Diskussion zum Craving-Thread

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William
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Diskussion zum Craving-Thread

Beitragvon William » 4. Februar 2015, 09:47

Anmerkungen vom Admin: Nachstehende Beiträge wurden von Williams Erfahrungsbericht abgetrennt, weil es sich hier um ein komplett neues Thema handelt. Das Fazit wurde in einem vorläufig geschlossenen Thread
gezogen. Die Diskussion zu dem Thema (Craving – Trinkwunsch etc.) kann aber nachstehend hier in diesem Thread weitergeführt werden. DQA

___________________________________________________________________________

Si, vamos!

Conny, an dich hätte ich eine Frage. Wo siehst du den Unterschied zwischen Craving und Trinkwunsch?

Grüße William

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GoldenTulip
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon GoldenTulip » 4. Februar 2015, 10:24

Hallo William,

ganz grob unterscheide ich zwischen körperlichem und psychischem Druck. Trinkt man, um morgendliches Zittern, Kreislaufprobleme, Würgereiz etc. zu "bekämpfen", ist es Craving. Das ist, wenn man nichts mehr, trinkt nach ca 1 Woche abgefrühstückt.
Ist man getriggert durch emotional belastende Situationen, und hat dann den Wunsch, sich zu beruhigen, ordne ich es dem Trinkwunsch zu. Ebenso Trinken aus Gewohnheit, Langeweile oder um seinen Bewusstseinszustand willentlich zu ändern.
Es gibt jedoch auch einen Übergangsbereich, wo sich psychisch langsam ein Druck aufbaut (inklusive motorischer Unruhe, depressiver Verstimmung, Leeregefühlen) an derem Ende man quasi "kapituliert" und einem subjektiv keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stehen. Das ist der eigentliche Bereich der Sucht. Hier setzt auch Baclofen am gebaergen System an, Suchtdruck abzubauen. (Hallo @papfl, bitte sag, falls ich zu unpräzise bin)
Die Schnittstelle zum Craving, sozusagen, weil da mit Willensfreiheit nichts mehr zu machen ist. Psychosomatisch im klarsten Wortsinn.

Mit "Baclofen schlägt Dir nicht das Glas aus der Hand" ist gemeint, dass man auch nach erfolgreichem körperlichem Entzug, selbst nach monatelanger Trinkfreiheit ganz neu lernen muss (gehirnchemisch) wieder Glück und Zufriedenheit aus sich selbst heraus zu produzieren. Das ist anstrengend, und die schnelle Lösung kommt der menschlichen Bequemlichkeit eher entgegen. Das heißt am Ende, es bedarf eines bewussten Willensaktes, nicht wieder in die alten Gleise zu verfallen. Man muss sich neu erfinden, und das ist schwer.

Ich hoffe, ich bin nicht zu ausführlich geworden,

Lieben Gruß
Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon GoldenTulip » 4. Februar 2015, 10:55

Hi bb,

Trinkwunsch= abends, nach getaner Gartenarbeit, genussvoll ein Bier zu trinken


Das ist unpräzise'. Trinkwunsch bei Alkoholabhängigen manifestiert sich anders als beim Genusstrinker, der nach einem Bier wieder aufhören kann. Der grundlegende Unterschied ist, ob man Wirkungstrinken betreibt, sprich seine Wahrnehmung verändern möchte, oder nicht.
Der "WHO-Trinker" will sich auch etwas entspannen, aber seine Ratio entscheidet, ob ja, ob nein und wieviel, nicht der gefühlte Bewusstseinszustand. Entscheidend sind Kontrollverlust versus Wahlmöglichkeit.

Tendenziell bezeichne ich Trinkwunsch als Wunsch, sich wegzubeamen. Entspannen könnte ich mich nach Deiner Definition auch im Schaumbad. Im Trinkwunsch ist (für die Belange hier im Forum) latent immer auch etwas zwanghaftes enthalten.

LG Conny
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 4. Februar 2015, 12:39

@bb
betalbatim hat geschrieben:das halte ich für Quatsch ! Das was du da beschreibst ist Sucht der allerfeinsten Sorte. Wünsche, auch den Trinkwunsch, kann ich kontrollieren, "wegbeamen" allerdings nicht.

Das sehe ich anders.
Der Wunsch, sich "wegzubeamen" ist erstmal ein Wunsch.
Die Frage bei Sucht lautet: kann ich ihn kontrollieren?

