Die "W-Fragen"

Alle wichtigen Infos sind hier versammelt. Ausgangspunkt für alle, die sich über die Grundlagen der Baclofen-Therapie gegen die Alkoholabhängigkeit informieren möchten.
Benutzeravatar

pragha
Beiträge: 116
Registriert: 16. November 2012, 13:32
Danksagung erhalten: 15 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon pragha » 10. April 2013, 12:09

: für mich ist ein Trigger ein Auslöser, überhaupt zu trinken, von daher verstehe ich

pragha hat geschrieben:Alkohol Trinken ist schon ein sehr starker Trigger

nicht ganz, denn dazu muss ich ja erstmal die erste Flasche entkorken. Der eigentliche Trigger liegt für mich noch davor.

Sicher, der erste Trigger liegt noch vor dem Entkorken der Flasche. Wenn ich hier nicht widerstehe,kommt der noch stärkere Trigger des Alkoholtrinkens bzw. getrunken haben.
Normaler Umgang mit dem Alkohol ist bei einem Alkoholiker nicht mehr möglich, das Craving bleibt dir ein ganzes Leben erhalten. Nicht- Alkoholiker haben kein Craving.
Möglicherweise ist ein kontrolliertes Trinken oder besser ab und zu Trinken durch erhebliche Dosissteigerung möglich. Aber ich kenne jemanden, der es mit 250 mg/d immer wieder versucht und regelmäßig scheitert und dann unter Qualen nach 2-4Tagen wieder aus dem Alkohol rauskommt. Wozu dann das erste Glas? Wenn man dem ersten Trigger widerstehen kann, der vermutlich noch gar nicht so groß ist, und eine rationale Kosten(Craving/Entgiftung))-Nutzen(Alkoholkonsum)- Analyse machen würde, wäre das eigene Alkoholproblem gelöst.
Abstinenz, wie du schon geschrieben hast, ist auch mit Baclofen die einfachere Lösung.
pragha

Benutzeravatar

WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 12:09

@Conny
GoldenTulip hat geschrieben:ich habe den Eindruck, dass wir endlich mal über den Kern der Angelegenheit sprechen.

Ja, und ich halte das für extrem wichtig. Dieser Thread ist für mich die Quintessenz der letzten drei Jahre.

GoldenTulip hat geschrieben:Warum ist eine zweitrangige Frage, "weil man es eben so gelernt hat". Wozu ist relevant.

Nein, das finde ich nicht. "Weil man es eben so gelernt hat" zielt an meiner Frageabsicht vorbei.

Die Fragen sind m.E. gleichberechtigt. Warum will ich jetzt trinken? Weil ich Angst vor dem Gespräch
mit @Chef habe. Wozu habe ich jetzt getrunken? Weil ich mich beim Gespräch mit @Chef sicherer gefühlt habe.

Das "warum fühle ich mich grundsätzlich bei Gesprächen mit @Chef schon im Vorfeld immer unsicher?" klammere ich ganz bewusst aus, denn da landest Du bei Adam und Eva.

GoldenTulip hat geschrieben:Trinkwunsch heißt für mich Wunsch, seinen Bewusstseinszustand ändern zu wollen.

Ganz genau, für mich auch. Das sollten wir sinnvollerweise in eine Definition aufnehmen: Trinkwunsch in unserem Sinne ist eben nicht das eine Glas Wein zum Essen trinken zu wollen, für uns ist Trinkwunsch = Rauschwunsch.

GoldenTulip hat geschrieben:Am Ende doch nur eine Frage von Absicht und Bequemlichkeit? Ich hasse mich.

Liebe Conny,

es gibt einen biologischen Anteil an der Sucht, das bestreiten inzwischen nichtmal mehr die Hardliner. Und was Du an dieser Stelle ererbt von Deinen Vätern, musst Du nichtmal mehr erwerben, um es zu besitzen.
Ich habe vor dreißig Jahren am kommunalen Gymnasium Latein als zweite Fremdsprache gewählt. Irgendwie hätte ich vielleicht damals schon Altgriechisch besser gefunden. Vielleicht auch nicht, die Frage stellte sich einfach nicht, weil Altgriechisch an dieser Schule nicht angeboten wurde.

Ich habe Cäsars Schachtelsätze übersetzt und viel über Logik und Satzstruktur dabei gelernt. Ich habe Cicero gelesen und viel über die Menschen dabei gelernt. Ich habe Marc Aurel gelesen und viel über mich dabei gelernt. Und jederzeit überfällt mich dieser eigenartige Schauer bei der fremden, und doch so vertrauten Rhythmik von Vergil:

Anna, fatebor enim, miseri post fata Sychaei
coniugis et sparsos fraterna caede penatis
solus hic inflexit sensus animumque labantem
impulit. Agnosco veteris vestigia flammae.

Agnosco veteris vestigia flammae. Ich erkenne die Spuren uralter Glut. Kann man die ganze Seele der Sehnsucht in vier Worte packen? Ja, das konnte Vergil schon vor 2000 Jahren.

