Die "W-Fragen"

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GoldenTulip
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon GoldenTulip » 10. April 2013, 09:27

Die "Binsenweisheit" "Baclofen schlägt Dir nicht das Glas aus der Hand" illustriert das Geschehen ja schon ganz gut.
Wir haben uns mit dem "Aber wie Wie kann ich Wollen wollen, was ich nicht (wirklich) will" beschäftigt. Kann Baclofen das Wollen grundlegend ändern? Ich meine dauerhaft, nicht als Willensakt, der Kraft kostet?. Irgendwo muss die Theorie/ Erfahrung des Klicks/Urknalls ja herkommen.
Das assoziiere ich mit wieder "normalem" Umgang mit Alkohol. Mal ein Gläschen, kein Wirkungstrinken mehr, sondern weil die Party grad lustig ist oder einem Rotwein schmeckt.
Keine Fortsetzung der Party über eine Woche, sondern Wahlfreiheit. Ne, ich mag jetzt lieber Wasser.
Bekommt man das zurück nach Hochdosierung und Finden der Erhaltungsdosis? Ist man dann wieder "normal"? Oder ist die Erinnerung an die "schönen Zeiten" unauslöschlich eingeprägt, und Abstinenz deshalb leichter zu leben, weil man dem Trigger schlicht keinen Raum mehr gibt? Was ist dran am Suchtgedächtnis? Ist das Chemie oder Psyche?

LG Conny
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WilloTse
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 09:38

Oha.

Aus meiner Sicht:
GoldenTulip hat geschrieben:Baclofen schlägt Dir nicht das Glas aus der Hand

Stimmt nicht. Tut es ab einer gewissen Dosierung. Ich mag dann buchstäblich nicht mehr und vergesse, Alkohol zu kaufen oder aus der offen herumstehenden Flasche weiter zu trinken.


GoldenTulip hat geschrieben:Kann Baclofen das Wollen grundlegend ändern?

Nein.


GoldenTulip hat geschrieben:Irgendwo muss die Theorie/ Erfahrung des Klicks/Urknalls ja herkommen.

Das ist eine sauschlechte Interpretation des Momentes, in dem Alkohol uninteressant wird.


GoldenTulip hat geschrieben:Das assoziiere ich mit wieder "normalem" Umgang mit Alkohol

Das kann Baclofen nicht, Du aber schon. Allerdings wirst Du dafür (reine Theorie) Baclofen in einer relativ zur Abstinenz höheren Dosis weiter nehmen müssen. Die Entscheidung, ob Du diese zwei potenten Hirnchemie-Schraubendreher dauerhaft kombinieren willst, liegt allein bei Dir (völlig wertfrei)


GoldenTulip hat geschrieben:Bekommt man das zurück nach Hochdosierung und Finden der Erhaltungsdosis?

Darauf gibt es zwar vereinzelte Hinweise bei den Franzosen, ich würde aber nicht 'drauf wetten.


GoldenTulip hat geschrieben:ist die Erinnerung an die "schönen Zeiten" unauslöschlich eingeprägt

Ich gehe derzeit davon aus, dass de Beaurepaire mit seiner Lerntheorie* Recht hat. Was man nicht regelmäßig wiederholt, verlernt man auch wieder. Aber die Erinnerung an einmal Gekonntes kommt natürlich auch schnell wieder zurück.


GoldenTulip hat geschrieben:Abstinenz deshalb leichter zu leben

Ja


GoldenTulip hat geschrieben:weil man dem Trigger schlicht keinen Raum mehr gibt

Das hat damit nichts zu tun, da Baclofen und/oder Abstinenz die Trigger nicht ausschaltet.


GoldenTulip hat geschrieben:Was ist dran am Suchtgedächtnis? Ist das Chemie oder Psyche?

Psyche

Sollte jemand das jetzt von mir aufgemachte Frage - Antwort - Spiel fortführen wollen, sollte man das evtl. von diesem Faden abtrennen.

LG
Willo

*
de Beaurepaire hat geschrieben:Im Wesen jeder Erinnerung liegt es, zu verschwinden. Das ist ein Grundprinzip der Neurophysiologie.

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon GoldenTulip » 10. April 2013, 09:51

weil man dem Trigger schlicht keinen Raum mehr gibt


Das hat damit nichts zu tun, da Baclofen und/oder Abstinenz die Trigger nicht ausschaltet.


Also: Man kann mit Baclofen das Bedürfnis zu Trinken, abschalten, sobald man aber trinkt, ist es wieder da. Nix mit "mal ein Gläschen" Es ist quasi ein Workaround, den man beabsichtigen muss.

de Beaurepaire hat geschrieben:Im Wesen jeder Erinnerung liegt es, zu verschwinden. Das ist ein Grundprinzip der Neurophysiologie.


