Wirksamkeit von Baclofen

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tara
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Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon tara » 29. März 2013, 16:47

Liebe Forums-Mitglieder,

einige ketzerische Fragen (mit der ich hoffentlich nicht den gesammelten Ärger aller Forums-Mitglieder auf mich ziehe): Kann es sein, dass Baclofen einfach gar nicht hilft, also das craving nicht ausschaltet? Mein Mann nimmt seit gut drei Jahren Baclofen, seit mindestens einem Jahr auf einer Dosis von ca. 180 pro Tag - und trinkt dabei gut 3 Flaschen Rotwein, auch pro Tag. Über die magische Grenze, von der Ameisen berichtet, ist er nie rüber gegangen.
Dennoch ist diese Dosis ja schon recht hoch, aber sie scheint null Effekt auf seinen Suchtdruck zu haben. Weiß jemand etwas dazu?
Zweite Frage: Alkoholismus ist eine Krankheit, kein Charaktermangel, keine Willensschwäche - alles okay, aber muss man nicht trotzdem geheilt werden wollen, und spielt da die Willensstärke oder eben -schwäche nicht doch wieder herein?
Dritte Frage: Kann es sein, dass Baclofen für bestimmte Alkoholikertypen sogar gefährlich sein kann, da ja diskutiert wird, dass nicht Abstinenz, sondern "Indifferenz" das Ziel sei, was die Illusion fördert, man könne ruhig weiter trinken?
Und letztlich: Gibt es Erfahrungen dazu, ob Baclofen ohne begleitende Therapie wirksam ist?

Über Antworten würde ich mich freuen.
Danke,
tara

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fetsecht
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon fetsecht » 29. März 2013, 17:57

tara hat geschrieben:einige ketzerische Fragen (mit der ich hoffentlich nicht den gesammelten Ärger aller Forums-Mitglieder auf mich ziehe): Kann es sein, dass Baclofen einfach gar nicht hilft, also das craving nicht ausschaltet? Mein Mann nimmt seit gut drei Jahren Baclofen, seit mindestens einem Jahr auf einer Dosis von ca. 180 pro Tag - und trinkt dabei gut 3 Flaschen Rotwein, auch pro Tag. Über die magische Grenze, von der Ameisen berichtet, ist er nie rüber gegangen.
Dennoch ist diese Dosis ja schon recht hoch, aber sie scheint null Effekt auf seinen Suchtdruck zu haben. Weiß jemand etwas dazu?


warum ketzerisch?
wie ich nun zwei mal las hier, haut baclofen das glas alkohol nicht aus der hand und diese aussage, empfinde ich persoehnlich richtig. es tuts nicht, einfach so.
du sagst dein mann nimmt 180mg seit einem jahr, chapou zu deinem mann, da ich mich selber schon bei 170mg, arg beschissen fuehle. aber 1 jahr, nicht schlecht. nur, wie du selber schreibst hat er nie hoeher dosiert und nie die magische grenze hat er nie versucht....hm...lass ihn mal die magische grenze erreichen.
sehe da kein problem...leicht steigern alle drei tage und dann kommt irgendwann der klick.

tara hat geschrieben:Zweite Frage: Alkoholismus ist eine Krankheit, kein Charaktermangel, keine Willensschwäche - alles okay, aber muss man nicht trotzdem geheilt werden wollen, und spielt da die Willensstärke oder eben -schwäche nicht doch wieder herein?

nun da scheiden sich die geister...gut waere wenn derjenige, der eine loesung an der hand zu haben. bedeutet= eine general loesung ist noch nicht zur hand.
alles weitere waehre spekulation *find* ok, please no AA on my back now ;)

tara hat geschrieben:Dritte Frage: Kann es sein, dass Baclofen für bestimmte Alkoholikertypen sogar gefährlich sein kann, da ja diskutiert wird, dass nicht Abstinenz, sondern "Indifferenz" das Ziel sei, was die Illusion fördert, man könne ruhig weiter trinken?
Und letztlich: Gibt es Erfahrungen dazu, ob Baclofen ohne begleitende Therapie wirksam ist?


ich wuerde sagen, das ist quatsch, aber alles was ich sage, sind meine gedanken.
vielleicht haben andere hier andere gedanken?
gruss

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Papfl
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon Papfl » 29. März 2013, 18:06

Hallo tara!