Trotzdem stelle ich heute fest, dass der Einzige, der mir wirklich was zu sagen hatte, Aristoteles war. Nun stehe ich da mit meinem kurzen Hemd. Peri psyches im Originaltext lesen? Nicht für mich.

Baclofen ist kein Altgriechisch-Lehrbuch. Es ist nur der Freifahrtschein zum Altgriechischkurs. Lernen muss ich selbst, aber jetzt geht das immerhin. Soll ich mich jetzt ernsthaft dafür hassen, dass ich vor dreißig Jahren keinen Platz am humanistischen Gymnasium in der Stadt gekriegt habe, weil keiner frei war? Weil nicht mal irgendjemand in der Familie, einschließlich mir selbst, auf die Idee kam, mich dort anzumelden?

Energieverschwendung.

Ganz herzlich
Willo

Benutzeravatar

WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 10. April 2013, 13:18

Auch, wenn das jetzt ein Stück weit OT geht, ich packe noch einen 'drauf:
WilloTse hat geschrieben:Und jederzeit überfällt mich dieser eigenartige Schauer bei der fremden, und doch so vertrauten Rhythmik von Vergil:

Ich wäre ohne diese Lektüren nicht zu dem geworden, der ich heute bin. Meine Sprachverliebtheit, meine Ausdrucksfähigkeit, mein Wortschatz, sie alle wären nicht ohne die Kenntnis der Texte von Menschen, die seit 2000 Jahren vermodern. Alles das bin und bleibe ich. Auch, wenn ich den Gallischen Krieg echt nicht nochmal lesen muss, die Spuren uralter Glut bleiben mir für alle Zeiten.

ein Freund hat geschrieben:Wenn alles, was Du bis heute erlebt hast, Dich zu dem gemacht hat, der Du heute bist, war es wichtig, das alles zu erleben


Da ist kein Grund für Selbsthass.

LG
Willo
edit: wem die Bezüge der Altsprachler-Allegorie zur Schicksalhaftigkeit der biologischen Ursachen des Trinkens entgangen sein sollten: das waren sie.

Benutzeravatar

Don
Beiträge: 124
Registriert: 22. Februar 2013, 22:16
Hat sich bedankt: 20 Mal
Danksagung erhalten: 21 Mal
Mann oder Frau?: Ich habe keine AHNUNG

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Don » 16. April 2013, 09:56

pragha hat geschrieben:...Aber ich kenne jemanden, der es mit 250 mg/d immer wieder versucht und regelmäßig scheitert und dann unter Qualen nach 2-4Tagen wieder aus dem Alkohol rauskommt. Wozu dann das erste Glas? Wenn man dem ersten Trigger widerstehen kann, der vermutlich noch gar nicht so groß ist, und eine rationale Kosten(Craving/Entgiftung))-Nutzen(Alkoholkonsum)- Analyse machen würde, wäre das eigene Alkoholproblem gelöst...
pragha

Ich verstehe die Fragestellung so: Warum ein Goodfeeling erzeugen, wenn sich Aufwand & Nutzen nicht mal die Waage halten?
Diese Frage begegnet mir innerlich recht häufig. Ich habe wie alle gelernt, dass es Tage dauert (bei mir so um die drei) um nach einem Top-Event wieder einigermaßen mental auf die Füße zu kommen. Diese Erfahrung allerdings steht mir in ihrer Tiefe beim nächsten TW nicht richtig zur Verfügung. (Ich habs versucht, hab mir für den Abend Zettel hingelegt die nochmal eindeutig darauf hinwiesen, dass ab dem nächsten Morgen nerviges Ausnüchtern anstünde). Allerdings war ich nicht in der Lage bei bestehenden TW diese Information vernünftig zu bewerten. Die Prioritäten sind in diesem Moment einfach anders gewichtet. Die Empathie für entfernt liegendere zukünftige Ereignisse kommt einem teilweise/fast vollständig abhanden. Der Aufwand (also späteres Ausnüchtern, Badfeeling, etc.) erscheint sehr distanziert und handhabbar hingegen der momentane "Profit" - das Goodfeeling als intuitiv naheliegend und teilw. sogar folgerichtig.
Obwohl wir also auch über negativ besetzte Lernerfahrungen verfügen führen diese oft nicht zu den (in der Nachschau wieder normal gewichteten) sinnvollen Entscheidungen.
Damit stehen wir allerdings nicht allein auf weiter Flur - z.B. spielen mehrere Millionen "normale" Menschen in Dtl. jede Woche Lotto obwohl es rational keinen Grund dafür gibt. Ich vermute, unser heiß "geliebtes" Belohnungssystem kann eine sinnvolle bzw. rationale Betrachtung zeitweise außer Kraft setzen bzw. etwas besser formuliert; Prioritäten anders gewichten. Der nahe kleinere Gewinn ergaben Studien in der Spiel- und/oder Entscheidungstheorie ist den allermeisten Menschen erstrebenswerter als der spätere höhere Profit. Dafür stellen selbst nüchterne Menschen gerne sämtlich Gesetze der Mathematik (man kanns auch gern mit Vernunft ersetzen) in Frage!!!
Der eigentliche Kontrollverlust findet also, wie viele hier weiter vorn schon beschrieben, bereits bei der "Abwägung" des in Erwartung stehenden "Profits" statt. Für uns leider, aufgrund unserer Vorgeschichte, mit drastischeren Konsequenzen.

