn ja, wie eine Baclofentherapie für mich in Frage kommt.
Viele Grüße und euch allen einen „trockenen“ Tag doppd
Jens

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DonQuixote
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Re: Ich freue mich hier zu sein | Vorstellung JensL

Beitragvon DonQuixote » 11. November 2016, 23:08

Hallo Jens

Es macht schwer betroffen, zu lesen, was Du schon alles durchmachen musstest. In der Tat kann Baclofen einen Ausweg aus diesem Auf und Ab bedeuten, zumal Baclofen nebst seiner Anti-Craving Funktion auch ausgeprägte angstlösende Eigenschaften besitzt. Lies Dir dazu vielleicht mal @Lisas Erfahrungsbericht durch.

Hut ab vor Deiner Leistung, Deinen Suchtdruck immer wieder mal für einige Wochen, Monate oder sogar Jahre unterdrücken zu können. Dass es dann aber doch manchmal zu Rückfällen, oder sagen wir mal zu Vorfällen kommt, hat nicht mit Willensschwäche zu tun. Schuld daran ist das sog. Craving. Unser Beitrag über Craving erklärt einiges und kann auch so manches Schuld-, Scham- und Versagensgefühl nehmen bzw. relativieren.

"Sucht" hat zwei Komponenten. Und das wird in der traditionellen Suchttherapie oft "vergessen":

  • Den "Trinkzwang" (physisches Craving), gegen den Betroffene nichts tun können, weil es sich dabei um biochemische Vorgänge handelt, die durch eigenes Zutun nicht beeinflussbar sind und
  • den "Trinkdrang" (psychisches Craving), oft ausgelöst aus Mangel an Alternativen zum Alkohol, um bestimmte Gemütszustände zu erreichen (Belohnung, Entspannung, "Kick", Hochgefühl, Hemmungs- oder Angstlosigkeit etc.). Hier können Betroffene selbst aktiv werden, indem sie sich beispielsweise andere Strategien suchen, um sich zu belohnen, sich zu entspannen, Ängste abzubauen etc.
    --> verhaltenstherapeutische Ansätze.
Bei ersterem (physisches Craving) kann Baclofen helfen: Durch den jahrelangen Alkoholkonsum ist die Biochemie aus dem Gleichgewicht geraten. Das "Hirn" hat bezüglich des Suchtmittels in gewisser Weise ein Eigenleben entwickelt, das man willentlich nicht mehr beeinflussen kann. Ständig wiederkehrendes Gedankenkreisen um Alkohol ist die Folge, bis man sich irgendwann auf gar nichts anderes mehr konzentrieren kann und letztlich trinken MUSS.

Dagegen kann man einen Tag, eine Woche, vielleicht auch Monat(e) ankämpfen, aber irgendwann holt einen der "alte Freund" doch wieder ein. Ganz abgesehen davon, dass so ein ständiger Kampf um die Abstinenz auch nicht gerade das ist, was man sich unter angenehmem Leben für gemeinhin so vorstellt.

Durch die entspannende, hemmende Wirkung von Baclofen kann im Idealfall das physische Craving eingedämmt werden, d. h. man muss nicht mehr ständig an Alkohol denken und gewinnt ein Stück weit seine Entscheidungsfreiheit zurück:

Aus dem Trinkzwang "Ich MUSS jetzt unbedingt etwas trinken, koste es was es wolle" wird ein "Ich KÖNNTE jetzt etwas trinken, kann's aber auch lassen oder auf später verschieben."

Baclofen "schlägt einem also das Glas nicht aus der Hand", aber es hilft dabei, wieder eigene Entscheidungen zu treffen und nicht mehr "fremdbestimmt" zu sein. Das ist ein wichtiger erster Baustein auf dem Weg aus der Abhängigkeit. Wenn das Denken nicht mehr ständig vom Suchtmittel bestimmt ist, wird der Kopf frei, um Maßnahmen gegen die andere Komponente des Cravings - den "Trinkdrang" (psychisches Craving) zu entwickeln.