Mit ähnlichen Fragen wie Deinen habe ich mich lange beschäftigt, und ich möchte Dich gerne an meinen "Erkenntnissen" teilhaben lassen. Was ich jetzt schreibe, ist zum Teil eine Wiederholung bereits veröffentlichter Beiträge, aber es ist vielleicht ganz gut, das alles nochmal im Zusammenhang zu betrachten.

Zunächst muss man wissen, dass Baclofen (anders als Alkohol, Drogen, Bezodiazepine...) am GABA-B-Rezeptor wirkt. Erstgenannte setzen am GABA-A-Rezeptor an. Du schreibst, Dein Mann trinkt gut drei Flaschen Wein (ca. 235 g reiner Alkohol bei 0,75 l Flaschen mit 13% Vol.) und nimmt gleichzeitig ca. 180 mg Baclofen pro Tag. Bildlich gesehen "hängen" also über den Tag verteilt 235 g Alkohol am GABA-A-Rezeptor und 180 mg Baclofen am GABA-B-Rezeptor.

Medizinisch ist das ziemlich kompliziert, aber stark vereinfacht gesagt, "sucht" das Hirn nach der erwünschten positiven, entspannenden, befreienden Wirkung zuallererst am GABA-A-Rezeptor. Wenn es dort "nichts" findet, versucht es sein Glück am GABA-B-Rezeptor. Dort sorgt in der Regel das eingenommene Baclofen dafür, dass es "fündig" wird. Wenn ich aber vorher meinen GABA-A-Rezeptor schon mit Wein zufrieden gestellt habe, wird die Suche an GABA-B erst gar nicht fortgesetzt. Die 180 mg Baclofen, die ich zusätzlich dort eingeworfen habe, sind also buchstäblich "für die Katz!". Nähere Infos hierzu findest Du auch hier und hier.

Zu Deiner zweiten Frage: "Craving" besteht aus zwei Komponenten:

a) einer physischen (neurobiologischen), die quasi automatisiert abläuft, und die der/die Betroffene nicht willentlich beeinflussen kann und

b) einer psychischen, die ich als konditioniert bezeichnen würde, und die man auch (jahrelange) positive Erfahrung mit dem Rauschmittel nennen könnte (um den umstrittenen und nicht klar definierten Begriff "Suchtgedächtnis" zu vermeiden).

Baclofen ist ein Medikament, das im Bezug auf Komponente a) tatsächlich zu wirken scheint, indem es das - durch nicht beeinflussbare neurobiologische Prozesse im Gehirn - ausgelöste Verlangen nach der Droge hemmt.

Um Komponente b) "in den Griff" zu bekommen, sind m. E. psychotherapeutische Maßnahmen unumgänglich. Hier nämlich gilt es in der Tat, neue Sichtweisen zu entdecken, andere Strategien zu erlernen und alternative Lebensinhalte zu finden. Und das muss man - da hast Du ganz recht, tara - auch wollen.

Um dauerhaft das zu erreichen, was gemeinhin als "glückliche" Abstinenz bezeichnet wird, müssen beide Komponenten des Cravings behandelt werden. Deshalb schließen sich Baclofen und Psychotherapie auch nicht aus. Im Gegenteil: Sie bedingen einander. Und dass Psychotherapie für sich allein genommen in vielen Fällen nicht zu reichen scheint, zeigen die hohen Rückfallquoten klassischer Entwöhnungstherapien.

Ich stimme @fets nicht in allen Bereichen zu (und er mir auch nicht :wink: ), aber wo er recht hat, hat er recht:
fetsecht hat geschrieben:wie ich nun zwei mal las hier, haut baclofen das glas alkohol nicht aus der hand und diese aussage, empfinde ich persoehnlich richtig.

Baclofen ist keine Pille gegen die Pulle. Bevor ich allerdings weiter aufdosieren würde (180 mg ist nämlich schon 'ne Menge Holz), würde ich erst mal schauen, ob es mir nicht irgendwie gelingt, die "Konzentration" am GABA-A-Rezeptor (sprich: den Alkoholkonsum) zu drosseln (wenn nötig auch durch eine stationäre Entgiftung), um dem Medikament Baclofen überhaupt erstmal eine Chance zu geben, seine Wirkung zu entfalten.

