Einmal Alki - immer Alki?

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 1. Dezember 2014, 13:30

Suse hat geschrieben:nichts gegen wissenschaftliche Ansätze - im Gegenteil, habe selbst "Wissenschaft gelernt". Aber @willo du folgst diesem Ansatz, was nicht wissenschaftlich belegt ist, gibt es nicht. Das ist der Ansatz der Schulmedizin und mE falsch. Warum hier niemand Gegenstudien, Zahlen, Fakten liefern kann zum Thema "einmal Alki - DOCH immer Alki" wird deshalb sein, dass es dazu keine Studien gibt.

Hi Suse!

Ich weiß, ich habe selbst ja auch nichts gefunden, deshalb wende ich mich ja an die googelnde Gemeinde an sich und den googelnden AAler insbesondere.
Nur: was nicht belegt ist, gibt es nicht, hab' ich nie gesagt. Was nicht belegt ist, gehört nicht in diesen Thread. Sondern in diesen. Ich weiß, dass die Trennung da mitunter nicht gelingen kann, aber ich möchte aus diesem Faden einfach gern die seitenlangen Diskussionen von "ich glaube aber nicht vs. ich glaube aber doch" 'raushalten.
Die sind auch wichtig, dieser Faden ist nur der falsche Ort dafür.

Ich bestehe auch nicht auf "quantitativer" Wissenschaft, es darf sehr gern auch "qualitative" sein.
Es muss nichtmal von wissenschaftlichen Profis und Koryphäen sein, ich nehme auch andere Quellen.
Sie sollten sich aber die Mühe gemacht haben, nach "in meiner Gruppe sind alle trocken!" kurz aufzuzählen, wie viele Gruppenmitglieder gekommen und nach drei Wochen wieder verschwunden sind. Weißt, was ich meine. [smile]

LG
Willo

Benutzeravatar

Suse
Beiträge: 722
Registriert: 15. Mai 2013, 19:34
Hat sich bedankt: 45 Mal
Danksagung erhalten: 94 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon Suse » 1. Dezember 2014, 23:58

WilloTse hat geschrieben:Weißt, was ich meine. [smile]


Jepp, weiß ich. Deshalb sage ich ja: Es wird sich nichts finden lassen, da sich niemand die Mühe machen wird, jenen Aspekt zu verfolgen. Sei es wissenschaftlich oder Pseudo-wissenschaftlich. Interessant ist die Frage, ob es möglich ist, irgendwann irgendwie nicht mehr "süchtig" zu sein, ohne sich dem jeweiligen Suchtmittel komplett zu entziehen. Uninteressant für Wissenschaftler hingegen ist dagegen der Ansatz, ob es doch vielleicht nicht möglich ist...

Rein wissenschaftlich gesehen, weiß da niemand nichts genaues nicht. Man weiß, es gibt entsprechende Rezeptoren. Man weiß, sie "vermehren" sich, je mehr sie gefordert werden. Man weiß, dass diese Tatsache die Sucht ausmacht. Die Rezeptoren werden unempfindlicher, somit braucht es mehr davon. Punkt.
Aber nochmal UPPPs, gehört hier nicht her, nicht wissenschaftlich belegt [lol]

Schaun wir mal. Den anderen Thread habe ich durchaus bereits entdeckt. Mal
schaun, vielleicht fällt mir da auch noch was Hochnotschlaues ein ;-)

lieben Gruß, Suse
Früherer Name: Desperatio

Plötzlich konnte ich sehen und ich war froh. Doch was ich sah, gefiel mir nicht. Ich lerne, neu zu sehen. Suse

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 2. Dezember 2014, 00:34

Wieso darf Suse hier so schreiben, während ich dafür zusammengestaucht werde? Hm? [ireful]
Das geht an Willo, nicht an Dich, Suse,

fragt mal blöde
Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

Suse
Beiträge: 722
Registriert: 15. Mai 2013, 19:34
Hat sich bedankt: 45 Mal
Danksagung erhalten: 94 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon Suse » 2. Dezember 2014, 01:38

Wohl, Weil es erst eine halbe Stunde her ist und um diese Uhrzeit niemand mehr da ist, um mich zusammen zu stauchen :-)

Keine Sorge, Conny, kommt noch.

Lg Suse
GoldenTulip hat geschrieben:Wieso darf Suse hier so schreiben, während ich dafür zusammengestaucht werde? Hm? [ireful]
Das geht an Willo, nicht an Dich, Suse,

fragt mal blöde
Conny
Früherer Name: Desperatio

Plötzlich konnte ich sehen und ich war froh. Doch was ich sah, gefiel mir nicht. Ich lerne, neu zu sehen. Suse

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 2. Dezember 2014, 01:53

[biggrin]
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 2. Dezember 2014, 05:53

Suse hat geschrieben:Aber nochmal UPPPs, gehört hier nicht her, nicht wissenschaftlich belegt

Och, bitte...
Ich muss doch jemandem Deines Kalibers nicht erklären, dass eine systematische Suche nach Ergebnissen, die keine Ergebnisse bringt, auch Teil "wissenschaftlichen" Arbeitens ist!?
Und was ich hier gern 'raus hätte - ist das wirklich sooo schwer zu verstehen??? - sind Behauptungen zur (Un-)Heilbarkeit der Sucht, die auf nichts als Hörensagen, Bauchgefühl und dem Nachplappern irgendeines Mantras beruhen. Oh, und Diskussionen übers Diskutieren. Die hätte ich auch gern 'raus. Ich möchte hier auf einer sachlich-fundierten Basis über Heilung von der Alkoholabhänggikeit reden, über sonst an dieser einen Stelle mal nichts.

Ist es möglich, mir diese eine, schlichte Bitte zu erfüllen? Danke.

back on topic:

Du würdest also sagen, dass es für die Grundannahme praktisch der gesamten westlichen Suchtbehandlung der letzten 100 Jahre nicht einen einzigen überprüfbaren Nachweis gibt, wohl aber etliche, die diese Annahme widerlegen?
Ist das richtig so?

LG
Willo

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 2. Dezember 2014, 10:05

Willo,

die "westliche Suchtforschung" fußt auf der Einteilung der "Alkoholiker" nach Jellinek

http://flexikon.doccheck.com/de/Alkoholikertypologie_nach_Jellinek

Ich vermute, Du hast hierhttp://de.wikipedia.org/wiki/Alkoholkrankheit schon mal drübergelesen.