LG - Don.

Benutzeravatar

Thread-Starter
Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 16. April 2013, 11:54

@ Don

Das ist ein wertvoller Gedankengang, Don. Hier liegt glaube ich irgendwo die Krux. Unser Hirn ist so verdrahtet:

(viel) Alkohol ---> Rausch, Hochgefühl, Erleichterung, Sorglosigkeit,.............und irgendwo ganz weit hinten steht ganz klein Entzugsschmerzen.

Bei Menschen, die "normal" mit Alkohol umgehen können, ist das in der Regel anders:

Alkohol ---> Muss ich heute noch etwas Wichtiges erledigen? Will ich morgen fit sein? Vertrage ich das auf nüchternen Magen? Ja. Wirklich? Warum eigentlich nicht? Leichter Schwips.

Ich habe in Gesellschaft oft sog. "normale" Leute sagen hören: "Für mich bitte keins mehr, ich muss morgen früh raus!" Mir ist so eine Formulierung seinerzeit nie über die Lippen gekommen, auch wenn ich früh raus musste. Weil - wie Du richtig sagst - solche Gedanken einfach gar keine Rolle mehr spielen, wenn die "Trink-Maschinerie" erst einmal in Gang gesetzt worden ist (wahrscheinlich in der Tat sogar schon davor).

In diesem Zusammenhang kann man auch beobachten, dass - mit zunehmender Trink-Karriere - die vermeintlich "wichtigen" Termine und Aufgaben des nächsten Tages für unsereins immer unwichtiger wurden. Man hat geschwänzt, sich krank gemeldet, verleugnen lassen...

Dass unser Gehirn so anders tickt (Alkohol ---> Rausch) liegt an der jahrelangen Konditionierung. Wir haben es so gelernt und es war super - zumindest eine gewisse Zeit lang.

Meine Hoffnung ist, dass konditioniertes Verhalten auch wieder verlernt werden kann ("Rekonditionierung"). Inwieweit eine (teilweise oder vollständige) Genesung/Gesundung ("Recovery") möglich ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen.

Wenn wir es schaffen, unser Denken von der obigen Darstellung in

(viel) Alkohol ---> Rauschgefühl, Entzugsschmerzen

zu wandeln, haben wir schon ein großes Stück der vor uns liegenden Strecke geschafft. Denn in gewisser Weise haben wir auch diesen Zusammenhang schmerzhaft gelernt. Wir müssen ihn halt im entscheidenden Augenblick auch abrufen. Dank Baclofen ist das zumindest theoretisch möglich. Das Medikament sorgt zwar nicht für ein Rauschgefühl, aber es liefert den nötigen Botenstoff, damit wir uns auch ohne Alkohol zumindest einigermaßen "normal" fühlen können. Vielleicht sollten wir uns an entscheidender Stelle (immer) öfter sagen: "Alkohol...muss das jetzt wirklich sein? Alles in allem betrachtet geht's mir doch zurzeit ganz gut. Und dann wieder dieses ätzende Zittern, Kotzen, Schwitzen...der ganze Stress, Krankmelden, Familienstreit...Nö!".

Wenn uns dieses "Nö!" dann tatsächlich gelingt, ist es ganz wichtig, dass wir dafür auch STOLZ entwickeln. Dass wir uns loben, diesmal den schwereren Weg gegangen zu sein. Das war wahrhaft eine Riesenleistung! Kompliment! Klasse!

Denn nur so funktioniert die Lerntheorie und damit auch das "Rekonditionieren": "Richtiges" Verhalten muss belohnt werden. Für "normale" Menschen ist "Nicht-Trinken" keine große Leistung - für uns ist es ein Riesenerfolg! Wer mag, kann sich die gesparten Euros, die der Rausch gekostet hätte, jedesmal in ein kleines Kässchen packen und sich von dem Geld irgendeinen Wunsch erfüllen. Auch "Kleinvieh" macht Mist! Eine Konzertkarte für die Lieblingsband zum Beispiel. Denn das Gehirn muss auch die Möglichkeit bekommen, neue "Verknüpfungen" herzustellen. Zum Beispiel:

Kein Alkohol ---> Lieblingskonzert.

Ein langer, steiniger Weg (@Willo)! Ich weiß. Aber Festplatte neu formatieren dauert eben...

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

pragha
Beiträge: 116
Registriert: 16. November 2012, 13:32
Danksagung erhalten: 15 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon pragha » 16. April 2013, 13:23

Hi Papfl,
du gehst davon aus, das der Unterschied Alkoholiker/ Nichtalkoholiker in einer psychischen Konditionierung der Alkoholiker liegt und deshalb der Unterschied zwischen normal und pathologisch auch wieder reduziert werden kann (Lerntheorie).
Es gibt hinreichend viele wissenschaftliche Veröffentlichungendie zeigen, dass fortgesetztes Alkoholkonsum zu physischen Veränderungen führt, die einem extrem lange erhalten bleiben, falls sie einem nicht sogar das ganze Leben erhalten bleiben, und das Phänomen "Craving" erzeugen. Da Nicht-Alkoholiker kein "Craving" haben, ist die Vorstellung eines "normalen" Trinkverhalten für Alkoholiker wohl Wunschdenken.
pragha

Benutzeravatar

Thread-Starter
Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 16. April 2013, 13:59

@ pragha

Meine Ausführungen haben zunächst einmal mit der Frage "Abstinenz" vs "kontrolliertes Trinken" nichts zu tun.