Es soll eine identifizierte Personengruppe geben, bei der Baclofen nicht zu wirken scheint: die nicht-GABAergen Patienten (klingt auch irgendwie logisch). Bei diesem Patientenkreis funktioniert das interne Belohnungssystem anders, also nicht speziell über die GABA-Rezeptoren. Wie viele davon betroffen sind, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von etwa 15 Prozent aus.

Beste Grüße
Papfl

P.S. Ich kenne nur ganz wenige, die Erfahrungen mit einem "Schalter" oder einem "Klick"-Erlebnis - wie Ameisen es beschreibt - gemacht haben. Das braucht's auch nicht unbedingt. Man findet seine Idealdosis auch so.

P.P.S. Und dass Baclofen bei Dosierungen (< 300 mg/d) gefährlich sein könnte, wenn keine einschlägigen Komorbiditäten bestehen, glaube ich auch nicht. Ich denke, vorher dosiert man freiwillig wieder runter, weil man total neben sich steht und nichts mehr auf die Reihe kriegt.
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

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agnesl
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon agnesl » 30. März 2013, 11:10

hallo tara,
erst auch mal tach von mir.
die sache mit ketzerisch war ja nur als frage gedacht! denk ich mir.
ich kann der sache gut nachfühlen,denn bei mir scheint das bac auch gerade nicht so zu wirken wie ICH !!es gerne möchte.
die frage, bei euch/dir und deinem mann, stellt sich mir?
will dein mann denn überhaupt auch mit dem trinken aufhören,oder ist es eher dein wunsch.
weiss er wie sehr DU unter der situation leidet?
wie beschafft er sich denn die 3 fl.wein, oder machst du es aus liebe zu ihm,damit du ihn nicht verlierst.
wenn du willst kannst mir die fragen gerne beantworten und ich schreibe da einfach meine erfahrung dazu.
ansonsten denke ich ist papfl `s info sicher eine sehr hilfreiche sache.auch wenn mal seinen werdegang /neuvorstellung
mal nachliest.
lieben gruss
agnesl

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GoldenTulip
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon GoldenTulip » 30. März 2013, 11:50

Ich möchte hier gern mal den Verlauf meiner eigenen, inneren Stationen und Dialoge kurz zusammenfassen.

Am Anfang hatte ich kein Problem mit Alkohol, er gehörte dazu wie bei vielen anderen. Als sich dann körperliche und psychische Symptome einstellten, hatte ich länger als meine Umwelt den Eindruck, das im Griff zu haben.
In persönlicher Krise hat sich der Missbrauch verselbstädndigt und potentiert - da kam ich körperlich/ sozial an eine Grenze.

Daraus Konsequenzen zu ziehen, hat jahrelang gedauert, bis ich mich am Rande emotionaler, körperlicher und psychischer - sowie rationaler- Erschöpfung befand.
Im klassischen Sinne der "Zusammenbruch".

Gefolgt von Entgiftung und dem Kennenlernen von Baclofen. Riesige Hoffnung- und nach ein paar Tagen die Erkenntnis, dass es keinen GabA-utomatismus gibt, sich loszusagen von jahrzehntelanger Gewohnheit. Schlägt Dir nicht die Pulle aus der Hand. Und führt vermehr zu Spannungen im Privaten - das "Funktionieren" wurde eingestellt, und das hat Spannungen erzeugt.
Fast zwei Jahre Gehampel, Auf- und Abdosieren von Baclofen, Therapien, Foren etc. pp.

Und immer wieder die Frage: will ich abstinent leben?

Bis heute ist es so, dass ich das nicht will, sei es meinem Dickkopf, meinem Menschenbild oder dem Suchtgedächtnis geschuldet.

Wo liegt für mich der Gewinn nach der Zeit?

- Feststellen von Tatsachen, mich mit meinem Alkoholmissbrauch überhaupt zu konfrontieren, ist kein Tabu mehr für mich.
- Etliche Klärungen auf persönlicher Ebene, sich sozial und biographisch abzugrenzen, Tacheles zu reden, wurde möglich, weil ich nicht mehr in unbewusster Scham ertrank.