Jellinek war übrigens kein Mediziner, sondern Physiologe [cool]

Auszug vom letzten Link:

"Kritik an Jellineks Konzepten

George Eman Vaillant hält wie auch Johannes Lindenmeyer Jellineks Sicht des Krankheitsverlaufes für zu geradlinig, vorbestimmt und nicht aufhaltbar. Sie würden sich auf Erfahrungen, nicht jedoch auf wissenschaftliche Studien stützen. Etliche würden wieder zu maßvollem Trinkverhalten oder auch zur Abstinenz zurückfinden. Das Grundkonzept hält er aber für korrekt."

Ich vermute, die Erfindung der Unheilbarkeit des Alkoholismus passte manchen Leuten einfach gut ins Konzept. Schublade auf, Alki rein und aus die Maus. Generalisierte Erfahrungswerte einzelner. Dass Alkohol hier wie zumeist überhaupt frei verkäuflich ist, wohingegen der Genuss von Marihuana unter Strafe gestellt war bis vor kurzem, obwohl weit weniger toxisch, spricht dafür, dass Alkohol als Volksberuhigungsmittel staatlicherseits gewünscht ist. Wer trinkt, geht nicht demonstrieren.
Am anderen Ende geht nun aber mal auch nicht gut arbeiten, wer betrunken ist.
Die Definition, was denn nun Alkoholismus sein darf, ist demzufolge eine politische Frage.

Mein Vater hat 30 Jahre lang, ich glaube, so darf man bei 8 Bier plus Schnaps am Tag sagen, durchgehend gesoffen, und dann von einem Tag auf den anderen aufgehört. Von 100 auf Null. Grund: Die Ankündigung seiner seitdem zweiten Ehefrau: Entweder das Zeug oder ich.

Ich glaube daher nicht, dass man das "einmal Alki- immer Alki" wissenschaftlich positiv belegen kann, das ist mehr ein moderner Mythos, um ein psychosozial extrem komplexes Phänomen zu versuchen handelbar zu machen.

Ich würde daher eher fragen: Unter welchen Umständen ist jemand motiviert, diese Form des selbstschädigenden Verhaltens zu unterlassen/ was hat der Mensch von Nüchternheit und was daran macht ihm Angst. (Ich spreche von der Zeit nach einer körperlichen Entgiftung, da gibt es eine andere Dynamik, aber das sind maximal 6 Tage).

Die AA haben dieses intellektuelle Lack umschifft, indem sie das "nasse Denken" erfunden haben. Es spielt dort ja gar keine Rolle, ob jemand monatelang nichts trinkt. Der bleibt eben zeitlebens Alkoholiker, egal was er tut. Er könnte und wollte vielleicht wieder trinken. Wennn ich auch sonst nichts bin, kann ich immer noch ein tapferer trockener Alkoholiker sein. Und mir dafür auch noch jährlich gratulieren lassen.

Jeder wie er oder sie möchte, nur mir ist das zu doof.

Ich hoffe, diese Erwägungen passen in diesen Thread, ansonsten gern in den "Ich finde, also bin ich" verschieben.

Lieben Gruß
Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

DonQuixote
Beiträge: 5159
Registriert: 15. Dezember 2011, 14:48
Hat sich bedankt: 713 Mal
Danksagung erhalten: 831 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN
Kontaktdaten:

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon DonQuixote » 3. Dezember 2014, 18:03

Seid gegrüßt

So richtig „wissenschaftliches“ habe ich nicht einzubringen, aber lasst mich dennoch fortfahren. Von den „Anonyme Alkoholiker (AA)“ haben wir ja schon einiges erfahren, respektive nicht erfahren. Und so habe ich auch mal beim deutschen „Blaues Kreuz“ nachgeschaut. Das Positive vorab: Diese Vereinigung gibt es offenbar bereits seit 1877, also seit knapp 140 Jahren. Logisch, den „Amis“ waren und sind wir ja immer einen großen Schritt voraus, und „erfunden“ wurde das Konzept sogar in der Schweiz, und um für die Lokalpatrioten genau zu sein, in Genf.

So etwas wie ein „12-Schritte-Programm“, wie bei den AA, kann ich dort nicht entdecken, jedoch lässt „Blaues Kreuz“ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es auf einem soliden religiösen christlichen Fundament steht:

Blaues Kreuz hat geschrieben:
Abgeleitet vom biblischen Menschenbild sehen wir den Menschen im Spannungsfeld seiner körperlich-seelischen und zwischenmenschlichen Beziehung, in seinem Bedürfnis nach Sinn und Heil und seiner Fähigkeit zu verantwortlicher Lebensgestaltung.

Jesus Christus ist uns persönlicher Bezugspunkt. Er befreit zu einem lebendigen Glauben und vermittelt Sinn, Ziel und neue Lebensinhalte.

Er motiviert uns zu verantwortlichem und diakonischem Handeln. Darum sind wir offen für alle, mit denen Gott uns Begegnung schenkt.

Primärquelle …

Diese Stoßrichtung findet man dann auch teilweise in den Hilfsangeboten von „Blaues Kreuz“ wieder:

  • Begegnung in alkoholfreier Atmosphäre
  • Information, Beratung, Selbsthilfe
  • Lebenshilfe auf biblischer Grundlage in Einzelgesprächen, Hauskreisen und Gruppen
  • Offene Kinder- und Jugendarbeit
  • Prävention
  • ambulante und stationäre Rehabilitation
  • ambulant und stationär betreutes Wohnen
  • Bildungs- und Freizeitmaßnahmen
  • Öffentlichkeitsarbeit und Literatur
  • Mitarbeit in Gottesdiensten
Hervorhebungen in Fettschrift und Unterstreichungen von mir. Primärquelle … Aber wie ich schon bei den AA schrieb, ist das ist die offizielle bundesdeutsche „Partei-Linie“, und wie das dann in den einzelnen Landesverbänden und Ortsgruppen gehandhabt wird, steht vielleicht noch auf einem anderen Stück Paper.

Was den Leistungsausweis des „Blaues Kreuz“ angeht, gibt man sich zwar weltoffener, zitiert freimütig die WHO (Weltgesundheitsorganisation) und unter „Zahlen und Fakten zur Alkoholabhängigkeit“ die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sowie das Statistische Bundesamt (Quelle …), doch zum eigenen Leistungsausweis schweigt man sich aus.