Das läuft normal unter Neuroplastizität, oder?
Du hast dann zwei Straßen, aber die Entscheidung, welchen Weg Du an der Gabelung gehst, nimmt Dir keiner ab. Du hast halt wieder eine Wahl.
Shit, das sieht nicht gut für mich aus. Ich habe das Gefühl, als würde ich die gleiche falsche Wahl immer wieder treffen wollen. Das heißt, ich muss bei mir ganz anders ansetzen.
Umpf,

Conny
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 09:57

GoldenTulip hat geschrieben:Man kann mit Baclofen das Bedürfnis zu Trinken, abschalten, sobald man aber trinkt, ist es wieder da. Nix mit "mal ein Gläschen"

Nee, da reden wir aneinander vorbei. "Ab und an ein Gläschen" müsste gehen, wenn der Baclofen - Puffer groß genug ist. Ich meinte, dass Baclofen (natürlich) nicht die Auslöser eines Trinkwunsches (i.e. Rauschwunsch) ausschaltet. Wenn der "Trinkwunsch" bedeutet, bei einer Familienfeier die Connaisseur - Weisheit "entre deux huitres, Entre Deux Mers" zu leben, sollte das im Idealfall mühelos gelingen.

LG
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 10:03

GoldenTulip hat geschrieben:Du hast dann zwei Straßen, aber die Entscheidung, welchen Weg Du an der Gabelung gehst, nimmt Dir keiner ab. Du hast halt wieder eine Wahl.

Ja, darauf baue ich. Allerdings macht man sich glaube ich ziemlich was vor, wenn man sich einredet, die Wahl fiele dann in neun von zehn Fällen zu Gunsten von "ein Wasser für mich bitte" aus. Warum soll ich mir die Drecksarbeit antun, meinem situativen Trigger mit aufwändigen Alternativstrategien zu begegnen, statt mich mit ein paar leckeren Schlückchen ins Paralleluniversum zu beamen und das Problem "gelöst" zu haben?

So lange Du auf dieses "warum soll ich mir die Drecksarbeit antun" keine für Dich plausible Antwort hast, wirst Du an der Gabelung immer wieder links abbiegen. Da spielt die Baclofendosis dann wohl auch nur noch eine untergeordnete Rolle.

Und alles Genannte sind Überlegungen und Therien. Ich kann mich komplett irren.

LG
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon GoldenTulip » 10. April 2013, 10:10

Das bedeutet er ja eben nicht. Dann könnte ich auch gleich Apfelschorle trinken.
Trinkwunsch heißt für mich Wunsch, seinen Bewusstseinszustand ändern zu wollen. Das gilt auch, wenn ich nicht einschlafen kann, eine Schlaftablette zu nehmen.
Kaffee zu trinken, um wacher zu sein.
Oder Alkohol, um sich Mut anzutrinken, wenn schwierige Gespräche anstehen.
Oder krank zu werden, wenn man sich einer Situation nicht gewachsen fühlt.

Um wieder on topic zu kommen: Warum ist eine zweitrangige Frage, "weil man es eben so gelernt hat". Wozu ist relevant.
Ich trinke mich in ein besseres Gefühl rein, weil (warum) ich es so gelernt habe. Arbeiten kann ich nur mit dem Wozu, was hat das, was ich in mir selbst nicht habe.
Kann ich das auch anders hinbekommen. Mit dem gleichen inneren Gleichgewicht. Hilft mir Baclofen, wieder die Wahl zu haben. Und da beantwortet sich meine etwas kindische Frage nach Chemie oder Psyche von selbst: Ohne neu gebaggerten Alternativ-Trampelpfad, den man neurologisch einüben muss bleibt nur die alte Straße.

Am Ende doch nur eine Frage von Absicht und Bequemlichkeit? Ich hasse mich.
Das läuft dann irgendwie wieder auf Charakterschwäche hinaus.

Ich kann mich auch gut irren. Aber ich habe den Eindruck, dass wir endlich mal über den Kern der Angelegenheit sprechen. 10mg rauf oder runter helfen mir ehrlich gesagt da nicht weiter.

LG Conny
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon GoldenTulip » 10. April 2013, 10:28

Ich hab's kapiert: Ich muss verantwortungsvoll mit meiner Absicht umgehen.
[shok] [cray]
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon pragha » 10. April 2013, 11:03

Hi Willo,
Allerdings wirst Du dafür (reine Theorie) Baclofen in einer relativ zur Abstinenz höheren Dosis weiter nehmen müssen. Die Entscheidung, ob Du diese zwei potenten Hirnchemie-Schraubendreher dauerhaft kombinieren willst, liegt allein bei Dir (völlig wertfrei)
.
Das war auch mal meine Vorstellung, dass man so eine gewisse Menge Alkohol konsumieren kann. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es zumindest bei mir nicht funktioniert. Alkohol Trinken ist schon ein sehr starker Trigger; selbst wenn ich die Baclofenmenge verdopple (75 auf 150 mg/d) und 1-2 Gläser Wein trinke, funktioniert das bei mir nicht.
Bei diesem "irgendwie durch Baclofen kontrollierte Trinken" gibt es einige Probleme:
Niemand weiss wieviel höher die Dosis von Baclofen sein muss, damit ein Glas Wein nicht der Anfang vom Rückfall ist.
Die im .de Forum genannten Zahlen sind völlig aus der Luft gegriffen.
Auch wenn man die Zahl wüsste, was passiert mit der historisch erlernten Reaktion auf Trigger? Alkoholiker haben nun mal ein Craving, Nicht- Alkoholiker nicht.
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WilloTse
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 11:22