Deinem Posting entnehme ich, dass Du die Ursache für "Craving" ausschließlich auf die physischen Veränderungen zurückführst, die durch langjährigen festgesetzten Alkoholkonsum entstanden sind. Dass dies wissenschaftlich in verschiedenen Studien untersucht wurde, weiß ich, und ich stelle das auch keinesfalls in Frage.

Vielleicht "schreiben" wir aneinander vorbei, weil ich den Begriff "Craving" etwas weiter fasse. Für mich hat "Craving" nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Komponente.

Und Letztere ist in der Tat in hohem Maße von lerntheoretischen und konditionierten Aspekten geprägt. Deshalb ist es m. E. durchaus sinnvoll, wenn ich als Abhängiger versuche, die "konditioniert erworbene" und vermeintlich als "richtig" empfundene (kognitive) Fehlschaltung

(viel) Alkohol ---> Rauschgefühl = gut!

durch Lernerfahrungen wie beispielsweise

kein Alkohol ---> Lieblingskonzert = besser!

zu ersetzen ("rekonditionieren").

Unabhängig davon gibt es natürlich auch die physische Komponete, die durch jahrelangen Missbrauch in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Papfl hat geschrieben:Die meisten von uns haben durch jahrelangen (oder gar jahrzehntelangen) Alkoholkonsum ihre Rezeptoren und Neurotransmitter komplett durcheinander gewirbelt und massive Schäden im natürlichen Stoffwechsel verursacht...hier für die Regeneration mindestens ein bis zwei Jahre unter gleich bleibenden Bedingungen zu veranschlagen, ist m. E. nicht zu viel verlangt. Quelle

Papfl hat geschrieben:Inwieweit eine (teilweise oder vollständige) Genesung/Gesundung ("Recovery") möglich ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen.

Beide Formen des "Cravings", die physische(Baclofen) und die psychische (Therapie, hier u.a. Lerntheorie) müssen behandelt werden, wenn man zu einem einigermaßen "normalen" Leben zurück finden möchte.

Die Frage, ob - wenn man irgendwann die beiden "Cravings" in den Griff bekommen hat - ein Leben mit "kontrolliertem" Alkoholkonsum dauerhaft möglich ist, steht für mich im Moment noch gar nicht zur Debatte und ist in meinen Beiträgen so auch nicht angeklungen, oder ?!? Wenn Du mich nach meinem jetzigen Standpunkt dazu fragst, lautet die Antwort: NEIN. Aber der hier beschriebene Umgang mit der Thematik und der gleichzeitige Einsatz von Baclofen und Psychotherapie bergen zumindest die Hoffnung, in absehbarer Zeit einigermaßen "glücklich" durchs restliche Leben gehen zu können - auch ohne Alkohol.

pragha hat geschrieben:du gehst davon aus, das der Unterschied Alkoholiker/ Nichtalkoholiker in einer psychischen Konditionierung der Alkoholiker liegt und deshalb der Unterschied zwischen normal und pathologisch auch wieder reduziert werden kann (Lerntheorie).

Wenn sich der Unterschied zwischen Alkoholiker und Nicht-Alkoholiker auf einen so kleinen Nenner bringen lassen würde, hätten wir nicht ein so großes Problem [smile] . Aber das ist Stoff für einen neuen Thread. Bei Gelegenheit.

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Don
Beiträge: 124
Registriert: 22. Februar 2013, 22:16
Hat sich bedankt: 20 Mal
Danksagung erhalten: 21 Mal
Mann oder Frau?: Ich habe keine AHNUNG

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Don » 16. April 2013, 23:45

@pragha: Natürlich darf man die körperliche Komponente nicht außer Acht lassen - keine Frage. Ich meine allerdings, dass die Entdeckung unserer geistigen Muster wertvolle zusätzliche Chancen bietet, da & dort aus dem Stand heraus adäquat zu reagieren. Dafür allein schon lohnt es sich, einmal die Erfahrungen auszutauschen.

LG - Don.

PS: Mal am Rande - hab gestern einen ganz guten Film gesehen mit nem recht schönen Zitat drin, welches ich Euch allen natürlich nicht vorenthalten möchte:

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Taten
Achte auf Deine Taten, denn sie werden Dein Charakter
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.

Gut Nacht sagt, Don. [smile]

Benutzeravatar

Ralph
Beiträge: 19
Registriert: 4. Mai 2013, 08:30
Mann oder Frau?: Ich habe keine AHNUNG

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Ralph » 18. Mai 2013, 09:30

Das sind ja auch wieder viele interessante Gedanken hier.