Anderswo hätte das „Blaues Kreuz“ vielleicht Gelegenheit dazu gehabt, zum Beispiel in diesem sehr respektablen Bericht, Danke an @Gretikatz an dieser Stelle für den Wink mit dem Zaunpfahl. Doch auch diese Gelegenheit wurde versäumt. Ich darf also zitieren, was ich zu den „Anonyme Alkoholiker (AA)“ unlängst bereits geschrieben hatte:

DonQuixote zitiert sich hat geschrieben:Als Erfolgsausweis berichten die AA in „Zahlen und Fakten“ lediglich darüber, wie sich die Mitglieder der AA im Umfeld der Organisation verhalten, und dass die Teilnehmerzahlen an den örtlichen Meetings stetig wachsen, aber nichts davon, wie erfolgreich das 12-Schritte-Programm sich im Vergleich zu anderen Therapieformen eigentlich darstellt. Es ist mir schon bewusst, dass das kein einfaches Unterfangen ist, aber man hätte das in den vergangenen achtzig Jahren, so lange nämlich gibt es die AA schon, wenigsten mal versuchen können.

Das hervorgehobene „in den vergangenen achtzig Jahren“ könnt Ihr jetzt im Kopfe und für das „Blaues Kreuz“ ersetzen durch „in den vergangenen 140 Jahren“. Und Ja, ich wiederhole mich nochmal gerne: Man hätte es jedenfalls mal versuchen können!

DonQuixote

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 3. Dezember 2014, 18:34

WilloTse hat geschrieben:Ich möchte diese Bitte, nein, diese Forderung an dieser Stelle wiederholen: Wer sagt, "Einmal Alki - immer Alki!", möchte diese Position bitte nicht mehr einfach behaupten.
Sondern belegen.

WilloTse hat geschrieben:Jetzt lasst die Anhänger der gegenteiligen Überzeugung ihre Behauptungen belegen.

Können sie das nicht, [pardon] , ist das doch in jeder Diskussion weit mehr wert, als ein "bei mir ist es aber...!".
Und können sie es doch, haben wir was zum Nachdenken

Suse hat geschrieben: Warum hier niemand Gegenstudien, Zahlen, Fakten liefern kann zum Thema "einmal Alki - DOCH immer Alki" wird deshalb sein, dass es dazu keine Studien gibt.

Man belehre mich eines Besseren.


DonQuixote hat geschrieben:Und Ja, ich wiederhole mich nochmal gerne: Man hätte es jedenfalls mal versuchen können!


Ja.
Ganz genau das: man hätte es ja wenigstens versuchen können.

Ich nehme @DonQs Posting jetzt zum Anlass, diesen Thread vorläufig zu schließen mit: es gibt offenbar keinen einzigen Beweis für die Unheilbarkeit der Alkoholabhängigkeit, aber eine Menge dagegen.

LG
Willo

Benutzeravatar

Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon Papfl » 6. Dezember 2014, 08:55

@ Willo

Auch wenn Du den Faden schon "geschlossen" hast [smile] , vielleicht noch eine kurze Anmerkung. Weil ich ehrlich gesagt Deinen Ansatz nicht ganz verstanden habe.

Thesen wie "Alkoholismus ist heilbar" bzw. "Alkoholismus ist unheilbar" lassen sich nach unserem Wissenschaftsverständnis (Falsifikationismus) nicht verifizieren. Sie sind:

1) zu pauschal gehalten und
2) für einen dynamischen Prozess wie "Heilung" unzureichend.

Deshalb kann auch weder die eine Seite noch die andere Seite wissenschaftlich gesehen eine der beiden Thesen für sich in Anspruch nehmen.

Ich versuch's mal, an einem Beispiel (das Du sicherlich kennst [smile] ) zu verdeutlichen:

Die These "Alle Schwäne sind weiß" ist so lange richtig, bis ein schwarzer Schwan gefunden wird. Danach ist die These hinfällig und widerlegt. Das ist das Falsifikationsprinzip.

Äquivalent wäre die These "Alkoholismus ist heilbar" dann widerlegt, wenn ein einziger "unheilbarer" Fall bekannt würde. Nun gibt es davon reichlich (Rückfälle, Trinker bis zum Lebensende etc.). Aber wer sagt mir, dass der Rückfällige oder an seinem Alkoholkonsum Verstorbene nicht hätte geheilt werden können, wenn er nicht rückfällig geworden oder gestorben wäre?

Wenn ich einen schwarzen Schwan finde, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der nur "vorübergehend" kurz schwarz wurde und irgendwann dann wieder weiß ist (und bleibt), sehr gering. Sollte es dieses Phänomen unter Schwänen geben ("spontaner Farbwechsel"), dann müssten die Ausgangsthesen anders formuliert bzw. durch weitere Bedingungen eingeschränkt werden. Und das macht sie wissenschaftlich wieder schlechter bzw. mit zu vielen Variablen irgendwann überflüssig.

Genau so wenig, wie ich beweisen kann, dass jemand von der Alkoholabhängigkeit geheilt werden kann, kann ich beweisen, dass er nicht davon geheilt werden kann. Die Ausgangsthese wäre dann:

"Alkoholismus ist unheilbar" und das Spiel beginnt von vorn. Um diese These zu entkräften, musst Du einen Fall bringen, der tatsächlich geheilt wurde. Gleiches Dilemma:

1) Wer sagt Dir, dass der von Dir angeschleppte Beweis (z. B. Olivier Ameisen) nicht irgendwann doch wieder rückfällig geworden wäre?
2) Wie definierst Du Heilung überhaupt (mit Abstinenz, xx Gramm Alkohol pro Tag/Woche, kontrolliertem Trinken...)?

Die Krux liegt tatsächlich darin, dass solch pauschale Thesen auf dynamische Prozesse wie Heilung nicht angewendet werden können, und weil so viele Komponenten mit rein spielen (allein die Variablen für die Definition der Heilung würden eine Ausgangsthese "überfrachten") sind sie auch dementsprechend sinnlos.

Die eine Seite kann nur vermeintlich etwas besser argumentieren, weil "Alkohol-Leichen" und Rückfälle eben zwangsläufig in Kliniken (oder eben SHGs etc.) dokumentiert werden. Wer mit 50 aufgehört hat zu trinken und eines "natürlichen" Todes stirbt, steht auf keiner Liste. Und wenn's so wäre, wer garantiert mir, dass derjenige nicht vielleicht doch...siehe oben...

Worüber man sich austauschen kann, ist die Methodenfrage: Wie kann ich meine ganz persönlich definierte "Heilung" am besten erreichen? Mit SHGs, mit Baclofen, mit Religion,...

Und das tun wir hier im Forum fast jeden Tag [smile] !