Die Idee, die hinter der Baclofen-Therapie steht, ist also

a) über die "Beruhigung" der GABA-B-Rezeptoren langfristig einen ausgeglichenen, entspannten, relaxten Zustand herzustellen, damit extreme Stress-Situationen, Spannungen, Ängste und Verstimmungen etc., die einen zur Flasche greifen lassen, gar nicht erst aufkommen und

b) das körperliche Verlangen nach Alkohol (physisches Craving) einzudämmen, um die zwanghafte Komponente des abhängigen Trinkens ein Stück weit auszuschalten.

Erfahrungsgemäß ist es - zumindest in der Anfangsphase - daher wichtig, möglichst einen gleichmäßigen Baclofenspiegel über den Tag verteilt aufzubauen (z. B. mit drei bis vier Einnahmezeitpunkten im Abstand von +/- 4 Stunden) und das Medikament dabei langsam in kleinen Schritten aufzudosieren. Wie man dabei am besten vorgeht, steht im Leitfaden für die Anwendung bzw. in den auf die jeweilige Tablettenstärke zugeschnittenen Dosierungstabellen hier im Forum, die sich als gute Orientierungshilfen erwiesen haben.

Einen ersten Überblick rund um das Medikament bietet unsere Rubrik Baclofen erste Schritte, konkreter im Baclofen-Arztkoffer und Alles Wichtige auf einen Blick.

Lesenswert und aufschlussreich ist auch der Artikel "Ist Alkoholsucht doch heilbar?", den man auch online im PTA-Forum finden kann. Und natürlich das Buch "Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen. Der Kardiologe Olivier Ameisen war selbst betroffen und hat Baclofen als Therapieoption bei Abhängigkeitserkrankungen (wieder)entdeckt. Das Buch ist spannend zu lesen! Du kannst die E-Book-Version des Buches auch kostenlos über dieses Forum "ausleihen". Bei Interesse schreibe mir bitte einfach eine PN (Private Nachricht)

Eine Arztempfehlung für Deine Region habe ich soeben per Mail an Dich auf den Weg gebracht. Nun denn, ganz viel Erfolg bei Deiner hoffentlich bald beginnenden Baclofen-Therapie wünscht schon mal

DonQuixote

P.S. Die TV-Sendung die Du angesprochen hattest ist übrigens immer noch in der Mediathek abrufbar.

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Suse
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Re: Ich freue mich hier zu sein | Vorstellung JensL

Beitragvon Suse » 12. November 2016, 01:22

Hallo JensL,

Dem ausführlichen Willkommensgruß durch DonQ ist (wie immer [good] ) kaum etwas hinzuzufügen. Außer: dich ebenfalls hier im Forum Willkommen zu heißen.
Du hast schon einiges erlebt, durchgemacht und auch versucht! Ich weiß, wie schwer es ist, auf Dauer durchzuhalten, wenn die Psyche trotz aller Versuche auf und ab geht. Dazu kommen die ganzen äußerlichen Dramen, die "gesunde" Menschen resilient wegzustecken vermögen - unsereiner weiß sich dann (inzwischen) nicht mehr anders zu helfen. Wohlwissend, dass Alkohol natürlich alles nur schlimmer macht.

Mit Baclofen hast du eine große Chance, das physische Craving recht rasch loszuwerden! Doch auch psychisch helfen die Tabletten, wegen der durch DonQ beschriebenen angstlösenden und beruhigenden Wirkung.

Versuche es! Du hast nichts zu verlieren. Und hier im Forum bist du gut aufgehoben, kannst jede Frage stellen, alles erzählen, dir den Frust von der Seele schreiben, was auch immer du willst.
Niemand wird dich kritisieren, niemand wird lachen.
Wir sitzen schließlich alle in einem Boot.

Beginne so bald wie möglich.
Dir zunächst alles Gute,
Suse
Früherer Name: Desperatio

Plötzlich konnte ich sehen und ich war froh. Doch was ich sah, gefiel mir nicht. Ich lerne, neu zu sehen. Suse


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