Ich glaube für mich selbst sind viele Gründe die häufig angeführt werden, nur nette Nebeneffekte, die man gerne mitnimmt.
Ich habe z.B. nach einer längeren Flugpause ein paar Bier vor dem Flug gegen Flugangst getrunken. Allerdings bin ich im Urlaub immer in Sauflaune und hatte bei Autourlauben Probleme nüchtern zu fahren. Wobei das damals noch klappte. Heute kann ich nur noch fliegen.
Vor einer Feier mit vielen unbekannten Leuten trinke ich, weil ich dann schneller ins Gespräch komme und zunächst sicherer auftrete. Nur saufe ich eben auch im vertrauten Kreis.

Eine Hauptkomponente ist einfach die Suchbefriedigung, die in konditionierten Situation stärker auftritt. Das hat sich nun mal verselbstständigt. Ein Großteil der erwarteten Entspannung rührt alleine aus dem Wegfallen des Saufdranges.
Wenn ich nach langer Suche endlich eine Toilette finde, bin ich auch entspannter.

Ich frage mich, ab man als Alkoholiker die Fähigkeit zur Freude an kleinen Dingen verloren hat oder ob sie nie so wie bei Anderen vorhanden war. Mir wurde schon immer alles schnell langweilig und ich neigte zu Übertreibungen. Da könnte die Ursache für den Start meiner Säuferkarriere liegen.

Gruß
Ralph

Benutzeravatar

WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 26. Juli 2013, 06:16

Tach zusammen!
Im Zuge der Frage nach moderatem Trinken kam eine kleine Diskussion um das "wozu" zustande.

WilloTse hat geschrieben:Sie [Ärztin] akzeptiert aber Zwischenziele auf dem Weg dahin und plädiert nicht für "ganz oder gar nicht". Ich habe mich mit ihr mal über MT unterhalten, da sind sogar mir die Argumente ausgegangen.
Die einfache Gegenfrage war immer: "Wozu?"
Die mir letztmögliche Antwort war "Weil es Situationen gibt, durch die ich ohne Alkohol nicht durchkomme."
Sie: "Ist doch o.k. Nur bleiben Sie bitte so ehrlich, genau das nicht zu vergessen."

WilloTse hat geschrieben:anerkennen, dass Du noch nicht zu Hause bist, wenn dieses Bedürfnis noch da ist.
Da ist kein Vorwurf, keine Besserwisserei und kein "Du-musst-nur-wollen-wollen".


Was mir während des Schreibens entgangen ist und erst in der Nachbetrachtung auffiel: diese "Wozu" - Frage deckt sich mit @Papfls "Wozu" aus diesem Thread.

Im Zusammenhang mit dem MT lande ich, wie wohl die meisten, am Ende dieser Fragenkette bei zwei Antwortmöglichkeiten:
- um mich in bestimmten Situationen nicht ausgeschlossen zu fühlen
- weil für mich in bestimmten Situationen Alkohol einfach dazugehört
Beide Möglichkeiten verdienen ein nochmaliges Rückfragen. Tee schmeckt auch, beim Grillabend bist Du auch ausgeschlossen, wenn Du nach einem Bier umsteigst auf Wasser, wenn Du Dir eine Belohnung verdient hast, gibt es Millionen anderer Möglichkeiten, als sich eine Flasche Champagner zu "gönnen".
Also wozu?

Die These im Zusammenhang mit moderatem oder kontrolliertem Trinken lautet doch: Ein Bier schadet wahrscheinlich wirklich nichts, abgesehen von der Theorie, dass es die Wirkung von Baclofen unterwandert und dass das Wiedereintreffen des geliebten Glücksstoffes ein biologischer Trigger ist. Aber ein Bier steigert auch das Gefühl, den Alkohol unter Kontrolle zu haben, und hier lauert psychologische Gefahr: wenn ich ein Bier gefahrlos trinken kann, dann doch auch zwei?

Vor Beginn eines MT-Versuchs kann man sich ja mal diese Frage stellen: Was ist mir denn am Alkohol immer noch so wichtig, dass ich diese Gefahr bewusst in Kauf nehme? Gleichgültig ist er mir ja offenbar nicht.

Interessanter Zeitungsartikel (SZ) Ein Psychologe erklärt, warum man erst würdigen muss, was man am Rauchen hat, bevor man aufhören kann.

Nicht falsch verstehen, bitte: ich bin nicht für Kampfabstinenz um jeden Preis (wer wäre ich... [biggrin] ). Aber wer die Abstinenz erreicht hat, sollte sich meiner Ansicht nach zweimal überlegen, ob er sie gezielt wieder unterbricht.

Darum exhumiere ich diesen erstklassigen Thread nochmal.

LG
Willo

Benutzeravatar

Thread-Starter
Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 26. Juli 2013, 09:45

Morgen Willo!

An die "W-Fragen" musste ich auch denken, als ich das "Wozu?" im anderen Thread gelesen hatte.

WilloTse hat geschrieben:Die These im Zusammenhang mit moderatem oder kontrolliertem Trinken lautet doch: Ein Bier schadet wahrscheinlich wirklich nichts...