Willo

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon William » 4. Februar 2015, 13:15

Hmm, seht ihr Craving als Mittel gegen körperliche Entzugserscheinungen?

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon William » 4. Februar 2015, 13:25

betalbatim hat geschrieben:Hallo William,

von jemandem, dem Baclofen zu einem selbstbestimmetn Leben verholfen hat, folgende vereinfachte Definition:

Craving= alles was dich zwingt, gegen deinen eigentlichen Willen Alkohol zu trinken

Trinkwunsch= abends, nach getaner Gartenarbeit, genussvoll ein Bier zu trinken

Gruß, betalbatim


Moin!

Nach der Ansicht von bb sind wir wohl alle im Bereich Craving, sonst wären wir nicht hier, oder?
Keiner wird (vom Verstand) den Wunsch haben abends vier Liter Bier zu trinken. Der Verstand weiß genau, dass es einem dann am nächsten Tag nicht gerade gut geht, das die Leber auf Dauer schreit und irgendwann beleidigt ist...

Schön fand ich die bildhafte Formulierung zu Baclofen mit den Stützrädern. Das ist genau meine Meinung. Genau diese Funktion hat bei mir das Baclofen.

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 4. Februar 2015, 14:15

William hat geschrieben:Hmm, seht ihr Craving als Mittel gegen körperliche Entzugserscheinungen?

Hi William,

die Frage habe ich nicht ganz verstanden.
"Craving" ist der Fachbegriff für das unwiderstehliche Verlangen nach dem Suchtstoff (welchem auch immer). Ganz sicher ist das kein "Mittel" gegen Entzugserscheinungen.

Es hat sich, zumindest hier im Forum, die Unterscheidung "Craving" bzw. "Saufdruck" und "Trinkwunsch" durchgesetzt. Wird auch gelegentlich als "biologische Abhängigkeit (=Craving)" versus "psychologische Abhängigkeit" (=Trinkwunsch) bezeichnet.
Und ist - da liegt der Haken - oft nicht ganz leicht zu unterscheiden.

100% Craving ist, wenn Du morgens Dein Rasierwasser trinken musst, um irgendwie an Alk zu kommen. 100% Trinkwunsch ist, an Silvester mit einem Glas Sekt anstoßen zu wollen.

Irgendwo dazwischen liegt die Grenze zwischen Sucht und Normalität. Genaue Definitionen sind da leider Mangelware.

Wir arbeiten aber 'dran :wink:
betalbatim hat geschrieben:Natürlich, craving ist eine Entzugserscheinung, genauso wie Zittern, Schwitzen und innere Unruhe.

Da möchte ich widersprechen.
Craving bleibt, auch wenn die körperlichen Entzugserscheinungen längst vergangen sind.
Und mit Baclofen kannst Du das Craving in den Griff bekommen, aber bitte niemals Entzugserscheinungen. Die gehören indie Hände guter Ärzte und treten beim Absetzen von Alkohol auf!

LG
Willo

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon Papfl » 4. Februar 2015, 14:48

Tach zusammen!

"Craving" ist für mich zunächst mal das "Verlangen" nach Alkohol (resp. einem anderen Suchtmittel).

"Craving" kann sich dabei in Form von "Suchtdruck" (physisch: biochemische Komponente --> nicht willentlich beeinflussbar) und "Trinkwunsch" (psychisch: Wegbeamen, Gewohnheit, Problemlösen, Entspannung... --> willentlich beeinflussbar) äußern.

Bild

Gegen den Suchtdruck ist man machtlos, weil es sich um körperliche Prozesse ("Automatismen") handelt, die willentlich nicht beeinflussbar sind. Dazu gehören selbstverständlich die klassischen Entzugserscheinungen (Schwitzen, Zittern, Unruhe, Erbrechen,...). Deshalb bekommt man dagegen bei der Entgiftung ja auch Medikamente (Distraneurin, Diazepam...). Wenn Betroffene das willentlich steuern könnten, bräuchte man die Medikamente nicht. Der beste Beweis dafür, dass körperliche Entzugserscheinungen nichts mit "Willen" zu tun haben, sind deren letzte Konsequenzen: Krampfanfälle oder sogar ein Delir.