Hi pragha,

wie gesagt, grau ist alle Theorie. Ich persönlich halte - auch das aus eigener Erfahrung - die Abstinenz für erheblich einfacher umzusetzen.
WilloTse hat geschrieben:Man kann nicht aktiv vergessen. Geht nicht. "Ich vergesse jetzt, dass impossible = unmöglich bedeutet. Ich vergesse jetzt, dass impossible = unmöglich bedeutet. Ich...". Das wird nichts. Das brennt sich nur tiefer und tiefer ein.
Und wenn man eine Vokabel durch wiederholtes Lernen, Vertiefen und Anwenden mal gründlich 'drin hat, dann wird das mit dem Vergessen kompliziert. Auch, wenn Du fünf Jahre lang kein Englisch mehr gesprochen hast, wirst Du auf der Straße hinter Dir mal das Wort "impossible" hören und Du wirst es verstehen. Und zwar ohne darüber nachdenken zu müssen, ganz von allein.

von hier zitiert

pragha hat geschrieben:was passiert mit der historisch erlernten Reaktion auf Trigger?

Ich denke, genau das ist der springende Punkt, weshalb Baclofen allein - egal, in welcher Dosierung - nicht funktionieren kann.
Ich halte es aber nicht für unmöglich, unter Baclofen dauerhaft kontrolliert zu trinken. Für unklug und unnötig (genau hier greift @Papfls "wozu": war das nötig? Gab es keine Alternativen?) schon, aber eben nicht für unmöglich.

pragha hat geschrieben:selbst wenn ich die Baclofenmenge verdopple (75 auf 150 mg/d) und 1-2 Gläser Wein trinke, funktioniert das bei mir nicht.

Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass für Dich auch die 150 mg dazu schlicht zu wenig waren.

Ich würde gern, da wir gerade so schön dabei sind, das Wort "Trigger" nochmal definieren: für mich ist ein Trigger ein Auslöser, überhaupt zu trinken, von daher verstehe ich
pragha hat geschrieben:Alkohol Trinken ist schon ein sehr starker Trigger
nicht ganz, denn dazu muss ich ja erstmal die erste Flasche entkorken. Der eigentliche Trigger liegt für mich noch davor. Das kann gern ergänzt werden.

(edit: hier stand ein Vorschlag an DonQAd, einen neuen Faden für die aktuelle Diskussion aufzumachen. Vielleicht sollten wir es einfach laufen lassen, es ist gut, wie es ist)
LG
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Zuletzt geändert von WilloTse am 10. April 2013, 12:11, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 10. April 2013, 11:53

@ all

Schön, dass sich hier so aufschlussreiche Gedanken ergeben [good] . Ich würde sowohl die physische als auch die psychische Komponente als CRAVING (Verlangen, innere Unruhe...) bezeichnen und unsere Begrifflichkeiten in etwa so verorten:

CRAVING



@ Conny

Ich versuche mal ein Beispiel, wie Baclofen sich bei mir zurzeit auf das physische Craving auswirkt (nach über achtmonatiger Einnahme (in den ersten beiden Monaten aufdosiert bis 100 mg/d, dann runter auf 50 mg/d und diese als "Idealdosis" beibehalten) bei völliger Abstinenz:

Wie ich hier schon an anderer Stelle geschrieben habe, kam mir vor einigen Tagen der Gedanke an ein schönes, frisches "Frühlingsweißbier" auf der Terrasse einer gemütlichen Gartenwirtschaft oder in einem Biergarten. Es war einer der seltenen "Sonnentage" dieses Frühlings. Hat sich aber nicht ergeben, da ich länger arbeiten musste - und der Gedanke war wieder weg.

Vor Baclofen wäre das für mich undenkbar gewesen. Das "verlockende" Weissbierglas hätte wie in einer Gedankenblase ständig über mir geschwebt und mich nicht mehr losgelassen. Ich hätte alle paar Minuten auf die Uhr geschaut, mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren können und höchstwahrscheinlich - Quatsch: Mit Sicherheit! - irgendwann eine Ausrede parat gehabt, warum ich heute auf keinen Fall länger bleiben kann. Im Biergarten hätte das Übel dann seinen Lauf genommen.

Die Tatsache, dass mich das Weissbierglas heute wieder "in Ruhe lässt", nachdem es mir einmal in den Sinn gekommen war, führe ich eindeutig auf Baclofen zurück. Oder anders ausgedrückt: Meine Rezeptoren "sagen" sich, wenn ein Weissbier momentan nicht geht, dann eben nicht. Wir haben ja Baclofen.

Wie es sich heute verhalten würde, wenn ich erst einmal im Biergarten bin...ob die Dinge dann auch wieder ihren Lauf nehmen würden wie früher, kann ich (noch?) nicht sagen. Das käme auf einen Versuch an. Tatsache ist aber, dass mich der Biergarten überhaupt nicht triggert. Früher habe ich Gott und die Welt in Bewegung gesetzt, um Trinkgelegenheiten zu schaffen. Eine Runde nach der anderen geschmissen, nur um nicht alleine Schnaps trinken zu müssen und und und...

Jetzt ist das irgendwie anders. Und dieser Umstand lässt mich hoffen. Hoffen, dass ich vielleicht - wenn es sich ergibt (wie gesagt: früher hätte ich zur Not etwas inszeniert, Radtour, Wanderung etc.) - wirklich einmal in einen Biergarten gehen und wie jeder "normale" Mensch ein Weissbier trinken kann.

Dass das psychische Craving mit Sicherheit im Biergarten vorbei schauen wird und mir mit Sätzen wie "Eins geht noch...Du bist ja noch nicht mal angeheitert" dazwischen funkt, ist klar. Ich hoffe, dann sagen zu können: Nö, brauchen meine Rezeptoren nicht. Die haben ja Baclofen. Und ich könnte mir vorstellen, dass man sich nach so einem Biergartenbesuch "sauwohl" fühlen kann. Und mit Blick auf die Lerntheorie (Danke, @Willo, wichtiger Punkt) hat man einen großen Erfolg verbucht.

Und wenn's nicht klappt? So what. Dank Baclofen kann man auch abstinent ganz glücklich leben [smile] .

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon pragha » 10. April 2013, 12:09

: für mich ist ein Trigger ein Auslöser, überhaupt zu trinken, von daher verstehe ich

pragha hat geschrieben:Alkohol Trinken ist schon ein sehr starker Trigger

nicht ganz, denn dazu muss ich ja erstmal die erste Flasche entkorken. Der eigentliche Trigger liegt für mich noch davor.

Sicher, der erste Trigger liegt noch vor dem Entkorken der Flasche. Wenn ich hier nicht widerstehe,kommt der noch stärkere Trigger des Alkoholtrinkens bzw. getrunken haben.
Normaler Umgang mit dem Alkohol ist bei einem Alkoholiker nicht mehr möglich, das Craving bleibt dir ein ganzes Leben erhalten. Nicht- Alkoholiker haben kein Craving.
Möglicherweise ist ein kontrolliertes Trinken oder besser ab und zu Trinken durch erhebliche Dosissteigerung möglich. Aber ich kenne jemanden, der es mit 250 mg/d immer wieder versucht und regelmäßig scheitert und dann unter Qualen nach 2-4Tagen wieder aus dem Alkohol rauskommt. Wozu dann das erste Glas? Wenn man dem ersten Trigger widerstehen kann, der vermutlich noch gar nicht so groß ist, und eine rationale Kosten(Craving/Entgiftung))-Nutzen(Alkoholkonsum)- Analyse machen würde, wäre das eigene Alkoholproblem gelöst.
Abstinenz, wie du schon geschrieben hast, ist auch mit Baclofen die einfachere Lösung.
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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 12:09

@Conny
GoldenTulip hat geschrieben:ich habe den Eindruck, dass wir endlich mal über den Kern der Angelegenheit sprechen.

Ja, und ich halte das für extrem wichtig. Dieser Thread ist für mich die Quintessenz der letzten drei Jahre.

GoldenTulip hat geschrieben:Warum ist eine zweitrangige Frage, "weil man es eben so gelernt hat". Wozu ist relevant.

Nein, das finde ich nicht. "Weil man es eben so gelernt hat" zielt an meiner Frageabsicht vorbei.

Die Fragen sind m.E. gleichberechtigt. Warum will ich jetzt trinken? Weil ich Angst vor dem Gespräch
mit @Chef habe. Wozu habe ich jetzt getrunken? Weil ich mich beim Gespräch mit @Chef sicherer gefühlt habe.

Das "warum fühle ich mich grundsätzlich bei Gesprächen mit @Chef schon im Vorfeld immer unsicher?" klammere ich ganz bewusst aus, denn da landest Du bei Adam und Eva.

GoldenTulip hat geschrieben:Trinkwunsch heißt für mich Wunsch, seinen Bewusstseinszustand ändern zu wollen.

Ganz genau, für mich auch. Das sollten wir sinnvollerweise in eine Definition aufnehmen: Trinkwunsch in unserem Sinne ist eben nicht das eine Glas Wein zum Essen trinken zu wollen, für uns ist Trinkwunsch = Rauschwunsch.

GoldenTulip hat geschrieben:Am Ende doch nur eine Frage von Absicht und Bequemlichkeit? Ich hasse mich.

Liebe Conny,

es gibt einen biologischen Anteil an der Sucht, das bestreiten inzwischen nichtmal mehr die Hardliner. Und was Du an dieser Stelle ererbt von Deinen Vätern, musst Du nichtmal mehr erwerben, um es zu besitzen.
Ich habe vor dreißig Jahren am kommunalen Gymnasium Latein als zweite Fremdsprache gewählt. Irgendwie hätte ich vielleicht damals schon Altgriechisch besser gefunden. Vielleicht auch nicht, die Frage stellte sich einfach nicht, weil Altgriechisch an dieser Schule nicht angeboten wurde.

Ich habe Cäsars Schachtelsätze übersetzt und viel über Logik und Satzstruktur dabei gelernt. Ich habe Cicero gelesen und viel über die Menschen dabei gelernt. Ich habe Marc Aurel gelesen und viel über mich dabei gelernt. Und jederzeit überfällt mich dieser eigenartige Schauer bei der fremden, und doch so vertrauten Rhythmik von Vergil:

Anna, fatebor enim, miseri post fata Sychaei
coniugis et sparsos fraterna caede penatis
solus hic inflexit sensus animumque labantem
impulit. Agnosco veteris vestigia flammae.

Agnosco veteris vestigia flammae. Ich erkenne die Spuren uralter Glut. Kann man die ganze Seele der Sehnsucht in vier Worte packen? Ja, das konnte Vergil schon vor 2000 Jahren.

Trotzdem stelle ich heute fest, dass der Einzige, der mir wirklich was zu sagen hatte, Aristoteles war. Nun stehe ich da mit meinem kurzen Hemd. Peri psyches im Originaltext lesen? Nicht für mich.

Baclofen ist kein Altgriechisch-Lehrbuch. Es ist nur der Freifahrtschein zum Altgriechischkurs. Lernen muss ich selbst, aber jetzt geht das immerhin. Soll ich mich jetzt ernsthaft dafür hassen, dass ich vor dreißig Jahren keinen Platz am humanistischen Gymnasium in der Stadt gekriegt habe, weil keiner frei war? Weil nicht mal irgendjemand in der Familie, einschließlich mir selbst, auf die Idee kam, mich dort anzumelden?

Energieverschwendung.

Ganz herzlich
Willo

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 13:18

Auch, wenn das jetzt ein Stück weit OT geht, ich packe noch einen 'drauf:
WilloTse hat geschrieben:Und jederzeit überfällt mich dieser eigenartige Schauer bei der fremden, und doch so vertrauten Rhythmik von Vergil:

Ich wäre ohne diese Lektüren nicht zu dem geworden, der ich heute bin. Meine Sprachverliebtheit, meine Ausdrucksfähigkeit, mein Wortschatz, sie alle wären nicht ohne die Kenntnis der Texte von Menschen, die seit 2000 Jahren vermodern. Alles das bin und bleibe ich. Auch, wenn ich den Gallischen Krieg echt nicht nochmal lesen muss, die Spuren uralter Glut bleiben mir für alle Zeiten.

ein Freund hat geschrieben:Wenn alles, was Du bis heute erlebt hast, Dich zu dem gemacht hat, der Du heute bist, war es wichtig, das alles zu erleben


Da ist kein Grund für Selbsthass.

LG
Willo
edit: wem die Bezüge der Altsprachler-Allegorie zur Schicksalhaftigkeit der biologischen Ursachen des Trinkens entgangen sein sollten: das waren sie.

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Don » 16. April 2013, 09:56

pragha hat geschrieben:...Aber ich kenne jemanden, der es mit 250 mg/d immer wieder versucht und regelmäßig scheitert und dann unter Qualen nach 2-4Tagen wieder aus dem Alkohol rauskommt. Wozu dann das erste Glas? Wenn man dem ersten Trigger widerstehen kann, der vermutlich noch gar nicht so groß ist, und eine rationale Kosten(Craving/Entgiftung))-Nutzen(Alkoholkonsum)- Analyse machen würde, wäre das eigene Alkoholproblem gelöst...
pragha

Ich verstehe die Fragestellung so: Warum ein Goodfeeling erzeugen, wenn sich Aufwand & Nutzen nicht mal die Waage halten?
Diese Frage begegnet mir innerlich recht häufig. Ich habe wie alle gelernt, dass es Tage dauert (bei mir so um die drei) um nach einem Top-Event wieder einigermaßen mental auf die Füße zu kommen. Diese Erfahrung allerdings steht mir in ihrer Tiefe beim nächsten TW nicht richtig zur Verfügung. (Ich habs versucht, hab mir für den Abend Zettel hingelegt die nochmal eindeutig darauf hinwiesen, dass ab dem nächsten Morgen nerviges Ausnüchtern anstünde). Allerdings war ich nicht in der Lage bei bestehenden TW diese Information vernünftig zu bewerten. Die Prioritäten sind in diesem Moment einfach anders gewichtet. Die Empathie für entfernt liegendere zukünftige Ereignisse kommt einem teilweise/fast vollständig abhanden. Der Aufwand (also späteres Ausnüchtern, Badfeeling, etc.) erscheint sehr distanziert und handhabbar hingegen der momentane "Profit" - das Goodfeeling als intuitiv naheliegend und teilw. sogar folgerichtig.
Obwohl wir also auch über negativ besetzte Lernerfahrungen verfügen führen diese oft nicht zu den (in der Nachschau wieder normal gewichteten) sinnvollen Entscheidungen.
Damit stehen wir allerdings nicht allein auf weiter Flur - z.B. spielen mehrere Millionen "normale" Menschen in Dtl. jede Woche Lotto obwohl es rational keinen Grund dafür gibt. Ich vermute, unser heiß "geliebtes" Belohnungssystem kann eine sinnvolle bzw. rationale Betrachtung zeitweise außer Kraft setzen bzw. etwas besser formuliert; Prioritäten anders gewichten. Der nahe kleinere Gewinn ergaben Studien in der Spiel- und/oder Entscheidungstheorie ist den allermeisten Menschen erstrebenswerter als der spätere höhere Profit. Dafür stellen selbst nüchterne Menschen gerne sämtlich Gesetze der Mathematik (man kanns auch gern mit Vernunft ersetzen) in Frage!!!
Der eigentliche Kontrollverlust findet also, wie viele hier weiter vorn schon beschrieben, bereits bei der "Abwägung" des in Erwartung stehenden "Profits" statt. Für uns leider, aufgrund unserer Vorgeschichte, mit drastischeren Konsequenzen.

LG - Don.

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 16. April 2013, 11:54

@ Don

Das ist ein wertvoller Gedankengang, Don. Hier liegt glaube ich irgendwo die Krux. Unser Hirn ist so verdrahtet:

(viel) Alkohol ---> Rausch, Hochgefühl, Erleichterung, Sorglosigkeit,.............und irgendwo ganz weit hinten steht ganz klein Entzugsschmerzen.

Bei Menschen, die "normal" mit Alkohol umgehen können, ist das in der Regel anders:

Alkohol ---> Muss ich heute noch etwas Wichtiges erledigen? Will ich morgen fit sein? Vertrage ich das auf nüchternen Magen? Ja. Wirklich? Warum eigentlich nicht? Leichter Schwips.

Ich habe in Gesellschaft oft sog. "normale" Leute sagen hören: "Für mich bitte keins mehr, ich muss morgen früh raus!" Mir ist so eine Formulierung seinerzeit nie über die Lippen gekommen, auch wenn ich früh raus musste. Weil - wie Du richtig sagst - solche Gedanken einfach gar keine Rolle mehr spielen, wenn die "Trink-Maschinerie" erst einmal in Gang gesetzt worden ist (wahrscheinlich in der Tat sogar schon davor).

In diesem Zusammenhang kann man auch beobachten, dass - mit zunehmender Trink-Karriere - die vermeintlich "wichtigen" Termine und Aufgaben des nächsten Tages für unsereins immer unwichtiger wurden. Man hat geschwänzt, sich krank gemeldet, verleugnen lassen...

Dass unser Gehirn so anders tickt (Alkohol ---> Rausch) liegt an der jahrelangen Konditionierung. Wir haben es so gelernt und es war super - zumindest eine gewisse Zeit lang.

Meine Hoffnung ist, dass konditioniertes Verhalten auch wieder verlernt werden kann ("Rekonditionierung"). Inwieweit eine (teilweise oder vollständige) Genesung/Gesundung ("Recovery") möglich ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen.

Wenn wir es schaffen, unser Denken von der obigen Darstellung in

(viel) Alkohol ---> Rauschgefühl, Entzugsschmerzen

zu wandeln, haben wir schon ein großes Stück der vor uns liegenden Strecke geschafft. Denn in gewisser Weise haben wir auch diesen Zusammenhang schmerzhaft gelernt. Wir müssen ihn halt im entscheidenden Augenblick auch abrufen. Dank Baclofen ist das zumindest theoretisch möglich. Das Medikament sorgt zwar nicht für ein Rauschgefühl, aber es liefert den nötigen Botenstoff, damit wir uns auch ohne Alkohol zumindest einigermaßen "normal" fühlen können. Vielleicht sollten wir uns an entscheidender Stelle (immer) öfter sagen: "Alkohol...muss das jetzt wirklich sein? Alles in allem betrachtet geht's mir doch zurzeit ganz gut. Und dann wieder dieses ätzende Zittern, Kotzen, Schwitzen...der ganze Stress, Krankmelden, Familienstreit...Nö!".

Wenn uns dieses "Nö!" dann tatsächlich gelingt, ist es ganz wichtig, dass wir dafür auch STOLZ entwickeln. Dass wir uns loben, diesmal den schwereren Weg gegangen zu sein. Das war wahrhaft eine Riesenleistung! Kompliment! Klasse!

Denn nur so funktioniert die Lerntheorie und damit auch das "Rekonditionieren": "Richtiges" Verhalten muss belohnt werden. Für "normale" Menschen ist "Nicht-Trinken" keine große Leistung - für uns ist es ein Riesenerfolg! Wer mag, kann sich die gesparten Euros, die der Rausch gekostet hätte, jedesmal in ein kleines Kässchen packen und sich von dem Geld irgendeinen Wunsch erfüllen. Auch "Kleinvieh" macht Mist! Eine Konzertkarte für die Lieblingsband zum Beispiel. Denn das Gehirn muss auch die Möglichkeit bekommen, neue "Verknüpfungen" herzustellen. Zum Beispiel:

Kein Alkohol ---> Lieblingskonzert.

Ein langer, steiniger Weg (@Willo)! Ich weiß. Aber Festplatte neu formatieren dauert eben...

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon pragha » 16. April 2013, 13:23

Hi Papfl,
du gehst davon aus, das der Unterschied Alkoholiker/ Nichtalkoholiker in einer psychischen Konditionierung der Alkoholiker liegt und deshalb der Unterschied zwischen normal und pathologisch auch wieder reduziert werden kann (Lerntheorie).
Es gibt hinreichend viele wissenschaftliche Veröffentlichungendie zeigen, dass fortgesetztes Alkoholkonsum zu physischen Veränderungen führt, die einem extrem lange erhalten bleiben, falls sie einem nicht sogar das ganze Leben erhalten bleiben, und das Phänomen "Craving" erzeugen. Da Nicht-Alkoholiker kein "Craving" haben, ist die Vorstellung eines "normalen" Trinkverhalten für Alkoholiker wohl Wunschdenken.
pragha

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 16. April 2013, 13:59

@ pragha

Meine Ausführungen haben zunächst einmal mit der Frage "Abstinenz" vs "kontrolliertes Trinken" nichts zu tun.

Deinem Posting entnehme ich, dass Du die Ursache für "Craving" ausschließlich auf die physischen Veränderungen zurückführst, die durch langjährigen festgesetzten Alkoholkonsum entstanden sind. Dass dies wissenschaftlich in verschiedenen Studien untersucht wurde, weiß ich, und ich stelle das auch keinesfalls in Frage.

Vielleicht "schreiben" wir aneinander vorbei, weil ich den Begriff "Craving" etwas weiter fasse. Für mich hat "Craving" nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Komponente.

Und Letztere ist in der Tat in hohem Maße von lerntheoretischen und konditionierten Aspekten geprägt. Deshalb ist es m. E. durchaus sinnvoll, wenn ich als Abhängiger versuche, die "konditioniert erworbene" und vermeintlich als "richtig" empfundene (kognitive) Fehlschaltung

(viel) Alkohol ---> Rauschgefühl = gut!

durch Lernerfahrungen wie beispielsweise

kein Alkohol ---> Lieblingskonzert = besser!

zu ersetzen ("rekonditionieren").

Unabhängig davon gibt es natürlich auch die physische Komponete, die durch jahrelangen Missbrauch in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Papfl hat geschrieben:Die meisten von uns haben durch jahrelangen (oder gar jahrzehntelangen) Alkoholkonsum ihre Rezeptoren und Neurotransmitter komplett durcheinander gewirbelt und massive Schäden im natürlichen Stoffwechsel verursacht...hier für die Regeneration mindestens ein bis zwei Jahre unter gleich bleibenden Bedingungen zu veranschlagen, ist m. E. nicht zu viel verlangt. Quelle

Papfl hat geschrieben:Inwieweit eine (teilweise oder vollständige) Genesung/Gesundung ("Recovery") möglich ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen.

Beide Formen des "Cravings", die physische(Baclofen) und die psychische (Therapie, hier u.a. Lerntheorie) müssen behandelt werden, wenn man zu einem einigermaßen "normalen" Leben zurück finden möchte.

Die Frage, ob - wenn man irgendwann die beiden "Cravings" in den Griff bekommen hat - ein Leben mit "kontrolliertem" Alkoholkonsum dauerhaft möglich ist, steht für mich im Moment noch gar nicht zur Debatte und ist in meinen Beiträgen so auch nicht angeklungen, oder ?!? Wenn Du mich nach meinem jetzigen Standpunkt dazu fragst, lautet die Antwort: NEIN. Aber der hier beschriebene Umgang mit der Thematik und der gleichzeitige Einsatz von Baclofen und Psychotherapie bergen zumindest die Hoffnung, in absehbarer Zeit einigermaßen "glücklich" durchs restliche Leben gehen zu können - auch ohne Alkohol.

pragha hat geschrieben:du gehst davon aus, das der Unterschied Alkoholiker/ Nichtalkoholiker in einer psychischen Konditionierung der Alkoholiker liegt und deshalb der Unterschied zwischen normal und pathologisch auch wieder reduziert werden kann (Lerntheorie).

Wenn sich der Unterschied zwischen Alkoholiker und Nicht-Alkoholiker auf einen so kleinen Nenner bringen lassen würde, hätten wir nicht ein so großes Problem [smile] . Aber das ist Stoff für einen neuen Thread. Bei Gelegenheit.

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Don » 16. April 2013, 23:45

@pragha: Natürlich darf man die körperliche Komponente nicht außer Acht lassen - keine Frage. Ich meine allerdings, dass die Entdeckung unserer geistigen Muster wertvolle zusätzliche Chancen bietet, da & dort aus dem Stand heraus adäquat zu reagieren. Dafür allein schon lohnt es sich, einmal die Erfahrungen auszutauschen.

LG - Don.