Ein schönes Wochenende wünscht
Papfl

P.S. Von mir aus kann der Faden gleich wieder "geschlossen" werden, ich möchte mit meinem Statement keine wissenschaftstheoretische Diskussion eröffnen, das würde komplett OT [pardon] .
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 6. Dezember 2014, 09:20

Danke papfl,

für diesen klugen Beitrag. Und natürlich nicht schließen.

Mir haben die Worte und Begründungen gefehlt, einerseits Willos verständlichem Wunsch nach "Wissenschaftlichkeit/ Analyse/ Studien" nachzukommen und mich in den Meinungsthread zu trollen *grmpfl*, und gleichzeitig zu merken, dass es mir schlichtweg unmöglich ist, auf bestimmte Beiträge nicht zu antworten [blus] .

Vielleicht wäre die richtige Bezeichnung, dass es sich um Ideologiefragen handelt?

Denn, beispielsweise die Ablehnung von Baclofen durch die meisten SHGs, "Suchtberater", Firmen wie die AA ist doch vom moralischen Postulat geprägt, dass es keine "Heilung" durch eine "Pille" geben darf. Ex-Alkis müssen leiden.
Täglich an ihre Verworfenheit erinnert werden, mit der endgültigen Exkommunizierung bedroht werden. Sie sollen in Angst leben.
Im Sinne der Menschlichkeit steige ich schon an diesem Punkt aus.

Alkohol ist im kolonial-imperialistischen Streben immer eine Waffe zur Unterwerfung der zu erobernden Länder gewesen. Das muss man sich mal klar machen. Dopamin-war.

Wenn nun der einzelne hingeht, und sich entschließt, das nicht mehr mit sich machen lassen zu wollen, und ihm dann ein Ausstieg über Baclofen aus fadenscheinigen Begründungen ("Nebenwirkungen" [lol] ) verwehrt wird, ist das keine Frage wissenschaftlicher Nachweise, sondern ein Politikum. Cui bono.

Und da kommt man am Ende nicht mal mit einer Studie gegen an. Stichwort: Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe.

Unsere praktische, allgegenwärtige, und individuenzentrierte (gibt es das Wort) Hilfestellung aller im Forum Seiender schafft immerhin Fakten. Ärzteliste, Erfahrungsberichte, biographisch validierte Fakten. Baclofen hilft Menschen, nicht mehr zu trinken. Ist doch egal, ob "manche" "unheilbar sind". Dann ist das eben so.

Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 6. Dezember 2014, 09:38

ergo:
P.S. Von mir aus kann der Faden gleich wieder "geschlossen" werden, ich möchte mit meinem Statement keine wissenschaftstheoretische Diskussion eröffnen, das würde komplett OT


Das sehe ich komplett anders. Der Faden sollte aufbleiben, und auch "komplizierteres Nachdenken" sollte hier möglich sein.
Niemand wird gezwungen, solche Beiträge zu lesen [mocking]

Es sollte aber auch kein "Expertenwissen" bleiben.

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 6. Dezember 2014, 11:18

Moin Papfl,

für mich ist die gängige These der Unheilbarkeit der Abhängigkeit hinreichend falsifiziert, siehe meine Beiträge oben und hier.

WilloTse hat geschrieben:Ich möchte diese Bitte, nein, diese Forderung an dieser Stelle wiederholen: Wer sagt, "Einmal Alki - immer Alki!", möchte diese Position bitte nicht mehr einfach behaupten. Sondern belegen.


LG
Willo

p.s.: ich hatte den Thread für mich vorläufig geschlossen, weil ich meine Aktivität im Forum begrenze. Ihr wisst, warum. Mit dem Thread als solchen hatte das nichts zu tun.

Benutzeravatar

11rubicon67
Beiträge: 10
Registriert: 26. Oktober 2012, 11:56
Hat sich bedankt: 13 Mal
Danksagung erhalten: 4 Mal
Mann oder Frau?: Ich habe keine AHNUNG

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon 11rubicon67 » 7. Dezember 2014, 07:06

Hallo zusammen!

Ich möchte nur mal loswerden, dass ich diesen Thread mit sehr großem Interesse verfolgt habe.
Papfl hat geschrieben: Von mir aus kann der Faden gleich wieder "geschlossen" werden, ich möchte mit meinem Statement keine wissenschaftstheoretische Diskussion eröffnen,

Ich hätte mich auf die Diskussion zwischen euch beiden gefreut, da kommt wenigstens was bei raus.
Ich kann niemanden zwingen, eine absolut verständliche Forenpause meinetwegen zu unterbrechen.
Aber ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der eine Fortführung von Willos Diskussion über mögliche Heilung mit Spannung verfolgt hat.
Ein Thread, der sehr viel Mut macht!

Viele liebe Grüße vom
Rubicon

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 8. Dezember 2014, 08:49

Tach zusammen!

Durch @Rubicons Beitrag sowie aus einigen Zuschriften per pn und Mail sehe ich, dass das Thema in der angedachten Form dann doch mehr Leute interessiert, als ich es zuletzt wahrgenommen habe.
Ob da jetzt was "bei rauskommt" (@Rubicon) weiß ich nicht, aber dass es irgendwie auch 'raus muss, könnt Ihr der Tatsache entnehmen, dass die Forenpause wieder mal pausiert.
Und ja, eine Forenpause wäre schön gewesen, aber Ihr wisst offenbar auch, wie Ihr mich immer wieder 'rumkriegt. Saubande. [smile]

Ich versuche mal, im Folgenden zu drei Dingen erläuternd Stellung zu beziehen.

- Fragestellung
- Methodik
- Heilung

Da das ansonsten selbst für meine Verhältnisse ein übertrieben langes und unübersichtliches Posting würde, gibt’s das Ding in drei Häppchen.

LG
Willo

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 8. Dezember 2014, 09:30

Hier dann also:

Teil 1: die ursprüngliche Fragestellung dieses Threads.

Papfl hat geschrieben:eine kurze Anmerkung. Weil ich ehrlich gesagt Deinen Ansatz nicht ganz verstanden habe.


Ich habe - und das ist in den Postings ab Seite 2 dann irgendwie ein bisschen untergegangen - nie behauptet, Alkoholabhängigkeit sei generell heilbar.

Ich stoße mich aber vermehrt daran, dass in der aktuellen Suchthilfe, der Medizin, der Psychologie und auch im Kopf der Otto Normalverbraucherin das Paradigma der Unheilbarkeit der Alkoholabhängigkeit mindestens implizit, in aller Regel auch explizit Basis fast aller Hilfsangebote für Abhängige darstellt. „Fast“, weil die Anzahl der Ausnahmen steigt, was ich durchaus auch wahrnehme. Dennoch bleiben sie derzeit eben dies: Ausnahmen.