Es bringt ja aber auch nicht "wirklich" was. Zumindest nicht in den Kategorien, in denen ich als Abhängiger denke. Dieses eine Bier könnte Sinn machen, wenn ich ein klassischer "Genusstrinker" wäre. Jemand, der ein kühles Bier trinkt, weil es geschmacklich eben so gut zum T-Bone-Steak oder zum Schweinehals passt. Oder weil ihm Weißwürste ohne Weizen einfach nicht schmecken. Jemand, dem bei einem 2,99-Wein alle Haare zu Berge stehen, weil er das noble, sorgfältig dekantierte Achtel vorm Kaminfeuer gewohnt ist. Jemand, der auch kein Problem hat, nach diesem einen Bier wieder aufzuhören - und nicht befürchten muss, dass der ganze Rattenschwanz

WilloTse hat geschrieben:...Wiedereintreffen des geliebten Glücksstoffes ein biologischer Trigger ist. Aber ein Bier steigert auch das Gefühl, den Alkohol unter Kontrolle zu haben, und hier lauert psychologische Gefahr: wenn ich ein Bier gefahrlos trinken kann, dann doch auch zwei...

ihn wieder einholt. Zu den Menschen, die nach zwei Stückchen Schokolade die Tafel wieder einpacken und für den nächsten Tag zur Seite legen, gehöre ich (leider oder glücklicherweise ?!?) nicht.

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 257 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon GoldenTulip » 26. Juli 2013, 18:48

Die blaue, oder die rote Pille?


nicht tiefgreifend, aber auch nicht verkehrt:
http://www.die-matrix.net/?page_id=19

Es wird ja den eher auch theoriefreundlichen Alkoholikern gern unterstellt, sie bauen eigentlich nur ein immer komplexeres, hanebücheneres Konstrukt um ihr Sucht drumherum, statt sich ihrem Problem zu stellen.
"Wer trinken will, findet Gründe, wer nicht trinken will, findet Lösungen."

Ich bin jetzt lange genug durch die Forenlandschaft gestolpert, um zu versuchen, die Argumentationen einigermaaßen nachzuvollziehen.

Aktuell nervt mich am meisten, dass ich selbst mit Baclofen eine Art Abstinenzgelübde hinlegen sollte.
Baclofen wirkt, wenn Du nichts trinkst, ist nicht so das intellektuelle Highlight, finde ich.
Ich will diese Frechheit auch begründen:
Was habe ich von Baclofen, wenn es mein Craving unterdrückt, aber weder den Wunsch noch die Absicht, zu trinken? Viel Müdigkeit und Libidoverlust. Das war meine Quintessenz. Bessere Möglichkeiten, wieder weniger zu Trinken. Ich konnte wieder einschlafen. Aber dann allein....
Da ich aber weitergetrunken hatte, ist die Anti-Craving-Wirkung irgendwie an mir vorbeigegangen.
Hochdosieren wollte ich ja auch nicht so wirklich. Da war auch Angst.

Und etwas hat es bewirkt: Wahlfreiheit in Aussicht. Das war gut. Hoffnung. Das war noch besser. Heilung? Für mich zu riskant. Ich misstraue Hirnmedikamenten. Zu schlapp zum Kühlschrank zu laufen ist keine echte Heilung.

Ich gehöre wohl auch zu den 15 %, denen Bac alles egal macht, außer den Alkohol.
"Ja, aber Du nimmst es auch verkehrt!" Genau [cray] . Da ist die Grenze.
Wenn Du nichts mehr trinken willst, ist es das Beste ever auf dem Markt. Es schlägt Dir halt nicht das erste Glas - oder den Wunsch- aus der Hand.

Das wäre doch hilfreich, mal zusammenzutragen, was Baclofen bewirken kann, und was nicht -(bei allen).

Um dem Ganzen etwas Sinn zu verleihen: Das "Wozu" muss man selbst entwickeln. Das " Can you stand it" auch.
Man ist kein Hamster im Laufrad mehr- oder kann sich sein Laufrad wieder aussuchen. Man bekommt Zeit.

So, weiter geht es für mich nach Baclofen, ohne hätte ich gar nicht erst angefangen, neue Wege zu suchen,

mir fehlen im Forum die Rubriken, wie es weitergeht ohne die Abkürzung zu nehmen, ich habe Bedarf an Vorbildern/ Austausch über das "wie weiter, was dann",

LG Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

WilloTse
Beiträge: 1606
Registriert: 10. Januar 2012, 15:31
Hat sich bedankt: 326 Mal
Danksagung erhalten: 307 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon WilloTse » 27. Juli 2013, 07:02

Moin Conny,
GoldenTulip hat geschrieben:"Wer trinken will, findet Gründe, wer nicht trinken will, findet Lösungen."

Das ist so'n Satz, den hasse ich wie die Pest.
Wer trinken will, hat Gründe, für die er noch keine andere Lösung findet.

GoldenTulip hat geschrieben:Das wäre doch hilfreich, mal zusammenzutragen, was Baclofen bewirken kann, und was nicht -(bei allen).