PS: Mal am Rande - hab gestern einen ganz guten Film gesehen mit nem recht schönen Zitat drin, welches ich Euch allen natürlich nicht vorenthalten möchte:

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Taten
Achte auf Deine Taten, denn sie werden Dein Charakter
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.

Gut Nacht sagt, Don. [smile]

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Ralph » 18. Mai 2013, 09:30

Das sind ja auch wieder viele interessante Gedanken hier.

Ich glaube für mich selbst sind viele Gründe die häufig angeführt werden, nur nette Nebeneffekte, die man gerne mitnimmt.
Ich habe z.B. nach einer längeren Flugpause ein paar Bier vor dem Flug gegen Flugangst getrunken. Allerdings bin ich im Urlaub immer in Sauflaune und hatte bei Autourlauben Probleme nüchtern zu fahren. Wobei das damals noch klappte. Heute kann ich nur noch fliegen.
Vor einer Feier mit vielen unbekannten Leuten trinke ich, weil ich dann schneller ins Gespräch komme und zunächst sicherer auftrete. Nur saufe ich eben auch im vertrauten Kreis.

Eine Hauptkomponente ist einfach die Suchbefriedigung, die in konditionierten Situation stärker auftritt. Das hat sich nun mal verselbstständigt. Ein Großteil der erwarteten Entspannung rührt alleine aus dem Wegfallen des Saufdranges.
Wenn ich nach langer Suche endlich eine Toilette finde, bin ich auch entspannter.

Ich frage mich, ab man als Alkoholiker die Fähigkeit zur Freude an kleinen Dingen verloren hat oder ob sie nie so wie bei Anderen vorhanden war. Mir wurde schon immer alles schnell langweilig und ich neigte zu Übertreibungen. Da könnte die Ursache für den Start meiner Säuferkarriere liegen.

Gruß
Ralph

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Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 26. Juli 2013, 06:16

Tach zusammen!
Im Zuge der Frage nach moderatem Trinken kam eine kleine Diskussion um das "wozu" zustande.

WilloTse hat geschrieben:Sie [Ärztin] akzeptiert aber Zwischenziele auf dem Weg dahin und plädiert nicht für "ganz oder gar nicht". Ich habe mich mit ihr mal über MT unterhalten, da sind sogar mir die Argumente ausgegangen.
Die einfache Gegenfrage war immer: "Wozu?"
Die mir letztmögliche Antwort war "Weil es Situationen gibt, durch die ich ohne Alkohol nicht durchkomme."
Sie: "Ist doch o.k. Nur bleiben Sie bitte so ehrlich, genau das nicht zu vergessen."

WilloTse hat geschrieben:anerkennen, dass Du noch nicht zu Hause bist, wenn dieses Bedürfnis noch da ist.
Da ist kein Vorwurf, keine Besserwisserei und kein "Du-musst-nur-wollen-wollen".


Was mir während des Schreibens entgangen ist und erst in der Nachbetrachtung auffiel: diese "Wozu" - Frage deckt sich mit @Papfls "Wozu" aus diesem Thread.

Im Zusammenhang mit dem MT lande ich, wie wohl die meisten, am Ende dieser Fragenkette bei zwei Antwortmöglichkeiten:
- um mich in bestimmten Situationen nicht ausgeschlossen zu fühlen
- weil für mich in bestimmten Situationen Alkohol einfach dazugehört
Beide Möglichkeiten verdienen ein nochmaliges Rückfragen. Tee schmeckt auch, beim Grillabend bist Du auch ausgeschlossen, wenn Du nach einem Bier umsteigst auf Wasser, wenn Du Dir eine Belohnung verdient hast, gibt es Millionen anderer Möglichkeiten, als sich eine Flasche Champagner zu "gönnen".
Also wozu?

Die These im Zusammenhang mit moderatem oder kontrolliertem Trinken lautet doch: Ein Bier schadet wahrscheinlich wirklich nichts, abgesehen von der Theorie, dass es die Wirkung von Baclofen unterwandert und dass das Wiedereintreffen des geliebten Glücksstoffes ein biologischer Trigger ist. Aber ein Bier steigert auch das Gefühl, den Alkohol unter Kontrolle zu haben, und hier lauert psychologische Gefahr: wenn ich ein Bier gefahrlos trinken kann, dann doch auch zwei?

Vor Beginn eines MT-Versuchs kann man sich ja mal diese Frage stellen: Was ist mir denn am Alkohol immer noch so wichtig, dass ich diese Gefahr bewusst in Kauf nehme? Gleichgültig ist er mir ja offenbar nicht.

Interessanter Zeitungsartikel (SZ) Ein Psychologe erklärt, warum man erst würdigen muss, was man am Rauchen hat, bevor man aufhören kann.

Nicht falsch verstehen, bitte: ich bin nicht für Kampfabstinenz um jeden Preis (wer wäre ich... [biggrin] ). Aber wer die Abstinenz erreicht hat, sollte sich meiner Ansicht nach zweimal überlegen, ob er sie gezielt wieder unterbricht.

Darum exhumiere ich diesen erstklassigen Thread nochmal.

LG
Willo


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