Im Allgemeinen stellen sich die verfügbaren Hilfsangebote so dar, dass die Behandlungsformen, heißen sie nun Abstinenz durch SHG, durch Psychotherapie oder durch pharmakologische Maßnahmen, von der unbedingten Notwendigkeit der lebenslangen Teilnahme an SHGs, der möglicherweise lebenslangen Einnahme von Medikamenten, mindestens mal der lebenslangen Selbstbeobachtung, Achtsamkeit und Selbstdisziplin sowie der der lebenslangen Rückfallgefahr ausgehen.

Zwei Worte sind darin fast immer vertreten: „Abstinenz“ und „lebenslang“.

Auch, wenn die Suchtforschung mittlerweile diese Dogmen zumindest teilweise hinter sich gelassen hat, sind sie in den Köpfen der Behandelnden, aber auch in den Köpfen der Behandelten selbst und ihrem sozialen Umfeld so tief verankert, dass sie im Allgemeinen nicht mal infrage gestellt werden.

Was ich in diesem Thread tun möchte, ist eben genau diese Fragen mal offen zu stellen:

Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Linie „Alkoholiker bleibt man ein Leben lang!“: woher wisst Ihr das?
Wenn es denn tatsächlich so ist, dass nur die mühsam erkämpfte Abstinenz Garantin dafür ist, dass die lebenslang latent vorhandene Abhängigkeit eingedämmt werden kann, wie erklärt Ihr Euch und mir dann die Tatsache, dass in großen Reihenuntersuchungen und Gesundheitssurveys, wie ich sie im ersten Posting und zuvor schon hier angeführt habe und wie @Gretikatz sie im vierten Posting um weitere Untersuchungen ergänzt hat, ganz offenbar ein sehr großer Anteil ehemals Abhängiger gefunden wird, die – und das in der Regel sogar ohne Inanspruchnahme jedweden Hilfsangebotes – von allein und „einfach so“ ihrer Abhängigkeit entwachsen, sie scheinbar ablegen können wie ein zu klein gewordenes Hemd? Wie ist es möglich, dass der Löwenanteil dieser ehemals Abhängigen zu einem risikoarmen, verantwortungsvollen Konsum des Suchtmittels zurückfindet, wenn es auf der anderen Seite Konsens ist, dass auch der geringste Kontakt zum Suchtmittel unweigerlich zum erneuten Kontrollverlust führen muss?

Und ich hebe hier ausdrücklich auf „wissenschaftlichen“ Nachweis ab, nicht auf Behauptungen, die mit dem Satz beginnen „Ich kennen niemanden, der...“. Aus dem einfachen Grund, dass ich oben meine Zweifel an der These der unbedingt lebenslangen latenten Abhängigkeit auch mit wissenschaftlich überprüfbaren Nachweisen belegt habe und nicht mit der Feststellung, dass ich einen kenne, der...

Darüber hinaus war ich eigentlich der Ansicht, dass in aller Regel Behandlungsmaßnahmen - welcher Art und gegen welche Erkrankung auch immer - selbstverständlich einer gewissen (Selbst-)Kontrolle der Behandler unterliegen. Und je weniger tatsächlicher Nachweise zur Richtigkeit der Annahme einer unheilbaren Abhängigkeitserkrankung ich finde, desto neugieriger werde ich natürlich.

DAS ist der Ansatz dieses Threads.

Es folgt Teil 2, die wissenschaftliche Methodik.
Jetzt muss ich aber erst mal ein paar Brötchen verdienen.

LG
Willo

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 8. Dezember 2014, 13:13

So, die Mittagspause gehört wieder Euch,

Teil 2: die wissenschaftliche Methodik.

Ich kann da bei Bedarf und Interesse gern auch tiefer 'rein. Hier versuche ich erstmal - in Ergänzung zu @Papfls obigem Beitrag - halbwegs allgemeinverständlich zu erklären, was für diesen Thread damit gemeint ist. [smile]

Papfl hat geschrieben:Thesen wie "Alkoholismus ist heilbar" bzw. "Alkoholismus ist unheilbar" lassen sich nach unserem Wissenschaftsverständnis (Falsifikationismus) nicht verifizieren.


Die These "Alle Schwäne sind weiß" ist so lange richtig, bis ein schwarzer Schwan gefunden wird. Danach ist die These hinfällig und widerlegt. Das ist das grundsätzliche Falsifikationsprinzip, wie @Papfl es oben sehr schön erklärt hat. Dieses erfährt aber schon nach seinem "Erfinder" Karl Raimund Popper deutliche Einschränkungen bei der Anwendung auf Wahrscheinlichkeitshypothesen, mit denen wir es im Grunde hier zu tun haben, wenn man die Unheilbarkeit der Alkoholabhängigkeit nicht mehr als Allsatz betrachtet.

Prinzipiell könnte man unser derzeit überwiegendes Verständnis von Wissenschaft wiederum infrage stellen, das erspare ich mir aber, das führte dann wirklich zu weit.
Ich bleibe bei dieser derzeit meist anerkannten Wissenschaftstheorie:
eine These gilt so lange als richtig, bis sie falsifiziert wurde.
Sie muss aber nach der Falsifizierung nicht zwingend verworfen, sondern kann und darf „nachgebessert“ werden.

Ein Beispiel:
Ich stelle die These auf: Frauen können nicht Auto fahren.
Dies gilt so lange, bis es falsifiziert wird.
Nun gibt es Frauen, die Auto fahren können.
Ich bessere also nach: Frauen können schlechter Auto fahren als Männer.

Damit bin ich spätestens jetzt gezwungen, das Kriterium „Auto fahren können“ näher zu definieren. Was ist „gut“ Auto fahren können versus was ist „schlecht“ Auto fahren können?
Ich definiere: „gut Auto fahren können“ heißt: unfallfrei fahren.

Nun gibt es Frauen, die unfallfrei fahren.
Ich bessere nach: unfallfrei fahren heißt, über einen Zeitraum von zehn Jahren unfallfrei zu fahren.

Nun gibt es Frauen, die auch zehn Jahre lang unfallfrei fahren.
Ich bessere nach: auch Frauen, die zehn Jahre unfallfrei fahren, können nicht rückwärts einparken.

