Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Es wird eigentlich erwartet, dass sich Mitglieder vorstellen und ihre Lebensumstände schildern, damit die anderen in Etwa wissen, mit wem sie es zu tun haben und ihm dann auch besser helfen können.
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Sonny
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Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 10:04

Ich bin 47 und komme aus NRW. Zu meiner Geschichte:

Anfangen möchte ich mit Angstzuständen und Panikattacken Ende der 1990er Jahre, die ich zunächst mit Alkohol bekämpft habe.

Da dies natürlich keine Dauerlösung ist, drückte mir mein Arzt die nächste "Nicht-Dauerlösung" in die Hand, nämlich Benzos. Die nehme ich bis heute, allerdings im Niedrigdosisbereich.

Da es im Laufe der Jahre bei mir im Leben ein häufiges Auf und Ab gab, stellten sich bei mir zwischendurch auch immer wieder Depressionen ein, was zur Folge hatte, dass es teilweise zu unkontrolliertem Alkoholkonsum und Einwurf von Benzos kam, was mir so einigen Ärger eingebracht hat.

Da ich nun die Faxen endgültig dicke habe, will ich von beidem Zeugs weg und vor allem die Depressionen loswerden.

Alkohol trinke ich, wenn bei mir soweit alles ganz gut läuft, so gut wie gar keinen. Dafür um so mehr, wenn so gut wie nichts läuft.

Benzos fast täglich.

Nun stellt sich mir natürlich die Frage, inwiefern es überhaupt möglich ist, mit Baclofen von Benzos loszukommen und gleichzeitig die Depressionen zumindest auf ein Minimum herunterzufahren. Bei Letzterem hätte sich dann der Alkoholkonsum auch von selbst erledigt.

Gruß Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 12. Mai 2017, 10:43

Hallo Sonny!

Herzlich willkommen im Forum [hi_bye] ! Schön, dass Du da bist [smile] .

Es gibt inzwischen zahlreiche Hinweise dafür, dass Baclofen bei der Reduktion/Entziehung von Benzodiazepinen unterstützend helfen kann. Eine Auswahl entsprechender Studien findest Du in unserem Baclofen-Wiki:


Zudem hat Baclofen anxiolytische ("angstlösende") und antidepressive Eigenschaften. Nach allem, was Du schreibst, könnte dieses Medikament also für Dich eine ideale Lösung sein.

Vielleicht magst Du auch mal einen Blick in das Buch "Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen werfen. Der Kardiologe Olivier Ameisen war selbst betroffen und hat Baclofen als Therapieoption bei Abhängigkeitserkrankungen (wieder)entdeckt. Das Buch ist spannend zu lesen! Du kannst die E-Book-Version des Buches auch kostenlos über dieses Forum "ausleihen". Bei Interesse schreibe das bitte einfach in die Private Nachricht (PN) an @DonQuixote mit rein, wenn Du ihn um eine Arztadresse bittest.

Olivier Ameisen hat geschrieben:Mein Grundproblem ist nicht der Alkohol, sondern die Angst. Wenn ich die Angst loswerde, werde ich nicht mehr trinken.

Aus diesem Teufelskreis hat ihn Baclofen schließlich befreit.

Da wir unsere Arztadressen aus naheliegenden Gründen nicht öffentlich rausgeben, möchte ich Dich bitten, @DonQuixote (er verwaltet unsere Arztadressen) kurz mit einer Privaten Nachricht (PN) anzuschreiben und ihm Deinen Wohnort samt Postleitzahl mitzuteilen. Er wird sich dann bei Dir mit allen Infos melden.

Alles Gute einstweilen
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 11:12

Hallo Papfl und vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Was Olivier Ameisen schreibt, trifft bei mir genau zu. Es war damals die Angst, die ich weggetrunken habe, später waren es die Depressionen. Das Problem ist nur, dass die Ärzte sich das offenbar sehr einfach machen und alles auf den Alkohol schieben. Somit ist man quasi auf sich selbst angewiesen.

Die Frage ist aber auch, ob Baclofen Benzodiazepine bzw. deren Entzugserscheinungen quasi abfangen kann.

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 12. Mai 2017, 16:03

Hallo Sonny!

Sonny hat geschrieben:Die Frage ist aber auch, ob Baclofen Benzodiazepine bzw. deren Entzugserscheinungen quasi abfangen kann.

Ja, bis zu einem gewissen Grad funktioniert das. Ein Benzo-Entzug ist aber erfahrungsgemäß nochmal eine Spur härter als der von Alkohol. Deshalb heißt es hier einmal mehr: Nichts überstürzen, Geduld und Zeit mitbringen.

Benzodiazepine setzen an den gleichen Rezeptoren an wie Alkohol, deshalb ist die Vorgehensweise bei der Behandlung des Benzo-Entzugs mit Baclofen ähnlich wie die beim Alkohol. Nur eben mitunter langwieriger. Konkret heißt das: Das Benzodiazepin ganz langsam ausschleichen und Baclofen parallel dazu ganz langsam einschleichen. Wir sprechen hier allerdings nicht von Tagen oder Wochen, sondern eher von Monaten und ganz kleinen Ab- bzw. Auf-Dosierungsschritten beider Medikamente [schritte] ...

Wenn Du diese Geduld mitbringst, hast Du aber sehr gute Chancen, diesem Teufelskreis in +/- einem halben Jahr zu entfliehen.

Näheres zum Thema Craving und der Wirkungsweise von Baclofen findest Du hier. Was die Baclofen-Therapie von der traditionellen Suchttherapie unterscheidet, wird hier erklärt. Ganz interessant ist auch die Erklärung, warum Baclofen kein Alkoholersatz ist.

Bis denne!
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 21:10

Also erstmal muss ich sagen, dass ich von deinem Fachwissen beeindruckt bin. Respekt.

Ich bin allerdings auch schon seit 18/19 Jahren auf Benzos, wenn auch im Niedrigdosisbereich und mit einem Benzo, dass keine lange HWZ hat. Ich war auch schon Minimum runter, bis mich der nächste Hammerschlag nach dem anderen traf.

Die Benzos empfinde ich gar nicht mal als das große Problem. Ich habe vor den Depressionen gerade mal 3 mg Bromazepam genommen, und das auch nur noch schlafanstoßend und ohne jegliche Nebenwirkungen oder hang-over-Effekt. Der Hochdosisbereich beginnt bei Bromazepam bei 12 mg, manche sagen sogar erst bei 18 mg. Nicht mal engste Freunde, Familienangehörige, Arbeitskollegen oder Frauen, mit denen ich zusammen war, haben jemals gemerkt, dass ich überhaupt Benzos nehme. Ich war immer völlig klar im Kopf und hatte natürlich auch keine Fahne etc.

Das Problem sind diese verfluchten Depressionen und dieser scheiß Alkohol, der die Depressionen zwar schnell verschwinden lässt, aber übelste Begleiterscheinungen hat. Wenn man Alkohol getrunken hat, merkt das sofort jeder. Man hat halt ne Fahne, lallt, torkelt usw. Vom körperlichen Schaden auf Dauer mal ganz abgesehen. Ich hatte einmal so heftige Depressionen, dass ich nach einer Flasche Whisky so voll war, dass ich meine ganze Schrankwand umgerissen habe, nachdem ich da reingeflogen bin. Das sah hier danach aus wie auf einem Schlachtfeld. Und solche oder ähnliche Sachen will ich auf keinen Fall mehr.

Ich habe Don Quixote übrigens eine PN geschrieben. Ich hoffe, dass er sie erhalten hat.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 21:26

Manche nehmen ja 100 mg Diazepam am Tag und mehr, was 60 mg Bromazepam entsprechen würde, wobei Diazepam eine wesentlich höhere HWZ hat. Hier bin ich ja noch in der glücklichen Situation, dass, wenn ich die Dosis mal erhöhe, sie aber auch problemlos wieder runterfahren kann und ich keine Toleranzwirkung habe, sprich ich über die Jahre die Dosis kontinuierlich erhöhen musste, um eine Wirkung zu erzielen.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 12. Mai 2017, 21:28

Hallo Sonny!

In Deinem Fall würde ich - statt der Benzos - vielleicht eher eine Kombi aus einem Antidepressivum und Baclofen in Erwägung ziehen. Baclofen lässt sich mit fast allen Antidepressiva problemlos kombinieren.

Aber das sind dann Detailfragen, die Du mit Deinem behandelnden Arzt besprechen müsstest. @DonQuixote antwortet in der Regel recht zeitnah auf Arztanfragen. Ich gehe mal davon aus, dass Du noch heute Abend - spätestens aber am Wochenende - Post von ihm bekommen wirst. Die geht dann in der Regel an die E-Mail-Adresse, die Du bei der Anmeldung hier im Forum hinterlegt hast. Eventuell auch mal im Spamordner nachschauen. Manchmal (selten) landen die Nachrichten auch dort.

Das wird schon, wirst sehen [smile] !

Papfl

P.S. Ob @DonQuixote Deine PN erhalten hat, siehst Du, wenn Du in den Nachrichten-Bereich Deines Profils gehst (rechts oben auf den kleinen Briefumschlag neben Deinem Usernamen klicken). Wenn die Nachricht nicht mehr im Postausgang liegt, hat @DonQuixote sie schon abgeholt.
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 22:15

Antidepressiva habe ich schon einige durch. Entweder haben sie gar nicht gewirkt oder hatten so heftige Nebenwirkungen, dass ich sie wieder absetzen musste. Eine Psychotherapie, in der ich mich befinde, schlägt auch nicht so wirklich an, zumindest noch nicht.

Ich weiß auch, dass es hier in der Stadt einen Arzt gibt, der Baclofen verschreibt. Als ich der Sprechstundenhilfe allerdings am Telefon gesagt habe, dass es um Baclofen geht, sagte die direkt, sie würden im Moment keine Patienten aufnehmen. Wahrscheinlich wird die Praxis deswegen schon überrannt.

Wäre es denn eventuell eine Alternative, sich Baclofen z.B. aus Spanien zu bestellen, wo es, wie ich gelesen habe, rezeptfrei zu haben ist, und es dann hier mit Hilfe des Forums einzuschleichen? Wenn das in anderen europäischen Ländern ohne Rezept zu haben ist, kann das ja so heftig nicht sein. Benzos bekommste nirgendwo rezeptfrei.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 12. Mai 2017, 22:38

Hallo Sonny

Bitte schreibe mir doch diskret per PN (Private Nachricht), wo Du wohnst. Das ist öffentlich nicht sichtbar und bleibt ganz unter uns Zwei [cool] . Dann kann ich in unserer Liste nachsehen, welcher Arzt in Deiner Region für Dich in Frage kommt. Bis also demnächst,

DonQuixote

P.S: Eine Bestellung in Spanien ist keine gute Idee

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 12. Mai 2017, 23:02

Hallo DonQuixote,

habe ich dir geschickt. Ich hoffe, dass sie jetzt angekommen ist.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 13. Mai 2017, 01:13

Bevor ich mich ins Bett verabschiede, habe ich noch eine Frage. Alkohol und Benzodiazepine docken ja am GABA-A-Rezeptor an, Baclofen am GABA-B-Rezeptor. Eigentlich hatte ich das sonst immer so verstanden, dass Baclofen den A blockiert, indem es da auch andockt und somit die Ausschüttung von Dopamin, etwa durch die Alkoholaufnahme, verhindert. Was haben jetzt A und B miteinander zu tun?

Allen eine gute Nacht.

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Lucidare » 13. Mai 2017, 08:46

Moin Sonny,

herzlich wilkommen im Forum.

Vielleicht antwortet @Papfl ja auf die Fragen, wenn er Zeit hat. [smile]

Mich interessiert nämlich auch was.

Sonny hat geschrieben:indem es da auch andockt und somit die Ausschüttung von Dopamin, etwa durch die Alkoholaufnahme, verhindert.


Die Hirnchemie ist ja nunmal schrecklich kompliziert und durchaus eine verzwickte Prozesskette die im Gleichgewicht "laufen" muss. Ich habe auch schon mal geschaut, ob Baclofen einen direkten Einfluß auf die Dopaminausschüttung hat. Ich behaupte nein, man findet nur immer "man vermutet".

LG

P.S.: Ich habe durchaus eine schlechtes Gewissen diese Frage zu stellen. Das hat durchaus etwas von kleinem Finger und ganze Hand. [blus]
Zuletzt geändert von Lucidare am 13. Mai 2017, 08:59, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 13. Mai 2017, 08:57

Moin Sonny!

GABA-A und GABA-B sind zwei verschiedene Systeme, die beide Rezeptoren zur Aufnahme von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) bereithalten.

Der entscheidende Unterschied ist, dass sich im GABA-A-System, wo Alkohol, andere Drogen, Benzodiazepine etc. andocken, eine Toleranz entwickelt. Das heißt, man muss immer mehr von einer bestimmten Substanz zu sich nehmen, um die gleiche Wirkung zu erhalten, was letztlich zur Abhängigkeit/Sucht führt. Du scheinst da eher die Ausnahme zu sein, weil Du ja schon relativ lange mit einer konstanten, niedrigen Benzo-Dosis zurecht kommst. Du brauchst zwar nicht "mehr", aber eine gewisse Abhängigkeit ist - denke ich - schon vorhanden.

Das ist im GABA-B-System, wo Baclofen "andockt", nicht der Fall. Hier findet keine Toleranzentwicklung statt. Es gibt kein Suchtpotential. Auch kein Rauschempfinden. Wer einmal seine ideale Erhaltungsdosis gefunden hat (die ist allerdings sehr individuell und kann von 2,5 mg/Tag bis weit über 300 mg/Tag reichen), muss nicht mehr weiter erhöhen und entwickelt auch keine Abhängigkeit. Allerdings sollte Baclofen - wenn man die Therapie beenden möchte - wie andere Psychopharmaka auch (Antidepressiva, Neuroleptika etc.) langsam ausgeschlichen und nicht abrupt abgesetzt werden.

In beiden Systemen sorgt der Botenstoff GABA für Beruhigung, Entspannung, Ausgeglichenheit. Allerdings ist das GABA-B-System - vereinfacht gesagt - etwas träger als das GABA-A-System.

Bei alkohol-, drogen- oder medikamentenabhängigen Menschen hat das "Hirn" im Laufe der Jahre gelernt, dass es - wenn es Beruhigung/Entspannung sucht - das GABA-A-System aktivieren muss. Wird es dort "fündig", weil Alkohol, Drogen oder Benzos im GABA-A-System durch ihre Anwesenheit für genügend GABA-Zufuhr sorgen, ist das "Hirn" zufrieden.

Auf GABA-B greift es erst/nur zu, wenn an GABA-A nicht genügend beruhigender Botenstoff vorhanden ist. Das ist dann der Fall, wenn zu wenig oder gar kein Alkohol, Drogen oder Benzos zugeführt wurden. Dann erst beißt das "Hirn" salopp gesagt in den "sauren Apfel" und schaut, ob es im trägeren GABA-B-System fündig wird. Und ist natürlich überglücklich, wenn es dort Baclofen (einen "GABA-Ersatz") findet.

So wird auch verständlich, warum paralleler Alkohol-, Drogen- oder Benzokonsum bei der Baclofen-Therapie so kontraproduktiv sind. Solange das "Hirn" an GABA-A etwas findet, wird GABA-B links liegen gelassen. Erst wenn der Vorrat an GABA-A verbraucht und die gewünschte Ruhe noch nicht eingekehrt ist, wird im GABA-B-System gesucht.

Wir erwähnen immer mal wieder, dass erfahrungsgemäß ein Liter Wein in etwa 75 mg Baclofen antagonisiert ("neutralisiert", "aufhebt"). Um im Bild zu bleiben bedeutet das: Wenn ich 75 mg Baclofen schlucke (die "warten" im GABA-B-System) und parallel dazu eine Flasche Wein trinke (die im GABA-A-System wirkt), bedient sich das "Hirn" zunächst an GABA-A. Erst wenn der Liter Wein weitestgehend "abgebaut" ist und die innere Unruhe zurückkehrt, folgt - sofern nicht "nachgeschüttet" wird - der Zugriff auf GABA-B. Dumm gelaufen, denn in der Zwischenzeit sind eben auch die 75 mg Baclofen - die in GABA-B waren - vom Körper weitestgehend abgebaut. Wieder salopp formuliert hätte man die genau so gut in den Gulli kippen können.

Papfl
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 13. Mai 2017, 09:19

Ergänzung @Lucidare

Es deutet vieles darauf hin, dass die natürliche Dopaminausschüttung in abstinenten Phasen wieder zunimmt. Insofern hat Baclofen auf jeden Fall einen indirekten Einfluss auf die Dopaminmenge, weil es zur Abstinenz beitragen kann (s. auch hier). Was z. B. in der Anekdote vom "kleinen Prinzen" zu lesen ist, aber nicht stimmt, ist die Behauptung, dass die Dopaminausschüttung etwas mit dem Stammhirn zu tun hat. Dem ist nicht so. Darauf hat @jivaro an anderer Stelle auch schon mal hingewiesen.
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Lucidare » 13. Mai 2017, 09:29

Hi Papfl,

danke für die Antwort! Als "Nichtmediziner" ist man immer froh, wenn aus ungesundem Halbwissen ein gesundes wird. :wink:

LG
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 13. Mai 2017, 10:42

Guten morgen Papfl!

Das war nun aber sehr ausführlich und schon wissenschaftlich. Hab das aber trotzdem soweit verstanden, bis auf eine Sache. Wenn das Gehirn erst auf GABA-A zugreift, wie verhindert Baclofen denn z.B. den Suchtdruck, wenn es sich in GABA-B befindet?

Dann habe ich noch eine weitere Frage. Kann es sein, dass Benzos irgendwie GABA-A blockieren? Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich gar keine große Lust auf Alkohol habe, wenn ich ein Benzo genommen hab.

Mit der Niedrigdosisabhängigkeit bin ich übrigens nicht die Ausnahme. Es gibt mehr Niedriegdosisabhängige als Hochdosisabhängige, wobei einige Quellen sogar davon sprechen, dass es sich im Niedrigdosisbereich um gar keine Abhängigkeit handelt. Dieser Bereich geht übrigens bis 30 mg Diazepam, also 18 mg Bromazepam. Erst darüber sollte eine Einnahme eigentlich nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Ich habe da nochmal nachgeguckt.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Papfl » 13. Mai 2017, 11:11

Hallo Sonny!

Ich vermute schon, dass auch im Niedrigdosisbereich eine Art "Abhängigkeit" besteht: Sonst könntest Du die Benzos ja einfach weglassen. Das ist aber im Grunde nebensächlich. Benzodiazepine bzw. die damit "bekämpften" Depressionen schränken Dich in Deiner Alltagsfreiheit ein - und das willst Du so nicht mehr haben. Und Du bist bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Einschränkungen los zu werden [good] . Darum geht's!

Sonny hat geschrieben:Wenn das Gehirn erst auf GABA-A zugreift, wie verhindert Baclofen denn z.B. den Suchtdruck, wenn es sich in GABA-B befindet?

Durch den regelmäßigen, langjährigen Alkohol-, Drogen- bzw. Benzokonsum lässt die GABA-Produktion im Stoffwechsel allmählich nach. Weil diese Substanzen GABA länger an die Rezeptoren binden, wird effektiv nicht mehr so viel GABA benötigt. Fallen nun Alkohol, Drogen oder Benzodiazepine weg, herrscht akuter GABA-Mangel. Das "Hirn" sucht zunächst - das ist korrekt - an GABA-A. Findet dort aber nichts oder zu wenig, also setzt es seine Suche an GABA-B fort. Im Idealfall befindet sich dann dort der GABA-B-Agonist Baclofen. Der kann dann für die dringend benötigte Entspannung, Ruhe und Ausgeglichenheit sorgen und das Craving ("Trinkverlangen") eindämmen.

Sonny hat geschrieben:Kann es sein, dass Benzos irgendwie GABA-A blockieren? Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich gar keine große Lust auf Alkohol habe, wenn ich ein Benzo genommen hab.

Blockieren ist der falsche Ausdruck. Benzos wirken ähnlich wie Alkohol. Warum also zusätzlich etwas trinken, wenn der gewünschte Effekt schon durch die Benzos erreicht wurde? Gerade weil Benzos die Funktion von Alkohol ersetzen können, werden sie ja auch im Entzug eingesetzt. Alkoholabhängige bekommen in der Entgiftung häufig Diazepam, weil sich die Entzugssymptome mit Tabletten leichter in den Griff bekommen lassen (Verabreichung, Dosierung), als wenn man gläschenweise Schnaps oder Wein gibt. Statt Alkohol verabreicht man also Benzos oder Clomethiazol (Distraneurin®) - quasi als Alkoholersatz - und schleicht diese dann allmählich wieder aus, bis der Patient nach etwa 7-10 Tagen "entgiftet" ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich Dir gerne diesen Beitrag und die Animation Drugs and the Brain ans Herz legen.

Papfl
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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 13. Mai 2017, 11:41

Ok.Das habe ich jetzt verstanden. Besten Dank.

Ich habe nicht abgestritten, dass es auch eine Abhängigkeit ist. Ich habe nur geschrieben, dass einige Quellen davon sprechen. Es geht da um den körperlichen Zerfall, Vernachlässigung von sozialen Kontaken und Hobbys, Probleme auf der Arbeitsstelle und innerhalb der Familie etc. pp, was man bei der Niedrigdosisabhängigkeit für gewöhnlich nicht hat. Wie ich zuvor schon geschrieben habe, merkt für gewöhnlich nicht mal dein engstes Umfeld, wenn du Benzos in kleinen Mengen nimmst.

Dass ich die Benzos loswerden will, hat aber auch noch einen anderen Grund, und zwar den Straßenverkehr. Das könnte eventuell Probleme geben, sofern mal was passieren sollte, muss aber nicht. Nichts desto trotz habe ich letztens in einem Bericht gelesen, dass die Schnelltester von denen in blau mittlerweile auch Benzos anzeigen.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon Sonny » 13. Mai 2017, 12:00

Den Beitrag habe ich schon gelesen. So ein Schwachsinn, dass das eine Suchtmittelverlagerung ist. Das kommt bestimmt von Tom Bschor von der Rosenthal Klinik in Berlin. Der wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen eine Zulassung von Baclofen in Deutschland. Warum wohl? Sollte Baclofen hier so einschlagen wie in Frankreich, kann er sich nämlich 80% seiner Entzugspatienten von der Backe putzen. Da kann man nur hoffen, dass die Franzosen bald die europaweite Zulassung beantragen.

Beste Grüße
Sonny

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Re: Ich stelle mich vor und habe Fragen zu Benzodiazepinen und Alkohol

Beitragvon DonQuixote » 14. Mai 2017, 21:34

Hallo Sonny

Sonny hat geschrieben: [...] Das kommt bestimmt von Tom Bschor von der Rosenthal Klinik in Berlin. Der wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen eine Zulassung von Baclofen in Deutschland. Warum wohl? Sollte Baclofen hier so einschlagen wie in Frankreich, kann er sich nämlich 80% seiner Entzugspatienten von der Backe putzen. Da kann man nur hoffen, dass die Franzosen bald die europaweite Zulassung beantragen.

So sieht's tatsächlich aus :kst .

DonQuixote


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