Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

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gretikatz
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Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon gretikatz » 5. Dezember 2014, 22:32

Zusatznutzen ist nicht belegt

Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Nalmefen

Pressemitteilung

Kurzfassung der Nutzenbewertung

Erklärung der Abkürzungen:
IQWIG = Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
G-BA = Gemeinsamer Bundesausschuss

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DonQuixote
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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon DonQuixote » 6. Dezember 2014, 22:29

Hi Gretikatz

Danke für diese Fundsachen. Du stichst da in ein wahres Hornissennest! Und mir verschaffst Du wieder einmal „Überstunden“. Die schiebe ich aber gerne, denn das Thema ist brisant. Es geht um die sog. Nutzenbewertung von Nalmefen (Selincro). Schien da nicht alles in trockenen Tüchern zu sein? Selincro zugelassen, d.h. verschreibungsfähig und darüber hinaus von den Krankenkassen zu erstatten? Doch erst mal alles der Reihe nach:

Am 25. Februar 2013 hat das Medikament von der Europäischen Kommission die Zulassung, und damit auch für Deutschland erhalten. Hier nochmal die Eckdaten:

Zulassung hat geschrieben:
Selincro wird angewendet, um Erwachsenen mit Alkoholabhängigkeit, die mehr als 60 g Alkohol pro Tag (bei Männern) oder mehr als 40 g Alkohol pro Tag (bei Frauen) konsumieren, zu helfen, ihren Alkoholkonsum zu verringern.

Es sollte nur in Verbindung mit psychosozialer Unterstützung (Beratung) und nur bei Personen angewendet werden, die keine körperlichen Entzugserscheinungen zeigen und für die keine unverzügliche Entgiftung erforderlich ist.

Zur Orientierung: Eine Flasche Wein (750 ml; 12 % Vol. Alkohol) enthält etwa 70 g Alkohol und eine Flasche Bier (330 ml; 5 % Vol. Alkohol) etwa 13 g Alkohol.

Selincro ist nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich.
Primärquelle …

Der Haken dabei ist, dass es damit in Deutschland nicht erstattungsfähig ist. Deshalb wurde am 20. Februar 2014 in der Anlage III zur Arzneimittelrichtlinie die Nummer 2 entsprechend geändert:

Geänderte Nummer 2 hat geschrieben:
[2. Mittel zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit

[Alkoholentwöhnungsmittel sind von der Versorgung ausgeschlossen]

  • a) ausgenommen zur Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz bei alkoholkranken Patienten im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts mit begleitenden psychosozialen und soziotherapeutischen Maßnahmen.
  • b) ausgenommen zur Unterstützung der Reduktion des Alkoholkonsums bei alkoholkranken Patienten, die auf eine Abstinenztherapie hingeführt werden, für die aber entsprechende Therapiemöglichkeiten nicht zeitnah zur Verfügung stehen. Die Verordnung kann bis zu drei Monate erfolgen; in begründeten Ausnahmefällen kann die Verordnung um längstens weitere drei Monate verlängert werden. Die Einleitung darf nur durch in der Therapie der Alkoholabhängigkeit erfahrene Ärztinnen und Ärzte erfolgen.
Der Einsatz von Arzneimitteln zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist im Hinblick auf das therapeutische Gesamtkonzept besonders zu dokumentieren.
Primärquelle …

Darüber, die Abstinenz als zu bevorzugendes Therapieziel zu benennen, gab es eine lebhafte Debatte. Einige Fachvereinigungen sahen sehr wohl auch eine Trinkmengenreduktion als erstrebenswert an. Es lohnt sich, unbedingt, sich, in diesem Papier unter Punkt 4.1.„Einwände zum Vorrang des Therapiezieles Abstinenz“, die Argumente mal anzusehen. Zunächst Lunbeck auf den Seiten 53 bis 54 und danach andere auf den Seiten 54 bis 58.

Entschieden wurde dann aber anders:

Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat geschrieben:
Vor diesem Hintergrund hält es der G-BA für vertretbar, die Abstinenztherapie als die im Vergleich zur Trinkmengenreduktion zweckmäßigere Behandlungsform zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit einzuordnen und dementsprechend die Verordnung von Arzneimitteln zur Trinkmengenreduktion an die im Beschlussentwurf festgelegten einschränkenden Bedingungen zu knüpfen.
Primärquelle … (Seite 7 ganz unten)

Meines Erachtens wurde da leider eine große Chance vertan, und Lundbeck lief denen wie mir scheint ins offene Messer. Auch andere, äußerst erwägenswerte Einwände von Lunbeck (ab Seie 66) wurden abgelehnt. Allerdings, wie mir als Laie scheint, schon sehr formal-juristisch. Aber nun gut, ich verstehe davon nichts, und juristische Beurteilungen sind eben auch oft notwendig und unter Anderem ist das deren Job.

Jetzt erst kommen wir zu der eingangs erwähnten und von Gretikatz aufgestöberten „Nutzenbewertung“. Wenn ich das richtig sehe, dann wird Selincro erst durch die Neufassung von Nummer 2, Buchstabe b), in Anlage III zur Arzneimittel-Richtlinie (siehe oben, Kostenübernahme 3 bis max. 6 Monate) nun auch der Pflicht unterstellt, eine solche Nutzenbewertung vorzunehmen und einzureichen. Das hat Sie mit vier Einzelmodulen und einer Zusatzunterlage getan, alle datiert mit 28. August 2014. Der G-BA bestätigt den Eingang am 1. September, beauftragte mit der Prüfung der eingereichten Unterlagen noch gleichentags das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), deren Bericht am 1. Dezember vorlag. Der G-BA hat für dieses Anwendungsgebiet folgende zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt:

  • Naltrexon zur Unterstützung der Reduktion des Alkoholismus nach den Maßgaben der Verordnungseinschränkung in Anlage III Nummer 2 der Arzneimittel-Richtlinie mit psychosozialer Unterstützung entsprechend der Zulassung
Quasi mit der Pistole auf der Brust, oder weil sie auch nichts Besseres wusste, hat die Firma Lundbeck das dann akzeptiert. Der Haken an der Sache ist halt der, dass es noch gar keine vergleichenden Untersuchungen Selincro < - > Naltrexon gibt. Also hat sich Lundbeck mit einem „adjustierten indirekten Vergleich mit Placebo als Brückenkomparator“ beholfen. Das hört sich kompliziert an und ist es bestimmt auch. Lundbeck machte sich also ans Werk und reichte das Dossier ein. Das Verdikt der IQWiG ist für Lundbeck niederschmetternd. Hier ein Auszug, Hervorhebung in Fettschrift von mir:

IQWiG auf Seite vier hat geschrieben:
Zusammenfassung

Es liegen keine direkt vergleichenden RCTs von Nalmefen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor.

Der vom pU (Anm. DonQ; Lundbeck) vorgelegte adjustierte indirekte Vergleich ist nicht verwertbar, da insbesondere die Studien auf der Naltrexon-Seite nicht zur Beantwortung der Fragestellung geeignet sind. In 6 von 7 Naltrexon-Studien sind die eingeschlossenen Patienten bereits abstinent und entsprechen somit nicht der Fragestellung. In der verbleibenden Studie wurde Naltrexon nicht zulassungskonform eingesetzt, bzw. es liegen keine relevanten Auswertungen vor. Insgesamt liegen damit keine geeigneten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens von Nalmefen vor.

Für Lundbeck ist das eine schallende Ohrfeige, jedenfalls hört sich das für mich so an. Doch auch hier beschleicht mich irgendwie das Gefühl, dass man Lundbeck hat ins offene Messer rennen lassen. Gut, dass der Leistungsausweis von Selincro im Grunde sehr bescheiden ist, hatten wir anderenorts bereits erörtert. Von daher vielleicht die Strenge des G-BA und des IQWiG, denn immerhin sollen die beiden ja unter Anderem der Kostenexplosion im Gesundheitswesen
entgegenwirken [pardon].

Die USA mögen das Land der Tapferen sein („Land of the braves“), dann ist aber Deutschland wenigstens das Land der Gründlichen. Bis zum 22. Dezember haben alle interessierten Kreise Gelegenheit zu einer Stellungnahme, das heißt: „Sachverständige der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, der betroffenen pharmazeutischen Unternehmer [Anm. DonQ: also Lundbeck], der Berufsvertretungen der Apotheker und der maßgeblichen Dachverbände der Ärztegesellschaften und der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene.“ Primärquelle …

Am kommenden 12. Januar finden dann noch mündliche Anhörungen statt und „Mitte Februar“ will der G-BA dann entscheiden (Primärquelle). Für Lundbeck könnte es also nochmal eng werden, auf dem Spiel steht jedenfalls die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen für die drei bis in begründeten Ausnahmefällen maximal sechs Monate.

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon DoctorBAC » 7. Dezember 2014, 15:49

Hallo DonQ,
vielen Dank für die umfangreiche Fleißarbeit. Genau dieses Verhalten des IQuiG habe ich schon vor langer Zeit in einem Post im .de-Forum angedeutet - ich kenne doch die Denke der Pappenheimer dort
Trotzdem fände ich es schade, wenn das zu einem "Opt-out" für Selincro führen würde, hat doch die Substanz sicher auch ihre Berechtigung als Ergänzung zu anderen Verfahren wie kT nach Körkel oder vergleichbaren Interventionen.
Lundbeck hat zwar eigennützig, aber unbestritten wertvolle Vorarbeit geleistet, auch die Trinkmengenreduktion als sinnvolles Therapieziel gegen die Widerstände des GBA zu installieren.
Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die schon heute unermüdlich für Behandlungsansätze kämpfen, die nicht an den Betroffenen vorbeigehen.
Die Zeitschrift "Suchttherapie" hat z.B. die gesamte Ausgabe 4/2014 dem Thema "Konsumkontrolle" gewidmet!

LG

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon DonQuixote » 7. Dezember 2014, 16:21

Hallo Praxx

Ja, Dein Posting vom 29. Januar 2014 im Nachbarforum hatte ich gleich zu Beginn meiner Arbeit gesehen. Nebst Deinen Kenntnissen der „Pappenheimer" kann man Dir sicher auch eine hohe Begabung an Präkognition oder Prophetie zugestehen :wink:

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon WilloTse » 22. Januar 2015, 14:44

Tach zusammen,

das Wortprotokoll der mündlichen Anhörung des Stellungnahmeverfahrens vom 12.01.2015 bezüglich des Nutzenbewertungsverfahrens des G-BA ist jetzt online.
Wer sich's geben möchte. [mocking]

LG
Willo

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon gretikatz » 23. Januar 2015, 06:53

Auszug aus dem Wortprotokoll der mündlichen Anhörung vom 12. Januar 2015

Interessant ist die Einleitung von Herrn Kessel-Steffen (Lundbeck):
Wir reden heute über Alkoholabhängigkeit. Das ist eine sehr schwerwiegende psychiatrische Erkrankung und eine Erkrankung, die im Grunde jeden von uns hier betreffen kann. Wenn man die Prävalenzzahlen nimmt, dann ist es wahrscheinlich, dass zwei oder drei hier im Raum von dieser Erkrankung betroffen sind.

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon Dr_Domuch » 23. Januar 2015, 12:18

Herr Prof. Dr. Baethge (AkdÄ): Wenn ich für die AkdÄ kurz darauf eingehen darf. Es besteht ja überhaupt kein Zweifel, dass es einen Nutzen gegenuber Placebo gibt. Das ist ja, wie Sie sagten, die Grundlage für die Zulassung. Aber da darf man vielleicht die Zahlen, die vorhin so eingeworfen wurden, kurz in Relation setzen. Herr von der Goltz sagte, es bestehe ein Unterschied, ob ein Alkoholabhängiger eine oder zwei Flaschen Wein am Tag trinke. Das ist zweifellos richtig. Allerdings sind die von Ihnen in Ihren Studien gefundenen Trinkmengenreduktionen nicht mit einer Flasche Wein zu vergleichen, sondern bewegten sich zwischen 10 und 18 g. Das ist deutlich weniger, als sich in einer Flasche Wein befindet. Wenn man die etwas weniger günstigen Sensitivitätsanalysen, die Sie publiziert haben, zugrunde legt, dann sinkt die Trinkmengenreduktion auf 8 g. Das ist also deutlich weniger als eine Flasche Wein. Das ist das eine.
Das andere ist: Was den Zusatznutzen gegenüber Naltrexon angeht, ist es in der Tat sehr schwer, anhand der ja auch in diesem Zusammenhang als Surrogatparameter zu verstehenden Maße Trinkmenge und Trinktage tatsächlich den Nutzen zu bestimmen. Der pU hat meiner Meinung nach keine Daten vorgelegt, die darüber hinausgehen. Deswegen waren wir gezwungen, die von Ihnen in den Studien angegebenen Referenzen zu prüfen. Da kommen wir eben im Sinne der sehr kurzen Indikation – drei bis sechs Monate in der Bundesrepublik – tatsächlich auf einen vernachlässigungswerten Zusatznutzen in Bezug auf die Mortalität, wenn man davon ausgeht, dass, wie ich vorhin sagte, 104 Patienten ein Leben lang Nalmefen einnehmen müssten – ein Leben lang! – und vorher nicht hätten trinken dürfen, um zu erreichen, dass ein Leben gerettet wird. Wenn sich das auf drei bis sechs Monate bezöge, wäre das in der Tat ein Zusatznutzen; das würde ich angesichts des Endpunkts auch so sehen. Aber da es sich auf ein Leben bezieht, haben wir das in einer zweifellos subjektiven Einschätzung des Zusatznutzens für gering gehalten.



Was Lundbeck geliefert hat, basiert auf Studien, die gerade mal so eben gereicht haben, um aus dem Placebo rauszukommen. Und nachpacken können sie garnichts. Gut, dass da nachgefragt wurde! [good]


Und danke für die Verlinkung, WilloTse!

LGDD

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Zusatznutzen von Nalmefen NICHT belegt!

Beitragvon gretikatz » 20. Februar 2015, 06:38

Beschluss d. gemeinsamen Bundesausschusses vom 19. Februar 2015

Der Zusatznutzen ist nicht belegt.

Der Beschluss tritt mit Wirkung vom Tag seiner Veröffentlichung im Internet auf den Internetseiten des Gemeinsamen Bundesausschusses am 19. Februar 2015 in Kraft


Tragende Gründe zum Beschluss
Der Zusatznutzen von Nalmefen ist gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Naltrexon) nicht belegt.

Die Naltrexon-Studien hatten eine Behandlungsdauer von 12 bis 32 Wochen, jedoch ist keine der eingeschlossen Studien zur Beantwortung der der Nutzenbewertung zugrundeliegenden Fragestellung geeignet.

Die Ergebnisse des indirekten Vergleichs können daher nicht im Sinne der Fragestellung des zu bewertenden Arzneimittels „Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit“ valide interpretiert werden.
Insgesamt liegen keine geeigneten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens von Nalmefen vor.

FAZIT:
Aufgrund der Heterogenität der Patientenpopulationen hinsichtlich der Einschlusskriterien in den Studien sowie der Therapieziele sind die in sechs von sieben Naltrexon-Studien untersuchten Patienten nicht mit denjenigen Patienten der Nalmefen-Studien, bei denen sich der Alkoholkonsum auf einem hohen Niveau befindet und die ihren Konsum nicht bereits nach dem ersten Screening reduziert hatten, vergleichbar. In der verbleibenden Naltrexon-Studie (Heinälä 2001) wurde Naltrexon nicht fachinformationskonform eingesetzt. Aussagen zum Zusatznutzen von Nalmefen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Naltrexon) sind deshalb aus dem vorgelegten indirekten Vergleich nicht ableitbar. Der Zusatznutzen ist daher nicht belegt.

Details zum Beschluss

Mein Beileid an das gelbe Forum, das wahrscheinlich nun sanft entschlafen und vielleicht meinen Beitrag (wie so viele andere) kopieren wird.

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Re: Zusatznutzen von Nalmefen NICHT belegt!

Beitragvon DonQuixote » 20. Februar 2015, 19:36

Hallo Gretikatz

Danke für diesen hochaktuellen Bericht. Jedoch:

Deutsche Apotheker Zeitung hat geschrieben:Der Hersteller Lundbeck erklärt in einer Pressemittelung ebenfalls, dass er die Einschätzung des G-BA nicht teilt. Man habe den Zusatznutzen von Selincro® in der Gesamtschau patientenrelevanter Endpunkte in einem methodisch robusten und validen Vergleich gemäß der G-BA-Verfahrensordnung nachgewiesen. Entsprechend des AMNOG-Prozesses beginnen nun die Verhandlungen über den Erstattungspreis mit dem GKV-Spitzenverband. Für Erkrankte und Ärzte ändert sich erst einmal nichts: Das Präparat bleibt weiterhin verfügbar und erstattungsfähig.
(Hervorhebung durch mich)

Hier geht’s zur zitierten Quelle, wo auch der ganze Prozess sehr gut beschrieben ist.

DonQuixote

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon gretikatz » 21. Februar 2015, 14:37

Ja aber ...
die Ärzte verschreiben es angeblich nicht gerne, weil das Medikament zu neu und ohne Erfahrungswerte sei.
Es ist schweineteuer, die Preise im Internet rangieren von 3.45 € bis 6.50 € pro Tablette !

Abstinenz wird nicht angestrebt. Von www.diagnosia.com
Wenn Sie und Ihr Arzt entschieden haben, dass Ihr sofortiges Ziel Abstinenz (gar keinen Alkohol zu trinken) ist, sollten Sie Selincro nicht einnehmen,

Wieviel von uns haben sich ihren Körper kaputt gemacht, so dass Alkoholkarenz dringend geboten wäre?

Warten wir ab, wie es mit Selincro weitergeht. Hier weiterlesen:
Das AMNOG-Verfahren kann vom pharmazeutischen Unternehmer auch nach der Markteinführung und Nutzenbewertung noch abgebrochen werden, sodass kein Erstattungsbetrag zustande kommt. Dies ist allen pharmazeutischen Unternehmern innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) möglich. Die Entscheidung für das sogenannte opt-out nach der Rahmenvereinbarung trifft der pharmazeutische Unternehmer aufgrund betriebswirtschaftlicher Abwägungen.

Lundbeck kann sich noch immer von deutschen Markt zurückziehen.

Von der gleichen Seite
In Deutschland kann ein pharmazeutischer Unternehmer den Preis für neue patentgeschützte Arzneimittel bei Markteintritt nach wie vor frei bestimmen. In den ersten 12 Monaten beläuft sich die Erstattung auf diesen vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegten Betrag. Apotheken und der Großhandel erheben auf ihre Einkaufspreise Zuschläge, die staatlich vorgeschrieben sind. Durch die Zuschläge werden die Leistungen des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheken vergütet. Basis für die Zuschläge ist im ersten Jahr der vom pharmazeutischen Unternehmer festgelegte Preis, ab dem 13. Monat der zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelte Erstattungsbetrag.

Nach einem Jahr wird Lundbeck nicht mehr die jetzigen Preise verlangen können.

Egal wie es ist, ich brauche es nicht!

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Re: Selincro: Neuigkeiten über Zulassung und Erstattung

Beitragvon DonQuixote » 8. Oktober 2015, 16:59

Seid gegrüßt

Fast vergessen gegangen ist unter Anderem diese Meldung von DAZ.Online, dem Internetportal der „Deutsche Apotheker-Zeitung“ vom 1. September 2015. Demnach hat sich der Hersteller von Selincro (Lundbeck) mit dem GKV-Spitzenverband auf einen Preis der Medikamentenerstattung geeinigt. Wie vorauszusehen war, musste Lundbeck diesen Preis senken:

DAZ.Online hat geschrieben: Es ist günstiger geworden: Die 14-er Packung Selincro® kostete bislang 90,63 Euro im Verkauf – nun sind es nur noch 76,80 Euro. Die 49-er Packung reduzierte sich von 289,77 Euro auf 241,37 Euro. Damit sinkt auch die Patientenzuzahlung für das Medikament. Der neu verhandelte Erstattungspreis gilt ab dem 1. September 2015 sowohl für gesetzlich als auch für privat versicherte Patienten.

So weit, so gut. Die Meinungen bezüglich dieses Medikaments sind allerdings nach wie vor gespalten. So schreibt zum Beispiel „Gute Pillen / Schlechte Pillen“:

Gute Pillen / Schlechte Pillen hat geschrieben:Der Nutzen von Nalmefen ist bescheiden: In den beiden für die Marktzulassung relevanten Studien verringert es die Zahl der Tage mit hohem Alkoholkonsum von ursprünglich 18 bis 20 pro Monat im Vergleich zu einem Scheinmedikament lediglich zusätzlich um etwa 2 Tage. Die durchschnittlich am Tag getrunkene Alkoholmenge wird nur in einer der beiden Studien geringfügig gesenkt (um etwa ein halbes Glas Wein mehr als unter Scheinmedikament). (3)

Nalmefen ist schlecht verträglich. Pro 100 Studienteilnehmer haben deshalb bis zu 23 die Studien vorzeitig abgebrochen. Übelkeit, Schwindel, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen kommen sehr häufig vor – bei mehr als jedem Zehnten. Mit Appetitlosigkeit und Erbrechen sowie Verwirrtheit, Schläfrigkeit, abnehmender Libido u.a. ist häufig zu rechnen.

[…]

Nalmefen hat allenfalls eine Nischenfunktion zur Überbrückung, wenn ein Therapieplatz zur Alkoholentwöhnung zeitnah nicht zur Verfügung steht. (4) Nur unter dieser Bedingung erstatten die gesetzlichen Krankenkassen Nalmefen drei Monate lang. (4) Mehrere Mitglieder des Arzneimittelausschusses der europäischen Zulassungsbehörde EMA hatten gegen die Zulassung von Nalmefen gestimmt. Sie begründeten dies mit den geringen und in klinischen Studien uneinheitlichen Effekten, mit der fraglichen Relevanz der nur mäßigen Verringerung der Trinkmenge für die Gesundheit der Alkoholkranken und nicht zuletzt damit, dass ein Nachweis des tatsächlichen Nutzens des Mittels fehlt: Ob nämlich die Einnahme langfristig akute und chronische Folgeschäden des Alkoholkonsums wie Leberzirrhose, Krebs oder Unfälle verringern kann. (3)

Wir raten angesichts der offenen Fragen und der dürftigen Nutzenbelege vom schlecht verträglichen Nalmefen ab. (3)
  • Danke an @Gretikatz für die Fundstelle.
  • (3) Arznei-Telegramm® (2014) 45, S. 81. (Nicht verlinkbar, da hinter Bezahlschranke)
  • (4) Gemeinsamer Bundesausschuss (2014) Tragende Gründe zum Beschluss des G-BA über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage III Nummer 2 – Alkoholentwöhnungsmittel, 20. Febr. 2014; http://www.a-turl.de/?k=ostm

Wie jetzt? Die Medikamentenkosten werden erstattet, obwohl es „keinen erwiesenen Zusatznutzen“ gibt? Wie geht denn sowas?

Ganz einfach, denn das ist übliche „Gesundheitspolitik“: Das - ehm - nutzlose Medikament Selincro wird jetzt einfach dem - ehm - nutzlosen Medikament Naltrexon gleichgestellt. Und da beide - ehm - nutzlosen Medikamente eine Zulassung für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit haben, werden die Kosten dafür eben erstattet. Basta! Wobei Lunbeck halt noch mit dem Argument punkten konnte, dass es sich mit Selincro um eine Therapiemethode (Reduktion der Trinkmenge) handelt, für welches es bisher kein zugelassenes Medikament gab. Die Argumentation ist sicher nicht ganz falsch, wenn nur Selincro nicht so schrecklich wirkungslos und mit gravierenden Nebenwirkungen behaftet wäre.

Und Ironie des - ehm - Schicksals: In Lundbecks Heimatland (Dänemark) wird der Nutzen von Baclofen ebenfalls ganz doll angezweifelt und sogar die Erstattung der Medikamentenkosten durch die Krankenkassen verweigert (Achtung: Link geht zu Google-Übersetzung Dänisch <-> Englisch).

DonQuixote

P.S. Mit Dank auch an @baclofenews für die Inspiration!


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