Nun gibt es Frauen, die sowohl zehn Jahre lang unfallfrei fahren als auch rückwärts einparken können.
Ich überspringe ein paar Schritte und bessere nach: Frauen, die sowohl zehn Jahre lang unfallfrei fahren als auch rückwärts einparken können, können keinen Rolls Royce Phantom Bj. 2012 in der Lackierung „Burning Orange“ rückwärts einparken, wenn die Parklücke <7.20 Meter und das davorstehende Fahrzeug ein Fiat 500 Bj. 2009 in der Lackierung „Schneeweiß“ und das dahinter stehende Fahrzeug ein VW Golf in der Lackierung „Vulkanrot metallic“ ist.
usw.

Der Vorteil dieser Methode ist, dass ich meine Theorie „Frauen können nicht Auto fahren“ nicht bei der ersten Falsifizierung verwerfen muss. Der Nachteil ist, dass mein Definitionsbereich von „Auto fahren können“ immer enger und damit immer weniger allgemeingültig wird.
(= eine Frau, die einen Rolls Royce Phantom Bj. 2012 in der Lackierung „Burning Orange“ nicht rückwärts einparken kann, wenn die Parklücke <7.20 Meter und das davor stehende Fahrzeug ein Fiat 500 Bj. 2009 in der Lackierung „Schneeweiß“ und das dahinter stehende Fahrzeug ein VW Golf in der Lackierung „Vulkanrot metallic“ ist, beweist, das alle Frauen nicht Auto fahren können. Dieser Rückschluss wäre wissenschaftlich unzulässig.)

Was heißt das für die These der Unheilbarkeit der Alkoholabhängigkeit?

Wird auch nur ein ehemals Alkoholabhängiger gefunden, der nicht mehr abhängig ist, müsste dann diese These verworfen werden?
Nein, nicht unbedingt, siehe oben.
Der Definitionsbereich von „Unheilbarkeit“ müsste aber zwingend eingeschränkt werden.

Die neue, nachgebesserte These müsste also lauten:
Alkoholabhängigkeit ist unheilbar für Menschen, die die Voraussetzungen a, b,..., z erfüllen bzw. nicht erfüllen.

Genau dies geschieht nach meinem Kenntnisstand aber nicht.

Das, was passiert, ist das Stützen der These „Alkoholabhängigkeit ist unheilbar“ durch ad-hoc-Hypothesen wie „wer wieder kontrolliert trinken kann, war auch zuvor nie alkoholabhängig“ oder auch „wer nie rückfällig wird, wird das nur deswegen nicht, weil er sich des lebenslangen Rückfallrisikos bewusst ist oder vor seinem absehbaren Rückfall verstorben ist“.

Diese ad-hoc-Hypothesen sind aber wiederum angreifbar. Jede, die eine ICD 10.2 zum Zeitpunkt t0 diagnostiziert bekam, die aber zum Zeitpunkt t1 die Kriterien 10.2 nicht mehr erfüllt, ist fehldiagnostiziert? Das befriedigt mich auch auf rein wissenschaftlichem Niveau nicht.

Wäre denn, um auf @Papfls Frage zurück zu kommen, die Heilbarkeit bzw. die Unheilbarkeit messbar?

In diesem wissenschaftlichen Verständnis: ja.

Gegeben drei Gruppen:
x: nie mit ICD 10.2 diagnostiziert, normaler oder kein Konsum von Alkohol
y: abhängiger Alkoholkonsum (edit: =erfüllt ICD 10.2 zum Messzeitpunkt, danke @Papfl für den Hinweis!)
z: mit ICD 10.2 zum Zeitpunkt t0 diagnostiziert, zum Zeitpunkt t1 die Kriterien für y aber nicht mehr erfüllend

Werden diese drei Gruppen über einen Zeitraum t1, t2,...tn beobachtet, so müsste sich für die Nullhypothese H0 (Alkoholabhängigkeit ist unheilbar) ergeben: alle VPN (Versuchspersonen) aus z erfüllen zum Zeitpunkt tn wieder die Kriterien ICD 10.2

Die Gegenhypothese H1 (ICD 10.2 ist nicht unheilbar) müsste ergeben: nicht alle VPN z erfüllen zum Zeitpunkt tn die Kriterien ICD 10.2.

Da H1 offenkundig gegeben ist (ich erspare mir hier das erneute Verlinken auf die oben mehrfach genannten Untersuchungen), muss H0 verworfen werden.

Alle erforderlichen Daten wären im Rahmen eines Gesundheitssurveys mühelos erfassbar.

Die geforderte „Wissenschaftlichkeit“ dieses Threads bezieht sich auf H0-bestätigende Untersuchungen.

LG
Willo

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon GoldenTulip » 8. Dezember 2014, 15:59

WOW Willo!!!! [clapping] [clapping] [clapping]
Siehste, Wissenschaft geht auch anschaulich [whistle]
Frauen, die sowohl zehn Jahre lang unfallfrei fahren als auch rückwärts einparken können, können keinen Rolls Royce Phantom Bj. 2012 in der Lackierung „Burning Orange“ rückwärts einparken, wenn die Parklücke <7.20 Meter und das davorstehende Fahrzeug ein Fiat 500 Bj. 2009 in der Lackierung „Schneeweiß“ und das dahinter stehende Fahrzeug ein VW Golf in der Lackierung „Vulkanrot metallic“ ist.


Ich galube, dass ist das, was die AA als "nasses Denken" bezeichnen; defacto ein Totschlagsargument. Dann hilft nur die "Kapitulation" im Versuch, als Frau, ganz vielleicht - zu meinen- , Autofahren jemals lernen zu können. Was bei ihnen aber nichts macht, weil: man sich sich ja eh immer selbst überall mit hin [biggrin]

Danke!
Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon Papfl » 8. Dezember 2014, 19:27

Hi Willo,

erstmal ein dicker [good] für Deine heutigen Beiträge.

Anhand Deines zweiten Teils ("Wissenschaftliche Methodik" ) wird deutlich, wie sehr die Frage "Einmal Alki - immer Alki?" davon abhängt, wie "Abhängigkeit", "Sucht", "Alkoholismus" (egal wie man's nennt) definiert wird.

Du definierst (wie übrigens die meisten Mediziner, Therapeuten, Kliniken etc. auf der Welt) Abhängigkeit nach den offiziellen Klassifikationssystemen, also ICD-10 resp. DSM-IV resp. WHO. Darin wird Heilung per definitionem nicht ausgeschlossen. Es werden lediglich Kriterien genannt, von denen eine bestimmte Anzahl erfüllt sein muss, um F 10.2 zu diagnostizieren. Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass - wer diese Kriterien nicht mehr erfüllt - auch keine F 10.2 mehr diagnostiziert bekommt.

Ein Beispiel: Mit einer F 10.2-Diagnose kann eine Schwerbehinderung (50%) geltend gemacht werden. Einige beantragen diesen Ausweis sogar, u.a. wegen Steuervorteilen oder günstigeren Eintrittskarten etc.. Die bekommen jedes Jahr Post vom Versorgungsamt. Darin werden dann Atteste, Gutachten etc. gefordert, die beweisen sollen, dass die "Abhängigkeit" immer noch vorliegt. Kann man nicht liefern, ist der Ausweis wieder weg. Begründung: Die Anspruchsgrundlage ist nicht mehr gegeben. Oder auf deutsch: Sie sind wieder gesund! [smile]

Laut AA & Co. ist "Alkoholiker", wer einmal in seinem Leben eine F 10.2 diagnostiziert bekam. Also in Deinem Beispiel oben sowohl y als auch z. Mit diesem Definitionsansatz der Abhängigkeit kann es für die Nullhypothese (Alkoholismus ist unheilbar) gar keine H1 (Alkoholismus ist nicht unheilbar) geben.

Das wollte ich noch kurz dazwischen "friemeln", bevor Du mit Deinem dritten Teil "Heilung" bzw. Therapie weiter machst. Abstinenz ist nämlich im Grunde eine Therapieform, und kein Krankheitskriterium.

Papfl

P.S. Ein nettes "Steuersparmodell" indes wäre der AA-Ansatz schon [lol] .
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Thread-Starter
WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Einmal Alki - immer Alki?

Beitragvon WilloTse » 10. Dezember 2014, 10:40

Damit komme ich zum weitaus schwierigsten Teil, dem

Teil 3: Heilung

Wieso ist dieser Teil schwierig?

Krankheit -> Heilung -> Gesundheit.
Was soll daran schwierig sein? So lange wir Heilung als Prozess und nicht als Momentaufnahme betrachten, ist das doch eigentlich kein Ding?

Haben wir oben bei der wissenschaftlichen Methodik schon das Problem, dass wir jedes einzelne Kriterium irgendwie definieren müssen, bevor wir es messen können, geht jetzt der Spaß mit der Definiererei erst richtig los.

Papfl "reingepfriemelt" [biggrin] hat geschrieben:Anhand Deines zweiten Teils ("Wissenschaftliche Methodik" ) wird deutlich, wie sehr die Frage "Einmal Alki - immer Alki?" davon abhängt, wie "Abhängigkeit", "Sucht", "Alkoholismus" (egal wie man's nennt) definiert wird.

Du definierst (wie übrigens die meisten Mediziner, Therapeuten, Kliniken etc. auf der Welt) Abhängigkeit nach den offiziellen Klassifikationssystemen, also ICD-10 resp. DSM-IV resp. WHO.


Ich persönlich definiere Alkoholabhängigkeit noch anders (Stichwort: Trinkwunsch vs. Craving), das tut hier aber nichts zur Sache. Ich muss, um irgendeine Methodik anwenden zu können, aber auch irgendwie definieren, wie @Papfl hier richtig anspricht. Um messen zu können, ob ein Zimmer "warm" oder "kalt" ist, muss ich Kriterien für warm und kalt definieren. Hilft nix. Dass dabei 19°C Zimmertemperatur für einen Inuit unter "Gluthitze" läuft, für einen Sudanesen unter "unangenehm kühl", ist dabei nicht die Frage.
Und da bediene ich mich an dieser Stelle der Einfachhalt halber der ICD-Systematik.

Zunächst gilt, dass es zu unterscheidende Arten der Heilung gibt. Erstes Problem: welche davon betrachten wir hier?
Da ist einmal die vollständige Wiederherstellung des Ausgangszustandes, das wäre das, was oben in dem stark vereinfachten Dreisprung gemeint ist. Schnupfen -> zwei Wochen warten -> kein Schnupfen mehr. Der Patient ist wieder genau so, wie er vor dem Schnupfen war. In der Medizin heißt das: restitutio ad integrum

Es gibt aber eine zweite Form der Heilung, die nicht wieder zum Ausgangszustand zurückführt. Einfaches Beispiel:
Wunde -> Heilung -> Narbe. In diesem Fall spricht man von reparatio.

Und das, was uns eigentlich interessiert (glaube ich jedenfalls, wobei man sich auch über die Reparatio mal Gedanken machen könnte...), ist die Remission: die wiederum ist eigentlich gar keine Heilung, sondern das "temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw. psychischer Natur, jedoch ohne Erreichen der Genesung". (Wikipedia). So, also gar keine Genesung? Na, dann ist doch alles klar: Heilung von der Alkoholabhängigkeit ist mit dieser Definition von Heilung doch nicht möglich.

Schön, wenn es denn so einfach wäre. Es gibt auch eine „komplette Remission“. Sie bezeichnet „den Status, in dem (zum Beispiel nach erfolgter Therapie) weder klinische, radiologische noch sonstige Zeichen der Krankheit über einen bestimmten Zeitraum (z. B. 6 Monate) vorliegen“. (nochmal Wikipedia) So, und nun? Welche Definition von „Heilung“ hätten’s denn gern?

Die meisten psychischen Erkrankungen werden als nicht vollständig heilbar im Sinne der Wiederherstellung des Ausgangszustandes verstanden. Das ist auch logisch, weil erstens psychische Erkrankungen in der Regel sehr komplex sind ("multideterminierte Bedingtheit", besser eigentlich wäre "multikausale Bedingtheit, denn tatsächlich determiniert ist da auch nicht viel) und zweitens sehr oft der eigentliche Auslöser gar nicht beseitigt werden kann.
Behandele ich ein Gewaltopfer, kann ich zwar alle möglichen Therapien und Hilfen dazu anbieten, den Überfall ungeschehen machen kann ich aber nicht. Er wird immer „Narbe“ bleiben. Dennoch gelten viele psychische Erkrankungen als bis zur kompletten Remission therapierbar.

Und da kommen wir zum nächsten Problem: Ist Alkoholabhängigkeit denn nun eine psychische Erkrankung?
Oder ist sie eine biologisch bedingte, gabaerge Mangelerscheinung?

Da können wir schon lang und völlig ergebnisbefreit drüber streiten.
Am ehesten anzunehmen ist wohl eine Mischform: biologische, aber auch psychische Bedingtheit.
Welchen Anteil hat die biologische, welchen die psychische Komponente? Und: kann man das überhaupt trennen? Schließlich ist alles psychische letztlich ja auch biologisch korreliert.
Bereits an dieser Stelle haben wir also einen ganzen Rucksack voller Definitionsprobleme. Und, da das alles niemand wirklich allgemeingültig festlegen kann, erfolgt die Definition der Heilung oder Nichtheilung von der Alkoholabhängigkeit, wie immer sie aussehen mag, stets willkürlich.