Nun zeigt sich Suchtdruck aber nicht nur in so offensichtlichen Facetten wie Zittern oder Erbrechen. Suchtdruck gibt es auch im Hirn resp. im Stoffwechsel. Durch den jahrelangen Alkoholkonsum haben sich die Rezeptoren an den Alkohol gewöhnt. Sie sind im wahren Wortsinn davon "abhängig" geworden. Kommt nichts nach, spielen die Neuronen verrückt:

Bild

Auch dagegen sind Betroffene machtlos. Suchtdruck ist ein physisches Phänomen und sollte daher auch physisch (sprich: medikamentös) behandelt werden. Zum Beispiel mit den oben erwähnten Medikamenten beim akuten Entzug oder langfristig mit Baclofen.

@GoldenTulip hat recht, wenn sie schreibt, dass die klassischen Entzugssymptome (Schwitzen, Zittern, Unruhe, Erbrechen,...) nach ca. einer Wochen abgeklungen sind. Leider funktioniert das bei den Rezeptoren und im Stoffwechselsystem nicht so schnell. Solche "Neuronenfeuerwerke" (s. Bild oben) können noch sehr lange auftreten. Selbst, wenn der Betroffene abstinent ist.

Daran sind vornehmlich die positiven Erfahrungen, Erlebnisse, Stimmungen etc. schuld, die mit Alkohol gemacht wurden. In vielen Situationen gibt es sog. "Trigger" (Reize, die das Verlangen nach Alkohol auslösen). Sei's das frisch gezapfte, kühle Bier an einem heißen Sommertag, ein bestimmtes Lied, ein bestimmter Ort...oder auch der Ehekrach, Stress, Anspannung...

All die Dinge, bei denen Alkohol früher weitergeholfen hatte, können solche "Neuronenfeuwerke" (also "Suchtdruck") entfachen. Und dagegen sind die Betroffenen machtlos. Was nicht zuletzt die Fülle an Rückfällen bei der klassischen Entzugstherapie erklärt.

Baclofen kann das "Neuronenfeuerwerk" eindämmen:

Bild

Wenn @GoldenTulip in diesem Zusammenhang von "Stützrad" spricht, dann meint sie höchstwahrscheinlich, dass Baclofen den "Suchtdruck" minimieren kann. Die klassischen Entzugserscheinungen (Schwitzen, Zittern, Unruhe, Erbrechen,...) verschwinden nach ca. einer Woche, um den langfristigen Teil (Rezeptoren, Stoffwechsel) kümmert sich Baclofen.

Übrig vom ursprünglichen "Craving" (= "Suchtdruck" + "Trinkwunsch") bleibt also im Idealfall "nur" noch die psychische Komponente - der "Trinkwunsch" (Wegbeamen, Gewohnheit, Problemlösen, Entspannung...).

Und hier beginnt die eigentliche Arbeit für eine zufriedene Abstinenz. Hier gilt es, Alternativen und Strategien zu entwickeln. Was kann ich ändern, dass ich mich nicht mehr "wegbeamen" muss? Wie gehe ich künftig mit Problemen um? Wie kann ich Stress vermeiden bzw. anders damit umgehen? Was verschafft mir Entspannung? Was macht mir Spaß?

Der "Wunsch", in bestimmten Konfliktsituationen zu trinken oder um euphorische Momente noch zu toppen, ist verständlich und absolut nachvollziehbar. Es ist die schnellste und vermeintlich einfachste Lösung. Und die hat ja auch all die Jahre prima funtioniert. Aber im Gegensatz zum "Suchtdruck" muss ich dem "Trinkwunsch" nicht zwingend nachgeben. Mit viel Kraft und einer guten Portion Willen kann ich mich dem entgegenstellen. Und es wird von Mal zu Mal leichter, wie @betalbatim bereits geschildert hat. Einfach, weil man mit der Zeit abseits vom Alkohol neue, wertvolle und befriedigende Erfahrungen sammeln kann und sich ein gewisses "Es geht ja auch anders..." Raum schaffen kann.

Das geht alles nicht von heute auf Morgen...aber es kann funktionieren [good] !

LG Papfl
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 4. Februar 2015, 15:34

Hoi Papfl!

Danke für Deine Antwort!
Auch Dir möchte ich hier widersprechen:
Craving = Suchtdruck UND/ODER Trinkwunsch (ich kriege das Bild leider nicht zitiert...)

Trinkwunsch ist für mich ein Teil völliger Normalität, wie im Beispiel "an Silvester ein Glas Sekt".
Das hat jeder Normalo auch.
Er/sie möchte dann einfach ein Glas Sekt trinken.
Darin sehe ich keine Form von Craving.
Man könnte versuchen, Craving an der Instrumentalisierung des Alkohols festzumachen: ich möchte an Silvester ein Glas Sekt trinken, weil ich damit x erreiche.
Das zieht aber auch nicht, wenn der Normalo sagt: x = dazugehören, genießen, feiern, "einen sitzen" haben...

Von daher betrachte ich den Trinkwunsch als solchen nicht zwingend als Teil der Abhängigkeit, er kann es aber natürlich sein.
Das ist das Problem mit der Grenzziehung.
WilloTse hat geschrieben:Irgendwo dazwischen liegt die Grenze zwischen Sucht und Normalität. Genaue Definitionen sind da leider Mangelware.


LG
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon agnesl » 4. Februar 2015, 16:41

Hallo an alle besonders papfl,
bin wirklich sehr froh über deine sehr verständlichen Beiträge und Bebilderungen,papfl!
Es ist sehr einleuchtend für alle Neuankömmlinge (und immer wieder auch für die alten Hasen),einfach nur,Danke dafür [clapping] .
liebe Grüße
Agnesl

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon Papfl » 4. Februar 2015, 16:44

Hallo nochmal!

WilloTse hat geschrieben:Trinkwunsch ist für mich ein Teil völliger Normalität, wie im Beispiel "an Silvester ein Glas Sekt".
Das hat jeder Normalo auch.

betalbatim hat geschrieben:Ich glaube, jeder, auch der "Normalo" hat oder kennt den Trinkwunsch. Z.B. den, wie ich ihn beschrieb, nach getaner Gartenarbeit ein lecker Kölsch.

Ich glaube, das kleine "Missverständnis" beruht auf einem Definitionsproblem:

Wenn ich von "Craving" spreche, das sich aus den beiden Komponenten "Suchtdruck" (= nicht willentlich beeinflussbar) und "Trinkwunsch" (= willentlich beeinflussbar) zusammensetzt, beziehe ich das ausschließlich auf ABHÄNGIGE MENSCHEN.

Normalos haben kein "Craving" und folglich auch weder "Suchtdruck" noch "Trinkwunsch". Sie haben vielleicht den "Wunsch", nach getaner Gartenarbeit ein lecker Kölsch "zu trinken", aber das ist etwas vollkommen anderes als der von mir gemeinte "Trinkwunsch" als psychische Komponente des "Cravings", der aus einer gewissen Konditionierung heraus resultiert und dem man z.B. verhaltenstherapeutisch, lerntheoretisch, lösungsorientiert entgegen treten kann.

Vielleicht ist das Wort "Trinkwunsch" irreführend..."Suchtgedächtnis" im Sinne von "Alkohol als erfolgreich erprobte vermeintlich sichere Lösung in allen Lebenslagen" wäre eine Alternative, aber dieser Begriff ist leider von Jellinek & Co. und besonders von den AA schon komplett anderweitig besetzt. "Trinkerfahrung", "Trinkerinnerung", "Trinkgedächtnis" vielleicht [unknown] ?!?

Kurzum: Normalos lasse ich in meinen Überlegungen vollkommen außen vor. Es geht bei mir nur um Betroffene. Denn wie gesagt: Normalos kennen kein Craving :wink: .

LG Papfl
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon DonQuixote » 4. Februar 2015, 18:02

Hi Betalbatim

Wenn ich Papfl richtig verstanden habe, dann meint er mit „Trinkwunsch“ bei „Normalos“ das Verhalten im „nicht süchtigen Bereich“, welches im Grunde nicht Gegenstand unserer Betrachtung ist, d.h. der Betrachtung von Alkoholanhängigen. Und um auch Willo nochmals sinngemäß zu zitieren: Die Grenzziehung ist manchmal schwierig.

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon Papfl » 4. Februar 2015, 18:33

@betalbatim

Wie gesagt, das Wort "Trinkwunsch" ist vielleicht irreführend. Wenn "Normalos" ab und zu den Wunsch verspüren, sich "wegzubeamen", tun sie das "normal". Das heißt, sie haben am nächsten Morgen in der Regel einen Kater, fühlen sich mies, sind schlecht gelaunt und lassen den Alkohol erstmal wieder für die nächsten Tage/Wochen links liegen oder belassen es bei einem gelegentlichen Feierabendbierchen.

Genau hier liegt der Unterschied zu abhängigen Menschen. Du weißt selbst, dass das "Aufhören" nach einem Absturz bzw. manchmal schon nach dem ersten Bier sehr schwer ist/war. Während der "Normalo" sich von vornherein sagen kann: "Heute schieße ich mich (ausnahmsweise) mal ab!", haben abhängige Menschen das oftmals gar nicht vor ("Kontrollverlust"). Wie oft habe ich mir vorgenommen, nur ein Bier zu trinken und bin beim Vollrausch gelandet. Spätestens nach dem dritten Bier kam der erste Schnaps dazu und dann war der Käse ohnehin schon gegessen...

Ich halte auch das "kontrollierte" Trinken unter Baclofen für durchaus riskant. Du, @betalbatim, hast sehr lange abstinent unter Baclofen gelebt. Dein Stoffwechsel bzw. Deine Rezeptoren haben eine gewisse "Umpolung" erfahren können. Deshalb (und vielleicht auch, weil Du die abstinenten Phasen dazu genutzt hast, Dir gewisse Alternativen und Strategien zu erarbeiten) funktioniert das bei Dir mit dem gelegentlichen Bier zwischendurch. Da bist Du aber die Ausnahme, weil viele eben nicht die Geduld aufbringen und viel zu früh mit dem Alkoholexperimentieren beginnen.

Das Problem ist, dass - wenn man biochemisch noch nicht ausreichend vorgesorgt hat - eben diese oben bereits angesprochene "Verschmelzung" stattfindet. Vereinfacht gesagt werden mit dem "ersten" Bier im Stoffwechselsystem wieder "alte" Prozesse angestoßen, die das "Neuronenfeuerwerk" und damit den Suchtdruck wieder entfachen können. Es ist also praktisch nicht der "Trinkwunsch", der Dich zum Weiterkonsumieren zwingt, sondern der durch den "Trinkwunsch" neu entfachte Suchtdruck, der Probleme bereitet.

Sobald das erste Bier das "Neuronenfeuerwerk" wieder entfacht hat, kann die willentliche Beeinflussung ("Jetzt höre ich auf!") durch den entstandenen "Suchtdruck" (nicht willentlich beeinflussbar !!!) ausgeschaltet werden.

Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich bin kein Verfechter der "Moncherie"- oder "Rotweinsoße"-Theorie, aber ich kenne zahlreiche Beispiele (mich eingeschlossen), bei denen das so wie oben beschrieben abläuft, wenn sie wieder zur Flasche greifen.

Man kann das mit Baclofen überwinden - Du bist das beste Beispiel dafür - aber dazu braucht es eben Geduld und eine lange Phase der kompletten Abstinenz, bis man sich auf das Gelegenheitsbierchen einlassen kann.

Und es hängt auch davon ab, wie ausgeprägt die "Sucht" ist/war...Patienten mit einer starken biologischen Abhängigkeit bleibt letztlich meist nur die Abstinenz. Aber auch die kann mit Baclofen entscheidend angenehmer werden.

LG Papfl
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 4. Februar 2015, 18:53

betalbatim hat geschrieben:Warum sind "Normalos" nicht Gegenstand unserer Betrachtung. Ich hoffe, daß wir alle auf dem Weg sind ebensolche zu werden.

Hier bin ich - und ich weiß noch gar nicht, wie ich damit umgehen soll - betalbatims Meinung.
Craving ist nicht auf Dauer beherrschbar und süchtiges Verhalten.
Trinkwunsch ist normal, den hat fast ausnahmslos jeder Erwachsene unseres Kulturkreises ab und an.

Ich halte die Abgrenzung Craving - Trinkwunsch für sehr wichtig, die Abgrenzung Trinkwunsch ehemals Abhängiger - Trinkwunsch Normalos aber für wenig zielführend. Denn dort eine Unterscheidung zu finden, dürfte schlicht unmöglich sein.

Einfacher gesagt: wird mein Wunsch, im Garten ein Bier zu trinken, deswegen anders , weil es eine Zeit gab, in der ich abhängig war?
Das erscheint mir unlogisch.

Klar, da sind natürlich die Lernerfahrungen, die ein nie-abhängig-Gewesener (naGer? [biggrin] ) in der Form nicht hat.
Oder?
Auch ein naGer hat mit Sicherheit angenehme und unangenehme Erfahrungen mit Alkoholkonsum.
Party vs. Kater, sozusagen.
Er kann sie nur ausbalancieren.
Nee.
Er hat nie die das Problem gehabt, sie nicht ausbalancieren zu können.
Aber, wenn bb ein Kölsch im Garten trinkt, (ich dachte, Du trinkst Bier...?!?) oder ich mich ab und an einen Abend ins Paralleluniversum trinke, das aber am nächsten Tag natürlich (nicht baclofeninduziert) nicht weiter geht, nichts weiter passiert ist, als ein paar Bier und ein bisschen Kopfschmerzen, WAS unterscheidet mich oder bb dann vom Normalo?

LG
Willo

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon Papfl » 4. Februar 2015, 19:06

@WilloTse

WilloTse hat geschrieben:WAS unterscheidet mich oder bb dann vom Normalo?


Ich würde fast soweit gehen und @betalbatim (dank Baclofen) und Dich (dank anderer Strategien) mittlerweile zu den "Normalos" zählen. Wie gesagt:

Papfl hat geschrieben:Man kann das mit Baclofen überwinden...


Und ich gebe Euch recht: Einen "Trinkwunsch" kann jeder haben. Vielleicht sollte ich künftig besser schreiben:

Bild

(Trink)erinnerung zielt eher auf das ab, was ich mit psychischem Craving meine.

Ein Beispiel: Ich weiß, dass Alkohol mir in der Vergangenheit in nahezu allen Situationen geholfen hat. Wenn ich mich jetzt plötzlich in einer Stress-Situation oder in einem Streit befinde, vor einem unlösbaren Problem stehe oder einfach nur schlecht drauf bin und das ändern will - was dann? Meine bisherige Lösungsstrategie (Alkohol) fällt weg, und die innere Spannung wächst und wächst...und mit ihr das Verlangen ("Craving") nach Erleichterung/Entspannung/Erlösung...bevor ich jetzt innerlich zerberste, greife ich halt doch wieder zur Flasche, weil ich weiß, dass das hilft / immer geholfen hat ("Trinkerinnerung").

Solche Situationen kann man aber vermeiden (soll heißen: an den "Trinkerinnerungen" kann man arbeiten --> willentlich beeinflussbar), z.B. indem man sich mit Entspannungübungen, Yoga, Autogenem Training, Kommunikationsstrategien, psychotherapeutischen Methoden etc. beschäftigt, die ebenfalls bei innerer Anspannung zu Erleichterung führen können.

Gegen "Suchtdruck" hingegen bin ich machtlos, weil es sich dabei um physische, biochemische, körperinterne Prozesse handelt, die ich nicht beeinflussen kann.

@alle

Wer sich für die biochemischen Mechanismen des "Suchtdrucks" interessiert, der/dem empfehle ich einen Blick in die Animation "Drugs and the Brain", wo die Zusammenhänge GABA/GLUTAMAT beim Alkohol ganz anschaulich erklärt werden.

LG Papfl
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 4. Februar 2015, 19:37

Hoi Papfl,

zunächst mal sorry @William, dass wir Deinen Thread jetzt für eine Grundsatzdiskussion benutzen, ggf. kann @DonQAdmin das ja verschieben, wenn es Sinn macht. [smile]

Papfl hat geschrieben:(Trink)erinnerung zielt eher auf das ab, was ich mit psychischem Craving meine.


Das haut aber auch nicht hin. Auch der Normalo hat eine Trinkerinnerung. Ich habe nicht nur ein "Suchtgedächtnis", ich habe durchaus auch ein "Katergedächtnis".

Was mich oder bb offenbar unterscheidet von noch-Süchtigen ist, dass das trotz gelegentlichen Konsums gleichwertig geworden ist (Strategie jetzt mal außen vor).

Ich weiß nicht nur, dass Trinken "alle meine Probleme löst" oder sich "gut anfühlt", ich weiß auch um die Folgen. Das weiß der Normalo aber auch, der Abhängige auch.

Ich halte das Trinkverlangen, den Druck, das Craving für schlussendlich unausweichbar (und sei es nach 20 Jahren).
Der Trinkwunsch, also das reine Wollen, egal, ob es nun um das Gartenbier oder den gelegentlichen "Abschuss" geht, ist steuerbar. Und nicht abhängig.

Ich denke, hier gehen zwei Dinge durcheinander, und die machen die Grenzziehung so schwer: "ich kann es kontrollieren, ich hab's ja nur gewollt" (Selbstbetrug des Abhängigen) und "ich kann es kontrollieren, ich hab's ja nur gewollt" (objektive Lebenswirklichkeit des Normalos).

Insofern wäre Craving = unausweichlich. Auch dann, wenn es als gefühlter Wunsch daher kommt und unausweichlich zum Trinken führt.

Trinkwunsch: jederzeit frei steuerbar, aber legitim auch für Menschen, die abhängig sind oder waren.

Ich würde Trinkwunsch (das "psychologische Craving") gar nicht unter "Craving" subsumieren.

Es gibt ausweichbares und unausweichbares Trinken. In Ermangelung eines besseren Begriffes finde ich "Trinkwunsch" in Ordnung für ausweichbares Trinken und behaupte: das ist normal, das zu haben.

LG
Willo

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon Papfl » 4. Februar 2015, 20:00

@WilloTse

ich muss gleich los, deshalb schreib' ich ganz schnell frei von der Leber ( [mocking] ) weg:

Ich glaube, die Krux liegt wirklich darin, dass der Abhängige durch seinen jahrelangen Alkoholkonsum im Oberstübchen einiges durcheinandergewirbelt hat. Das "Bierchen" beim Abhängigen sorgt nicht nur für einen Rausch oder Entspannung, sondern kann automatisch auch wieder Stoffwechselprozesse anregen, die "Suchtdruck" auslösen. Weil eben die Rezeptoren bei abhängigen Menschen anders reagieren als bei "Normalos".

Der "Trinkwunsch" mag bei Normalos und Abhängigen der gleiche sein, die Konsequenzen aber sind verschieden. Bei Normalos löst ein Drink keinen Suchtdruck aus.

Bis denne!
Papfl
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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon William » 4. Februar 2015, 20:07

Papfl hat geschrieben:@WilloTse

.... frei von der Leber ( [mocking] ) weg:


Bis denne!
Papfl


Lass bitte die Leber aus dem Spiel! Die hat doch Urlaub, oder? [biggrin]

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon William » 4. Februar 2015, 20:14

WilloTse hat geschrieben:Hoi Papfl,

zunächst mal sorry @William, dass wir Deinen Thread jetzt für eine Grundsatzdiskussion benutzen, ggf. kann @DonQAdmin das ja verschieben, wenn es Sinn macht. [smile]

....


Willo


Mich stört es gar nicht. Finde es sehr interessant was hier geschrieben wird und ich hab das ja auch ausgelöst. [biggrin]

Oje, ich glaube ich war lange Zeit im Bereich Craving. Mich hat zwar keiner gezwungen nach der Arbeit an der Tanke zu halten um Bier zu holen, trotzdem hab ich das gemacht wie ein Zombie. Bei Dienstreisen mit Kollegen wa die größte Sorge wo der nächste Supermarkt ist...

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Re: Williams Bac Diary

Beitragvon WilloTse » 5. Februar 2015, 08:01

Tach zusammen!

Papfl hat geschrieben:Das "Bierchen" beim Abhängigen sorgt nicht nur für einen Rausch oder Entspannung, sondern kann automatisch auch wieder Stoffwechselprozesse anregen, die "Suchtdruck" auslösen. Weil eben die Rezeptoren bei abhängigen Menschen anders reagieren als bei "Normalos".

Der "Trinkwunsch" mag bei Normalos und Abhängigen der gleiche sein, die Konsequenzen aber sind verschieden. Bei Normalos löst ein Drink keinen Suchtdruck aus.

ja, das ist halt die alte Frage: Einmal Alki - immer Alki?
Ist die Veränderung des Hirnstoffwechsels tatsächlich unumkehrbar? Für alle Abhängigen? Kann nicht sein, dagegen sprechen die verfügbaren Zahlen. Dann würde ja die Rückkehr zum Gartenbier jeden dritten Freitag bei niemandem funktionieren. Also ab wann und für wen ist die Wiederherstellung einer gesunden Hirnchemie nie mehr drin?

Dazu kommt das Problem: war die Hirnchemie vorher denn in Ordnung? Es wird ja ein genetisch veranlagtes verkorkstes GABAerges und/oder dopaminerges System diskutiert. Süchtig vom ersten Schluck an (galt auch für mich).
Dieses System wird natürlich durch den fortgesetzten Konsum immer weiter verreguliert, aber kann es nach Ende des Konsums nicht mehr in die Ausgangsposition zurück?
Nicht zuletzt ist bis zu einem gewissen Grad der Umgang mit der eigenen Hirnchemie ja lernbar. Man kennt seine Reaktionen irgendwann. Dass die Belohnungssysteme anfangen Samba zu tanzen, wenn der erste Schluck noch gar nicht drin ist, sondern schon von dem Moment an, als man alle guten Vorsätze über Bord geworfen und sich auf den Weg zur 24-Stunden-Tanke gemacht hat, das weiß man irgendwann ja.
Und klar, Craving reguliert die kognitiven Funktionen 'runter, keine Frage. Gerade der präfrontale Kortex (der für die guten und langfristigen Entscheidungen), wird verreguliert. Aber Craving schaltet die kognitiven Funktionen nicht aus.
Jeder weiß, auch auf dem Weg zur Tanke, dass dies die falsche Entscheidung ist, nur der "Ach, Scheiß' drauf!"- Effekt des Belohnungssystems ist stärker. Dazu kommt der fehlende aversive Reiz: es geht mir ja nicht beschissen während und nach dem Konsum, im Gegenteil. Die einzige "Strafe" ist, dass ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in dreißig Jahren zehn Jahre früher sterbe, als nötig. Das zieht einfach nicht.

Aber wenn der Punkt kommt, an dem man für sich entscheidet, dass es genug ist, dann kommt auch der Punkt, an dem man sich auch von seiner verdrehten Neurochemie nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lässt.

Das geht bei einigen von jetzt auf gleich, andere brauchen dafür länger, wieder andere kippen das Argument und die damit verbundenen Vorsätze wieder und landen in der "Ach-Scheiß'-drauf!"-Nummer.
Aber wo besteht zwischen diesen Leuten der Unterschied? Und ist die jeweilige Gruppenzugehörigkeit durch irgendetwas festgelegt und nicht zu ändern? Ich weiß es schlicht nicht. [unknown]

Um auf die Definiererei zurückzukommen:
Papfl hat geschrieben:(Trink)erinnerung zielt eher auf das ab, was ich mit psychischem Craving meine.

Was hältst Du denn von Trinksehnsucht als Beschreibung des psychischen Craving und in Abgrenzung zum Normalo - Trinkwunsch?
Sehnsucht als überhöhte positive Erinnerung, die diesen Zustand jedem anderen vorzieht? Mögliche Alternativstrategien sind zwar bekannt, werden aber als minderwertig gegenüber der Alternative Alkohol angesehen. Wohingegen der Trinkwunsch - also der "Normalbereich" - sich dadurch auszeichnet, dass Alkoholkonsum eine von vielen gleichwertigen Möglichkeiten ist. "Ich würde gern einen Wein zum Abendessen trinken! - Denkpause - Ach, Quatsch, ich muss ja heute Abend nochmal fahren. Na, dann eben nicht!" Das würde ich als völlig normal ansehen.
Die Trinksehnsucht dagegen würde nach dem "Ich muss ja heute Abend noch fahren!" in eine negativ wertende Routine übergehen: "So ein Mist! Ich hatte mich sooo auf den Wein gefreut. Und jetzt darf ich nicht? Scheiße, Mann! Ein Glas kann ich im Grunde doch riskieren, das ist ja noch unter 0,5 Promille!" Und so weiter...
DAS würde ich noch als süchtigen Bestandteil ansehen.

Verzeiht meine Wortklauberei, aber mir geht der Weg "normaler Trinkwunsch -> Abgleiten in süchtiges Verhalten -> Überwindung des süchtigen Verhaltens -> der ehemals völlig normale Trinkwunsch ist aus Gründen der Vorerkrankung jetzt ein kranker Trinkwunsch" nicht 'runter.

Ich kann die Bedingungen auch nicht benennen unter denen die Rückkehr zu normalem Trinkverhalten möglich bzw. unmöglich ist. Es wäre schon spannend, festzustellen:
betalbatim hat geschrieben:Ich glaube aber, daß ich auch eine Portion Glück gehabt habe,

worin genau dieses "Glück" besteht.
Das kann ich leider nicht. Aber ich kann auch nicht umhin festzustellen, dass es Menschen mit diesem "Glück" ganz offenkundig gibt.

LG
Willo


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