Es kann
- die physiologische Seite des Craving unterbinden
- (generalisierte) Angst mindern
- depressive Verstimmungen aufhellen
- vorübergehend euphorische Stimmung auslösen

es kann nicht
- die psychische Seite des Craving unterbinden
- die Trinkgründe beseitigen
- die Trinkgewohnheiten beseitigen
- alternative Kompensationstechniken für die Trinkgründe aufzeigen
- Alkoholkonsum an sich unterbinden

Im Idealfall befähigt das, was es kann, den Patienten dazu, das, was es nicht kann, selbst in die Hand zu nehmen.

GoldenTulip hat geschrieben:mir fehlen im Forum die Rubriken, wie es weitergeht ohne die Abkürzung zu nehmen, ich habe Bedarf an Vorbildern/ Austausch über das "wie weiter, was dann",

Ich sehe einfach niemanden, der das bisher geschafft hätte.
Am ehesten Leute wie @betalbatim, @rockine, wenn alles klappt @Pippilotta-Argentina.
Aber bb und rockine haben halt Bac genommen, Abstinenz erreicht, Bac abgesetzt, Abstinenz beibehalten.
Ich kann's ja auch nicht ändern.
Aber zurück auf "Los", keine Medikation, MT mit gelegentlichen Ausrutschern, und das ganze im Normalo-Bereich, als wäre nie was gewesen? [unknown]

Und diese ganze Medikation so hoch halten, dass das abendliche Achtel möglich ist? Schaut her, ich nehme ein potentes, nicht für diese Anwendung zugelassenes Hirnmedi, damit ich moderat das Zeug trinken kann, das mir ja ach-so-gleichgültig geworden ist? Das ist doch Irrsinn.
Wen wundert's da, dass Suchtmediziner auf diese Idee nicht so recht anspringen?

Auch, wenn ich diesen Ochsenfrosch nicht schlucken mag, aber ich sehe dauerhaft keine Alternative zur Abstinenz. Ich wollte, ich sähe noch eine, glaub' mir. Ich sehe keine mehr.
Der Weg dahin - darüber können wir uns unterhalten, tun wir ja auch.

Aber back to the roots? An die Möglichkeit glaube ich nicht mehr.

Papfl hat geschrieben:Zu den Menschen, die nach zwei Stückchen Schokolade die Tafel wieder einpacken und für den nächsten Tag zur Seite legen, gehöre ich (leider oder glücklicherweise ?!?) nicht.


Das kommt noch dazu, beim Thema "wozu": was ist der Sinn von einem Gin?
Für 'ne ganze Pulle hab' ich die Antwort. Aber für einen??

LG
Willo

Benutzeravatar

Thread-Starter
Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 27. Juli 2013, 09:01

@ all

Um mal wieder auf den Thread-Titel zurück zu kommen (keine Angst...ich bleibe schon bei Euch [smile] ). Jetzt mal ganz unabhängig von Baclofen gefragt:

WIE unbeschwert können wir, die wir uns tagtäglich mit unserem "Alkoholproblem" beschäftigen (Forum, hinterfragen, analysieren, Lösungswege suchen, etc.) denn überhaupt noch mit Alkohol umgehen? Schwingt nicht schon beim ersten Glas aufgrund unseres Problembewusstseins immer schon ein Stück weit das schlechte Gewissen mit? Kann uns denn Alkohol trinken überhaupt noch Spaß machen? Wie früher, als wir nicht drüber nachgedacht haben?

Oder gibt es am Ende nicht doch wirklich nur die blaue (alles beim Alten belassen) oder die rote Pille? Und wie sähe die rote Pille aus?

Fragt sich
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Thread-Starter
Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Papfl » 27. Juli 2013, 10:28

Papfl hat geschrieben:Wie sähe die rote Pille aus?

Meiner Ansicht nach ist die „rote Pille“ zunächst mal die Abstinenz. Gelegentlich kursiert ja das „Gerücht“, man könne nach einem halben Jahr wieder an MT oder KT denken, aber so weit will ich jetzt gar nicht gehen. In einem halben Jahr kann sich so viel verändern…es reicht, sich darüber Gedanken zu machen, wenn es soweit ist.

WARUM Abstinenz?

Weil beide Wege – der rein in die Alkoholsucht und der raus aus der Alkoholsucht – sehr viel mit Konditionierung und Lerntheorie zu tun haben.

Wir haben vor langer Zeit festgestellt, dass Alkohol uns gut tut. WOFÜR jeder von uns individuell den Alkohol benutzt hat, ist egal. Fakt ist: Die Wirkung hat uns etwas gebracht.
Daran haben wir uns gewöhnt. Weil Alkohol so ein „tolles“ ALL-IN-ONE Allroundmittel ist, das ganz viele Bedürfnisse auf einmal befriedigen kann, hat unser „träger“ Körper schon bald gemerkt, dass er sich ja gar nicht mehr so anstrengen muss, um natürliche, körpereigene Arznei herzustellen. Also hat er seine Produktion heruntergefahren oder sogar ganz eingestellt.