Es dürfte weitgehend Einigkeit darüber herrschen, dass nicht alle Alkoholabhängigen im Laufe ihres Lebens geheilt werden können, woran das nun im Einzelfall auch immer liegen mag.
Letztlich wird jede Untersuchung der Heilbarkeit also auf Wahrscheinlichkeitshypothesen zulaufen, damit ist der Falsifikationismus, wie ich ihn oben erklärt habe, schon in schwerer See.

Ich nehme nochmal den Versuchsaufbau von oben:

für alle VPN x gelte: x ≠ ICD10.2 in t0 v t1
für alle VPN y gelte: y = ICD10.2 in t0 v t1
für alle VPN z gelte: z = ICD10.2 in t0 v z ≠ ICD10.2 in t1

Zu testende Hypothesen für t= t1, t2,...tn:
H0 = P(ztn = ytn) > P(ztn = zt1)
H1 = P(ztn = zt1) > P(ztn = ytn)

Hier hagelt es also Wahrscheinlichkeiten.
Die Nullhypothese besagt hier, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilnehmer aus z (“ehemaliger Abhängiger“) zum Messzeitpunkt n wieder der Gruppe y („Abhängiger“) angehört höher ist, als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilnehmer aus z ("ehemals Abhängiger") zum Messzeitpunkt n immer noch der Gruppe z ("ehemals Abhängiger") angehört.

Die Gegenhypothese H1 besagt logischerweise das Gegenteil.
So weit, so schön.

Was ist denn aber nun mit x?
Besteht nicht auch eine grundsätzliche Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilnehmer aus x (“nie abhängig gewesen“) am Ende der Messung abhängig trinkt, also in ytn gehört? Klar gibt es diese Wahrscheinlichkeit, das ist trivial.

Das ist das fiese am Spiel mit den Wahrscheinlichkeiten. Für den Einzelnen sagen sie konkret gar nichts aus. Und darin liegt mutmaßlich die Attraktivität von Aussagen wie „Einmal Alki – immer Alki!“. Da kann man einfach schön mit arbeiten.
„Ein Alkoholiker hat gegenüber einem Nichtalkoholiker eine um p=0,3 (Achtung: Phantasiezahl, nur zur Veranschaulichung!!) erhöhte Wahrscheinlichkeit, wieder abhängig zu trinken, auch dann, wenn er zu einem bestimmten Zeitpunkt die Abhängigkeitskriterien nicht mehr erfüllte?“ Wer soll damit etws afangen?

Für die Fragestellung dieses Threads ist genau das aber irrelevant. Dass hau-ruck-Formeln wie das „Einmal-Alki-immer -Alki-Paradigma“ (Heuristik) ihre lebenspraktischen Vorteile haben, ist ja unbestritten. Die suche ich hier aber nicht. Hier geht es um Beweise, Watson, Beweise.

Und was ich nicht verstehe, ist, dass in 140 Jahren scheinbar niemand mal auf die Idee gekommen ist,

H0 = P(ztn = ytn) > P(ztn = zt1)
H1 = P(ztn = zt1) > P(ztn = ytn)

zu überprüfen. Das wäre ohne weiteres machbar.
Natürlich käme da keine Faustformel wie „Einmal Alki – immer Alki!“ bei raus. Das ist, denke ich jedem, der nicht nur mit dem Sitzmuskel denkt, klar. Auch das Gegenteil „Bisher nicht Alki – niemals Alki!“ ist offenkundiger Schwachsinn. Aber es wäre doch mal spannend zu wissen, ob, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, das Riskio, Alkohol zu konsumieren, für Menschen, die einmal abhängig diagnostiziert wurden, tatsächlich höher ist als für die Menschen (hier: Gruppe x), die bisher nicht alkoholabhängig diagnostiziert wurden.

(Hier kommt nämlich wieder so ein Definitionsding: wenn ich, als einmal 10.2 Diagnostizierter, ein Bier trinke, ist es ein Rückfall. Wenn mein 16-jähriger Sohn nächsten Sonntag mit seinen Kommilitonen auf dem Weihnachtsmarkt ein Bier trinkt, ist es ein Bier?)

Und wenn dabei 'rauskäme, dass ehemals Abhängige ein höheres Rückfallrisiko als Nichtabhängige ein „Fall"-Risiko (sozusagen) haben, dann wäre doch schon was gewonnen.
Natürlich muss man da irgendwie in die Definitionstretmühle und natürlich wird man über die Definitionen trefflich streiten können. Das ist in Millionen anderer wissenschaftlicher Untersuchungen aber nicht anders (man denke z.B. an das unter Eltern heiß diskutierte Impfrisiko vs. Masernrisiko).

Warum reite ich so auf dieser Heilungskiste rum? Steckenpferd? Nix besseres zu tun?

Nein, es gibt, neben der reinen wissenschaftlichen Neugier, einen Grund, und da verweise ich nochmal auf @Praxx/DoctorBAC:

Praxx hat geschrieben:Ist doch erstaunlich, dass 40% der Menschen weniger trinken, bloß weil sie glauben, wieder Kontrolle darüber haben zu dürfen!
von hier

Das bezog sich auf die Zulassungsstudien von Selincro®, in denen die Medikation von psychosozialer Betreuung flankiert wurde und bei denen die Placebo-Gruppe einen ansehnlichen Rückgang der Trinkmenge zu verzeichnen hatte, der sich kaum von der Selincro®-Gruppe unterschied.

Und das ist halt genau mein Punkt: gebe ich mich mit der Unheilbarkeit zufrieden, dann liefere ich mich gleichzeitig meiner Hilflosigkeit dem Alkohol gegenüber aus. Wenn ich „weiß“, dass ein Glas Bier mich unweigerlich in die Abhängigkeit zurückführt und ich nehme es trotzdem in die Hand, dann habe ich keinen einzigen Grund mehr, nach dem ersten Glas zu stoppen.

Gehe ich dagegen von einer guten Heilungschance aus, gehe ich ganz persönlich die Krankheit ganz anders an. Und verbessere damit wiederum meine Heilungschancen.

Self fulfilling prophecy.
Die darf man in beide Richtungen nutzen.

LG
Willo


Zurück zu „Fragen und Antworten zu Baclofen und Alkohol“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste