Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

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DonQuixote
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Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon DonQuixote » 18. August 2016, 17:02

Seid gegrüßt

Die Reportage „Alkoholismus: Wie ein Medikament helfen soll“ im MDR vom 12. Januar 2016 wurde gestern wiederholt, und zwar zur besten Sendezeit in „Plusminus“ (ARD 21:45 – 22:15) Die Reportage trug diesmal den Titel:

Auf diesen Aspekt zielt auch die Programmbeschreibung, welche ich hier (fast) vollständig zitiere:

Plusminus hat geschrieben:
In Frankreich verbreitet

Der Wirkstoff Baclofen ist nicht neu. Es gibt ihn schon seit 40 Jahren. Damals wurde er für die Behandlung von Multipler Sklerose oder Rückenmarkserkrankungen entwickelt. Dass er auch gegen Alkoholismus hilft, kam durch einen Zufall heraus: Der Pariser Arzt Olivier Ameisen, selbst schwer alkoholabhängig, hatte im Selbstversuch Baclofen getestet und wurde damit endlich trocken. Seine Erfahrungen veröffentlichte er in einem Buch, das auch den Pariser Suchtmediziner Prof. Philippe Jaury überzeugte:
"Es fehlte uns ein Hilfsmittel. Ich habe auf ein Medikament gewartet – mit Baclofen haben wir es schließlich gefunden."
Inzwischen hat Jaury 400 Patienten mit Baclofen behandelt. Damit ist er einer von 5.000 französischen Ärzten, die das Medikament verschreiben und damit schon hunderttausenden Patienten geholfen haben.

Grauzone in Deutschland

In Deutschland ist Baclofen als Medikament gegen Alkoholismus kaum bekannt und nicht zugelassen. Allerdings ist die Verschreibung auch nicht verboten. Ärzte wie Dr. Vera Schnell, die es tun, begeben sich jedoch in eine juristische Grauzone:
"Ich bin mehr als bei einem anderen Produkt, das zugelassen ist, dafür verantwortlich, dass das Produkt so eingenommen wird, wie es richtig ist, und dass, wenn etwas schief geht, ich nicht sagen kann: 'Ja, die Pharmaindustrie hat vielleicht auch einen Anteil daran.' Sondern ich stehe ganz alleine mit dem Produkt da."
Deshalb erklärt sie genau die möglichen Nebenwirkungen von Baclofen, zum Beispiel Müdigkeit oder Schwindel. Doch das ist allemal besser, als wenn sich ihre Patienten den Körper mit Alkohol zerstören, so die feste Überzeugung der Ärztin.

Keine Studien, keine Zulassung

Doch warum wird das Mittel nicht offiziell gegen Alkoholsucht zugelassen? Zunächst wären dafür Studien erforderlich. Wissenschaftler der Charité haben zwar kürzlich die hohe Wirksamkeit von Baclofen an 43 Probanden nachgewiesen. Allerdings ist der Zulassungsbehörde die Zahl der Probanden zu wenig. Bei der Pharmaindustrie besteht kein Interesse, größere Studien zu finanzieren, weil der Patentschutz für Baclofen abgelaufen ist und sich damit kaum noch Geld verdienen lässt.

Kritik an Baclofen

Außerdem gibt es nicht nur Befürworter von Baclofen, sondern auch Gegner. Sie sind vorrangig unter Suchtmedizinern der großen Kliniken zu finden. Einer von ihnen ist Prof. Tom Bschor von der Berliner Schlosspark-Klinik:
"Eine besondere Gefahr beim Einsatz von Baclofen ist, dass der Patient letztlich seine Suchtüberzeugung aufrecht erhält, indem er nämlich denkt, jetzt gibt es ein Wundermittel, das alle meine Probleme löst, so wie es vorher der Alkohol war."
Statt einer Pille gegen die Sucht befürwortet er Verhaltenstherapien. Die Patienten sollen lernen, auf Alkohol zu verzichten. Die Statistik spricht nicht unbedingt dafür, denn etwa die Hälfte der Patienten wird nach Langzeittherapien rückfällig.

Spielt Geld ein Rolle?

Möglicherweise geht es aber auch um Geld: Ein Patient bringt nämlich einer Therapieeinrichtung am Tag 120 Euro. Eine Tagesration Baclofen kostet dagegen gerade einmal 0,57 Euro.

Entlastung der Sozialkassen

Dr. Vera Schnell ist überzeugt, dass nicht nur die Krankenkassen, sondern auch die Rentenkassen durch den Einsatz von Baclofen viel Geld sparen könnten:
"Jemand, der wegen chronischem Alkoholismus mit 45 Jahren berentet wird, kostet das Sozialsystem bis zu seinem Tod etwa eine halbe Million."

Keiner fühlt sich zuständig

Wir bitten die Deutsche Rentenversicherung, mehrere Krankenkassen, den Gesamtverband der Krankenkassen um eine Stellungnahme. Alle erklären, es gehöre nicht zu ihren Aufgaben, die erforderlichen Studien zu veranlassen. Selbst die Politik sieht keinen Handlungsbedarf: Auf Nachfrage von "Plusminus" erklärte das Bundesgesundheitsministerium ebenfalls, nicht dafür zuständig zu sein, die Studien in die Wege zu leiten. Dabei kosten die Folgen des Alkoholismus den Staat jährlich etwa 27 Milliarden Euro.
Hakan A. kann das nicht verstehen, denn ihm hat Baclofen bei seiner Therapie geholfen. Seit über einem Jahr ist trocken und hat zurück in ein besseres Leben gefunden.
Zwei groß angelegte Studien zu Baclofen sind in Frankreich kürzlich zum Abschluss gekommen. Ihre Ergebnisse werden bereits am 3. September 2016 auf dem Suchtkongress "Alkoholismus" in Berlin veröffentlicht.
Wenn diese Ergebnisse die Wirksamkeit von Baclofen bestätigen, könnten möglicherweise auch in Deutschland mehr Menschen die Chance erhalten, mit diesem Medikament behandelt zu werden, denn Frankreich will die Ergebnisse auch bei der europäischen Zulassungsbehörde einreichen.
(Link zum Original und zur Mediathek)

Dem ist nichts hinzuzufügen [good] .

Meint DonQuixote

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Re: Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon andi » 19. August 2016, 07:46

Hi DonQuixote,

traurig aber wahr. Ich bin ja die letzte Zeit immer mal beim Suchtberater (Chef der Diakonie). Den Kontakt hat mir mein Baclofen Arzt vermittelt. Der Suchtberater macht selbst Therapiegruppen und meint, Sie müssen auch ohne Medikament auskommen (können). Ja, seine Vorstellung ist gut aber viel zu einfach. Und immer höre ich bei Ihm zwischen den Zeilen , das er von Baclofen nichts wissen will, nimmt es als Medikament nicht ernst (vllt. auch weil Baclofen eine Art Konkurrenz zu seiner Arbeit darstellt), was gegen den Alkoholismus hilft.

just my two cent

lg
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Re: Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon jivaro » 19. August 2016, 12:46

Lieber Andi,

das ist leider traurige Alltagserfahrung! In der hiesigen Diakonie wurde ein Patient bei eine Bemerkung über Baclofen mit den Worten: "dann nehmen Sie lieben gleich Drogen" konfrontiert.
Viele meiner KollegInnen lächeln nur und auch ich bekomme sehr oft zu spüren, dass ich einem "grandiosen Selbstbetrug" unterliege.
Ich kontere dann mit den Ergebnissen der "klassischen" Suchttherapien.

Ich habe mich sehr gefreut, dass der Beitrag wiederholt werden konnte und wir warten ja alle mit Spannung auf die Studienergebnisse...selbst wenn Alpadir nicht ganz so prickelnd ausfallen sollte (Abstinenzerhaltung) würde das meinen Glauben an die Wirksamkeit des Medikamentes nicht erschüttern.

LG jivaro

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Re: Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon Mondlicht » 19. August 2016, 16:46

Ich bin durch diese Ausstrahlung auf Baclofen aufmerksam geworden und durchs Googlen hier gelandet.

Die Doku war für mich sehr informativ, Baclofen scheint eine echte Möglichkeit zu sein. Erschreckend, wie auch bei anderen Medikamenten, die in anderen EU-Staaten zugelassen sind, dass sich deutsche Behörden nicht zuständig fühlen, wenn es "nur" um das Menschenwohl geht. Das scheint manchmal ein Generalproblem zu sein, quer durch alle Lebensbereiche.

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Re: Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon DonQuixote » 24. August 2016, 19:45

Seid gegrüßt

Mit insbesonders Bezug auf die TV-Reportage von letzter Woche erschien gestern auch ein Artikel in ZEIT ONLINE:

Ihr könnt ja dort wenn Ihr mögt einen Kommentar schreiben.

DonQuixote

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Re: Baclofen: Reportage bei „Plusminus“ (ARD)

Beitragvon DonQuixote » 21. September 2016, 15:37

Seid gegrüßt

Die rund 6-minütige und uns bereits gut bekannte Reportage wurde am vergangenen Sonntag im Dritten Programm der ARD (Hessischer Rundfunk, „defakto“) wiederholt.

Meine Meinung dazu: Bitte mehr davon [good] .

DonQuixote


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