Nach vielen Jahren nun merke ich, dass mir der Alkohol nicht mehr gut tut. Weil ich abhängig geworden bin. Weil sich soziale oder gesundheitliche Konsequenzen bemerkbar machen, oder weil der Stoff einfach nicht mehr so funktioniert, wie er soll. Pech für mich, dass mein Körper inzwischen verlernt hat, wie die alternative, körpereigene Arznei hergestellt wird. Auch die ganzen alten Verhaltensmuster (Stichwort: Neuronales Netz), die Strategien, wie ich mir natürliche Entspannung, natürliche Glücksgefühle, natürliche Abwechslung etc. erzeugen kann, sind eingerostet bzw. zugewachsen.

Hier liegt das größere Problem, denn die körpereigene Arznei kann ich (vorerst) von außen zuführen: Baclofen. Aber alles andere muss ich wieder ERLERNEN.

Diese Lernprozesse sind individuell höchst verschieden und für manch einen anstrengender als für andere. Das hängt damit zusammen, auf wie viel „Erlerntes von einst“ ich zurückgreifen kann. Was kann ich von früher reaktivieren? Viele haben bereits in jungen Jahren mit Alkohol begonnen und sich ihre Glücksgefühle schon recht früh künstlich erzeugt. Sie kennen also positive Gefühlszustände nur in Kombination mit Alkohol. Viele hatten eine schwere Kindheit, die nicht gerade übermäßig mit Spaß und freudigen Erlebnissen bestückt war, auf was also zurückgreifen?

Es ist nicht hoffnungslos, aber Arbeit. Ich muss meinem Körper und meinem Hirn beibringen, dass ich auch in nüchternem Zustand gut drauf sein kann. Dazu ist es nunmal von Vorteil, abstinent zu sein. Zumindest, bis Körper und Hirn geschnallt haben: Es geht auch ohne Alk!

Lacht jetzt nicht, aber Sex scheint für die Rekonditionierung eine gute Methode zu sein. Als ich vor einigen Monaten in einer Gruppe (Alter 29-43 Jahre, vorwiegend Männer) gefragt habe, wer in seinem bisherigen Leben schon mal nüchtern Sex hatte, streckten nach reiflicher Überlegung zwei von zwölf. Inzwischen haben einige von ihnen dieses „Versäumnis“ nachgeholt und der Beischlaf scheint ihnen (und auch ihren Partnerinnen!) nüchtern mehr gegeben zu haben als in angetrunkenem Zustand. Da ein Orgasmus ja bekanntlich zu den sehr prägenden Erlebnissen gehört, sind die Auswirkungen im neuronalen Netz entsprechend intensiv und hinterlassen entsprechend tiefe Spuren.

Wie wenig wir uns vorstellen können, dass das Leben auch ohne Alkohol spannend, interessant und lebenswert sein kann, wird nachvollziehbar, wenn man sich ein bisschen mit sog. „Spiegelneuronen“ beschäftigt.

Über „Spiegelneuronen“ können wir uns in andere Menschen hinein versetzen und ähnlich wie sie empfinden. Wenn man zum Beispiel im Fernsehen sieht, wie sich jemand mit einem Messer schneidet, „frösteln“ wir als Zuschauer indirekt mit, wenn die Klinge ein rote Blutspur auf der Haut hinterlässt, obwohl wir ja gar nicht betroffen sind. Aber wir können erahnen, wie schmerzhaft das sein muss.

In punkto Alkohol sind viele von uns nur dürftig mit "Spiegelneuronen" ausgestattet. Dass man bestimmte Dinge auch ohne Alkohol „genießen“ kann, ist uns eher fremd. Folglich können wir auch wenig Empathie für den „Spielverderber“ entwickeln, der inmitten einer Alkohol trinkenden Gruppe mit der Cola in der Hand ausgelassen mitfeiert. Weil wir es schlichtweg nicht nachvollziehen können. Besser funktioniert das z. B. bei spielenden Kindern. Hier können wir eher "innerlich" mitlachen, weil wir ja schließlich auch mal jung waren und (hoffentlich) ähnlich vergnügt umher tollten.

@ Conny fragt:

GoldenTulip hat geschrieben:mir fehlen im Forum die Rubriken, wie es weitergeht ohne die Abkürzung zu nehmen, ich habe Bedarf an Vorbildern/ Austausch über das "wie weiter, was dann"

Das Sammeln solcher nüchternen Episoden gehört dazu.

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Chinaski
Beiträge: 1434
Registriert: 29. November 2012, 15:17
Hat sich bedankt: 214 Mal
Danksagung erhalten: 369 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Chinaski » 27. Juli 2013, 10:41

x

Benutzeravatar

Abliand
Beiträge: 17
Registriert: 2. November 2017, 08:44
Danksagung erhalten: 1 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Die "W-Fragen"

Beitragvon Abliand » 22. August 2018, 04:56

So jedenfalls - mit individuellen Unterschieden - ist es doch, solange die Sauferei klappt. Solange der Alk noch kein Problem ist, sondern ein zuverlässiges Mittel, um sich die Laune zu verbessern.


Zurück zu „Baclofen erste Schritte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast