Sylvie Imbert für „Selincro-Werbung“ über den Tisch gezogen

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DonQuixote
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Sylvie Imbert für „Selincro-Werbung“ über den Tisch gezogen

Beitragvon DonQuixote » 7. September 2014, 21:03

Seid gegrüßt.

RTL strahlte am 5. September eine knapp zweiminütige Reportage unter dem Titel „Anti-Alkohol-Tabletten: Pillen gegen die Alkoholsucht“ aus. Darin wurde Sylvie Imbert, die Präsidentin der Association Baclofène, als Privatperson vorgestellt. Sie sei Dank einer „Anti-Alkohol-Pille“ von ihrer Alkoholabhängigkeit genesen, das Medikament sei aber in Deutschland nicht zugelassen. Den Namen des Medikaments, Baclofen, erfährt der Zuschauer nicht. Und es geht weiter mit: „Deshalb setzen Alkoholabhängige in Deutschland jetzt auf diese kleine Pille.“

Im weiteren Verlauf des zweiminütigen Berichts geht es dann nur noch um Selincro. Aber wartet, das Beste kommt noch: Bei 00:59 wird ihr in den Mund gelegt: „Für Sylvie Imbert ist jede Pille die gegen Alkoholsucht hilft, eine Sensation.“ Wo jeder Eingeweihte ganz genau weiß, was Sylvie Imbert von Selincro hält. Nämlich gar nichts.

Bereits von dritter Seite alarmiert, Danke nach drüben, fragte mich Sylvie, was denn da los sei. Als ich Ihr die Sache schilderte, und die entscheidenden Passagen auch wörtlich übersetzte, fiel sie aus allen Wolken. Sie schrieb zunächst einen Leserkommentar auf Französisch, den ich auf Deutsch übersetzte. Sie zog es dann aber vor, den ungefähr gleichlautenden und etwas kürzeren Kommentar auf Englisch bei RTL einzustellen.

Der Hammer ist ja: Sylvie Imbert führte mit der RTL-Journalistin ein zweistündiges Gespräch, und es wurde ihr eine Reportage über Baclofen versprochen. Sie fühlt sich jetzt ausgenutzt und über den Tisch gezogen. Ich weiß auch nicht, was sie nun genau vorhat, ob sie eine Gegendarstellung zu erwirken versucht oder so etwas Ähnliches. Ich bin nicht kompetent genug, ihr da einen Ratschlag zu erteilen. Ich ahne einfach, dass das im Getöse des „Qualitätsjournalismus“ ungehört verhallen wird. Danke immerhin an die fleißigen Schreiber, die die Sache wenigstens in der Kommentarspalte ins rechte Licht gerückt haben.

DonQuixote

P.S. Der Vollständigkeit halber hier noch die deutsche Übersetzung von Sylvie Imberts ursprünglich auf Französisch entworfenem Leserkommentar:

Ursprünglicher Leserkommentar hat geschrieben:Nalmefen hat mit Baclofen nichts zu tun. Es ist die Firma Lunbeck, welche Nalmefen, in der Hoffnung auf großen Profit auf den Markt bringt. Ein Medikament, dessen Nutzen zumindest zweifelhaft ist. In Deutschland ist es erhältlich, zielt jedoch lediglich auf eine Verringerung des Alkoholkonsums ab.

In Frankreich wird es nicht vermarktet und die HAS (Haute Autorité de Santé) stuft den Nutzen als gering ein: „Die Kommission kann anhand der vorhandenen Daten für Selincro und eine begleitende psychosoziale Betreuung keinen nennenswerten medizinischen Vorteil gegenüber einer alleinigen psychosozialen Betreuung bei der Behandlung des Alkoholismus (ASMR IV) erkennen.“

Baclofen wiederum ist in Deutschland nicht zugelassen. In Frankreich hingegen schon. Auf Druck von Patientenvereinigungen und engagierten Ärzten erteilte die zuständige Behörde zur Überwachung der Medikamentensicherheit (ANSM) am 14. März dieses Jahres eine vorerst auf drei Jahre befristete Zulassung (RTU). Zahlreiche Patienten und Ärzte verwenden das Medikament seit 2009 mit großem Erfolg. In der richtigen Weise und der erforderlichen Dosis angewandt, führt es die Patienten zur Unabhängigkeit von Alkohol.

Renauld Beaurepaire, der das Medikament als einer der ersten auf diese Weise verschrieb, schätzt die Erfolgsquote auf über 60 %. Baclofen führt zur Genesung von der Alkoholabhängigkeit, Nalmefen füllt nur die Taschen des Pharmaunternehmens und liegt im Interesse derjenigen Ärzte, die möchten, dass sich nichts bewegt. Denn ein geheilter Patient ist eine verlorene Einnahmequelle.

Ich finde es skandalös, wie da auf konfuse Art und Weise zwei Medikamente miteinander verglichen werden, die rein gar nichts miteinander zu tun haben.

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GoldenTulip
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Re: Sylvie Imbert für „Selincro-Werbung“ über den Tisch gezogen

Beitragvon GoldenTulip » 7. September 2014, 21:27

Hi DQ,

ich hab das schon nebenan verfolgt und dachte nur "au Weia", Baclofen als Option wird echt kein Waldspaziergang. Da stecken so massive Interessen hinter der Vermarktung von profitableren Produkten, dass es lang nicht um die Wirksamkeit oder Differenzierungen innnerhalb derer geht.

Man braucht einen langen Atem, gute Vernetzung, Sprachkenntnisse und eine gehörige Portion Realismus und Frustrationstoleranz.

Das hilft denjenigen, die auf Aufklärung und konkrete Umsetzung hoffen, aktuell wenig.

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz


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