- Ein Auseinanderhalten meiner Probleme (Alkohol, Ängste, Depressivität, Bindungsängste) und Eigenheiten (Hochsensibiliät) wurde greifbar.

Ich ergänze Lernen, Mut, Offenheit und Vertrauen. Das verdanke ich dem "Glauben, der Berge versetzen kann". Ohne Bac hätte ich mich kaum getraut, da weiter zu gehen. Aus dem Käfig der Getriebenheit und der schützenden Bewusstlosigkeit auszutreten.

Ich glaube auch, dass man da wenig übertragen kann, was die befreiende Wirkung von Baclofen ausmacht: zu individuell die Gründe, sich von der Realität fortzubeamen.

Man kann Bac nicht "beifüttern" (auch Hochdosieren ist eine Entscheidung), wie ein immunisierendes Medikament gegen Grippe, selbsttätig wirkend. Mehr eine Verschnaufpause, um eigene Entwicklungsdefizite nachzuholen, einer Neuverortung eine Chance zu geben.

Es bietet die Chance, das, was man vielleicht wollen will, ohne körperlichen Suchtdruck zu überdenken. Und das ist mehr, als der Markt der Medikamente bislang vor Baclofen hergab.

Das ist eine Revolution.

Und es bleibt ein langer Abschied mit viel Aufarbeitung, jenseits von Normzwängen, der einen Menschen dazu bewegt, sich auf das Abenteuer Leben ohne Alkohol einzulassen.
Ich fürchte, ein Leben reicht kaum aus dazu, was mich nicht hindert, den Weg so weit zu gehen, wie ich kann.

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

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tara
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon tara » 31. März 2013, 17:04

Vielen Dank an alle, die mir geantwortet haben - besonders auch für den link, dass eine Flasche Wein ca. 75mg Baclofen "ausgleicht". Das erklärt natürlich manches. Wenn das möglich ist, wüsste ich gern, woher genau diese Zahlen kommen. Auch das mit den zwei Komponenten des craving war mir so vorher nicht klar. Dazu kann ich sagen, dass mein Mann eine Reihe von psychotherapeutischen Maßnahmen angefangen, allerdings nur eine Therapie beendet hat (die nichts an seinem Alkoholkonsum geändert hat). Diese Maßnahmen waren alle vor Baclofen. Jedenfalls wehrt er sich dagegen, sich so einer Situation noch einmal auszusetzen, hält sich, glaube ich, für aus- oder durch-therapiert. Ich sehe das natürlich anders.
Ob mein Mann mit dem Trinken aufhören will, kann ich nicht klar beantworten. Abstinenz lehnt er ab, und fühlt sich darin bestätigt durch dieses "Indifferenz"-Ziel, was im Zusammenhang mit Baclofen diskutiert wird - daher auch meine dritte Frage. Er hat wohl das Gefühl, dass ihm bei Abstinenz ein Genuss vorenthalten wird, den sich "alle anderen" leisten dürfen, nur er nicht. Ich selber könnte mit Indifferenz seinerseits durchaus leben, nur ist er halt weit davon entfernt.
Es geht ihm insgesamt nicht gut, er ist depressiv und hat durch jahrelangen Alkoholmissbrauch diverse körperliche Probleme (deren Zusammenhang mit Alkohol er nicht wahrnehmen will, auch, übrigens nicht den Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Depression). Die Tatsache, dass er Baclofen nimmt, zeigt, meine ich, dass er etwas ändern will, aber so wie er es macht, also ohne jede therapeutische Begleitung und die Pille quasi mit Alkohol runterspülen, zeigt, wie ich finde, andererseits auch, dass er eigentlich an sich nichts ändern will. Also so, als sollte die Änderung ohne großes Zutun über ihn kommen. Mich zermürbt das alles maßlos, und ich muss richtig daran arbeiten, mich davon nicht runterziehen zu lassen und mir trotzdem noch meinen Spaß am Leben zu erhalten. (Und ich besorge ihm ganz sicher seine Flaschen nicht, er kauft sie sich einfach - ist ja nicht so schwer). Er weiß, dass ich unter seinem Zustand leide, oder sagen wir, er könnte es wissen, ich habe es oft genug gesagt - in unterschiedlicher Form. Es ändert nichts. Ich spreche es kaum noch an, weil er sich sofort zurückzieht, wenn ich es tue, oder mir vorwirft, dass ich ihm Vorwürfe mache.
Ich mache seit ca. einem Jahr selber eine Therapie und lerne mühsam, dass ich ihn nicht ändern kann und er ein Recht darauf hat zu trinken, und ich halt darauf achten lernen muss, wie es mir dabei geht, bzw. wo ich Grenzen setze und wie weit ich das überhaupt ertrage. Langwieriger und anstrengender Lernprozess!

Soweit erst mal,
Lieben Gruß,
tara

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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon DonQuixote » 31. März 2013, 18:21

Hallo tara

In den französischen Foren würde man Euch so ziemlich emotionslos raten, die Dosis zu erhöhen. 180 mg gelten dort nicht als besonders viel. Und auch Olivier Ameisen nahm, nach einer Aufdosierungsphase von zwei Monaten, über einen Zeitraum von zehn Monaten 180 mg/Tag ein, ohne dass sich irgendetwas besserte. Erst als er die Dosis erhöhte, stellte sich der Erfolg ein.

Das würde auch neuen Schwung in die Sache bringen und wäre so etwas wie der Tatbeweis, dass Dein Mann an der Situation etwas verändern möchte.

Alles Gute wünscht DonQuixote

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Papfl
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Re: Wirksamkeit von Baclofen

Beitragvon Papfl » 31. März 2013, 18:53

Hallo tara!

Wenn Du den zweiten Link aus dem obigen Posting zu Ende liest (es sind 5 Seiten), wird - zumindest ansatzweise - auch erklärt, wie die Zahlen zustande kommen.

Was ich jetzt schreibe, beruht auf meinen eigenen Erfahrungen. Vielleicht kann sich Dein Mann ja ein Stück weit damit identifizieren:

Zu einer Psychotherapie muss man bereit sein. Bekommt man sowas einfach "übergestülpt", funzt das nicht. Solange ich noch getrunken habe, war ich schlichtweg nicht fähig, mich auf irgendeine Form von Therapie einzulassen. Ganz einfach, weil mein ganzes Denken nur vom Alkohol bestimmt war. Die Sitzungen schienen endlos, meine Gedanken waren überall, nur nicht beim Therapeuten. Ob ich es in der Pause zum Spint schaffe? Hoffentlich labert der nicht so lange, damit ich den Kiosk an der Ecke noch erreiche, bevor der dicht macht. Wie viel Stoff habe ich eigentlich noch zu Hause? Nebenbei kaut man lustlos wieder, was der Therapeut halt hören möchte, aber innerlich ist man längst schon ganz wo anders. Die haben doch eh' alle keine Ahnung. Wenn doch nur die Sch...-Stunde schon vorbei wäre...

Dann kam der gesundheitliche Gau, und ich musste mich entscheiden: Höre ich auf zu trinken, oder höre ich auf zu leben? Ich entschied mich für Ersteres. Aber es gelang mir nicht. Gut. So drei, vier Monate Abstinenz am Stück bekam ich schon hin, aber dann folgte wieder ein Vollabsturz nach dem anderen. Als ich es mal ein halbes Jahr geschafft hatte, dachte ich, ich sei über das gröbste weg, aber denkste! Alles weit davon entfernt von dem, was gemeinhin als "glückliche" Abstinenz bezeichnet wird. Das war ein ständiger innerer Kampf. Obwohl ich nicht nur aufhören musste, sondern mittlerweile auch fest aufhören wollte, gelang es mir nicht. Meine Verzweiflung kann man sich vorstellen.

Ich versuchte, mich an die "Strategien" und "Tipps" aus den Therapien zu erinnern: "Meditation", "Entspannung", "Spazierengehen", "Sport", "Hobbies", "Freunde treffen (welche?)"...aber wie soll jemand zur inneren Ruhe finden, wenn das Verlangen nach Alkohol im Sekundentakt das Hirn durchtriggert.

Hast Du's gemerkt: Ich bin wieder bei den zwei Arten des "Craving" angekommen. Das, was mich davon abgehalten hat, die erlernten Verhaltensweisen aus der Therapie einzusetzen und anzuwenden ("Meditation", "Entspannung"...), ist das physische Craving, der "Suchtdruck" (s.o.). Ausgelöst durch neurobiologische Prozesse im Hirn, die Du willentlich nicht beeinflussen kannst. Solange Du dem ausgeliefert bist, kann selbst die beste Psychotherapie nicht helfen. Weil sie keine Chance hat gegen das Triggern im Hirn. Dem Du irgendwann nachgibst, ja nachgeben musst. Gut, manche klemmen sich dann statt wieder zur Flasche zu greifen an den Telefonhörer und rufen einen AA-Freund an, dem sie stundenlang das Ohr voll sülzen, nur um am nächsten Morgen wieder vor dem selben Setting zu stehen. Aber ist das das Leben, das ich mir vorstelle?

Jetzt kommt Baclofen ins Spiel. Weil es das physische Craving eindämmen kann (hier nochmal der Link). Und jetzt stell' Dir mal vor, was man plötzlich mit den Erkenntnissen aus der Psychotherapie anfangen kann, wenn man endlich "frei" dafür ist. Wenn kein Triggern einen mehr daran hindert.

Hört sich fast so an, als hätte man's dann geschafft...is' aber nicht! Denn es gibt ja noch das zweite Craving, das psychische, den "Trinkwunsch". Jetzt kommt der Wille ins Spiel, in Situationen, in denen man sonst immer getrunken hatte (Fußball gucken, Karten spielen...), nein zu sagen. Jetzt gilt es, auch mal die Langeweile, die zwangsläufig entsteht, weil ja die ganze Zeit in der man früher getrunken hat, plötzlich "übrig" ist, auszuhalten bzw. sich aufzuraffen, sie mit etwas anderem auszufüllen. Das ist richtig Arbeit.

Ich habe oben geschrieben:
Deshalb schließen sich Baclofen und Psychotherapie auch nicht aus. Im Gegenteil: Sie bedingen einander.

Weil Baclofen erst den Boden für eine "erfolgreiche" Psychotherapie bereitet. Wenn Dein Mann also meint, er sei "austherapiert", dann stimmt das m. E. nur bedingt. Er weiß vielleicht, was prinzipiell zu tun wäre. Aber er hat es noch nie richtig anwenden können, weil das physische Craving ihm keine Chance dazu ließ.

Wenn die Baclofentherapie dauerhaften Erfolg haben soll, dann - das ist meine Meinung - muss man sich von dem Gedanken, Alkohol und Baclofen kombinieren zu können (Du nennst es "Indifferenz-Ziel"), zumindest die ersten Monate über verabschieden. Weil man dem Hirn (und auch sich selbst) eine Chance geben muss, sich neu zu orientieren.

Ich nehme jetzt seit fast acht Monaten (bei Abstinenz) Baclofen und überlege mir so langsam, ob ich nicht mal den Versuch wagen soll, ein "Frühlingsweißbier" zu trinken. Dazu müsste es aber erstmal Frühling werden [smile] . Und die Gelegenheit müsste sich ergeben. Nur loszuziehen, um irgendwo ein Bier zu trinken - dazu drängt es mich wirklich nicht. Die Zeiten sind (hoffentlich?) vorbei.

Wir haben jahr(zehnte)lang gebraucht, um dahin zu kommen, wo wir letztendlich gelandet sind. Und wollen von heute auf morgen da wieder raus. Das ist - auch mit Baclofen - zu viel verlangt.

Schönes Restosterfest!
Papfl

P.S.
DonQixote hat geschrieben:In den französischen Foren würde man Euch so ziemlich emotionslos raten, die Dosis zu erhöhen. 180 mg gelten dort nicht als besonders viel. Und auch Olivier Ameisen nahm, nach einer Aufdosierungsphase von zwei Monaten, über einen Zeitraum von zehn Monaten 180 mg/Tag ein, ohne dass sich irgendetwas besserte. Erst als er die Dosis erhöhte, stellte sich der Erfolg ein.

Soweit ich mich erinnern kann, war Ameisen in dieser Zeit aber zumindest streckenweise abstinent, oder?
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
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